Baumgartenbrück
| And thus an acry point he won, Where, gleaming with the setting sun, One burnished sheet of living gold, Loch-Katrine lay beneath him roll'd. Lady of the Lake
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Die Sonne war eine halbe Stunde unter, als wir wieder diesseits des Schwielow standen; es war keine Zeit mehr für Kaputh; die schmale Mondessichel reichte nicht aus; – die Stunde war verpaßt. So sahen wir uns denn vor die Alternative gestellt, ob wir, mit der Chance den letzten Zug zu versäumen, unseren Rückweg antreten oder coûte que coûte in Kaputh übernachten wollten. Ich tat die entsprechende Frage, meine Bedenken hinsichtlich des Nachtlagers nicht verschweigend.
Unser Führer (der Leser wird sich freundlichst seiner entsinnen) sah mich leise vorwurfsvoll an und erwiderte dann ruhig: »Sie kennen Boßdorf nicht.«
»Nein.«
»Nun, es ist Liebhaberei, daß er hier festsitzt. Er hat das beste Bier und die besten Betten. Von allem andern rede ich gar nicht. Boßdorf ist ein Name in diesen Gegenden.«
»Gut denn. Also Boßdorf!«
Diese Unterredung war zwischen Fährstelle und Dorf geführt worden; als wir eben schlüssig geworden, hielten wir vor dem Gegenstand unseres Gesprächs. Er reichte vielleicht nicht voll an die Höhe heran, die ihm der Lokalpatriotismus unseres Freundes anzuweisen trachtete, aber er hatte doch, wie ich auf der Stelle wahrnehmen konnte, die unerläßlichste aller Wirtseigenschaften: er war freundlich. Sein Bier und seine Rede lullten mich ein und ich schlief bis an den hellen Tag. Nur einmal wacht' ich auf; ich glaubte in einem Trichter zu liegen (was auch zutraf) und hatte geträumt, der Schwielow habe mich in seine Tiefe gezogen.
Unter einem Lindenbaum in Front des Hauses wurde der Kaffee genommen; die Spatzen musizierten über mir; endlich, als sie ihren Mann durchschaut, hüpften sie vom Gezweige nieder auf den Tisch und nahmen, nach dem Maße meiner Guttat, an meinem Frühstück teil. Ich konnte es ohne Opfer tun; es waren Semmeln in großem Format. Jenseit des Staketenzaunes ging das Leben des Dorfes stillgeschäftig seinen Gang: junges Volk, die Sense auf der Schulter, eilte zur Mahd hinaus; Kinder mit Erdbeeren kamen aus dem Walde; Schiffersleute, in weiten Teerjacken, schritten auf den See zu. Ein anmutiges Bild. Ich verstand jetzt Boßdorf vollkommen und warum er hier festsitzt.
Ein Wagen fuhr vor, ein vollgestopfter Kremser. Vormittagsgäste; unverkennbar eine animierte Gesellschaft. Ältliche Herren, junge Damen; aber nicht zu jung.
Boßdorf sprang an den Wagen. Als er wieder an mir vorbei wollte, suchte ich ihn zu fassen und fragte leise: »Potsdamer?« Er aber – mit einer Handbewegung, in der sich eine Welt widerstreitender Empfindungen: Diensteifer und Geschmeicheltsein, Verlegenheit und ironische Schelmerei aussprach – antwortete im Vorüberfliegen: Berliner.
Berliner. Es gereichte meiner Menschenkenntnis wenig zur Ehre, diese Tatsache auch nur einen Augenblick verkannt zu haben. Es war Vollblut. Dabei unverkennbar auf einer sogenannten »ernsten Partie« begriffen.
Dieser Ausdruck mag einzelne meiner Leser überraschen; aber es hat seine Richtigkeit damit. Es gibt zwei Arten von Landpartien. Da sind zunächst die heiteren. Sie sind weithin kenntlich durch ihren starken Prozentsatz an Kindern; nie weniger als die Hälfte. In dem Moment der Landung, wo immer es sei, scheint die Welt aus lauter weißgekleideten kleinen Mädchen mit Rosaschleifen zu bestehen. Die Väter bestellen den Kaffee; das Auge der Mutter gleitet befriedigt über die glücklichen Gänseblümchen hin, von denen immer drei auf den Namen Anna und sechs auf den Namen Martha hören. Nun geht es in die Wiese, den Wald. Die Parole ist ausgegeben: Erdbeeren suchen. Alles ist Friede; die ganze Welt ein Idyll. Aber schon beginnen die dunklen Wetter zu brauen. Mit dem Eintritt in den Wald sind die weißen Kleider ihrem Verhängnis verfallen. Martha I. ist an einem Wacholderstrauch hängengeblieben, Martha II. hat sich in die Blaubeeren gesetzt – wie Schneehühner gingen sie hinein, wie Perlhühner kommen sie wieder heraus. Der Sturm bricht los. Wer je Berliner Mütter in solchen Augenblicken gesehen, wird die kriegerische Haltung der gesamten Nation begreiflich finden. Die Väter suchen zu intervenieren. Unglückliche! Jetzt ergießt sich der Strom in sein natürliches Bett.
Und doch sind dies die heiteren Landpartien, denen wir die ernsten entgegenstellen. An diesen letzteren nehmen Kinder nie teil. Es gibt auch rote Schleifen, aber das Rosa ist Ponceau geworden. Man spricht in Pikanterien, in einer Art Geheimsprache, für die nur der Kreis der Eingeweihten den Schlüssel hat. Bowle und Jeu lösen sich untereinander ab; unglaubliche Toaste werden ausgebracht und längst begrabene Gottheiten steigen triumphierend wieder auf. Sonderbar. Auf den heiteren Landpartien wird immer geweint, auf den ernsten Landpartien wird immer nur gelacht.
Vor mir, am Staket, hielt eine ernste Landpartie. Zwei Herren, Fünfziger, mit großen melierten Backenbärten, Lebemänner aus der Schicht der allerneuesten Torf- und Ziegelaristokratie, sprangen mit berechneter Leichtfüßigkeit vom Wagen und gaben dadurch Gelegenheit, das im Wagen verbliebene Residuum der Gesellschaft besser überfliegen zu können. Das meiste war Staffage, bloße Najaden und Tritonen, die als Beiwerk, auch wohl als Folie notwendig da sein müssen, wenn Venus aus den Wellen steigt. Wem die Rolle der letztern oblag, darüber konnte kein Zweifel sein. Sie war dreißig, überthronte das Ganze, trug das Haar kurz geschnitten à la Rosa Bonheur und hielt eine große italienische Laute auf ihren Knien. Übrigens war sie wirklich hübsch; alles im Brunhildenstil; dieselbe weiße Hand, die jetzt auf der Laute ruhte, hätte auch jeden beliebigen Stein fünfzig Ellen weit geschleudert.
In diesem Moment, ehe ich noch den Kremser völlig durchmustert hatte, erschien Boßdorf mit einem großen Tablett. Es war ein Morgenimbiß, der für den Rest des Tages einige Perspektiven eröffnete: vier Kulmbacher, vier Werdersche, mehrere Kognaks und eine Pyramide von Butterbroten. Alle Macht ist ein Magnet; – Boßdorf präsentierte der Lautenschlägerin zuerst. Diese, ohne weiteres, machte eine halbe Schwenkung, glitt, nicht ohne einen Anflug von Entsagung über die kleinen Gläser hin, nahm eine Kulmbacher, prüfte das Verhältnis von Schaum und Saft, und trank aus. Ohne abzusetzen. Als ihr Boßdorf die Butterbrotseite des Tabletts zudrehte, nickte sie abwehrend.
In kürzester Frist war übrigens das Tablett leer, nicht alle waren wählerisch; die Entrepreneurs eilten zu ihren Plätzen; die Pferde zogen an. Ein Lindenzweig streifte noch huldigend die Stirn der Primadonna; im nächsten Augenblicke verschwand der Kremser in einer Querstraße des Dorfes. Ich horchte ihnen nach. Es war mir, als trüge der Wind herüber: »Im Wald, im schönen, grünen Wald« und dazwischen verlorene Lautenklänge.
Ich war nun wieder allein und wollte bereits – was immer einen äußersten Grad von Verlegenheit ausdrückt – zu den »Territorien der Mark Brandenburg«, einer Art märkischem Bädeker, meine Zuflucht nehmen, als das Erscheinen unseres freundlichen Führers vom Tage vorher meiner Verlegenheit ein Ende machte und mich aus der toten Aufzeichnung in das frisch pulsierende Leben stellte. Wir schlenderten am See hin, das Dorf entlang, an Schloß und Park vorbei; es war eine anmutige Vormittagsstunde, anregend, lebendig, lehrreich.
Kaputh ist eines der größten Dörfer der Mark, eines der längsten gewiß; es mißt wohl eine halbe Meile. Daß es wendisch war, besagt sein Name. Was dieser bedeutet, darüber existieren zu viele Hypothesen, als daß die eine oder andere viel für sich haben könnte. So zweifelhaft indes die Bedeutung seines Namens, so unzweifelhaft war in alten Zeiten die Armut seiner Bewohner. Kaputh besaß keinen Acker, und die große Wasserfläche, Havel samt Schwielow, die ihm vor der Tür lag, wurde von den Potsdamer Kiezfischern, deren alte Gerechtsame sich über die ganze Mittelhavel bis Brandenburg hin erstreckten, eifersüchtig gehütet und ausgenutzt. So stand es schlimm um die Kaputher; Ackerbau und Fischerei waren ihnen gleichmäßig verschlossen. Aber die Not macht erfinderisch, und so wußten sich denn schließlich auch die Bewohner dieses schmalen Uferstreifens zu helfen. Ein doppeltes Auskunftsmittel wurde gefunden; Mann und Frau teilten sich, um von zwei Seiten her anfassen zu können. Die Männer wurden Schiffer, die Frauen verlegten sich auf Gartenbau.
Die Nachbarschaft Potsdams, vor allem das rapide Wachstum Berlins, waren dieser Umwandlung, die aus dem Kaputher Tagelöhner einen Schiffer oder Schiffsbauer machte, günstig, riefen sie vielleicht hervor. Überall an Havel und Schwielow hin entstanden Ziegeleien, und die Millionen Steine, die Jahr aus, Jahr ein am Ufer dieser Seen und Buchten gebrannt wurden, erforderten alsbald hunderte von Kähnen, um sie auf den Berliner Markt zu schaffen. Dazu boten die Kaputher die Hand. Es entstand eine völlige Kahnflotte, und mehr als sechzig Schiffe, alle auf den Werften des Dorfes gebaut, befahren in diesem Augenblicke den Schwielow, die Havel, die Spree. Das gewöhnliche Ziel, wie schon angedeutet, ist die Hauptstadt. Aber ein Bruchteil geht auch havelabwärts in die Elbe und unterhält einen Verkehr mit Hamburg.
Kaputh – das Chicago des Schwielowsees – ist aber nicht bloß die große Handelsempore dieser Gegenden; nicht bloß End- und Ausgangspunkt der Zauche-Havelländischen Ziegeldistrikte, nein, es ist auch Stationspunkt, an dem der ganze Havelverkehr vorüber muß. Der Umweg durch den Schwielow ist unvermeidlich; es gibt vorläufig nur diese eine fahrbare Straße. Eine Abkürzung des Weges durch einen Nordkanal ist geplant, aber noch nicht ausgeführt. So wird denn das aus eigenen Mitteln eine Kahnflotte hinaussendende Kaputh, das, wenn es sein müßte, sich selbst genügen würde, zugleich zu einem allgemeinen See- und Handelsplatz, zu einem Hafen für die Schiffe anderer Gegenden, und die Flottillen von Rathenow, Plaue, Brandenburg, wenn eine Havarie sie trifft oder ein Orkan im Anzuge ist, laufen hier an und werfen Anker. Am lebendigsten aber ist es auf der Kaputher Reede, wenn irgendein großer Festtag einfällt und alte gute Sitte die Weiterfahrt verbietet. Das ist zumal um Pfingsten. Dann drängt alles hier zusammen; zu beiden Seiten des »Gemündes« liegen hundert Schiffe oder mehr, die Wimpel flattern, und hoch oben vom Mast, ein entzückender Anblick, grüßen hundert Maienbüsche weit in die Ferne.
Das ist die große Seite des Kaputher Lebens; daneben gibt es eine kleine. Die Männer haben den Seefahrerleichtsinn; das in Monaten Erworbene geht in Stunden wieder hin, und den Frauen fällt nun die Aufgabe zu, durch Bienenfleiß und Verdienst im kleinen die Rechnung wieder ins gleiche zu bringen.
Wie wir schon sagten, es sind Gärtnerinnen; die Pflege, die der Boden findet, ist die sorglichste, und einzelne Kulturen werden hier mit einer solchen Meisterschaft getrieben, daß die »Kaputhschen« imstande sind, ihren Nachbarn, den »Werderschen«, Konkurrenz zu machen. Unter diesen Kulturen steht die Erdbeerzucht obenan. Auch ihr kommt die Nähe der beiden Hauptstädte zustatten, und es gibt kleine Leute hier, mit einem halben Morgen Gartenland, die in drei bis vier Wochen hundertundzwanzig Taler für Ananaserdbeeren einnehmen. Dennoch bleiben es kleine Leute, und man kann auch in Kaputh wieder die Wahrnehmung machen, daß die feineren Kulturen es nicht zwingen, und daß fünfzig Morgen Weizacker nach wie vor das Einfachste und das Beste bleiben. –
Unter Gesprächen, deren Inhalt ich in vorstehendem zusammenzufassen gesucht habe, hatten wir das Dorf nach Norden hin passiert, und hielten jetzt an einer Havelstelle, von wo aus wir über einen parkartigen, grüngemusterten Garten hinweg auf das Herrenhaus sehen konnten, einen Hochparterrebau, mit Souterrain und zweiarmiger Freitreppe.
Dies Herrenhaus führt den Namen »Schloß«, und trotz bescheidener Dimensionen immer noch mit einem gewissen Recht, wenigstens seiner inneren Einrichtung nach. Man geht in der Mark etwas verschwenderisch mit diesem Namen um und hilft sich nötigenfalls (wie beispielsweise in Tegel) durch das Diminutivum: Schlößchen.
Schloß Kaputh war in alten Zeiten Rochowsch. Im Dreißigjährigen Kriege zerfiel es oder wurde zerstört, und erst von 1662 an erstand hier ein neues Leben. In diesem Jahre ging Kaputh, Dorf wie Schloß, in den Besitz des Großen Kurfürsten über und verblieb, ein kurzes Vorspiel abgerechnet, auf das wir des weiteren zurückkommen (wir meinen die Zeit de la Chiezes), hundertundfünfzig Jahre lang bei der Krone. Eine lange Zeit. Aber die Zeit seines Glanzes war um so kürzer und ging wenig über ein Menschenalter hinaus. Mit dieser Glanzepoche, unter Weglassung alles dessen, was vorausging und was folgte, werden wir uns in nachstehendem zu beschäftigen haben. Auch diese vorübergehende Glanzesära gliedert sich in verschiedene Zeitabschnitte, und zwar in die Zeit des Generals de la Chieze bis 1671, die Zeit der Kurfürstin Dorothea bis 1689 und die Zeit Sophie Charlottens und König Friedrichs I. bis 1713.