2. General von Einsiedel
Ziemlich um dieselbe Zeit, als in Spandau die Enthauptungssage von Graf Adam Schwarzenberg aufkam, also in den Jahren unmittelbar vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, hieß es auch in Potsdam, als ob die beiden Nachbarstädte auf diesen Punkt hin eifersüchtig gewesen wären: »General Einsiedel sei heimlich enthauptet worden.« Die Sache machte insofern noch ein gesteigertes Aufsehen, als alles, was den »katholischen Grafen« (Schwarzenberg) anging, um ein Jahrhundert zurücklag, während die Einsiedel- Enthauptung eine Art Tagesereignis war. Lange hielt sich der Glaube daran, bis endlich auch dieser »heimlich Enthauptete« von den Tafeln der Geschichte gestrichen wurde.
Wir geben, wie in dem Schwarzenberg-Fall, zunächst die Umstände, die die Sage entstehen ließen.
Gottfried Emanuel von Einsiedel wurde 1690, wahrscheinlich im Herzogtum Sachsen-Weißenfels, geboren. Er trat 1707 in die preußische Armee, wurde »seiner ansehnlichen Körperlänge wegen« ein Liebling Friedrich Wilhelms I., trat in das rote Leib-Bataillon (die spätere Riesengarde) und machte den Feldzug gegen die Schweden mit. Er avancierte, vermählte sich mit Margarethe von Rochow aus dem Hause Reckahn und erhielt, neben anderen Donationen, im Jahre 1726 das ehemalige Wartenbergsche Haus in Potsdam, nebst angrenzenden Wohngebäuden, zum Geschenk. Auf dieser Stelle errichtete er das Einsiedelsche Haus, das noch existiert und als »Hotel Einsiedler« jedem Potsdambesucher bekannt geworden ist. Das Allianzwappen der Familien von Einsiedel und von Rochow über der Tür erinnert noch an den Erbauer.40)
Die Huld, die von Einsiedel unter Friedrich Wilhelm I. erfahren hatte, verblieb ihm auch unter dessen Nachfolger. Friedrich II. ernannte ihn zum Generalmajor und zum Chef des neu formierten Grenadier- Garde-Bataillons. Mit diesem nahm er an dem zweiten Schlesischen Kriege teil und erhielt nach der Einnahme Prags den Befehl über sämtliche, die Garnison dieser Hauptstadt bildende Truppen. Es war ein höchst schwieriges Kommando, die Besatzung zu schwach, um sich auf die Dauer zu halten, dazu völlig unzuverlässig. In der Nacht vor dem Abzuge, der endlich stattfinden mußte, desertierten fünfhundert Mann von den Wachen, während die nicht im Dienst befindlichen Mannschaften der Sicherheit wegen in ihre Quartiere eingeschlossen wurden. Während des Abzuges selbst steigerte sich das Übel; jede Minute brachte Verluste, die Geschütze blieben in den grundlosen Wegen stecken, ganze Bataillone lösten sich auf.
General von Einsiedel, als er mit den Überresten seines Korps in Schlesien angekommen war, wurde vor ein Kriegsgericht gestellt. Schuldlos, wie er war, konnte seine Freisprechung kaum ausbleiben. Aber die Gnade des Königs war verscherzt. An dem Feldzuge des nächsten Jahres durfte er nicht teilnehmen; er blieb in Potsdam, wo er am 14. Oktober 1745 starb.
Als wenige Monate später die Grenadiere heimkehrten und das Haus ihres Chefs verödet fanden, hieß es alsbald: er sei heimlich enthauptet. Mit allen Details wurde es erzählt. Der Scharfrichter aus Berlin sei mit verbundenen Augen herübergeholt worden; nachts, im Keller seines eigenen Hauses, habe die Hinrichtung stattgefunden; in eben diesem Keller sei seine Leiche auch verscharrt worden.
Die Zweifel, die laut zu werden versuchten, wurden niedergeschlagen, und man muß einräumen, daß die Sache nicht nur ein verdächtiges Ansehen, sondern auch manches um und an sich hatte, was die Annahme mehr oder weniger direkt zu unterstützen schien. Die Vorgänge in Prag, das Kriegsgericht, die Ungnade des Königs waren Tatsachen; in das Kirchenbuch der Garnisonkirche war sein Tod nicht eingetragen. Was aber schwerer als alles andere ins Gewicht fiel und dem Verdacht, von ganz anderer Seite her, Nahrung zuführte, war der Umstand, daß das Ländchen Bärwalde (damals noch eine preußische Enklave im Kursächsischen) Einsiedelscher Besitz war und bei allen Schwarzsehern und Geheimniskrämern alsbald die Frage anregte: ob nicht, mit Rücksicht auf die Lage dieses Besitzes, ein Einverständnis von Einsiedels mit dem sächsischen Hofe angenommen werden müsse? Solche Frage, einmal angeregt, wurde selbstverständlich immer bestimmter mit »ja« beantwortet, und in Potsdam, wie im Ländchen Bärwalde selbst herrschte zu Anfang dieses Jahrhunderts nicht der geringste Zweifel mehr. Generalleutnant von Einsiedel war und blieb »heimlich enthauptet«, und die Bärwalder steigerten sich bis zu der grotesken Vorstellung, »daß das Haupt, um die Hinrichtung auch im Tode noch zu cachieren, auf höchst sinnreiche Weise an dem steifen Uniformkragen (den es damals gar nicht gab) befestigt worden sei.« Gegen all diese Annahmen war nichts zu machen. Die heimlich bestrafte Untat hatte ein siegreich romantisches Interesse, während der Gegenbeweis prosaisch und undankbar war.
Und doch kam die Zeit, wo er geführt werden mußte. Friedrich Wilhelm IV., der in der immer wieder angeregten Frage endlich klar sehen wollte, gab dem General Kurt von Schöning Auftrag: »die Sache ins reine zu bringen.« Die Resultate dieser Untersuchung liegen nun vor.
Es sind zunächst zwei Aufzeichnungen, zwei Dokumente, die den Gegenbeweis übernehmen. Das erste derselben ist eine Zessionsurkunde, eine gerichtliche Konvention, worin der Einsiedelschen Familie der Besitz des Ländchens Bärwalde zugesichert wird. In dieser Konvention vom 7. Oktober 1745, die also nur sieben Tage vor dem Hinscheiden des Generals von diesem selber ausgestellt wurde, nennt er sich: Sr. K. Majestät wohlbestallter Generalleutnant, Oberst über ein Bataillon Grenadier-Garde, Erbherr zu Bärwalde usw., woraus ersichtlich, daß die Ungnade des Königs keine besonders strenge und bedrohliche gewesen sein kann. Dieser würde sonst unzweifelhaft, vor Aufbruch und Rückkehr der Truppen, einen andern Chef des Gardebataillons ernannt und den Namen von Einsiedels gestrichen haben.
Das zweite, wichtige Dokument ist das Kirchenbuch zu Meinsdorf, im Ländchen Bärwalde, in dem wir von der Hand des damaligen Pfarrers Presso folgende Aufzeichnungen finden: »... Gedachter Herr General-Lieutnant von Einsiedel ist gestorben zu Potsdam den 14. October 1745, früh acht Uhr, im 57. Jahre; den 16. ist er im Erbbegräbniß zu Wiepersdorf beigesetzt worden. Den 30. Januar 1746 ist ein feierliches Leichenbegängniß gehalten, der Parade-Sarg von der Reinsdorfer Grenze eingeholt und die Leichenrede vom Herrn Hofprediger Ösfeld aus Potsdam gehalten worden.«
Für die absolut Ungläubigen reichte freilich auch dieses Dokument nicht aus. Dieselben entnahmen aus dieser Pressoschen Kirchenbuchnotiz weiter nichts, als die Beisetzung in Wiepersdorf (statt der Verscharrung im Keller), wohingegen der Beweis, daß dieser beigesetzte von Einsiedel kein zuvor Enthaupteter gewesen sei, sich immer noch erübrigte.
Auch diese letzte Burg der Romantik mußte zerstört werden.
Es gab nur einen Weg. Man stieg in die Gruft hinunter, der Sarg wurde geöffnet, in welchem der General von Einsiedel wohlerhalten lag. Eine Art Mumifizierung, wie in so vielen Grüften der Mark, war eingetreten. Der Körper erwies sich völlig unversehrt, derart, daß er sich am Kopfe in die Höhe heben ließ. Eine Trennung von Haupt und Leib hatte also nicht stattgefunden.
Auch dieser »heimlich Enthauptete« der Volkssage war uns also genommen.
__________________
40) Eben dieses Einsiedelsche Haus hatte, vielleicht aus derselben oder vielleicht auch erst aus späterer Zeit stammend, ein Holzbildwerk an seiner schrägen Eckfront, den Diogenes in der Tonne darstellend. In den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts verschwand es, wurde später unter altem Gerümpel entdeckt, wieder hergestellt und aufs neue an seinem alten Platz befestigt, wo es sich bis diese Stunde befindet.