Der Fall Harden
Sehr geehrter Herr!
Nach Ihrer glänzenden Erledigung des Falles Harden, die sich völlig mit meinen Ansichten über diesen Publizisten deckt, bleibt mir nur wenig zu sagen.
Ich habe Herrn Harden eigentlich nie ernst genommen und war immer höchst verwundert, dass er ein so hohes Ansehen in Deutschland genoß. Es muß, weiß der Teufel, schlimm um eine Nation bestellt sein, in der ein Harden eine literarische Persönlichkeit ist und in der er die Rolle des politischen Führers und Vaterlandretters spielen konnte.
Als Politiker kam er mir vor wie einer von den bekannten, zudringlichen und unangenehmen Beratern beim Kartenspiel, die nicht die geringste Ahnung von dem Spiel haben. Hat man verloren, so haben sie es natürlich längst vorhergesehen, bereits am 27. Juni 1903. Gewinnt man, so ist es natürlich ihr Verdienst: das System, auf Grund dessen man gewinnen mußte, ist von ihnen bereits unter dem Datum des 13. Mai 1901 in allen Linien vorgezeichnet. Aber ab und zu versuchen sich die Herren auf ihre eigene Faust, und dann gibt es ein kläglisches, jämmerliches Fiasko.
Welche in Politiker, der auf die Beschwerden eines unbefriedigten und infolge dessen der Hysterie verfallenen Weibes seine Anklage gegen einen durchaus unschuldigen Menschen richtet! Ein Retter des Vaterlands, der sein Mütchen an einem alten, vornehmen Herrn kühlt, von dem er wissen konnte, dass er es unter seiner Ehre halten würde einem verärgerten Weibe Rede zu stehen, oder sich gar durch Gegenklagen, deren er vermutlich mehr als genug hätte, zu verteidigen.
Herr Harden sollte uneigennützig den Prozeß heraufbeschworen haben? Den Schlüssel zu seinem ganzen Vorgehen bildet sein Geständnis, Fürst Bismarck habe ihm einmal gesagt, er würde mit allen fertig werden, nur mit Fürst Eulenburg nicht. So ungefähr lautete Hardens Aussage. Nun: er, Herr Harden, wollte zeigen, dass er es doch zu Stande bringen könne, und an diesem Ambitiönchen — um im Stil des Herrn Harden zu sprechen — ist er gestrandet.
Wenn er aber aus Pietät gegen den großen Mann gehandelt hat, der unter den verschiedenen Eulenburgs gelitten haben soll, — um ihn zu rächen, dann ist eine solche Rache, betrieben mit so widerlichen, schändlichen Mitteln, etwas so Häßliches, dass Fürst Bismarck wahrscheinlich sich mit Ekel davon abgewandt hätte.
Hätte Herr Harden nur weiter drauflosgeschimpft, sich mit der Rolle des prophetischen Beraters begnügt, auf der Marokkofrage weiter herumgeritten, wäre ja Alles gut, und er könnte als großer Politiker fortbestehen. Nun aber gelüstete ihn, einmal selbstständig vorzugehen und die Krücken, die ihm der Riese in einer witzigen Laune geliehen hat, brachen erbärmlich zusammen; Herr Harden hat es nicht verstanden, sich ihrer zu bedienen.
Das Interessanteste an dem ganzen Prozeß war es, die Psychologie der Menge zu studieren.
Oh, wie hat der Plebs gejohlt, welch ein gefundenes Fressen! Was war dagegen Hau und Olga Molitor: Ein Graf, ein Fürst der Päderastie bezichtigt! Bei keinem Besuch eines gekrönten Hauptes erhob sich je ein so begeistertes Hurrah, wie bei der moralischen Hinrichtung eines schuldlosen Opfers.
Ein Blödsinn ist es, zu sagen, Deutschland sei durch diesen Prozeß kompromittiert worden.
Nur der Pöbel hat sich einmal wieder in seiner scheußlichen Größe nackt gezeigt.
Der Pöbel und Herr Harden sind gerichtet. Herr Harden, der gewußt hat, womit der Pöbel zu ködern sei.
Und bloß darum schon, weil er sich zum Anwalt der niedrigsten, ekelhaftesten Pöbelinstinkte aufgeworfen hat, muß er auf das Recht, als eine Persönlichkeit zu gelten, völlig verzichten.
Eine »Persönlichkeit« das, die da wutschnaubend und händefuchtelnd mit allen Grimassen und dem falschen Pathos eines verkrachten Schauspielers dem Gegner nichts anderes vorzuwerfen hat, als dass er bei den Hofschranzen und einer kranken Dame im Geruche eines Päderasten steht! Widerlich!
Herr Harden als Schriftsteller?
Den haben Sie, verehrter Herr, scharf genug beleuchtet.
Nun hat er sich an seinem klein-kleinen »Ambitiönchen« selbst zugrunde gerichtet.
Wenn es doch wenigstens etwas einigermaßen Großes wäre, woran er hätte stranden müssen, aber so:
Requiescat!
Man könnte mir vorwerfen, ich als Pole wäre nicht im Stande, über Harden, den Polenfresser, ein unbefangenes Urteil abzugeben.
Ich verehre den Fürsten Bismarck, den gewaltigen Roboam, der das Polentum in den Ostmarken mit Skorpionhieben zu einem stolzen und herrlichen Nationalbewußtsein aufgepeitscht hat — die Polen könnten diesem mächtigen Wallenrod aus Dankbarkeit ein Denkmal erbauen —; aber ich habe weder Haß noch Liebe zu seinen Kammerdienern.
Einem Lakai steht man immer unbefangen gegenüber.
Dies, verehrter Herr, ist meine Meinung über den traurigen Bajazzo in Deutschlands politischem Leben.
Mit tiefster Hochachtung
Ihr ergebener
Stanislaw Przybyszewski.
München, 7. Jänner 1908.
Nr. 242-43, IX. Jahr
31. Januar 1908.