Ein Tag aus der großen Zeit


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Der eiserne Kriegsbecher. Das Inkrafttreten des Schlagobersverbotes in Wien.

Aufruf
des Ehrenausschusses

 

Der erste Tag der »obersfreien« Wiener Kriegsjause.

Wien, 2. August. Wien, 2. August.

Wir haben bereits das neueste Kriegsandenken, den eisernen Kriegsbecher, eingehend besprochen. Der Gedanke, dem Publikum zum Dank für die durch den Ankauf eines Bechers geleistete Kriegshilfe die Erwerbung eines wirklich schönen und nicht alltäglichen Erinnerungszeichens zu ermöglichen, stammt vom Statthalter der Steiermark, Grafen Manfred Clary und Aldringen. Die außerordentlich geschmackvolle Form und Ziselierung des Festbechers (denn als solcher ist das durch die große Zeit geweihte Trinkgefäß gedacht) hat Professor Marschall geschaffen.

Der Aufruf, in welchem sich der Ehrenausschuß an die Öffentlichkeit wendet, hat folgenden Wortlaut:

Denkmale, welche die Völker dem Ruhme der Vergangenheit errichten, reden zu allen und sind Gemeingut.

Aber auch in der Einsamkeit oder im engen Kreise der Familie schwingt sich das Gemüt des einzelnen zu den höchsten Höhen allgemeiner Begeisterung empor, so oft ihn die im eigenen Heim als teures Kleinod aufbewahrten Erinnerungszeichen und Symbole an große Zeiten gemahnen.

Und welch′ große Zeit durchleben wir heute!

Ja, wann waren die Waffen geheiligter als jetzt, da sich die Völker der Monarchie in flammender Empörung erhoben und in hingebender Begeisterung um ihren heißverehrten Kaiser scharten, den tückischen Einbruch des Feindes abzuwehren — wann pochten mächtigere Feinde, größere Gefahren an die Tore des altehrwürdigen Reiches seit den Zeiten, da in Ost und West auflodernde Flammen im welthistorischen Ringen seinen Bestand bedrohten und zum erstenmal des großen Prinzen Eugenius sieg- haftes Lied erklang.

Es war eine weihevolle Stunde, als es nun wiederum erscholl und Antwort fand im mächtigen deutschen Kriegsgesang. Und als unser heiß geliebter Monarch zu seinem erhabenen Bundesgenossen die herrlichen Worte sprach: »In Treue drücke ich deine starke Hand«, da schlugen hochauf die Herzen, und von der Nordsee bis zur Adria, vom Rhein bis zur Donau rauschte in heiliger Welle das Gelöbnis des Treuebundes.

Der Glanz antiker Größe durchleuchtet unsere Zeit — er umstrahlt unsere Helden im Felde und schimmert in Palast und Hütte. Einen Abglanz davon noch lebendig zu erhalten und noch Kindern und Enkeln zu vermitteln in einem Symbol, einem Erinnerungs- zeichen von dauerndem Werte, ist unser Gedanke.

Es war von vornherein klar, dass dieses Ziel nur durch Schaffung eines Erinnerungsgegenstandes erreichbar ist, der in jedem Hause Verwendung finden kann, dass er aber, um Dauerwert zu gewinnen, auch würdig sein muß, die Größe der Zeit und die Heiligkeit unseres Bündnisses in wahrhaft künstlerischer Weise zu versinnlichen und trotzdem auch dem Minderbemittelten erschwinglich sein soll.

Nichts eignet sich hiezu besser als der Becher; findet er doch meist bei feierlichen Anlässen Verwendung. Wie kein anderer Gegenstand eignet er sich, die Erinnerung an die große Zeit der Verbrüderung in uns zu erwecken, zugleich aber auch eine sinnige Zier jedes Heims zu bilden.

Der Kriegsbecher 1914/15, das Symbol der Erinnerung an heroische Zeit und der Verbrüderung in gemeinsamer Gefahr muß den hellsten Widerhall in den verbündeten Völkern finden.

Mit der Verkörperung dieses Gedankens betraut, schuf Kammermedailleur Professor Marschall in Wien, eine Berühmtheit auf diesem Gebiete und zugleich der einzige Künstler, dem es in letzter Zeit gegönnt war, Bildnisse der beiden erhabenen Majestäten in voller Lebenswahrheit zu modellieren, nach Überwindung vielfacher Schwierigkeiten ein auserlesen schönes Bechermodell, das auf einem Edelmetallreifen das herrliche Doppelmedaillon der hohen verbündeten Majestäten trägt nebst dem von Ottokar Kernstock, dem berühmten Sänger des »St. Jörg«, verfaßten Becherspruche:

Klar wie dies Glas ist unser Recht!

Weh′ dem, der es zerbrechen möcht′!

Unsre harte, eherne Zeit wies noch einen ganz besonderen Weg. Was sollte sinnfälliger und packender die späteren Generationen an diese Zeit und unser Treuegelöbnis erinnern, als der ihnen von den Vätern aus der Heldenzeit ererbte eiserne Kriegsbecher. Kernstock gab den Spruch:

Den eisernen Becher, den vollen, weiht

Den eisernen Helden der eisernen Zeit!

 

Mit dem gestrigen Tage war in Wien die Statthaltereiverordnung, die die Verwendung von Schlagobers, und zwar sowohl die Erzeugung als den Verkauf und die gewerbsmäßige Verwendung verbietet, in Kraft getreten. Auch zur gewerbsmäßigen Erzeugung von Gefrornem war von heute ab die Milchverwendung untersagt, was das Ende aller Arten von »Obersgefrornem« bedeutete. Die Durchführung der Verordnung ging, wie hervorzuheben ist, ganz glatt von statten. Das Publikum der Kaffeehäuser fügte sich widerspruchslos in die neue Ordnung, die mit der notwendigen Einschränkung des Milchverbrauches begründet ist. Wie die Abschaffung des Weißgebäcks, so wurde auch die Abschaffung des Schlagobers verständnis- voll als eine jener zweckmäßigen Maßregeln hingenommen, die uns das Durchhalten erleichtern sollen. Bemerkenswert waren die Veränderungen in der »Wiener Jause«, die der gestrige Tag bereits beobachten ließ. In den Küchen der Stadtkaffeehäuser gab es plötzlich ganz überflüssige Geräte; die außer Dienst gestellten »Schlagobersmaschinen«. Als die Jausenzeit in den zahllosen »Jausenstationen« des Wiener Rayons herannahte, trat das neue Verbot erst eigentlich in Erscheinung. Überall wurde Kaffee ohne die so charakteristischen weißen »Borten« von Obers serviert. Die zahlreichen Damenjausenbesucherinnen auf den Kaffeeterrassen nahmen die vom Markör kurz erläuterte Abschaffung des gewohnten Doppelschlag mit Verständnis entgegen und bestellten einfach — »Melange mit Haut«. In den Kaffeehäusern sind im Kellner Jargon die Stammgäste längst in »Schlag«- und in »Hautesser« eingeteilt. Letztere, zumeist Herren, mußten jedoch die gewohnte Zutat heute vielfach entbehren, da von einem Liter Milch beim besten Willen nicht mehr als höchstens fünf Portionen damit versehen werden konnten.

Eine weitere Folge der Reform war, dass die Markörkunststücke, sieben bis acht Kaffeegläser auf einmal zu befördern, nicht mehr durchführbar waren. Ein Markör erklärte dies damit, dass der »Gupf« von Schlagobers bisher eine feste Bindung des Kaffees nach oben gebildet habe, so dass nichts verschüttet werden konnte. Nun aber gerate die leere Flüssigkeit allzu leicht ins »Schwabbern«, so dass nur mehr drei bis vier Tassen auf einmal getragen werden könnten.

Die zweite Neuerung des gestrigen Tages in den Kaffeehäusern war die Abschaffung des Obers- gefrornen. Die Kaffeesieder halfen sich damit, dass sie das Gefrorne — kalt gestelltes Kaffee-Eis — statt mit Beimengung von Obers mit — Wasser versetzten. Die breite Lage von Obers auf den Gläsern wurde, um der Darbietung ein »Gesicht« zugeben, durch gehäuftes Vanilleeis halbwegs ersetzt, auch wurden hie und da größere Portionen geboten. Auch die übrigen Gefrornessorten wurden noch geboten, jedoch mit Wasser hergestellt und ohne Obersschaum. Das Publikum hielt sich mehr an die Fruchteissorten, »Erdbeer«, »Himbeer« usw.

Bei den Zuckerbäckern versuchte man gleichfalls das entfallende Schlagobers so gut als möglich zu ersetzen. Die Schlagoberskrapfen waren sämtlich verschwunden. Wie schon angekündigt, half man sich mit »Schnee« aus Eiweiß. Die »Erdbeeren mit Rahm«, bisher eine im Sommer beliebte Erfrischung, waren natürlich nicht zu ersetzen. Aber auch das Publikum der Zuckerbäcker erwies sich als verständig genug, um sich mit der unvermeidlichen Maßregel, die die Schonung der Milchvorräte bezweckt, rasch abzufinden.

In Kreisen der Gewerbe, die sich mit den durch das Schlagobersverbot berührten Artikeln befassen, konnte man vielfach Zweifel bezüglich der Gültigkeit des Verbotes hinsicht- lich eventueller Verwen- dung von Trockenmilch- tabletten zur Eisbereitung vernehmen. Tatsächlich ist die Trockenmilch, die auch vom Auslande eingeführt wird, in der Verordnung nicht erwähnt, und es bedürfte entsprechender Unterweisung, ob auch die Trockenmilch in das Milchverbot bei der Eiserzeugung einbezogen ist.


 

Oktober, 1915.


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