III.2. Vergleichung der mancherlei organischen Kräfte, die im Tier wirken

 

Unendlichkeit umfaßt mich, wenn ich, umringt von tausend Proben dieser Art und ergriffen von ihren Gefühlen, Natur, in deinen heiligen Tempel trete. Kein Geschöpf bist du vorbeigegangen; du teiltest dich ihm ganz mit, so ganz, wie es dich in seiner Organisation fassen konnte. Jedes deiner Werke machtest du eins und vollkommen und nur sich selbst gleich. Du arbeitetest es von innen heraus, und wo du versagen mußtest, erstattetest du, wie die Mutter aller Dinge erstatten konnte. - Lasst uns einige dieser abgewogenen Verhältnisse der verschiednen wirkenden Kräfte in mancherlei Organisationen bemerken: wir bahnen uns damit den Weg zum physiologischen Standort des Menschen.

1. Die Pflanze ist zur Vegetation und Fruchtbringung da: ein untergeordneter Zweck, wie es uns scheint, aber im Ganzen der Schöpfung zu jedem andern die Grundlage. Ihn also vollführt sie ganz und wirkt um so unablässiger auf denselben, je weniger sie in andere Zwecke verteilt ist. Wo sie kann, ist sie im ganzen Keim da und treibt neue Schößlinge und Knospen; ein Zweig vom Baume stellt den ganzen Baum dar. Wir rufen also sogleich einen der vorigen Sätze hier zu Hülfe und haben das Recht, nach aller Analogie der Natur zu sagen: Wo Wirkung ist, muß Kraft, wo neues Leben ist, muß ein Principium des neuen Lebens sein, und in jedem pflanzenartigen Geschöpf muß dieses sieh in der größesten Wirksamkeit finden. Die Theorie der Keime, die man zur Erklärung der Vegetation angenommen hat, erklärt eigentlich nichts; denn der Keim ist schon ein Gebilde, und wo dieses ist, muß eine organische Kraft sein, die es bildet. Im ersten Samenkorn der Schöpfung hat kein Zergliederer alle künftige Keime entdeckt; sie werden uns nicht eher sichtbar, als bis die Pflanze zu ihrer eignen völligen Kraft gelangt ist, und wir haben durch alle Erfahrungen kein Recht, sie etwas anderm als der organischen Kraft der Pflanze selbst zuzuschreiben, die auf sie mit stiller Intensität wirkt. Die Natur gewährte diesem Geschöpf, was sie ihm gewähren konnte, und erstattete das Vielfache, das sie ihm entziehen mußte, durch die Innigkeit der einen Kraft, die in ihm wirkt. Was sollte die Pflanze mit Kräften der Tierbewegung, da sie nicht von ihrer Stelle kann? Warum sollte sie andere Pflanzen um sich her erkennen können, da dies Erkenntnis ihr Qual wäre? Aber die Luft, das Licht, ihren Saft der Nahrung zieht sie an und genießt sie pflanzenartig; den Trieb zu wachsen, zu blühen und sich fortzupflanzen übt sie so treu und unablässig, als ihn kein anderes Geschöpf übt.

2. Der Übergang von der Pflanze zu den vielen bisher entdeckten Pflanzentieren stellt dies noch deutlicher dar. Die Nahrungsteile sind bei ihnen schon gesondert; sie haben ein Analogon tierischer Sinne und willkürlicher Bewegung; ihre vornehmste organische Kraft ist indessen noch Nahrung und Fortpflanzung. Der Polyp ist kein Magazin von Keimen, die in ihm, etwa für das grausame Messer des Philosophen, präformiert lägen, sondern wie die Pflanze selbst organisches Leben war, ist auch er organisches Leben. Er schießt Abschößlinge wie sie, und das Messer des Zergliederers kann diese Kräfte nur wecken, nur reizen. Wie ein gereizter oder zerschnittener Muskel mehr Kraft äußert, so äußert ein gequälter Polyp alles, was er kann, um sich zu erstatten und zu ergänzen. Er treibt Glieder, solange seine Kraft es vermag und das Werkzeug der Kunst seine Natur nur nicht ganz zerstörte. An einigen Teilen, in einigen Richtungen, wenn die Teile zu klein, wenn seine Kräfte zu matt werden, kann er's nicht mehr; welches alles nicht stattfände, wenn in jedem Punkt der präformierte Keim bereitläge. Mächtige organische Kräfte sind's, die wir in ihm wie im Triebwerk der Gewächse, ja noch tiefer hinab in schwächern, dunklern Anfängen wirken sehen.

3. Die Schalentiere sind organische Geschöpfe voll so viel Lebens, als sich in diesem Elemente, in diesem Gehäuse nur sammlen und organisieren konnte. Wir müssen es Gefühl nennen, weil wir kein anderes Wort haben; es ist aber Schnecken- oder Meeresgefühl, ein Chaos der dunkelsten Lebenskräfte, unentwickelt bis auf wenige Glieder. Siehe die feinen Fühlhörner, den Muskel, der den Sehnerven vertritt, den offnen Mund, den Anfang des schlagenden Herzens und, welch ein Wunder! die sonderbaren Reproduktionskräfte. Das Tier erstattet sich Kopf, Hörner, Kinnlade, Augen; es baut nicht nur seine künstliche Schale und reibt sie ab, sondern erzeugt auch lebendige Wesen mit eben der künstlichen Schale, und manche Geschlechter sind zugleich Mann und Weib. In ihm liegt also eine Welt von organischen Kräften, vermöge deren das Geschöpf auf seiner Stufe vermag, was keins von ausgewickelten Gliedern vermochte, und in denen das zähe Schleimgebilde um so inniger und unablässiger wirkt.

4. Das Insekt, ein so kunstreiches Geschöpf in seinen Wirkungen, ist gerade so kunstreich in seinem Bau: seine organische Kräfte sind demselben, sogar einzelnen Teilen nach, gleichförmig. Noch fand sich an ihm zu wenigem Gehirn und nur zu äußerst feinen Nerven Raum; seine Muskeln sind noch so zart, daß harte Decken sie von außen bepanzern müssen, und zum Kreislauf der größern Landtiere war in seiner Organisation keine Stelle. Seht aber seinen Kopf, seine Augen, seine Fühlhörner, seine Füße, seine Schilde, seine Flügel; bemerkt die ungeheuren Lasten, die ein Käfer, eine Fliege, eine Ameise trägt, die Macht, die eine erzürnte Wespe beweist; seht die fünftausend Muskeln, die Lyonnet in der Weidenraupe gezählt hat, da der mächtige Mensch deren kaum fünftehalbhundert besitzt; betrachtet endlich die Kunstwerke, die sie mit ihren Sinnen und Gliedern vornehmen, und schließet auf eine organische Fülle von Kräften, die in jedem ihrer Teile einwohnend wirken. Wer kann den ausgerissenen zitternden Fuß einer Spinne, einer Fliege sehen, ohne wahrzunehmen, wieviel Kraft des lebendigen Reizes in ihm sei, auch abgetrennt von seinem Körper? Der Kopf des Tiers war noch zu klein, um alle Lebensereize in sich zu versammeln; die reiche Natur verbreitete diese also in alle, auch die feinsten Glieder. Seine Fühlhörner sind Sinne, seine feinen Füße Muskeln und Arme, jeder Nervenknote ein kleineres Gehirn, jede reizbare Faser beinahe ein schlagendes Herz: und so konnten die feinen Kunstwerke vollbracht werden, zu denen manche dieser Gattungen ganz gebaut sind und zu welchen sie Organisation und Bedürfnis treibt. Welche feine Elastizität hat der Faden einer Spinne, einer Seidenraupe! Und die Künstlerin zog ihn aus sich selbst, zum offenbaren Erweise, daß sie selbst ganz Elastizität und Reiz, also auch in ihren Trieben und Kunstwerken eine wahre Künstlerin sei, eine in dieser Organisation wirkende kleine Weltseele.

5. Bei den Tieren von kaltem Blut ist noch dieselbe Übermacht des Reizes sichtbar. Lange und heftig regt sich die Schildkröte noch, nachdem sie ihr Haupt verloren; der abgerissene Kopf einer Natter biß nach 3, 8, 12 Tagen tödlich. Der zusammengezogne Kinnbacken eines toten Krokodils konnte einem Unvorsichtigen den Finger abbeißen; so wie unter den Insekten der ausgerissene Stachel einer Biene zu stechen strebt. - Siehe den Frosch in seiner Begattung; Füße und Glieder können ihm abgerissen werden, ehe er von seinem Gegenstande abläßt. Siehe den gequälten Salamander; Hände, Finger, Füße, Schenkel kann er verlieren, und er erstattet sie sich wieder. So groß und, wenn ich sagen darf, so allgnugsam sind die organischen Lebenskräfte in diesen Tieren von kaltem Blut; und kurz, je roher ein Geschöpf ist, d. i. je minder die organische Macht seiner Reize und Muskeln zu feinen Nervenkräften hinaufgeläutert und einem größern Gehirn untergeordnet worden, desto mehr zeigen sie sich in einer verbreiteten, das Leben haltenden oder erstattenden organischen Allmacht.

6. Selbst bei Tieren von wärmerem Blut hat man bemerkt, daß in Verbindung mit den Nerven ihr Fleisch sich träger bewege und ihr Eingeweide dagegen heftigere Wirkungen des Reizes zeige, wenn das Tier tot ist. Im Tode werden die Zuckungen stärker in dem Maß, als die Empfindung abnimmt, und ein Muskel, der seine Reizbarkeit bereits verloren, erlangt solche wieder, wenn man ihn in Stücke zerschneidet. Je nervenreicher also das Geschöpf ist, desto mehr scheint's von der zähen Lebenskraft zu verlieren, die nur mit Mühe abstirbt. Die Reproduktionskräfte einzelner, geschweige so vielartiger Glieder, als Haupt, Hände, Füße sind, verlieren sich bei den sogenannten vollkommenern Geschöpfen; kaum daß sich bei ihnen in gewissen Jahren noch ein Zahn ersetzt oder ein Beinbruch und eine Wunde ergänzt. Dagegen steigen die Empfindungen und Vorstellungen in diesen Klassen so merklich, bis sie sich endlich im Menschen auf die für eine Erdorganisation feineste und höchste Weise zur Vernunft sammlen.

 


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