2. Illuminaten und Rosenkreuzer


Ei, Possen, das ist nur zum Lachen;

Sei nur nicht ein so strenger Mann!

Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen.

»Faust«


Der Hang nach Macht, der im absoluten Staate (außer im Dienste desselben) keine Befriedigung fand, schuf, so sagten wir, die Geheimbündelei überhaupt; der Hang nach Freiheit, der im absoluten Staate begreiflicherweise nicht besser fuhr, als jener, schuf eine besondere Abzweigung, eine ideale Blüte der Geheimbündelei: den Illuminatenorden. Dieser Orden, auf seinen gedanklichen Kern angesehen, war kaum etwas anderes als ein modifizierter, vielleicht ein potenzierter Freimaurerorden, hätte also allen Anspruch darauf gehabt, neben diesem zu leben und zu wirken, auch wurde in der Tat um 1780 eine Vereinigung beider erstrebt; die besonderen Umstände aber, unter denen der neue Orden ins Leben trat, seine Rührigkeit, seine Aggression, seine Übergriffe führten rasch zu seinem Untergange, nachdem er, etwa ein Jahrzehnt lang, eine hervorragende politische Rolle gespielt und sich als ein Repräsentant jener Freiheitsströmung gezeigt hatte, die damals durch Europa ging.

Der Stifter des Ordens war Adam Weishaupt, der, 1748 zu Ingolstadt geboren, an der Universität seiner Vaterstadt studiert und 1775 ebendaselbst die Professur des Natur- und kanonischen Rechts erhalten hatte. Schon als Student – es lag eben in der Zeit – hatte ihn die Stiftung eines Ordens beschäftigt; jetzt, gereifter, entwarf er die Statuten für den Orden der »Perfektibilisten«, die dann später den mehr bezeichnenden und besser sprechbaren Namen der Illuminaten annahmen. Die Gründung des Ordens erfolgte 1776. Weishaupt selbst bezeichnete als Aufgabe desselben: »Selbstdenkende Menschen aus allen Weltteilen, von allen Ständen und aus allen Religionen durch ein gegebenes höheres Interesse in ein einziges Band dauerhaft zu vereinigen und sie dahin zu leiten, aus wahrer Überzeugung und von selbst zu tun, was kein öffentlicher Zwang, seit Welt und Menschen sind, je bewirken konnte.« In einem Briefe gab er sich noch deutlicher und zuversichtlicher: »Der Endzweck des Ordens ist, daß es Licht werde und wir sind die Streiter gegen die Finsterniß. In fünf Jahren sollen Sie erstaunen, was wir gethan haben. Merken Sie sich's, der Endzweck des Ordens ist frei zu sein. Wenn sich Alles so fortentwickelt, wie seit einiger Zeit, so gehört in Kurzem unser Vaterland uns. Habe ich einmal den Grund des Baues festgestellt, so mag geschehen was wolle. Man wird dann, auch wenn man wollte, nicht mehr im Stande sein, die Sache zu Grunde zu richten.«

Die ersten Erfolge des Ordens entsprachen dieser Zuversicht; viele vornehme, gelehrte und rechtschaffene Männer traten ihm bei, darunter Knigge (1780), der alsbald eine besonders umsichtige und energische Tätigkeit zu entfalten begann. Aber diese Blüte, so rasch sie gezeitigt war, so rasch ging sie vorüber. Knigge und Weishaupt, von verschiedenen Ansichten geleitet, entzweiten sich; der erstere trat zurück, mit ihm eine Anzahl Mitglieder, und so in sich geschädigt und zerfallen, erlag der Orden dem Sturme, der jetzt von außen her ihn traf. Alles Illuminatentum wurde in Bayern, das den Hauptsitz bildete, verboten und Weishaupt 1785 seines Amtes entsetzt. Er fand bei dem Herzoge Ernst von Gotha Aufnahme; aber der Orden selbst erlag der staatlichen Obergewalt, die ihn, mit Prozessen und Strafverfügungen energisch vorgehend, wie einen Brand austrat.

So viel über die Illuminaten. Ein kurzes Leben. Sehr wahrscheinlich, daß dieser Orden, wie so viele andere Verbindungen jener Zeit, ohne Sang und Klang und ohne ein Blatt in der Geschichte vom Schauplatz abgetreten wäre, wenn er nicht während der kurzen Dauer seiner Existenz eine Gegenströmung hervorgerufen hätte, die, berühmter werdend als der Illuminatenorden selbst, diesem alsbald einen Reflex der eigenen Berühmtheit lieh. Mit anderen Worten, das Illuminatentum wäre vielleicht vergessen, wenn nicht der geheimbündlerische Drang sofort einen feindlichen Bruder geboren hätte. Dies waren die Rosenkreuzer, ein alter Name, aber eine neue Sache.

Wir beginnen mit einem historischen Rückblick.

Die Rosenkreuzer waren eine alte alchimistische Verbrüderung, die weit in die Geschichte zurückgeht. Ihr Stifter war Frater Rosenkreuz, ein Deutscher, wie sein Name bezeugt. Daß ein solcher Mönch wirklich gelebt und mit seinen Adepten die Goldmachekunst getrieben habe, scheint unzweifelhaft; über diese einfache Tatsache hinaus aber hüllt sich alles in Nebel und die Geschichte vom Tode und von der Wiederauffindung des alten Rosenkreuz gibt sich nicht einmal die Mühe, ihren Fabelcharakter zu verbergen. Diese Geschichte lautet wie folgt:

Frater Rosenkreuz, nachdem er seiner Reisen durch Arabien und Afrika und seines vieljährigen Verkehrs mit den »afrikanischen Weltweisen« müde geworden war, begab sich nach England und wohnte nicht weit von London, woselbst er eine unterirdische Höhle errichtete und ein Buch schrieb, worauf er G. L. statt des Titels setzte. Sein Vetter Benedikt Rosenkreuz war gemeiniglich um ihn. Diesem befahl er, bei Ablegung eines großen Schwurs, daß er nach seinem Tode sogleich das Gewölbe zuschließen und eine bestimmte große Tafel davor setzen sollte, worauf die Namen seiner Schüler standen; den Zugang selbst sollte er mit Erde verschütten. Alles dies geschah mit der größten Genauigkeit, so daß man von Rosenkreuz nichts weiter hörte. Über dieser Höhle stand aber ein sehr alter Akazienbaum, unter dessen Schatten Rosenkreuz öfters seinen Gedanken nachgehangen. Nach einhundertundzwanzig Jahren fiel einem Bauern ein, diesen Baum umzuhauen und seine Wurzeln auszugraben. Er kam an Steinplatten, nahm eine nach der andern fort und ehe er sichs versah, fiel er in eine Höhle fünfzehn Fuß tief in die Erde hinein. Kaum hatte er sich von seinem Fall und Schrecken erholt, so wurde er gewahr, daß diese unterirdische Gruft erleuchtet war, und ein alter, ehrwürdiger Mann vor einem Tische saß und in einem Buche las. Als er (der Bauer) sich nun einen Schritt näherte, erhob sich der Alte, der einen Stab in Händen hielt. Bei dem zweiten Schritt hob er seinen Stab in die Höhe, bei dem dritten schlug er so gewaltig auf die Lampe, daß solche zerbrach und erlosch. Der Bauer stürzte vor Schreck nieder; so fand man ihn und hörte seinen Bericht. Zugleich fand man eine Leiche, die ein Buch in Händen hielt. Dies letztere war das Buch Rosenkreuzers, das alle Weisheit, die Ausbeute seines Lebens, seiner Studien umfaßte.

So die Erzählung von Frater Rosenkreuz und seinem Weisheitsbuch. Dies Weisheitsbuch, auf das es ankam, gaben nun die modernen Rosenkreuzer, die wir gleich näher charakterisieren werden, als ihren Besitz aus; es sei ihnen auf rätselhafte Weise zu Händen gekommen und, um den Verdacht oder den Vorwurf der Modernität von sich abzustreifen, nannten sie sich, eben auf die vorgeblich alte Weisheit gestützt, die Rosenkreuzer alten Stils. Ihr Spruch war: Lux in Cruce et Crux in Luce. Die Welt erkannte sehr bald, und sie sollte es auch erkennen, daß die sich so nennenden Rosenkreuzer mit den wirklichen Rosenkreuzern alten Stils nicht das Geringste gemein hatten und mit Fug und Recht durfte Dr. Semler, der »Vater des Rationalismus«, von Halle aus schreiben: »Seit einiger Zeit haben wir von einer jetzt fortdauernden Rosenkreuzerei so manche wichtige Nachrichten, Nachrichten, aus denen wir erkennen können, daß eine große Partei mit gewiß weit aussehenden Absichten, die Magie und Alchemie nur als Maske benutzt. Ein »Hirtenbrief« dieser Rosenkreuzer, der mir vorliegt, ist ein auffallender Beweis von der dreisten und entschlossenen Denkungsart dieser geheimen Partei, welche ganz merklich es auf eine öffentliche Revolution im Sinne des Rückschrittes absieht.... Die Historie kann es am gewissesten dartun, daß diese jüngeren Rosenkreuzer ganz andere Leute sind als die alten, die kein papistisches Mitglied unter sich duldeten.«

Im wesentlichen hatte es der alte Rationalist hier richtig getroffen. Ob Papismus und Jesuitismus dahinter steckten, war damals fraglich und ist fraglich geblieben, aber um Reaktion, um einen Kampf gegen die Neologen und Ideologen, gegen die Aufklärer und Freimaurer, gegen die Demokraten und Illuminaten handelte es sich allerdings, die alten Elemente in Staat und Kirche, ganz wie in unsern Tagen, nahmen einen organisierten Kampf gegen den Liberalismus in allen seinen Gestalten und Verzweigungen auf. Nur die Organisation war verschieden, heute öffentlich in Kammer, Lehrstuhl, Presse, damals geheim in Orden und Brüderschaften. Jede Zeit hat ihre Kampfesformen; der Kampf bleibt derselbe.

Wie recht der alte Semler hatte, darüber gaben die trotz aller Vorsicht und Geheimtuerei nach und nach in die Öffentlichkeit dringenden Schriften des modernen Rosenkreuzertums die beste Auskunft. Umkehr, Absolutismus, Orthodoxie – das war ihr Inhalt. Wir geben einige Belagstellen zunächst aus der »Original-Instruktion für die Oberen der unteren Klassen.«

 

pag. 27:

Der hohe Orden, der die Sache Christi mit Macht und Eifer betreibt, weil sie seine eigene ist, hat die Größe des Menschengeschlechtes sehr am Herzen.

pag. 30:

Der Zirkel-Direktor soll den Brüdern tiefe Ehrfurcht gegen den Befehl Gottes einprägen, daß wir hier glauben und dort erst schauen. Er soll ihnen auch die gewisse und freudige Hoffnung machen, daß, bei zunehmendem Wachsthum im Orden, ihr Glaube viele starke Stützen erhalten und sie manches, ihnen jetzt noch Unbegreifliche in den Geheimnissen unserer allerheiligsten Religion mit mathematischer Gewißheit einsehen werden.

pag. 88:

Der Orden kettet den Himmel an die Erde und öffnet den versperrten Weg zum Paradiese wiederum. Seine höchsten Vorsteher sind, im allergenauesten Verstande, Freunde Gottes, wahre Jünger Christi, weit über den Rest der Sterblichen erhaben, Meister über die ganze Natur die mit der einen Hand auf das siegreiche Kreuz der Versöhnung gelehnt, mit der andern die lange Ordenskette festhalten.

So weit die Auszüge aus der »Instruktion«.

 

Energischer noch traten die Grundgedanken des Ordens, die man vielleicht am besten mit »Umkehr zu Strenggläubigkeit und Mystizismus« bezeichnen kann, in einem 1782 zu Berlin erschienenen Buche hervor, das den Titel führte: »Die Pflichten der Gold- und Rosenkreuzer alten Systems; von Chrysophiron.« Dies Buch wurde bloß für die Junioren des Ordens gedruckt und sehr geheim gehalten. Ein Exemplar besaß der russische Major Kutusow, der, wie man glaubt, eben dieser Verbindung halber, mehrere Jahre in Berlin lebte und daselbst starb. Dies Exemplar wurde bei der stattfindenden Auktion öffentlich versteigert, und kam dadurch in fremde Hände. In der Vorrede zu diesem Buche fanden sich folgende Stellen:

 

pag. XIII:

Gottes Barmherzigkeit über Deutschland hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und seine Treue ist groß. Der ewige Erbarmer hat sich durch das Gebet unserer gütigen Oberen endlich erweichen lassen. Was unsere Väter von sich stießen, das ist nach hundert Jahren ihren glücklichen Kindern, ist Uns, zu Theil geworden.

pag. XXXIX:

Gott hat sie, hat mich, hat alle Mitglieder unsres hohen Ordens vor Millionen Menschen werthgeachtet, an dem paradiesischen Segen Antheil zu nehmen, den er nach seiner grundlosen Barmherzigkeit bei dem Falle Adams nicht aus der Welt hinausnahm, sondern ihn nur verbarg, damit diejenigen unter den Menschen, welche in allen Jahrhunderten der Welt es werth würden, diesen Segen finden und genießen könnten.

pag. XL:

Nur der ist dieses Segens im Orden werth, der Jesum Christum, den Schlangentreter, recht kennt, sein tinkturalisches Versöhnungsblut ganz auffasset und durch seinen starken Glauben mit ihm innigst vereinigt ist. Nur solchen gab er Macht, nur diesen dreimal glücklichen Ordensbrüdern gab er Macht, Gottes Kinder zu heißen, die an seinen Namen glauben. Joh. 1, 12.

Und an eben dieser Stelle (pag. XL.):

Ich habe Ihnen hiermit genug gesagt, und schließe mit den Worten Pauli 1. Korinther 16, V. 22. Wer unsern Herrn Jesum Christum nicht lieb hat, der sei verflucht oder Anathema maharam Motha. Das heißt: durch den großen Bann der göttlichen Strafgerechtigkeit ausgesetzt. Amen! Amen! Amen!

 

Diese Schriften riefen im gegnerischen Lager, also unter Freimaurern und Rationalisten, einen Zorn hervor, den wir in unsern Tagen, wo dergleichen in offener Befehdung der Gegensätze jeden Tag gedruckt wird, einfach nicht zu fassen vermögen, wenn wir nicht gegenwärtig haben, wer jene Schriften schrieb, wer Chrysophiron war und welche staatliche Gewalt schützend hinter diesem Orden der Gold- und Rosenkreuzer stand. Dies alles waren nicht Blasen, die ein beliebiger Sektengeist warf, sondern diese Anschauungen herrschten an oberster Stelle, drohten in Edikten und Gesetzen bestimmend, maßgebend für Millionen Andersdenkender zu werden und traten schließlich wirklich als Landesgesetze in Kraft. Hinter dieser Rosenkreuzerei standen auf länger denn zehn Jahre hin die Machthaber Preußens: der König, Wöllner, Bischofswerder. Chrysophiron war Pseudonym für Wöllner.

Dies wird genügen, die oben erwähnte bittre Feindschaft zu erklären, die durch die liberale Welt ging. In Frankreich der Sieg des Voltairianismus bis in seine letzten Konsequenzen und – in Preußen, an dessen Spitze beinah fünfzig Jahre lang der Philosoph von Sanssouci gestanden und der Aufklärung eine Stätte bereitet hatte, in diesem Preußen: Umkehr, Gewissensdruck, Rosenkreuzerei. Solange hinter dieser letztern die staatliche Macht stand, solange sie mit dieser identisch war, war ein Kampf dagegen unmöglich, aber kaum daß der Sarg Friedrich Wilhelms II. in die Gruft des Domes niedergelassen war, so brach es hervor. An der Spitze der alte Nicolai. In der Vorrede zum sechsundfünfzigsten Bande der »Neuen Allgemeinen deutschen Bibliothek« führte er nunmehr über die Rosenkreuzer, die jetzt freilich ein toter Percy waren, folgende Sprache:

»Sehr bald nach dem Tode Friedrichs des Großen fanden bei seinem Nachfolger Männer Gehör, welche zu mehreren nachteiligen Maßregeln Anlaß gaben. Dieselben waren großenteils durch eine geheime Macht, durch den Gold- und Rosenkreuzerorden und durch den Einfluß der ›unbekannten Väter‹ geleitet, welche diesen Orden ungefähr seit 1778, noch zu Lebzeiten des großen Königs, unglaublich weit in Deutschland auszubreiten wußten. Wo die ›unbekannten Väter‹ sich aufhielten, wußten die Ordensgenossen nicht; aber wenn dunkle Winke hin und wieder gegeben wurden, so ward allemal auf katholische Orte gedeutet. Alle diese Innern Orden verlangten blindes Vertrauen auf die unbekannten Oberen;... der tollen Geisterseherei wurde nach und nach Tür und Tor geöffnet, damit der freie Gebrauch der Vernunft gehemmt und nach der Herrschsucht der Hierarchie und ihrer eigenen Herrschsucht ein ausgedehnterer Wirkungskreis bereitet würde.

Es ist auch selbst dem allgemeinen Publikum nicht ganz unbekannt geblieben, welche wichtigen Folgen von 1786 bis 1797 in den preußischen Staaten durch die Anhänglichkeit an die Rosenkreuzer bewirkt worden sind. Wenngleich dieselben keineswegs all ihre schädlichen Pläne haben durchsetzen können, so kann doch derjenige, der einigermaßen die Umstände kennt, kaum zweifeln, daß die Rosenkreuzerei auf die in die Augen fallende Veränderung der Verfügungen in Absicht auf die Religionen (das Wöllnersche Religionsedikt ist gemeint) einen wichtigen Einfluß gehabt habe. Dank sei es den menschenfreundlichen Privatgesinnungen König Friedrich Wilhelms II., daß die Absicht der Obskuranten, alle Aufklärung auszurotten, nicht bis zur Absetzung der Aufklärer von ihren Ämtern, bis zu ihrer Einschließung in Gefängnisse oder ihrer Verjagung aus dem Lande fortgesetzt ward. Es gab Leute, denen es an Willen hierzu nicht fehlte und noch weniger an Drohungen.«

Zu dieser Sprache, die außerdem noch mit Bezeichnungen wie »bübisch«, »schmutzig«, »betrügerisch« reichlich verbrämt war, war Nicolai als Parteimann, als ausgesprochener Widerpart, dazu als Mann, der persönliche Kränkungen und Schädigungen erfahren hatte, zu gutem Teile berechtigt, – wir nachträglich haben die Pflicht, unparteiischer auf das Getriebe dieses Ordens und der beiden einflußreichen, den Staat lenkenden Männer zu blicken, die entweder an der Spitze des Ordens standen oder doch seine wichtigsten, ja überhaupt die einzig wichtigen Mitglieder waren. Ohne die Namen Bischofswerder und Wöllner wären die Rosenkreuzer wie so viele andere Orden jener Zeit ohne Sang und Klang vom Schauplatz abgetreten.

 

Was wollte der Orden? wie entstand er? Er war, seinem Kern und Wesen nach, eine Unausbleiblichkeit, weil ein naturgemäßer Rückschlag. Wir konstatieren einfach eine Tatsache, wenn wir hervorheben, daß man in den letzten Regierungsjahren Friedrichs des Großen in vielen Kreisen anfing, der Aufklärung wenig froh zu werden. Gegensätze, die sich befehden, die beide in der Natur des Menschen ihre Wurzel und ihre Berechtigung finden, pflegen sich untereinander in Herrschaft und Obmacht abzulösen. Dem Puritanismus folgte Libertinage, der starren Orthodoxie Friedrich Wilhelms I. folgte der Voltairianismus der Friderizianischen Zeit, dem Kosmopolitismus folgte eine nationale Bewegung und dem Illuminatentum, das überall ein Licht anzünden wollte, mußte naturgemäß irgendein Rosenkreuzertum folgen, das davon ausging: alles Tiefe liegt nicht im Licht, sondern im Dunkel. Das Empfinden der Zeiten und der Individuen wird in bezug auf diese Frage immer auseinandergehen und jene Enthusiasten, die überall ein Rätsel, ein Wunder, ein direktes Eingreifen Gottes sehen, wo der Nüchternheitsmensch einfach das Verhältnis von Ursache und Wirkung zu erkennen glaubt, diese phantasiereicheren, unserer besten Überzeugung nach höher angelegten Naturen, dürfen mindestens eins verlangen: Gleichstellung in bürgerlicher Ehre. Es ist nichts damit getan, ihnen einfach den Zettel »Dunkelmänner« aufzukleben und sie damit, zu beliebiger Verhöhnung, auf den Markt zu stellen. Seinem Kern und Wesen nach war das moderne Rosenkreuzertum nichts als eine Vereinigung von Männern, die, ob katholisierend oder nicht, an den dreieinigen Gott glaubten und diesen Glauben dem Deismus, dem Pantheismus und Atheismus gegenüberstellten.

Wer will in dieser Reaktionsbewegung, die den Glaubensinhalt vergangener Jahrhunderte zurückverlangt, ein- für allemal einen geistigen Rückschritt, eine Einbuße an ideellen Gütern erkennen? Wer hat den Mut, die Glaubenskraft des Menschen unter die Verstandeskraft zu stellen? Glaube und wissenschaftliche Erkenntnis schließen einander nicht aus, und mit höchster Geisteskraft ist höchste Glaubenskraft durch ganze Epochen hin vereinigt gewesen. Das Rosenkreuzertum hat dadurch keine Sünde auf sich geladen, daß es das Gegenteil von dem wollte, was der alte Nicolai wollte.37)

Wenn wir dennoch das Auftreten des Rosenkreuzertums zu beklagen und sein Erlöschen, nach kurzer Allmacht, als ein Glück für das Land zu bezeichnen haben, so liegt das in Nebendingen, in begleitenden Zufälligkeiten, die, teils irrtümlicherweise, von den Feinden aber in wohlüberlegter Absicht in den Vordergrund gestellt worden sind, um das moralische Ansehen des Gegners zu diskreditieren. Wir meinen hier die Geistererscheinungen, den ganzen Apparat, der von den Rosenkreuzern in Bewegung gesetzt wurde, um einen trägen Glauben künstlich zu beleben.

Wegzuleugnen sind diese trüben Dinge nicht, wiewohl sie höchst wahrscheinlich eine viel geringere Rolle gespielt haben, als man gewöhnlich annimmt. Gleichviel: man hat zu diesen Hilfsmitteln gegriffen und wir perhorreszieren es, daß es geschehen. Es war unwürdig, bei dem betrügerischen Schrepfer sozusagen auf Borg zu gehen, seine im Dienst der Lüge klug verwandten Künste in den Dienst einer Sache zu stellen, die, für unsere Überzeugung wenigstens, ganz unbestritten einen idealen Kern hatte. Es war ein Unrecht. Aber betonen wir dies Unrecht nicht stärker als nötig. Beurteilen wir die Dinge aus der Zeit heraus. Auch das sittliche Empfinden stellt sich in verschiedenen Jahrhunderten verschieden. Eine Politik, wie sie der Große Kurfürst, ein frommer, strenggläubiger Mann, gegen Polen und Schweden übte, würde heute verabscheut werden; damals nahm niemand Anstoß daran; man bewunderte nur den klugen, patriotischen Fürsten; – und zu allen Zeiten sind Wunder gemacht worden, nicht bloß von Betrügern, sondern auch von Priestern, die an einen ewigen, allmächtigen und wundertätigen Gott in aller Aufrichtigkeit glaubten. Wie wir schon an früherer Stelle sagten: das kleine Mit-Eingreifen, das Mit-Spielen ist kein Beweis für ein frivoles Sich-drüber-stellen über die transzendentale Welt.

Der Hokuspokus bleibt ein Fleck an jener interessanten geheimen Vergesellschaftung, die durch eine seltsame Verkettung von Umständen in die Lage kam, Preußen auf zwölf Jahre hin zu regieren, aber ein billiges Urteil über den moralischen Wert derjenigen, die damals an der Spitze dieses Ordens standen, wird doch nur derjenige haben, der sich die Frage nach dem »guten Glauben« der Betreffenden vorlegt und gewissenhaft beantwortet. Daß Bischofswerder diesen »guten Glauben« hatte, haben wir in dem Kapitel Marquardt darzulegen getrachtet; in betreff Wöllners steht uns das unverfänglichste Zeugnis zur Seite, das Zeugnis seines Antagonisten Nicolai selbst. Dieser schreibt über ihn: »Eine Menge kabbalistischer und magischer Worte verdunkelte nach und nach seinen hellen Kopf, und seine irregeleitete Einbildungskraft ließ ihn allenthalben Geheimnisse und Wunder sehen. Im Jahre 1778 war er bereits so weit, daß er die geheime Lehre der rosenkreuzerischen Philosophie für das einzig wahre Wissen hielt, für ein Wissen, das bald ganz allgemein werden und alle andere Philosophie verdrängen würde.«

So Nicolai. Die Verurteilung der Richtung Wöllners wird hier, unbeabsichtigt, zur Anerkennung seiner persönlichen Aufrichtigkeit. Und dies genügt uns. Wie wenig Nicolai fähig war, der Richtung gerecht zu werden, glauben wir im vorhergehenden gezeigt zu haben.

1800 starb Wöllner zu Groß-Rietz, 1803 Bischofswerder zu Potsdam. Das Rosenkreuzertum ging mit ihnen zu Grabe.

 

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37) Wie wenig der alte Nicolai mit all seinen Meriten imstande war, einer Erscheinung wie der des Rosenkreuzerordens gerecht zu werden, geht aus seinen eigenen Aufzeichnungen am besten hervor. Er sah in allem, was damals in Dichtung und Philosophie den Vorhang von einer neuen Welt hinwegzuziehen gedachte, nur Eitelkeit, Anmaßung, Phantasterei und Geisterschwindel, und stand gegen die ganze junge Literatur, wenigstens soweit sie romantisch war, ebenso feindselig, wie gegen Wöllner und die Rosenkreuzerei. »Die Herren Fichte, Schelling, Hegel, Schlegel, Tieck«, so schreibt er, »und wie die sich wichtig dünkenden Männer und Männchen weiter heißen, preisen sich zwar fleißigst einer den andern und sprechen von allen Philosophen und Dichtern, welche nicht zu ihrer geheiligten Kirche gehören, so wie auch von der gesunden Vernunft und Aufklärung aufs verächtlichste. Aber auch das Verachten will nicht gelingen... Sie versichern daher die Entdeckung gemacht zu haben, daß Fichte und Schelling, ob sie gleich, leider! schon anfangen voneinander zu differieren (wie uns Hr. Hegel, ein neulichst berühmt werden-wollender Philosoph, in einer besondern Schrift des breiteren auseinandersetzt), dennoch die einzigen Philosophen sind, denen, auch wenn sie nicht übereinstimmen, allein das wahre Wissen vom Subjekt-Objekte gebührt. Ferner noch haben diese Herren durch ihre intellektuelle Anschauung deutlich erkannt, daß Wieland und Klopstock keine Dichter sind, hingegen Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck Dichter vom größten Genie!« – So eifert Nicolai über viele Seiten hin. An einer andern Stelle zieht er direkt Parallelen zwischen den Rosenkreuzern einerseits und Fichte-Schelling andererseits und findet, daß die Philosopheme beider sich als »gleich ungereimt« erweisen. All das ging ihm eben über Kraft und Verständnis.




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