Dorf Fahrland, sein Amtshaus, seine Kirche und Pfarre
| Drüben Fahrlands Turm, aus dessen Luke Hörbar kaum die Abendglocke singt! Sieh die Hirtenfrau, die Napf und Kruke Ihrem Mann nach jener Hutung bringt; Sieh den Waldrand, wo trotz härnen Schleifen Unbesorgt die Sommerdrosseln pfeifen, – Rings Wacholdersträuche, bunt zerstreut, Deren Frucht die Julisonne bläut. Schmidt von Werneuchen |
Eine offene Stelle, wo nur Hagebutten und verzwergte wilde Kirschen stehen, gestattet uns auf der sonst in ihrer Aussicht beschränkten Kuppe einen vollen Blick nach Nordwesten zu. Der nächste Punkt ist Fahrland. Wir steigen, um uns den Weg zu kürzen, den steileren Abhang des Berges hinunter und nach zehn Minuten haben wir rechts und links, flach wie die Tenne, die Fahrlander Feldmark. Pappeln und Elsen fassen die zahlreichen Wege ein; Schlickmühlen stehen an den Gräben hin, bereit um die Regenzeit, wenn alle Felder zu Inseln geworden sind, ihre Tätigkeit zu beginnen. Im ganzen eine reizlose Landschaft, gleich arm an charakteristischen wie an Schönheitspunkten.
Nicht viel günstiger wirkt Fahrland selbst. Von dem dichterischen Reiz, mit dem unser märkischer Poet par excellence dasselbe zu umkleiden wußte, ist wenig zu entdecken. Wir passieren es also, um jenseits desselben den »Sipunt« kennenzulernen, der, in einem gleichnamigen Gedichte »Der Sipunt bei Fahrland«, noch über die Dorfesherrlichkeit hinaus, eine poetische Glorifikation gefunden hat. Dieser Schilderung nach mußten wir eine Wolfsschlucht oder irgendeine Lieblingsstätte des wilden Jägers erwarten,25) aber eine mit Kropfweiden bepflanzte Niederung, die im Sommer den Charakter einer Wiese, im Herbst und Frühjahr den eines Luches hat, war alles, was sich unsrem Auge bot. Prosaische Tristheit anstelle poetischer Gruslichkeit. Wir wählten deshalb von zwei Übeln das kleinere und kehrten in das Dorf zurück, das immerhin drei bemerkenswerte Stätten hat: das Amtshaus, die Kirche und die Pfarre.
Das Amtshaus, ein relativ moderner Bau, auf dessen Entstehung wir zurückkommen, wirkt so nüchtern wie möglich. Die Stelle, auf der es steht, ist aber alter historischer Boden. Hier ging die Grenzscheide, hier stand das feste Schloß »Vorland«, ein Name, der sich erst um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in Fahrland umwandelte.
Um eben diese Zeit, nachdem »Schloß Vorland« bis dahin landesherrliche Vogtei gewesen war, saßen hier die Stechows, die damals in verschiedenen Zweigen blühten und im Havellande reich begütert waren. Sie besaßen zunächst Stechow selbst, dann Satzkorn, Dyrotz, Groß-Glienicke, Heinenholz und Fahrland. Hier in Fahrland hatten sie drei Rittergüter.
Im allgemeinen wird wenig von ihnen gemeldet, doch erfahren wir aus den Kirchenbüchern, daß um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts einer von der Familie lutherischer Prediger zu Fahrland war. Er hieß Hans von Stechow und starb 1558.26) Beinahe hundert Jahre später erfolgte dann ein Rückschlag und wir finden um das Jahr 1646 folgende Aufzeichnung: »Christoph von Stechow bekennt sich zur römisch-katholischen Lehre. Seine Mutter hält noch lutherisch aus. Gott kräftige sie.« Es ist also ersichtlich, daß ein Zweig der Stechows ebenso wie der Rochows und anderer märkischer Familien, während des Dreißigjährigen Krieges wieder katholisch wurde. Es wäre gewiß interessant, zu erforschen, was diese Wandlung herbeiführte. War es einfach ein religiöser Zug, der in der einen Kirche keine Befriedigung fand und sie bei der andern suchte, oder war es deutsch-nationales Gefühl, Hinneigung zum Kaiser und Haß gegen Schweden, dessen bloß ehrgeizige Absichten damals bereits klar zutage lagen?
Die Fahrlander Stechows waren sehr wahrscheinlich noch 1699 katholisch, wenigstens einige von ihnen, wie aus folgendem Schreiben hervorgeht, das 1788 in Fahrland eintraf und den Kirchenakten einverleibt wurde. Das Schreiben lautete: »Herr Christoph von Stechow besaß mit seinem Bruder Johann Wolfgang von Stechow, Domherrn und nachherigem Domdechant zu Halberstadt, das Lehngut Fahrland in der Mittelmark, und verkaufte solches für fünfzigtausend Taler an den damaligen Kurfürsten zu Brandenburg, nachherigen König von Preußen Friedrich I. Anno 1699. Herr Christoph von Stechow zog darauf nach Schlesien, kaufte daselbst Güter und ward vom Kaiser Leopold nebst seiner männlichen und weiblichen Descendenz in den alten Freiherrnstand des Königreichs Böhmen erhoben. Seine Gemahlin war Thekla Margaretha von Mönster, mit welcher er in Fahrland zwei Kinder erzeugt hat: Maria Josepha von Stechow, welche 1690, und Franz Wolfgang von Stechow, welcher 1694 geboren wurde. Da diese Kinder in Fahrland das Licht der Welt erblickten und vermutlich in der dortigen Kirche getauft wurden, so wird um deren Taufschein ergebenst gebeten.« (Diesem Wunsche konnte willfahrt werden. Man fand beide Kinder im alten Kirchenbuch verzeichnet und ihre Taufscheine wurden ausgestellt.)
Von 1699 ab war Fahrland kurfürstlich bzw. königlich. Kurfürst Friedrich III. ließ das alte Schloß abtragen und dafür »ein neues Schloß oder Lusthaus von zwei Etagen mit sieben Logamenten«, welches zugleich als Amtshaus dienen sollte, erbauen. Bei Herstellung desselben wurde die alte Kirche auf dem Kirchberg als Steinbruch benutzt und die schönen Gewölbe und Spitzbogen fielen, um als »Amtshaus im Kasernenstil« wieder aufzustehn.
Die Kirche in Fahrland wirkt nicht besser. Sie präsentiert sich als schmuckloser Bau, in dem direkte Überreste alter Gotik so geschickt bekalkt und bemörtelt sind, daß nichts übriggeblieben ist als Wand und Fenster und der Unterbau eines Turms. Auch das Innere wirkt nüchtern. Aber der Kirchhof ist nicht ohne Interesse, besonders an der schattigen Stelle, wo er seinen Rasen in einen durch Kirche und Sakristei gebildeten Winkel einschiebt. Hier wurden die Geistlichen bestattet; die Grabsteine erzählen davon. In Dörfern, in denen die adligen Geschlechter wegsterben, treten die Pfarrherren in gewissem Sinne an die Stelle derselben; sie werden die Herren, jedenfalls die Repräsentanten des Dorfs, alle entsprechenden Ehren fallen ihnen zu und ihre Grabsteine fangen an, die bevorzugten Stellen innerhalb und außerhalb der Kirche einzunehmen. So auch hier.
Das Pfarrhaus. Einer der Grabsteine, hochaufgemauert, gönnt, wie ein kleines Kastell, einen Überblick und zwischen schrägstehenden, dickstämmigen Maulbeerbäumen hindurch, über die alte Kirchhofsmauer hinweg, trifft unser Auge auf das still und abgelegen daliegende Predigerhaus. Ein märkisches Haus, so einfach wie möglich, einstöckig, zwei mächtige Linden vor der Tür, die Front des Hauses von wildem Wein umrankt; die Fensterpfeiler so schmal, daß das Ganze wie ein Glashaus aussieht, oder wie die Predigerhäuser auf alten holländischen Bildern. Über der Tür ein kurzes: Friede sei mit euch.
Wir treten ein. Es ist ein historisches Haus. An eben dieser Stelle, wenn auch nicht unter diesem Dach, wurde Schmidt von Werneuchen geboren. Es entspricht in nichts dem reizenden Bilde, das unser viel und gern zitierter Freund in seinem besten Gedichte (»Fahrland«) von dem zu seiner Zeit hier stehenden Predigerhause entworfen hat:
Ha! ich kenne dich noch, als hätt' ich dich gestern verlassen,
Kenne das hangende Pfarrhaus noch mit verwittertem Rohrdach,
Kenne die Balken des Giebels, wo längst der Regen den Kalk schon
Losgewaschen, die Tür mit großen Nägeln beschlagen.
Kenne das Gärtchen vorn mit dem spitzen Staket, und die Laube
Schräg mit Latten benagelt, und rings vom Samen der dicken
Ulme des Nachbars umstreut, den gierig die Hühner sich pickten.
Von all dem ist nichts mehr wahrzunehmen, das Haus ist hinüber wie die Menschen, die damals ihre Stätte in ihm hatten. Selbst die vorerwähnten Grabsteine, drüben zwischen Kirche und Sakristei, gehören einer anderen Epoche an, und nur einer ist da, der an jene Schmidtschen Tage mahnt. Er ist in die Kirchenwand eingelassen und seine Inschrift lautet: »Vor diesem Stein ruht Mutter und Kind. Jene war die wohlgeborene und tugendbegabte Frau, Frau Sophie Schmidtin, älteste Tochter des Königlich Preußischen Stallmeisters in Potsdam Herrn Ludwig Samson. Sie war geboren den 25. Februar 1724, ward verheiratet an Herrn Bernhard Daniel Schmidt, Prediger in dieser Gemeinde, den 13. Juli 1751 und starb den 7. Juli 1752, nachdem sie drei Tage vorher von einem toten Söhnlein entbunden worden, das ihr zur linken Seite liegt.»
Der Grabstein Bernhard Daniel Schmidts selbst fehlt, ebenso der seiner zweiten Frau, der Mutter unseres »Schmidt von Werneuchen«.
Aber während sie an dieser Stelle vergessen scheinen, leben sie doch recht eigentlich hier, und zwar mit Hilfe eines jeweilig geführten »Tagebuches«, das seit etwa hundert Jahren einen Schatz der Fahrlander Pfarre bildet. Wie zerstreute Blätter eines Romans einen Lebenslauf vor uns auftun, vielfach lückenhaft zwar, aber doch auch wieder vollständig genug, um die Personen in aller Anschaulichkeit vor uns schreiten zu sehen, so auch die Blätter dieses Tagebuches, das den Namen führt: »Die Fahrlander Chronik«.
Von diesem Tagebuch, das uns vielfach auch von der Familie Schmidt unterhält, in dem folgenden Kapitel.
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25) Es heißt in dem genannten Gedichte, das allerdings mehr den Charakter einer Romanze als eines Idylls hat, wörtlich:
Wir sind da! Faßt dich ein süßer Schrecken
Zwischen diesen Bergen hier von Kalk,
Wo der Blutfink baut in Kreuzdornhecken,
In der Eiche Kranz der Lerchenfalk?
Witterst du der wilden Erdbeer Würze
Und des wilden Wermuts bittren Duft?
Mahnt dich an des Herbstes Regenstürze
Des zerriss'nen Berghangs tiefe Schlucht?
So geht es weiter im Stile von »Spinneweb mit Blut betaut«, ohne daß von Blutfink und Lerchenfalk das geringste zu bemerken wäre. Überhaupt ist es charakteristisch für die ganze Dichtungsweise Schmidts von Werneuchen, daß er sich in allen Gattungen der beschreibenden Poesie der höchsten Korrektheit, die dann sein Stolz war, befleißigt, sofort aber in Unnatur verfällt, wenn er den Boden des äußerlich Gegebenen verläßt und aus sich selbst zu schöpfen beginnt.
26) Eine spätere Notiz des Kirchenbuchs ist nicht gut auf diesen Hans von Stechow, der der erste lutherische Prediger in Fahrland war, zu sprechen. Es wird darin gleichsam Protest gegen die Ernennung von Junkern zu Pfarrherren eingelegt, wenn die betreffende Pfarre auf dem Grund und Boden derselben adligen Familie, der der Junker angehört, gelegen ist. Die Notiz lautet kurz und barsch: »War Hans von Stechow des Gutsherrn Vetter oder Sohn? etwa Cadet des Hauses? warum ward die Einrichtung des Dorfes und der Pfarre damals nicht besser gemacht? etwa darum, weil der Junker seinen Auszug aus dem Gute bekam und also doch leben konnte. Das wäre nichts, wenn nur die gnädigen Junker gnädigst geruhen würden, Landprediger zu werden! Kurz, wir freuen uns unseres Ahnherrn nicht, da er die zukünftigen Zeiten nicht besser beherziget hat. Aus der Hölle ist keine Erlösung. Und der Schlendrian herrscht nirgends ärger als im heiligen statu ecclesiastico.«