Geheime Gesellschaften im achtzehnten Jahrhundert



1. Schwindel-Orden


Was sagt sie uns für Unsinn vor?

Es wird mir gleich den Kopf zerbrechen.

Mich dünkt, ich hör' ein ganzes Chor

Von hunderttausend Narren sprechen.

»Faust«


Das vorige Jahrhundert war ein Jahrhundert der Geheimen Gesellschaften. Der Absolutismus behinderte jede Kraftentwicklung, die Miene machte, selbständige Wege einschlagen zu wollen; die Kirche war starr; was Wunder, wenn der individuelle Ehrgeiz, der kein legitimes Feld fand, sich geltend zu machen, auf Abwege geriet und im Dunkeln und Geheimen nach Macht suchte.

Wie im zwölften Jahrhundert alles nach dem Heiligen Grabe, im sechzehnten nach Wittenberg oder nach der neuen Welt drängte, so im achtzehnten Jahrhundert nach Geheimbündelei. Alchimie und Geistererscheinungen, Dinge, die sich ihnen vielfach gesellten, oft in den Vordergrund traten, waren nur Zugaben, Hilfsmittel, starke Dosen, zu denen man griff; das Wesen der Sache lag darin: Macht zu äußern in einer Zeit, wo das Individuum machtlos war.

Zwei Strömungen wurden alsbald erkennbar, die, neben einem starken Beisatz von Egoismus und Menschlichkeit, einen prinzipiellen Gehalt und einen prinzipiellen Gegensatz repräsentierten. Alle diese Gesellschaften indes, die einen derartig ideellen Kern andauernd und in Wahrheit und nicht nur dem Namen nach hatten, bildeten weitaus die Minorität, – das meiste lief auf Herrschsucht und Eitelkeit, auf Täuschung und unmittelbaren Betrug hinaus. Mit dieser letztern Gruppe der Geheimen Gesellschaften, die trotz ihres quantitativen Übergewichts kamen und gingen, ohne eine Spur zu hinterlassen, die nichts waren als Modetorheit oder Modekrankheit, beschäftigen wir uns zuerst.

Die Zahl dieser Gesellschaften, unglaublich zu sagen, ging vielleicht über hundert hinaus. Die meisten befanden sich in Bayern und am Rhein. Regensburg, die alte Reichstagsstadt, war Mittelpunkt, und einer Anzahl von Aufsätzen, die in dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts in der Reichstagszeitung veröffentlicht wurden, verdanken wir, mehr als irgendeiner andern Quelle, Material, das uns Einblick gönnt in das Verbindungs- und Ordenswesen jener Zeit. Die genannte Zeitung schrieb in den achtziger Jahren: »Nie hat sich der Sektengeist tätiger gezeigt als in unsern Tagen, welche man die aufgeklärten nennt.... Der immer allgemeiner werdende Hang zum Aberglauben, der uns in die Zeiten des Mittelalters zurückwirft, wird durch den alle Kräfte der Erwerbung übersteigenden Luxus und durch das geschwächte Nervensystem der jetzigen Generation (also auch schon 1785!) ungemein befördert. Unsre Großen suchen den Stein der Weisen, um unsterblich zu werden, und erhoffen von den Geheimnissen der Alchimie die Mittel zur Befriedigung ihrer Neigungen.«

Die Reichstagszeitung fährt dann fort: »An keinem Orte der Welt sind mehr Verehrer solcher neuen Wissenschaften anzutreffen, als an dem Wohnsitze des Reichstages, in Regensburg selbst. Hier befinden sich: Loyolisten im gestickten Kleid, im Chorgewand und im einfachen Kittel; Gasnerianer und Mesmerianer; Kabbalisten und Somnambulisten; Magier der verschiedensten Stufen und Namen; Cagliostro-Anhänger, die den Stein der Weisen suchen, und ›Lammsbrüder, die sich vom inneren Stolze nähren‹ – Vereinigungen, die samt und sonders schwarze und weiße Magie treiben, aus Zahlen, Buchstaben und Worten die Geheimnisse der Natur und der Staaten prophezeien, die ewige Jugend suchen, vor allem aber den echtesten Grundsatz aller Schwärmer üben: sich untereinander zu verfolgen.«

So die Reichstagszeitung. Die Orden, die wir vorstehend aufgeführt, wie sie nur einen ganz kleinen Teil der in Regensburg vertretenen, geschweige denn der in ganz Deutschland damals verbreiteten Ordensgesellschaften bildeten, waren andererseits immer noch Grenznachbarn, oft wirkliche Abzweigungen jener zwei großen Körperschaften, der »Aufklärer« und der »Dunkelmänner«, die ihren Kern in der Idee hatten und auf die wir zurückkommen. Es gab aber andere, die sich absolut von jedem ideellen Gehalt entfernt hatten, oder das Ideelle doch bloß als ein nervenanregendes Komödienspiel trieben.

Aus der Reihe dieser greifen wir einige Musterbeispiele heraus.

Da war vorerst die »Dukatensozietät«. Sie war schon um 1746 durch den Grafen Carl Ludwig von Wied-Neuwied gestiftet worden. Die Gesellschaft ging aufs Praktische und war deshalb auch in der glücklichen Lage, in betreff aller kirchlichen Dinge das Wort »Toleranz« auf ihre Fahne schreiben zu können.

»Religionsvorurteile können unmöglich bei einer Institution Einfluß haben, die sich auf Tugend und Geselligkeit gründet und die wahre Menschenliebe zu ihrem Wegweiser hat.«

Die »wahre Menschenliebe« lernen wir nun aus § 7 der Statuten kennen. Es heißt daselbst: »Da jeder monatlich gerne einen Dukaten zur Sozietätskasse zahlen wird, wenn er hoffen darf, nicht nur dieser Bezahlung bald entledigt zu werden, sondern sogar viele Dukaten monatlich zu empfangen, so wird er für das erste anderweite Mitglied, das er seinerseits zum Eintritt engagiert, von der Zahlung befreit; der zweite, den er engagiert, zahlt gleichfalls zur Sozietätskasse; für den dritten aber empfängt er monatlich einen Dukaten für sich; der vierte zahlet ebenmäßig zur Sozietätskasse; für den fünften hingegen empfängt er wiederum einen Dukaten monatlich für sich; ferner auch für den 7., 9., 11., 13. und so fort für jede ungerade Zahl monatlich einen Dukaten. Wer also die Gelegenheit hat, ein Halbhundert Mitglieder zu dieser Sozietät zu engagieren, der bekommt monatlich eine Revenue von 24 Dukaten.« Dies leuchtete vielen sofort ein. Vor Ablauf eines Jahres hatte der Orden bereits 416 Mitglieder, darunter 1 Protektor, 7 Seniores, 1 Kassierer, 1 Sekretär, 1 Archivar. Die ersten Mitglieder waren fast lauter Offiziere der Garnison Wesel, daran schlossen sich Zivilpersonen aus Neuwied. In kürzester Frist hatte sich der Orden über ganz Deutschland ausgebreitet. Er bestand aber nicht lange. Die Regierungen schritten ein, warnten vor dieser »gefährlichen Sozietät« und verboten dieselbe. In betreff von Vergesellschaftungen, die auf Geld und Geldeswert ausgingen, waren die Regierungen immer am wachsamsten.

Ein anderer Orden, bei dessen Zeremonien die »Harmonika« eine große Rolle spielte und den wir deshalb den »Harmonikaorden« nennen wollen, hatte im Gegensatz zur »Dukatensozietät« etwas sinnbestrickend Theatralisches und operierte mit dem ganzen Apparat einer romantischen Oper. Diesen seltsamen Orden lernt man in seinem Ritual (im Gegensatz zu den Statuten) aus einer kleinen Broschüre kennen, die 1787 in Berlin erschien und aus der wir folgendes entnehmen.

»Sie verschafften mir«, so schreibt der Held und Harmonikavirtuose,36) »durch Ihre Adresse an Herrn N. eine sehr interessante Bekanntschaft... Die Harmonika erhielt seinen ganzen Beifall; auch sprach er von verschiedenen besonderen Versuchen, was ich anfänglich nicht recht faßte. Nur erst seit gestern ist mir vieles natürlich.

Gestern gegen Abend fuhren wir nach seinem Landgute, dessen Einrichtung, besonders aber die des Gartens, außerordentlich schön getroffen ist. Verschiedene Tempel, Grotten, Wasserfälle, labyrinthische Gänge und unterirdische Gewölbe usw. verschaffen dem Auge soviel Mannigfaltigkeit und Abwechslung, daß man davon ganz bezaubert wird. Nur will mir die hohe, dies alles umschließende Mauer nicht gefallen; denn sie raubt dem Auge die herrliche Aussicht. – Ich hatte die Harmonika mit hinausnehmen und Herrn N.. z versprechen müssen, auf seinen Wink an einem bestimmten Orte nur wenige Augenblicke zu spielen. Um diesen Augenblick zu erwarten, führte er mich in ein großes Zimmer im Vorderteil des Hauses und verließ mich, wie er sagte, der Anordnung eines Balls und einer Illumination wegen, die beide seine Gegenwart notwendig erforderten. Es war schon spät und der Schlaf schien mich zu überraschen, als mich die Ankunft einiger Kutschen störte. Ich öffnete das Fenster, erkannte aber nichts Deutliches, noch weniger verstand ich das leise und geheimnisvolle Geflüster der Angekommenen. Kurz nachher bemeisterte sich meiner der Schlaf von neuem; und ich schlief wirklich ein. Etwa eine Stunde mochte ich geschlafen haben, als ich geweckt und von einem Diener, der sich zugleich mein Instrument zu tragen erbot, ersucht ward, ihm zu folgen. Da er sehr eilte, ich ihm aber nur langsam folgte, so entstand daraus die Gelegenheit, daß ich, durch Neugierde getrieben, dem dumpfen Ton einiger Posaunen nachging, der aus der Tiefe des Kellers zu kommen schien.

Denken Sie sich aber mein Erstaunen, als ich die Treppe des Kellers etwa halb hinuntergestiegen war und nunmehr eine Totengruft erblickte, in der man unter Trauermusik einen Leichnam in den Sarg legte und zur Seite einem weißgekleideten, aber ganz mit Blut bespritzten Menschen die Ader am Arme verband. Außer den hilfeleistenden Personen waren die übrigen in langen schwarzen Mänteln vermummt und mit bloßen Degen. Am Eingang der Gruft lagen übereinander geworfene Totengerippe, und die Erleuchtung geschah durch Lichter, deren Flamme brennendem Weingeist ähnlich kam, wodurch der Anblick desto schauriger wurde. Um meinen Führer nicht zu verlieren, eilte ich zurück. Dieser trat soeben aus dem Garten wieder herein, als ich bei der Türe desselben ankam. Er ergriff mich ungeduldig bei der Hand und zog mich gleichsam mit sich fort.

Sah ich je etwas Feenmärchen-ähnliches, so war's im Augenblick des Eintritts in den Garten. Alles in grünem Feuer; unzählig flammende Lampen; Gemurmel entfernter Wasserfälle, Nachtigallengesang, Blütenduft, kurz, alles schien überirdisch, und die Natur in Zauber aufgelöst zu sein. Man wies mir meinen Platz hinter einer Laube an, deren Inneres reich geschmückt war und wo hinein man kurz darauf einen Ohnmächtigen führte, vermutlich den, dem man in der Totengruft die Ader geöffnet hatte. Doch gewiß weiß ich es nicht, weil die Gewänder aller Handelnden jetzt prächtig und reizend von Form und Farbe und mir dadurch wieder ganz neu waren. Sogleich erhielt ich das Zeichen zum Spiele.

Da ich nunmehr genötigt war, mehr auf mich als auf andere Acht zu geben, so ging allerdings vieles für mich verloren. So viel aber nahm ich deutlich wahr, daß sich der Ohnmächtige kaum nach einer Minute des Spielens erholte und mit äußerster Verwunderung fragte: »Wo bin ich? wessen Stimme höre ich?« – Frohlockender Jubel und Trompeten und Pauken war die Antwort. Alles griff zugleich nach den Degen und eilte tiefer in den Garten, wo das Fernere für mich wie verschwunden war.

Ich schreibe Ihnen dieses nach einem kurzen und unruhigen Schlaf. Gewiß, hätte ich nicht noch gestern, ehe ich mich zu Bett legte, diese Szene in meine Schreibtafel aufgezeichnet, ich wäre sehr geneigt, dies alles für einen Traum zu halten. Leben Sie wohl.«

Die vorstehende Schilderung hat uns bereits in eine Gruppe von Ordensverbindungen (oder doch bis an die Grenze derselben) geführt, in denen »Erscheinungen« als Nervenstimulus und dieser wieder als »Mittel zum Zweck« die Hauptsache waren.

Wir wenden uns nunmehr diesen Magiern und ihren Verbindungen zu. Zuvor aber noch eine Bemerkung.

Auch jene Orden, die, was immer ihre Schwächen und Gebrechen sein mochten, doch in erster Reihe immer das Prinzip wollten und in Wahrheit ernst und aufrichtig einen geistigen Kern hatten, auch die bedeutsameren, nicht ephemeren, wirklich zu politischer und sozialer Bedeutung gelangenden Orden, glaubten wohl oder übel eines gelegentlichen Operierens mit »Erscheinungen« nicht entbehren zu können. Wir werden darauf ausführlicher zurückkommen und festzustellen suchen, wieviel davon zulässig, oder richtiger, wie groß oder wie gering das Maß der Verschuldung war.

Mit diesen ernsteren Bestrebungen, die sich gelegentlich im Mittel irrten, haben aber, trotz einer gewissen äußeren Ähnlichkeit, jene zu neun Zehntel auf Lug und Trug gestellten Vergesellschaftungen nichts gemein, die nicht einmal das ohnehin gefährliche und fragwürdige: »Der Zweck heiligt die Mittel« für sich geltend machen konnten, sondern einfach, unter prätentiösen Phrasen, ihrem Gewinn oder irdischem Vorteil nachjagten. Es waren Spekulanten und Komödianten. Geister erscheinen lassen war ihr Geschäft und nur ihr Geschäft. Wir machen uns zunächst damit vertraut, wie sie dies Metier betrieben.

Es gab, soweit wir imstande gewesen sind, uns aus den verschiedensten Schriften zu informieren, vier Arten des Betriebes. Kleinere Abweichungen kommen nicht in Betracht. Es waren:

1. Das Schattenbild auf weißer durchsichtiger Fläche. Eine Art Laterna magica. Dies war die plumpeste Art.

2. Das Hohlspiegelbild auf weißer Wandfläche. Ein Verfahren, das bei Geisterszenen auf der Bühne auch jetzt noch zu gelegentlicher Anwendung kommt.

3. Das Hohlspiegelbild auf Rauch und Qualm.

4. Bloße Benebelung und Einwirkung auf die Imagination, so daß man Dinge sieht, die gar nicht da sind.

Über diese letzte Art des Verfahrens, die die unglaublichste scheint und, richtig gehandhabt, doch vielleicht die sicherste war, entnehmen wir zeitgenössischen Memoiren das Folgende:

Friedrich II. erfuhr, daß in Halle ein Professor sei, der Geister zitieren könne. Der König ließ ihn kommen. Der Betreffende erschien auch, lehnte es aber ab, Geister erscheinen zu lassen, erklärte vielmehr dem Könige ganz einfach, wie er dabei zu operieren pflegte. Er sagte: »Ich benutze dazu ein Räucherwerk. Dies Räucherwerk hat zwei Eigenschaften: 1. den ›Patienten‹ in einen Halbschlaf zu versetzen, welcher leicht genug ist, ihn alles verstehen zu lassen, was man ihm sagt, und tief genug, ihn am Nachdenken zu verhindern; 2. ihm das Gehirn dergestalt zu erhitzen, daß seine Einbildungskraft ihm lebhaft das Bild der Worte, die er hört, abmalt. Er ist in dem Zustande eines Menschen, der nach den leichten Eindrücken, die er im Schlaf empfängt, einen Traum zusammensetzt. Nachdem ich in der Unterredung mit meinem Neugierigen möglichst viele Einzelheiten über die Person, die ihm erscheinen soll, kennengelernt und ihn nach der Form und den Kleidern gefragt habe, in denen er die zu zitierende Person sehen will, lasse ich ihn in das dunkle, mit dem Dunst des Räucherwerks angefüllte Zimmer treten. Dann – nach einiger Zeit – spreche ich zu ihm: ›Sie sehen den und den, so und so gestaltet und gekleidet‹, worauf sich sofort seiner erregten Phantasie die Gestalt abmalt. Hierauf frage ich ihn mit rauher Stimme: ›Was willst du?‹ Er ist überzeugt, daß der Geist zu ihm spricht; er antwortet. Ich erwidere; und wenn er Mut hat, so setzt sich die Unterredung fort und schließt mit einer Ohnmacht. Diese letzte Wirkung des Räucherwerks wirft einen mysteriösen Schleier über das, was er zu sehen und zu hören geglaubt hat, und verwischt die kleinen Mängel, deren er sich etwa erinnern könnte.« –

So weit die Enthüllungen des Professors.

Das dritte Verfahren: »Das Hohlspiegelbild auf einer Rauchsäule« wurde, wenn den betreffenden Überlieferungen Glauben zu schenken ist, vorzugsweise durch Johann Georg Schrepfer geübt. Dieser in seiner Art merkwürdige Mann bildete die Inkarnation jenes Lug- und Trugsystems, jener Geheimbündelei, die unter großen rätselvollen Phrasen, das Wundertun, die Geisterzitation, den Rapport mit der geistigen Welt in den Vordergrund stellte und, ohne sich viel mit fortschrittlichen oder rückschrittlichen Ideen aufzuhalten, von der Leichtgläubigkeit der Menschen lebte. In der Kürze haben wir Schrepfers schon bei Marquardt erwähnt. Wir müssen auch hier wiederholen, daß er höchst wahrscheinlich nicht bloß ein Betrüger war, sondern durch Lesen mystischer und alchimistischer Schriften, dazu durch eigene Eitelkeit und fremde Huldigungen, schließlich, ohne geradezu wahnsinnig zu sein, in einen verworrenen Geisteszustand geraten war, der ihn in der Tat an sich glauben machte und ihn namentlich alles für möglich halten ließ. Es ist nicht absolut unwahrscheinlich, daß er wirklich dachte, ein Paket Papierschnitzel werde sich ihm zuliebe über Nacht in vollgültige Banknoten verwandeln. Wir geben eine kurze Lebensskizze dieses Mannes, dessen Leben und Tod charakteristisch ist für eine spezielle Krankheitserscheinung jener Zeit.

Johann Georg Schrepfer, 1730 geboren, war anfangs Kellner in einem Leipziger Gasthause (nach andern Husar) und war unter die dienenden Brüder einer dortigen Freimaurerloge aufgenommen worden. Später hatte er eine Frau mit einigem Vermögen geheiratet und hielt seitdem eine eigene Schenkwirtschaft in der Klostergasse. Anfangs der siebziger Jahre, vielleicht schon etwas früher, begann er auszusprengen, daß er die Gabe der Geisterbeschwörung habe. Sein Anhang wuchs, darunter Personen von hoher gesellschaftlicher Stellung. Der Herzog von Kurland, Herzog Ferdinand von Braunschweig, die Minister Graf Hohenthal und von Wurmb, der Kammerherr von Heynitz, Oberst von Fröden, der Geheime Kriegsrat von Hopfgarten und der Kammerherr von Bischofswerder pflogen Umgang mit ihm und besuchten ihn in seiner Wohnung, im Hotel de Pologne. Daß er, mit Hilfe des nach ihm genannten Schrepferschen Apparats, wirklich schemenhafte Gestalten erscheinen ließ, ist gewiß, noch gewisser, daß er in beständigen Geldverlegenheiten war und die reicheren der vorher genannten Herren benutzte, um auf ihre Kosten zu leben. Sie mußten Geld geben, auf daß der Schatz gehoben werden könne.

Vielleicht daß ihr Vertrauen oder ihre Geduld eher erschöpft worden wäre, wenn er es nicht verstanden hätte, zum Teil auf gefälschte Empfehlungen hin, mit den hervorragendsten Häuptern anderer geheimer Gesellschaften sich in Verbindung zu setzen, was ihm dann in seiner nächsten Umgebung immer aufs neue einen Nimbus verlieh. Aus dieser Ordens-Geheim- Korrespondenz, die er nach den verschiedensten Seiten hin führte, ist ein Briefwechsel zwischen ihm und dem Professor der Theologie Dr. Stark in Königsberg, später Generalsuperintendent in einem der thüringischen Staaten, aufbewahrt worden, der merkwürdige Einblicke gönnt.

Dr. Stark, ein Theologe von gründlichster Bildung, eröffnete die Korrespondenz und schrieb unterm 30. Juni 1773 aus Königsberg: »Mein sehr werther Freund und Bruder. Nach dem Wenigen, was mir von Ihnen bekannt geworden ist, müßte mich mein Geist sehr trügen, und die Siegel, die unser Orden seinen Geweihten aufgedrückt hat, verwischt sein: oder ich muß in Ihnen einen Mann finden, der Eines Ursprungs mit mir ist und mit mir zu Einem Zwecke geht. Und deren sind nicht viele unter den Maurern. Trüge ich mich, so falle Nacht und Finsterniß auf das, was ich sagen werde. Sind Sie es aber, so grüße ich Sie in der heiligen Zahl von Drei, Sieben und Zehn und durch die sieben Geister Gottes.

Sind Sie tiefer als ich ins Heiligthum geführet, so nehmen Sie mich als einen lehrbegierigen Schüler an.... Sonst lassen Sie uns Beide auf dem vor der Welt und so viel Tausend Maurern verdeckten Wege gehen. Die wahre Weisheit liebt das Verborgene. Nur in der Dunkelheit ist das unzerstörliche Licht. Ich kenne, mein Bruder, Florenz.... Sie können zu mir reden.... An einem grünen Flecken im rothen Lack des Wappens können Sie es erkennen, daß mein Brief nicht geöffnet gewesen.

Aber lassen Sie mich noch eine Bitte thun: Zerstören Sie noch nicht eine Art von Maurerei in Deutschland, unter deren Maske Brüder verborgen liegen, die diesen Brüdern selbst unbekannt sind, die Sie aber gewiß schätzen und lieben würden, wenn Sie sie näher kennen sollten. Unsere Macht und Gewalt ist lieblich, ein Feuer, das nähret und nicht zerstöret.

Ihr aufrichtiger Freund und Bruder

der ›Verfasser der Apologie‹ (Stark).«

 

Hierauf antwortete Schrepfer, der, bei aller Begabung, den Cafetier doch nie verleugnen konnte, unterm 29. Juli folgenden Bombast: »Mein werther Freund und Bruder. Dero an mich abgelassenes Schreiben habe richtig zu erhalten die Ehre gehabt. Der große Baumeister der Gottheit der Allmacht gehe vor uns über mit seiner Gnade! So thue ich denn als Schotte der Erkenntniß und Gewalt aus Schottland in den Thurm den ersten Schritt, denselben die Wahrheit zu melden. Zerbrechen Sie Ihr aus Florenz, lernen Sie dafür erkennen 5. 7., daß ich wirklich bin S. W. O. V.

Ist Wismar nicht sträflich, daß sie auf mein wiederholtes freundschaftliches Betragen nicht mehr Aufmerksamkeit bezeiget?

Was ich vor jetzt schreibe, schreibe ich auf Ihre Pflicht. Ziehen Sie Ihre Schuhe aus, denn der Ort der wahren ME ist heilig für den Busch. Fünf starben, der sechste ging in Feuer über, stehet die Säule so (unleserliches Wort) im Morgen, die 7 Siegel thun sich auf, und erkennen die Wahrheit der Gottheit. Verflucht sei, der den Namen seines Gottes mißbraucht! Der Herr ist heilig und gerecht. Mein Bruder, wenn Sie wirklich der sind, der die 11 in der Wahrheit kennet, da doch durch 12 gerichtet wird, warum kennen Sie nicht S. W.? War England nicht gerecht, ließ es Ihnen nicht Ihre Freiheit; warum suchten Sie aber von dem einen Wege in den andern zu fallen? Sind nicht Warnungen genug an die strikte Observanz ergangen? Wenn ich meine Brüder bei der Vernunft überführe und selbigen die Unsterblichkeit der Seele beweise, so folge ich den wahren Pflichten B. I. I. Soll Gewalt dem Schwachen weichen, wenn der Schwache nur Bosheit in seiner Seele besitzt, wurde das Schwert nicht eingesteckt, da es schon gesiegt hatte?

Glauben Sie, mein Bruder, wenn ich gleich nach Dresden gegangen, so wäre jetzo Alles ruhig und zufrieden; aber Leipzig, da wo nur Tugend und Wissenschaften blühen sollen, ist eine in Schleier gehüllte Buhlerin. Kennen Sie wirklich die Off. I.?

Ich kenne Purpur ganz roth, das innerste der Sonne gelb, blau, heilig und gerecht, unter dem Namen des Lammes. I. V. N. D. I. K.

Um mich noch mehr zu erklären, erwarte Dero Antwort, und empfehle Sie dem Schutz des Unerschaffenen.

N. S. Mein Bruder. Sie haben es mit E-land und Sch-land richtig getroffen; nur den Sitz des Thurmes haben Sie mir nicht gemeldet. Erhalte ich einen Brief von Ihrer Hand und Namen, so thue mir der Herr dies und das, so ich ihn nicht unter meiner eignen Hand beantworten will.

Nehmen Sie den Spiegel und sehen nach dem Licht. Wenn der Blitz fähret, so blendet er, aber dem Weisen ist er klar wie tausend Jahr.

 

Joh. Geo. Sch-r,

S. d. E. u. G.«

(Schotte der Erkenntnis und Gewalt)

 

Daß ein Mann wie Stark durch solchen mit Effronterie vorgetragenen Galimathias geblendet werden konnte, ist nicht anzunehmen, auch kam die Korrespondenz über diesen einmaligen Briefaustausch nicht hinaus. Aber Schrepfer hatte doch das eine Gute davon, daß er auf das Handschreiben eines, in besonderem Ordensansehen stehenden, die höchsten Ordensehren in sich vereinigenden Mannes hinweisen konnte. Und das genügte ihm. Er suchte neue Mittel nach, »um den Schatz zu heben«, und Leipzig, das er so undankbar als »Buhlerin« bezeichnete, gewährte sie immer aufs neue.

Endlich indes, so scheint es, war die Geduld erschöpft, die »Erscheinungen« kamen, während der Schatz beharrlich ausblieb, und Schrepfer empfand zuletzt, daß seine Situation unhaltbar geworden sei. Aber wenigstens mit einem Knalleffekt wollte er scheiden.

An einem der letzten Meßtage, am 7. Oktober 1774, lud er Bischofswerder und Hopfgarten, nebst noch zwei anderen, zum Abendessen ein. Als sie beisammen waren, sagte er: »Diese Nacht legen wir uns nicht zu Bett, denn morgen mit dem Frühesten, noch vor Sonnenaufgang, sollen Sie ein ganz neues Schauspiel zu sehen bekommen. Bis jetzt hab ich Ihnen Verstorbene gezeigt, die ins Leben zurückgerufen wurden; morgen aber sollen Sie einen Lebenden sehen, den Sie für tot halten werden.« Nach diesen Worten legte er sich aufs Sofa und schlief fest. Als der Tag anbrach, stand er auf mit den Worten: »Nun, meine Herren, ist es Zeit, daß wir gehen«; und alle begaben sich nach dem Rosenthal. Schrepfer, der auf dem Wege die vollkommenste Gemütsruhe zeigte, wies seinen Begleitern, als sie an einer bestimmten Stelle angelangt waren, ihre Plätze an, indem er zu ihnen sagte: »Rühren Sie sich nicht von der Stelle, bis ich Sie rufen werde; ich gehe jetzt in dieses Gebüsch, wo Sie bald eine wunderbare Erscheinung sehen sollen«. Er entfernte sich und bald darauf fiel ein Schuß; im Dickicht fanden die Herren ihren Propheten tot. Er hatte sich mit einem Taschenpistol erschossen.

So viel über Schrepfer, in dem sich die Lug- und Trug-Geheimbündelei, die ideenlose und karikierte Entartung des Ordenswesens verkörperte. Wir haben in den kurzen Lebensabriß, den wir von ihm geben, den Briefwechsel zwischen ihm und Dr. Stark mit besonderem Vorbedacht eingeschoben, um einen Gegensatz und dadurch zugleich einen Übergang zu schaffen zu jenen ernsteren Bestrebungen, die, wie befangen auch in Menschlichkeiten, doch ein Prinzip vertraten und zugleich jene Sache selbst waren, von der Schrepfer nur die Karikatur bildete.

Von diesen ernsteren Bestrebungen in dem folgenden Kapitel.

 

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36) Der betreffende Brief gibt sich das Ansehen, als sei er aus Wien datiert und als habe die ganze Szene auf einem Landgut in der Nähe Wiens gespielt. Wer aber je in Marquardt war, und den dortigen Park, den See, die Grotte das Schloß und seinen tiefen Doppelkeller kennengelernt hat, dem wird sichs zunächst aufdrängen, daß hier durchaus Marquardt gemeint sein müsse. Es ist aber trotz alledem nicht der Fall, kann nicht sein, da Marquardt erst 1795 in die Hände Bischofswerders kam.




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 © textlog.de 2004 • 17.11.2024 13:42:13 •
Seite zuletzt aktualisiert: 26.10.2007 
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