b. Die Harmonie

 

ββ) Indem nun, wie wir bereits sahen, diese Verhältnisse nicht zufällig gewählt sein dürfen, sondern eine innere Notwendigkeit für ihre besonderen Seiten wie für deren Totalität enthalten müssen, so können die einzelnen Intervalle, welche sich nach solchen Zahlenverhältnissen bestimmen lassen, nicht in ihrer Gleichgültigkeit gegeneinander stehenbleiben, sondern haben sich als eine Totalität zusammenzuschließen. Das erste Tonganze, das hieraus entsteht, ist nun aber noch kein konkreter Zusammenklang unterschiedener Töne, sondern ein ganz abstraktes Aufeinanderfolgen eines Systems, eine Aufeinanderfolge der Töne nach ihrem einfachsten Verhältnisse zueinander und zu der Stellung innerhalb ihrer Totalität. Dies gibt die einfache Reihe der Töne, die Tonleiter. Die Grundbestimmung derselben ist die Tonika, die sich in ihrer Oktav wiederholt und nun die übrigen sechs Töne innerhalb dieser doppelten Grenze ausbreitet, welche dadurch, daß der Grundton in seiner Oktav unmittelbar mit sich zusammenstimmt, zu sich selbst zurückkehrt. Die anderen Töne der Skala stimmen zum Grundton teils selbst wieder unmittelbar, wie Terz und Quinte, oder haben gegen denselben eine wesentlichere Unterschiedenheit des Klangs, wie die Sekunde und Septime, und ordnen sich nun zu einer spezifischen Aufeinanderfolge, deren Bestimmtheit ich jedoch hier nicht weitläufiger erörtern will.

γγ) Aus dieser Tonleiter drittens gehen die Tonarten hervor. Jeder Ton der Skala nämlich kann selbst wieder zum Grundton einer neuen, besonderen Tonreihe gemacht werden, welche sich nach demselben Gesetz wie die erste ordnet. Mit der Entwicklung der Skala zu einem größeren Reichtum von Tönen hat sich deshalb auch die Anzahl der Tonarten vermehrt; wie z. B. die moderne Musik sich in mannigfaltigeren Tonarten bewegt als die Musik der Alten. Da nun ferner die verschiedenen Töne der Tonleiter überhaupt, wie wir sahen, im Verhältnis eines unmittelbareren Zueinanderstimmens, oder eines wesentlicheren Abweichens und Unterschiedes voneinander stehen, so werden auch die Reihen, welche aus diesen Tönen als Grundtönen entspringen, entweder ein näheres Verhältnis der Verwandtschaft zeigen und deshalb unmittelbar ein Übergehen von der einen in die andere gestatten oder solch einen unvermittelten Fortgang ihrer Fremdheit wegen verweigern. Außerdem aber treten die Tonarten zu dem Unterschiede der Härte und Weiche, der Dur- und Molltonart, auseinander und haben endlich durch den Grundton, aus dem sie hervorgehen, einen bestimmten Charakter, welcher seinerseits wieder einer besonderen Weise der Empfindung, der Klage, Freude, Trauer, ermutigenden Aufregung usf. entspricht. In diesem Sinne haben die Alten bereits viel von dem Unterschiede der Tonarten abgehandelt und denselben zu einem mannigfachen Gebrauche ausgebildet.

γ) Der dritte Hauptpunkt, mit dessen Betrachtung wir unsere kurzen Andeutungen über die Lehre von der Harmonie schließen können, betrifft das Zusammenklingen der Töne selbst, das System der Akkorde.

αα) Wir haben bisher zwar gesehen, daß die Intervalle ein Ganzes bilden; diese Totalität jedoch breitete sich zunächst in den Skalen und Tonarten nur zu bloßen Reihen auseinander, in deren Aufeinanderfolge jeder Ton für sich einzeln hervortrat. Dadurch blieb das Tönen noch abstrakt, da sich nur immer eine besondere Bestimmtheit hervortat. Insofern aber die Töne nur durch ihr Verhältnis zueinander in der Tat sind, was sie sind, so wird das Tönen auch als dieses konkrete Tönen selbst Existenz gewinnen müssen, d. h. verschiedene Töne haben sich zu ein und demselben Tönen zusammenzuschließen. Dieses Miteinanderklingen, bei welchem es jedoch auf die Anzahl der sich einigenden Töne nicht wesentlich ankommt, so daß schon zwei eine solche Einheit bilden können, macht den Begriff des Akkordes aus. Wenn nun bereits die einzelnen Töne in ihrer Bestimmtheit nicht dürfen dem Zufall und der Willkür überlassen bleiben, sondern durch eine innere Gesetzmäßigkeit geregelt und in ihrer Aufeinanderfolge geordnet sein müssen, so wird die gleiche Gesetzmäßigkeit auch für die Akkorde einzutreten haben, um zu bestimmen, welche Art von Zusammenstellungen dem musikalischen Gebrauche zuzugestehen, welche hingegen von demselben auszuschließen ist. Diese Gesetze erst geben die Lehre von der Harmonie im eigentlichen Sinne, nach welcher sich auch die Akkorde wieder zu einem in sich selbst notwendigen System auseinanderlegen.

ββ) In diesem Systeme nun gehen die Akkorde zur Besonderheit und Unterschiedenheit voneinander fort, da es immer bestimmte Töne sind, die zusammenklingen. Wir haben es deshalb sogleich mit einer Totalität besonderer Akkorde zu tun. Was die allgemeinste Einteilung derselben betrifft, so machen sich hier die näheren Bestimmungen von neuem geltend, die ich schon bei den Intervallen, den Tonleitern, und Tonarten flüchtig berührt habe.

Eine erstehrt nämlich von Akkorden sind diejenigen, zu denen Töne zusammentreten, welche unmittelbar zueinander stimmen. In diesem Tönen tut sich daher kein Gegensatz, kein Widerspruch auf, und die vollständige Konsonanz bleibt ungestört. Dies ist bei den sogenannten konsonierenden Akkorden der Fall, deren Grundlage der Dreiklang abgibt. Bekanntlich besteht derselbe aus dem Grundton, der Terz oder Mediante und der Quinte oder Dominante. Hierin ist der Begriff der Harmonie in ihrer einfachsten Form, ja die Natur des Begriffs überhaupt ausgedrückt. Denn wir haben eine Totalität unterschiedener Töne vor uns, welche diesen Unterschied ebensosehr als ungetrübte Einheit zeigen; es ist eine unmittelbare Identität, der es aber nicht an Besonderung und Vermittlung fehlt, während die Vermittlung zugleich nicht bei der Selbständigkeit der unterschiedenen Töne stehenbleibt und sich mit dem bloßen Herüber und Hinüber eines relativen Verhältnisses begnügen darf, sondern die Einigung wirklich zustande bringt und dadurch zur Unmittelbarkeit in sich zurückkehrt.

Was aber zweitens den verschiedenen Arten von Dreiklängen, welche ich hier nicht näher erörtern kann, noch abgeht, ist das wirkliche Hervortreten einer tieferen Entgegensetzung. Nun haben wir aber bereits früher gesehen, daß die Tonleiter außer jenen gegensatzlos zueinanderstimmenden Tönen auch noch andere enthält, die dieses Zusammenstimmen aufheben. Ein solcher Ton ist die kleine und große Septime. Da diese gleichfalls zur Totalität der Töne gehören, so werden sie sich auch in den Dreiklang Eingang verschaffen müssen. Geschieht dies aber, so ist jene unmittelbare Einheit und Konsonanz zerstört, insofern ein wesentlich anders klingender Ton hinzukommt, durch welchen nun erst wahrhaft ein bestimmter Unterschied, und zwar als Gegensatz, hervortritt. Dies macht die eigentliche Tiefe des Tönens aus, daß es auch zu wesentlichen Gegensätzen fortgeht und die Schärfe und Zerrissenheit derselben nicht scheut. Denn der wahre Begriff ist zwar Einheit in sich; aber nicht nur unmittelbare, sondern wesentlich in sich zerschiedene, zu Gegensätzen zerfallene Einheit. So habe ich z. B. in meiner Logik den Begriff zwar als Subjektivität entwickelt, aber diese Subjektivität als ideelle durchsichtige Einheit hebt sich zu dem ihr Entgegengesetzten, zur Objektivität auf; ja, sie ist als das bloß Ideelle selbst nur eine Einseitigkeit und Besonderheit, die sich ein Anderes, Entgegengesetztes, die Objektivität gegenüber behält und nur wahrhafte Subjektivität ist, wenn sie in diesen Gegensatz eingeht und ihn überwindet und auflöst. So sind es auch in der wirklichen Welt die höheren Naturen, welchen den Schmerz des Gegensatzes in sich zu ertragen und zu besiegen die Macht gegeben ist. Soll nun die Musik sowohl die innere Bedeutung als auch die subjektive Empfindung des tiefsten Gehaltes, des religiösen z. B., und zwar des christlich-religiösen, in welchem die Abgründe des Schmerzes eine Hauptseite bilden, kunstgemäß ausdrücken, so muß sie in ihrem Tonbereich Mittel besitzen, welche den Kampf von Gegensätzen zu schildern befähigt sind. Dies Mittel erhält sie in den dissonierenden sogenannten Septimen- und Nonenakkorden, auf deren bestimmtere Angabe ich mich jedoch nicht näher einlassen kann.

Sehen wir dagegen drittens auf die allgemeine Natur dieser Akkorde, so ist der weitere wichtige Punkt der, daß sie Entgegengesetztes in dieser Form des Gegensatzes selbst in ein und derselben Einheit halten. Daß aber Entgegengesetztes als Entgegengesetztes in Einheit sei, ist schlechthin widersprechend und bestandlos. Gegensätze überhaupt haben ihrem inneren Begriffe nach keinen festen Halt, weder in sich selber noch an ihrer Entgegensetzung. Im Gegenteil, sie gehen an ihrer Entgegensetzung selber zugrunde. Die Harmonie kann deshalb bei dergleichen Akkorden nicht stehenbleiben, die für das Ohr nur einen Widerspruch geben, welcher seine Lösung fordert, um für Ohr und Gemüt eine Befriedigung herbeizuführen. Mit dem Gegensatze insofern ist unmittelbar die Notwendigkeit einer Auflösung von Dissonanzen und ein Rückgang zu Dreiklängen gegeben. Diese Bewegung erst als Rückkehr der Identität zu sich ist überhaupt das Wahrhafte. In der Musik aber ist diese volle Identität selbst nur möglich als ein zeitliches Auseinanderlegen ihrer Momente, welche deshalb zu einem Nacheinander werden, ihre Zusammengehörigkeit jedoch dadurch erweisen, daß sie sich als die notwendige Bewegung eines in sich selbst begründeten Fortgangs zueinander und als ein wesentlicher Verlauf der Veränderung dartun.

γγ) Damit sind wir zu einem dritten Punkte hingelangt, dem wir noch Aufmerksamkeit zu schenken haben. Wenn nämlich schon die Skala eine in sich feste, obgleich zunächst noch abstrakte Reihenfolge von Tönen war, so bleiben nun auch die Akkorde nicht vereinzelt und selbständig, sondern erhalten einen innerlichen Bezug aufeinander und das Bedürfnis der Veränderung und des Fortschritts. In diesen Fortschritt, obschon derselbe eine bedeutendere Breite des Wechsels, als in der Tonleiter möglich ist, erhalten kann, darf sich jedoch wiederum nicht die bloße Willkür einmischen, sondern die Bewegung von Akkord zu Akkord muß teils in der Natur der Akkorde selbst, teils der Tonarten, zu welchen dieselben überführen, beruhen. In dieser Rücksicht hat die Theorie der Musik vielfache Verbote aufgestellt, deren Auseinandersetzung und Begründung uns jedoch in allzu schwierige und weitläufige Erörterungen verwickeln möchte. Ich will es deshalb mit den wenigen allgemeinsten Bemerkungen genug sein lassen.

 


 © textlog.de 2004 • 24.12.2024 19:48:57 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright