Ütz


Wie reizend sind, du schönes Dörfchen Ütz,

Heut' deiner Gärten Äpfelblütenreiser,

Dein gotisch Kirchlein, deiner Fischer Kietz,

Dein Pfarrgehöfte, deine Bauernhäuser...

Die Pferde sind zur Rückfahrt angespannt,

Vom Felde treibt der Kuhhirt durch die Gassen, –

Du schönster Ort im ganzen Havelland,

Wer könnte je dich ungerührt verlassen!


»Du schönster Ort im ganzen Havelland«, unter diesem Ausruf nimmt unser märkischer Poet par excellence, unser vielbespöttelter Schmidt von Werneuchen, von jenem stillen Haveldorfe Abschied, dessen etwas seltsam klingenden Namen wir an die Spitze dieses Kapitels gestellt haben.

»Du schönster Ort« – wir wollen es, auf die Autorität unseres Freundes hin, glauben. Aber ob der schönste oder nicht, der stillste gewiß. Die Natur hat es so gewollt.

Die Havel, die auf ihrem Mittellaufe überall Seen und Buchten bildet, streckt an dieser Stelle eine sackgassenartige Abzweigung, die »Wublitz«, tief ins Land hinein und bildet dadurch eine Wassergabel, die das von drei Seiten her umschlossene Stück Land zu einer Halbinsel macht. Auf dieser Halbinsel, tief innerhalb der Gabel, liegt unser Ütz, das, um eben dieser Lage willen, nur mit Hilfe einer Fähre, oder aber auf weiten Umwegen erreicht werden kann. Beides ein Hindernis im Verkehr.

Eine kurze Zeit hindurch schien es, als sollte das stille Dorf mit in die Welt, von der es sonst abgeschlossen liegt, hineingezogen werden. Das war zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts, wo das eine halbe Meile von Ütz gelegene Paretz, sozusagen die Hauptstadt dieser kleinen Halbinsel, in den Besitz König Friedrich Wilhelms III. überging. Um diese Zeit – der König wählte immer den Wasserweg – wurde Ütz zu einer viel genannten Fährstelle. Der Fischer, der den Dienst versah, hatte seine goldnen Tage; an die Stelle der alten Fährmannshütte trat ein reizendes Haus im Schweizerstil, betreßte Röcke spiegelten sich im dunklen Wublitzwasser, und die Dorfstraße entlang, in der bis dahin bei Regenwetter die Dungwagen steckengeblieben waren, schaukelten sich jetzt die königlichen Kutschen. Das war bis 1810. In den zwanziger und dreißiger Jahren flackerte es noch einmal auf, dann erlosch es ganz. Ütz war wieder das »stillste Dorf im ganzen Havelland.«

Solchem stillsten Platze zuzuschreiten, wie wir jetzt tun, hat immer einen besonderen Reiz. Die Nauener Chaussee, die wir halten, läuft parallel mit der Wublitz, und je nach den Sattlungen des Weges schwindet Ütz und erscheint wieder; immer neue Verschiebungen treten ein, und bald hinter hohen Pappeln, bald hinter Weiden hervor schimmert das goldene Kreuz seiner Kirche. Unser Weg hat uns endlich bis in die Höhe des Dorfes geführt, und nach links hin einbiegend, stehen wir nach einem kurzen Marsch am Ufer des mehrgenannten Havelarms, der sich selbst und seinen Zauber bis dahin vor uns verbarg. Drüben liegt das Fährhaus. Aber der Blick nimmt uns so gefangen, daß wir unser »Hol über!« unterlassen und zwischen ausgespannten Netzen auf einem umgestülpten Kahne Platz nehmen, um das Bild auf uns wirken zu lassen.

In Terrassen baut es sich auf: zuunterst der Fluß, tief und still und mit den breiten Blättern der Teichrose überdeckt; dahinter ein Schilfgürtel, dann Obstgärten, dann über diese hoch hinaus die alten Ulmen der Dorfgasse, und wieder hinter den Ulmen, am Abhang aufsteigend, die weißen Häuschen des Dorfes, das Ganze gekrönt von zwei altmodischen Windmühlen, die von dem bastionartigen, gründossierten Mühlenberge aus den Vordergrund überblicken und ihre Flügel so lustig drehen, als freuten sie sich der Umschau, die sie halten.

Die Längslinie des Bildes folgt dem Uferrande drüben, der zugleich der Hauptgasse des Dorfes entspricht. Das Treiben dieser von Busch- und Baumwerk dicht eingefaßten Gasse entzieht sich unserem Auge; überall da aber, wo breite Querlinien die Längslinie durchbrechen, entsteht ein heller Fleck im Dunkel und das ganze sich fortbewegende Treiben drüben erscheint in dieser Lichtung und schwindet wieder. Die Entfernung ist groß genug, um jeden Lärm zu verschlingen, und so kommen die Bilder und gehen wieder wie auf der glatten Fläche einer Camera obscura. Jetzt Schnitter, die Harke und Sense über die Schulter gelegt, vom Felde heimwärts kehrend, jetzt kiepentragende Frauen, jetzt hochbeladene Heuwagen, deren helleres Grün in dem Dunkelgrün der Baumkronen schwerfällig hin und her schwankt.

Die Sonne, die eben noch wie ein Glutball über dem Windmühlenberge gestanden hatte, sank jetzt tiefer und ließ die Wandfläche der Mühle wie einen dunklen Schatten erscheinen, den ein rotgoldener Schimmer nach allen Seiten hin umgab. Und dieser Schimmer, sich bahnbrechend durch die Baumwelt des Vordergrunds, fiel jetzt auch auf die breite Fläche der Wublitz, und wo ein Schwan durch diesen glühenden Streifen hindurchfuhr, da überzog es sein Gefieder wie flüchtige Röte, die der nächste Augenblick wieder von ihm streifte. Wohl mochten hier die Mummeln blühen, als wäre die Wublitz ein Blumenbeet, denn es war ein Bild wie hergeliehen aus einem Feengarten.

Minutenlang sah ich still in diesen Zauber hinein, dann richtete ich mich auf und rief mein »Hol über!« über die Wasserfläche hin. Aber der Ruf schien in dieser Stille zu verklingen. Nichts regte sich drüben und schon war meine ganze Naturbewunderung in Gefahr, im Ärger über den Fährmann unterzugehen, als es drüben lebendig zu werden begann. Eine hagere, mittelgroße, nach Wendenart in graue Leinwand gekleidete Gestalt trat aus dem Fährhaus, machte eine Handbewegung, die unverkennbar ausdrücken sollte, »ich möchte mich nur ruhig verhalten«, und löste dann langsam und mürrisch, soweit sich das aus seiner Handlung erkennen ließ, einen Kahn vom Ufer und schob ihn, ohne Ruder, an einem zwischen beiden Ufern ausgespannten Taue von drüben zu mir herüber.

Als der Kahn auflief, blieb sein Insasse stehen und sah mich an. Ich ihn auch. Endlich gewann er es über sich und bot mir »guten Abend.« Nach dieser Konzession von seiner Seite, denn so schien er es aufzufassen, glaubte auch ich ein übriges tun zu müssen. So entspann sich denn, während der Kahn langsam wieder zurückglitt, folgende Unterhaltung:

»Guten Abend, Fährmann. Geht's Geschäft?«

»I, wie wird's denn gehn?«

»Na, ich sollte doch meinen. Da sind erst die Ützer...«

»Die fahren umsonst.«

»Und dann all' die Dörfer, die hier hinten liegen...«

Er schüttelte griesgrämig den Kopf, beschrieb mit der Hand nach Norden hin eine Kurve und brummte: Alles 'rum, immer 'rum!«

»Aber die Phöbener und Paretzer werden doch nicht über Falkenrehde fahren? Das ist ja die Meile sieben Viertel!«

»Das ist es. Aber was ein richtiger Bauer is, der geht nich über's Wasser.«

»Weil's ihm zu unsicher ist?«

»Nich doch. Es is ihm bloß sicher, daß der Fährmann sein Fährgeld kriegt. Das zahlt kein Bauer, wenn er nich muß. Und er muß nich. Eine Meile oder zwei, ihm ist's all' eins. Er braucht sie nich zu laufen. Er nimmt seine Peitsche, knipst und ruft seinen Gäulen zu: ›Der Hafer ist teuer heut'; verdient ihn euch!‹ Und der Ützer Fährmann – na, der mag sehen, wo er seine Pacht hernimmt.«

Die Spitze des Kahns war jetzt auf dem Trockenen; ich sprang hinaus und fragte nach meiner Schuldigkeit. Die Taxe war niedrig; ich gab ihm ein Stück Geld, etwa das Fünffache. Er nahm es, sagte nichts und erwiderte meinen »guten Abend« durch ein Geknurr, das über seine Enttäuschung keinen Zweifel ließ. Die Fährleute sind ein eigen Geschlecht und haben ihren eigenen Artigkeitskodex.

Ich schritt nun die Querallee hinauf, kreuzte die Dorfstraße und erstieg den Mühlenberg, hinter dessen Kamm, bereits erblassend, die Abendröte stand. Ein schwacher rötlicher Schimmer säumte nur noch den Himmel gegenüber. Das Dorf, die Wublitz waren still; im Fährhaus schimmerte ein Licht, die Schwäne sammelten sich am Schilf, die Abendglocke klang in langsamen Schlägen über Ütz hin.

 

Du schönster Ort im ganzen Havelland,

Wer könnte je dich ungerührt verlassen!

 




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 © textlog.de 2004 • 17.11.2024 13:26:11 •
Seite zuletzt aktualisiert: 25.10.2007 
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