Grad der?


(Der Kriegsinvalide vom Schützengraben im Prater.) Vor dem Magaretener Bezirksrichter Dr. Michler hatte sich gestern der Invalide Jakob Treuer wegen unbefugten Tragens einer Uniform zu verantworten. Der Angeklagte, ein alter gebrechlicher Mann, erschien in einer abgenutzten Musikeruniform vor Gericht und gab an, den Feldzug gegen Bosnien im Jahre 1878 mitgemacht zu haben. — Richter: »Sie tragen die Uniform eines Musikers, spielen Sie ein Instrument?« — Angekl.: »Ja, die Mundharmonika.« — Schließlich legt der Angeklagte dem Richter eine Bestätigung des Kommandos des 84. Infanterieregiments vor, nach dem Treuer eine Hose, eine Bluse und ein Militärmantel geschenkt wurden. Eine zweite Bestätigung des 69. Infanterieregiments besagt, dass der Beschuldigte für die Reinhaltung der Wege zum Schützengraben im Prater sorge. Angesichts dieser Sachlage sprach der Richter den Angeklagten Jakob Treuer frei. Kaum hatte der Invalide das Urteil vernommen, schwenkte er seine Mütze und schrie laut: »Hoch Seine Majestät unser Kaiser! Hoch Kaiser Wilhelm! Ich danke Ihnen, tief gerührt, Herr Richter!«

Mein Gott. Die Zeit ist groß, sie hat auch dafür Zeit. Der alte gebrechliche Mann hält die Wege zum Schützengraben im Prater rein. Junge gesunde, die nicht einmal das tun, gibt es viele, und man kann sie in solche einteilen, die unbefugt eine Uniform, solche, die unbefugt ein Zivilgewand tragen, und schließlich solche, die abwechselnd unbefugt eine Uniform und ein Zivilgewand tragen. Jener, die den Weg zum Graben nicht reinhalten, gibt es viele. Der liebe Invalide von anno 78 scheint mir aller Ehren wert.

 

 

Dezember, 1915.


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