Paretz von 1796 bis 1806


Diese Wünsche gingen vor allem auf Stille, Abgeschiedenheit. Sehr bald nach seiner Vermählung hatte sich der Kronprinz Schloß Oranienburg zum Aufenthalt ausersehen, dessen landwirtschaftlicher Charakter, beiläufig bemerkt, eine große Verwandtschaft mit dem von Paretz zeigt. Aber das Schloß daselbst – damals noch viel von der Pracht aufweisend, die ihm Kurfürst Friedrich III. gegeben hatte – war ihm viel zu groß und glänzend, und so kam ihm die Nachricht überaus erwünscht, daß das stille Paretz, das er zufällig aus seinen Kindertagen her kannte (Oberstleutnant von Blumenthal war damals Prinzengouverneur gewesen), zu verkaufen sei. General von Bischofswerder, von dem benachbarten Marquardt aus, machte den Vermittler, das Geschäftliche wurde schnell erledigt, und unter des Hofmarschalls von Massow Aufsicht begann der Abbruch des alten Wohnhauses und der Aufbau des neuen Schlosses. Dieser erfolgte, nach einem Plane des Oberbaurats Gilly, in »ländlichem Stile.« »Nur immer denken, daß Sie für einen armen Gutsherrn bauen«, sagte der Kronprinz, dem im übrigen die Vollendung des Baues sehr am Herzen lag. Alles wurde denn auch dergestalt beschleunigt, daß der neue Gutsherr mit seiner Gemahlin schon im Jahre 1796 einige Tage in Paretz zubringen konnte. Um dieselbe Zeit waren Parkanlagen in Angriff genommen worden, und zwar durch den neu angestellten Hofgärtner David Garmatter, einen Erbpächtersohn der nahen Schweizerkolonie Neu-Töplitz, der seine Aufgabe mit ziemlichem Geschick löste, und Natur und Kunst vereinend, in den drei durch Landstraßen umschlossenen Parkanlagen eine bescheidene Nachahmung der Gärten von Klein-Trianon versuchte.

Wohl angebrachte Durchblicke ließen die landschaftliche Fernsicht über die üppigen Havelwiesen und Seen nach den bewaldeten Höhen von Phöben und Töplitz hin frei. An einer anderen Stelle schweifte der Blick nach dem romantisch gelegenen Ütz, bis weiter hinaus zu den Höhen von Potsdam. Von anderen Standpunkten aus blickte man über die sich schlängelnde Havel nach der Stadt Werder und dem Wildpark, und zur Rechten, tief in die flache Zauche hinein, bis an die Wälder des Klosters Lehnin. Dazu überraschten an geeigneten Punkten kleine bauliche Anlagen: Tempel und Pavillons, Moos- und Muschelgrotten. Auch die Dorfschmiede, an einer Durchsicht erbaut, täuschte durch eine gotische Fassade mit Spitzbogenfenstern. Außerdem wurde ein Fasaneriewäldchen angelegt, und vor und hinter dem Landhause ein Bowlinggreen mit Blumenbuketts.

So war ein Sommerschloß gewonnen, anmutig, hell, geräumig; aber in allem übrigen von einer Ausschmückung, die heutzutage kaum noch den Ansprüchen eines Torf-Lords genügen würde. 1797 erfolgte die Renovierung der Kirche, drei Jahre später der Neubau des Dorfes, wobei zugleich festgesetzt wurde, daß die im Giebel jedes Hauses befindliche Stube jederzeit für die königliche Dienerschaft, ebenso ein auf jedem Gehöft erbauter Pferdestall für die herrschaftlichen Pferde reserviert bleiben müsse. Seit 1797 war der Kronprinz König.

In diesem also umgeschaffenen Paretz, das bei Freunden und Eingeweihten alsbald den schönen Namen »Schloß Still-im-Land« empfing, erblühten dem Königspaare Tage glücklichsten Familienlebens. Die Familie und die Stille waren der Zauber von Paretz.

Diesen Zauber empfand die Königin, die wir gewohnt sind uns neben dem einsilbigen Gemahl als das gesprächigere, den Zerstreuungen zugeneigtere Element zu denken, fast noch lebhafter als dieser. Sie selbst äußerte sich darüber: »Ich muß den Saiten meines Gemüts jeden Tag einige Stunden Ruhe gönnen, um sie gleichsam wieder aufzuziehen, damit sie den rechten Ton und Anklang behalten. Am besten gelingt mir dies in der Einsamkeit; aber nicht im Zimmer, sondern in den stillen Schatten der Natur. Unterlaß ich das, so fühl' ich mich verstimmt. O welch ein Segen liegt doch im abgeschlossenen Umgange mit uns selbst!«

Zu diesem »Umgange mit sich selbst« war nun »Schloß Still-im-Land« der geeignetste Platz, keine Straße führte vorüber, die Ruhe, wenn man sie haben wollte, war beinahe unbedingt; aber man ließ sie gern durch die Heiterkeit des Dorfes unterbrechen.

So wurde das Erntefest von seiten des Hofes alljährlich mitgefeiert. Wir finden darüber folgende Aufzeichnungen. »Das Fest begann am frühen Nachmittag. Sobald die Herrschaften sich von der Tafel erhoben hatten, setzten sich die festlich angetanen Schnitter und Schnitterinnen vom Amte aus in Bewegung. Geschart um ihr Feldbanner, den reichbebänderten Kranz von Ähren und Blumen, marschierten sie nach dem Takte der Dorfmusik auf das Schloß. Dort auf dem freien Platze hielt der Zug und stellte sich im Halbkreis auf. Der königliche Gutsherr trat heraus, hörte die an ihn gerichtete Rede der Großmagd an und schickte die Sprecherin sodann mit der Erntekrone hinein in das Schloß. Nun zeigte sich auch die Königin, und mit dem Erscheinen der »gnädigen Frau von Paretz« begann der Tanz. Das königliche Paar mischte sich in die Reihen der Landleute, die Herren und Damen folgten und sogar die Frau Oberhofmeisterin (Frau von Voß) konnte nicht umhin, auf diesem bal champêtre mitzuwirken.

Den ersten Tanz spielten die Dorfmusikanten, den zweiten die Garde-Hautboisten aus Potsdam; Bursche und Mädchen tanzten sich außer Atem; dann gliederte sich der Zug von neuem und bewegte sich dahin zurück, von wo er gekommen war – nach dem Amte. Im Dorfe mittlerweile wimmelte es von Käufern und Verkäufern; innerhalb der eigentlichen Straße zog sich noch eine Budenstraße, und inmitten dieses Gedränges, Einkäufe und Geschenke machend, gewahrte man die hohen Gestalten des königlichen Paares.«

Diese Erntefeste, die bald einen Ruf gewannen, machten das stille Paretz zu einem Wallfahrtsort für nah und fern. Jeder Besucher hatte Zutritt, König und Königin ließen sich die Fremden vorstellen, äußerten ihre Freude über zahlreichen Zuspruch und baten: »über's Jahr wieder unter den Gästen zu sein.« Es waren wirkliche Volksfeste, und wohl mochte der General von Köckritz damals schreiben: »Ich habe in Paretz wieder allerfroheste Tage verlebt. Wir haben uns ungemein divertiert und alles Angenehme des Landlebens in ganzer Fülle genossen, wobei die Jagd und Wasserfahrt die Hauptbelustigung waren. Ein besonderer Festtag aber war das Erntefest. Die Königin mischte sich in die lustigen Tänze. Hier war Freiheit und Gleichheit; ich selbst, trotz meiner fünfundfünfzig Jahre, tanzte mit.«38)

Im Sommer 1805 hielten sich der König und die Königin länger in Paretz auf als gewöhnlich. Wie in einem Vorgefühl kommender Stürme genossen sie das Glück, das dieser stille Hafen bot, noch einmal in vollen Zügen. Man blieb bis zum 15. Oktober, dem Geburtstage des nunmehr zehnjährigen Kronprinzen. Er empfing nach der Sitte des königlichen Hauses den Degen und die Offiziersuniform, und trat in die Armee. Die Königin sprach ermahnende Worte. Dann schied sie von ihrem lieben Paretz, das sie nur noch einmal auf wenige Stunden wiedersehen sollte.

 

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38) General von Köckritz mochte wohl so schreiben. Dieser liebenswürdige Mann (den Stein wohl zu hart beurteilt hat, denn »niemand ist verpflichtet, ein großer Mann zu sein«) stand damals auf der Höhe seiner Gunst und seines Ansehens. Es war so recht eigentlich die Köckritz-Epoche. In diese Epoche fällt auch die seinerzeit viel bewunderte Geschichte vom »Pfeifchen und Fidibus«, die beide dem überraschten General, einem leidenschaftlichen Raucher, von der Königin präsentiert wurden. Wir übergehen diese Anekdote nicht nur deshalb, weil sie oft erzählt worden ist, sondern viel mehr noch aus ästhetischen Bedenken, weil sie einen Hergang festzuhalten trachtet, der als Erlebnis reizend, als Plauderanekdote, über den Tisch hin, annehmbar, aber als gedruckte Geschichte mindestens entbehrlich ist. Schwarz auf weiß macht schwerfällig und entzaubert manches. Man kann dreist behaupten, die Helden, die durch solche oder ähnliche Anekdoten glorifiziert werden sollen, haben unter ihnen zu leiden, wie unter einer Jugendtorheit. Es gilt hier fein zu unterscheiden. Dieselbe Geschichte, die, auf einem jungen Damen-Kaffee vorgetragen, ein ungeteiltes und berechtigtes Entzücken weckt, wird sich in einem Zeitungsblatt etwas insipide ausnehmen, und die bejubeltste, als unbedingt »bester Witz der Neuzeit« proklamierte Jagd- und Portweinanekdote wird am besten tun, auf Darstellung in Typen ganz zu verzichten.




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 © textlog.de 2004 • 17.11.2024 13:35:26 •
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