C. Die Gattungsunterschiede der Poesie
1. Die beiden Hauptmomente, nach welchen wir bisher die Dichtkunst betrachtet haben, waren auf der einen Seite das Poetische überhaupt in betreff auf Anschauungsweise, Organisation des poetischen Kunstwerks und dichtende subjektive Tätigkeit; auf der anderen Seite der poetische Ausdruck sowohl rücksichtlich der Vorstellungen, die in Worte gefaßt werden sollen, als auch des sprachlichen Ausdrucks selbst und der Versifikation.
Was wir in dieser Hinsicht vor allem geltend zu machen hatten, bestand darin, daß die Poesie als ihren Inhalt das Geistige ergreifen muß, doch in der künstlerischen Herausarbeitung desselben weder bei der Gestaltbarkeit für die sinnliche Anschauung wie die übrigen bildenden Künste stehenbleiben, noch die bloße Innerlichkeit, die für das Gemüt allein erklingt, noch den Gedanken und die Verhältnisse des reflektierenden Denkens zu ihrer Form machen kann, sondern sich in der Mitte zwischen den Extremen der unmittelbar sinnlichen Anschaulichkeit und der Subjektivität des Empfindens oder Denkens zu halten hat. Dies mittlere Element der Vorstellung gehört deshalb dem einen und anderen Boden an. Vom Denken hat es die Seite der geistigen Allgemeinheit, welche die unmittelbar sinnliche Vereinzelung zu einfacherer Bestimmtheit zusammenfaßt; von der bildenden Kunst bleibt dem Vorstellen das räumliche, gleichgültige Nebeneinander. Denn die Vorstellung unterscheidet sich ihrerseits vom Denken wesentlich dadurch, daß sie nach der Weise der sinnlichen Anschauung, von welcher sie ihren Ausgangspunkt nimmt, die besonderen Vorstellungen verhältnislos nebeneinander bestehen läßt, während das Denken dagegen Abhängigkeit der Bestimmungen voneinander, wechselseitiges Verhältnis, Konsequenz der Urteile, Schlüsse usf. fordert und hereinbringt. Wenn deshalb das poetische Vorstellen in seinen Kunstprodukten eine innere Einheit alles Besonderen nötig macht, so kann diese Einigung dennoch um der Losheit willen, deren sich das Element der Vorstellung überhaupt nicht zu entschlagen vermag, versteckt bleiben und dadurch gerade die Poesie befähigen, einen Inhalt in organisch lebendiger Durchbildung der einzelnen Seiten und Teile mit anscheinender Selbständigkeit derselben darzustellen. Dabei wird es der Poesie möglich, den erwählten Inhalt bald mehr nach der Seite des Gedankens, bald mehr nach der äußerlichen Seite der Erscheinung hinzutreiben und deshalb weder die erhabensten spekulativen Gedanken der Philosophie noch die äußerliche Naturexistenz von sich auszuschließen, wenn nur nicht jene in der Weise des Räsonnements oder der wissenschaftlichen Deduktion dargelegt oder diese in ihrem bedeutungslosen Dasein an uns vorübergeführt werden; indem auch die Dichtung uns eine vollständige Welt zu geben hat, deren substantielles Wesen sich kunstgemäß gerade in seiner äußeren Wirklichkeit menschlicher Handlungen, Ereignisse und Ergüsse der Empfindung am reichhaltigsten auseinanderlegt.
2. Diese Explikation erhält nun aber, wie wir sahen, ihre sinnliche Existenz nicht in Holz, Stein und Farbe, sondern allein in der Sprache, deren Versifikation, Betonung usf. gleichsam die Gebärden der Rede werden, durch welche der geistige Gehalt ein äußerliches Dasein gewinnt. Fragen wir nun, wo wir sozusagen das materielle Bestehen dieser Äußerungsweise zu suchen haben, so ist das Sprechen nicht wie ein Werk der bildenden Kunst für sich, unabhängig von dem künstlerischen Subjekte, da, sondern der lebendige Mensch selber, das sprechende Individuum allein ist der Träger für die sinnliche Gegenwart und Wirklichkeit eines dichterische Produkts. Die Werke der Poesie müssen gesprochen, gesungen, vorgetragen, durch lebendige Subjekte selber dargestellt werden wie die Werke der Musik. Wir sind zwar gewohnt, epische und lyrische Gedichte zu lesen und nur dramatisch gesprochen zu hören und von Gebärden begleitet zu sehen; aber die Poesie ist ihrem Begriffe nach wesentlich tönend, und dies Erklingen darf ihr, wenn sie vollständig als Kunst heraustreten soll, um so weniger fehlen, als es ihre einzig Seite ist, nach welcher sie mit der äußeren Existenz in realen Zusammenhang kommt. Denn gedruckte oder geschrieben Buchstaben sind freilich auch noch äußerlich vorhanden, jedoch nur gleichgültige Zeichen für Laute und Wörter. Sahen wir nun zwar die Wörter schon früher gleichfalls als bloße Bezeichnungsmittel der Vorstellungen an, so gestaltet doch die Poesie wenigstens das zeitliche Element und den Klang dieser Zeichen und erhebt sie dadurch zu einem von der geistigen Lebendigkeit dessen, wofür sie die Zeichen sind, durchdrungenen Material, während der Druck auch diese Beseelung in eine für sich genommen ganz gleichgültige, mit dem geistigen Gehalt nicht mehr zusammenhängende Sichtbarkeit fürs Auge umsetzt und die Verwandlung des Gesehenen in das Element der zeitlichen Dauer und des Klingens unserer Gewohnheit überläßt, statt uns das tönende Wort und sein zeitliches Dasein wirklich zu geben. Wenn wir uns deshalb mit dem bloßen Lesen begnügen, so geschieht dies teils um der Geläufigkeit willen, mit welcher wir das Gelesene uns als gesprochen vorstellen, teils aus dem Grunde, daß die Poesie allein unter allen Künsten schon im Elemente des Geistes ihren wesentlichsten Seiten nach fertig ist und die Hauptsache weder durch die sinnliche Anschauung noch das Hören zum Bewußtsein bringt. Doch gerade dieser Geistigkeit wegen muß sie als Kunst nicht ganz die Seite ihrer wirklichen Äußerung von sich abstreifen, wenn sie nicht zu einer ähnlichen Unvollständigkeit kommen will, in welcher z. B. eine bloße Zeichnung die Gemälde großer Koloristen ersetzen soll.
3. Als Totalität der Kunst nun, die durch keine Einseitigkeit ihres Materials mehr auf eine besondere Art der Ausführung ausschließlicher angewiesen ist, macht die Dichtkunst die unterschiedenen Weisen der Kunstproduktion überhaupt zu ihrer bestimmten Form und hat deshalb den Einteilungsgrund für die Gliederung der Dichtarten nur aus dem allgemeinen Begriffe des künstlerischen Darstellens zu entnehmen.
A. In dieser Rücksicht ist es erster/seinerseits die Form der äußeren Realität, in welcher die Poesie die entwickelte Totalität der geistigen Welt vor der inneren Vorstellung vorüberführt und dadurch das Prinzip der bildenden Kunst in sich wiederholt, welche die gegenständliche Sache selber anschaubar macht. Diese Skulpturbilder der Vorstellung entfaltet die Poesie andererseits als durch das Handeln der Menschen und Götter bestimmt, so daß alles, was geschieht, teils aus sittlich selbständigen göttlichen oder menschlichen Mächten hervorgeht, teils durch äußere Hemmungen eine Reaktion erfährt und in seiner äußeren Erscheinungsweise zu einer Begebenheit wird, in welcher die Sache frei für sich fortgeht und der Dichter zurücktritt. Solche Begebnisse auszu-runden ist die Aufgabe der epischen Poesie, insofern sie eine in sich totale Handlung sowie die Charaktere, aus denen dieselbe in substantieller Würdigkeit oder in abenteuerlicher Verschlingung mit äußeren Zufällen entspringt, in Form des breiten Sichbegebens poetisch berichtet und damit das Objektive selbst in seiner Objektivität herausstellt. - Diese für die geistige Anschauung und Empfindung vergegenständlichte Welt trägt nun nicht der Sänger in der Weise vor, daß sie sich als seine eigene Vorstellung und lebendige Leidenschaft ankündigen könnte, sondern der Absänger, der Rhapsode, sagt sie mechanisch, auswendig in einem Silbenmaße her, welches ebenso gleichförmig, dem Mechanischen mehr sich nähernd, für sich ruhig hinströmen und fortrollend ist. Denn was er erzählt, soll als eine dem Inhalte wie der Darstellung nach von ihm als Subjekt entfernte und für sich abgeschlossene Wirklichkeit erscheinen, mit welcher er weder in bezug auf die Sache selbst noch in Rücksicht des Vertrags in eine vollständig subjektive Einigung getreten sein darf.
B. Die andere umgekehrte Seite zweitens zur epischen Poesie bildet die Lyrik. Ihr Inhalt ist das Subjektive, die inne Welt, das betrachtende, empfindende Gemüt, das, statt zu Handlungen fortzugehen, vielmehr bei sich als Innerlichkeit stehenbleibt und sich deshalb auch das Sichaussprechen des Subjekts zur einzigen Form und zum letzten Ziel nehmen kann. Hier ist es also keine substantielle Totalität, die sich als äußeres Geschehen entwickelt; sondern die vereinzelte Anschauung, Empfindung und Betrachtung der insichgehenden Subjektivität teilt auch das Substantiellste und Sachlichste selbst als das Ihrige, als ihre Leidenschaft, Stimmung oder Reflexion und als gegenwärtiges Erzeugnis derselben mit. Diese Erfüllung und innerliche Bewegung nun darf in ihrem äußeren Vortrag kein so mechanisches Sprechen sein, wie es für das epische Rezitieren genügt und zu fordern ist. Im Gegenteil, der Sänger muß die Vorstellungen und Betrachtungen des lyrischen Kunstwerks als eine subjektive Erfüllung seiner selbst, als etwas eigen Empfundenes kundgeben. Und da es die Innerlichkeit ist, welche den Vortrag beseelen soll, so wird der Ausdruck derselben sich vornehmlich nach der musikalischen Seite hinwenden und eine vielseitige Modulation der Stimme, Gesang, Begleitung von Instrumenten und dergleichen mehr teils erlauben, teils notwendig machen.
C. Die dritte Darstellungsweise endlich verknüpft die beiden früheren zu einer neuen Totalität, in welcher wir ebensosehr eine objektive Entfaltung als auch deren Ursprung aus dem Inneren von Individuen vor uns sehen, so daß sich das Objektive somit als dem Subjekt angehörig darstellt, umgekehrt jedoch das Subjektive einerseits in seinem Übergange zur realen Äußerung, andererseits in dem Lose zur Anschauung gebracht ist, das die Leidenschaft als notwendiges Resultat ihres eigenen Tuns herbeiführt. Hier wird also wie im Epischen eine Handlung in ihrem Kampfe und Ausgang vor uns hingebreitet, geistige Mächte sprechen sich aus und bestreiten sich, Zufälle treten verwickelnd ein, und das menschliche Wirken verhält sich zum Wirken eines alles bestimmenden Fatums oder einer leitenden, weltregierenden Vorsehung; die Handlung geht aber nicht in der nur äußeren Form ihres realen Geschehens als ein vergangenes, durch bloße Erzählung verlebendigtes Begebnis an unserem inneren Auge vorüber; sondern wir sehen sie gegenwärtig aus dem besonderen Willen, aus der Sittlichkeit oder Unsittlichkeit der individuellen Charaktere hervortreten, die dadurch in lyrischem Prinzipe zum Mittelpunkt werden. Zugleich aber exponieren sich die Individuen nicht nur ihrem Inneren als solchem nach, sondern erscheinen in der Durchführung ihrer zu Zwecken vorschreitenden Leidenschaft und messen dadurch, nach Art der das Substantielle in seiner Gediegenheit heraushebenden epischen Poesie, den Wert jener Leidenschaften und Zwecke an den objektiven Verhältnissen und vernünftigen Gesetzen der konkreten Wirklichkeit, um nach Maßgabe dieses Wertes und der Umstände, unter denen das Individuum sich durchzusetzen entschlossen bleibt, ihr Schicksal dahinzunehmen. Diese Objektivität, die aus dem Subjekte herkommt, sowie dies Subjektive, das in seiner Realisation und objektiven Gültigkeit zur Darstellung gelangt, ist der Geist in seiner Totalität und gibt als Handlung die Form und den Inhalt der dramatischen Poesie ab. - Indem nun dieses konkrete Ganze in sich selbst ebenso subjektiv ist, als es sich auch in seiner äußeren Realität zur Erscheinung bringt, so wird hier in betreff auf das wirkliche Darstellen, außer dem malerischen Sichtbarmachen des Lokals usf., für das eigentlich Poetische die ganze Person des Vortragenden in Anspruch genommen, so daß der lebendige Mensch selbst das Material der Äußerung ist. Denn einerseits soll im Drama der Charakter, was er in seinem Inneren trägt, als das Seinige wie in der Lyrik*) aussprechen; andererseits aber gibt er sich wirksam in seinem wirklichen Dasein als ganzes Subjekt gegen andere kund und ist dabei tätig nach außen, wodurch sich unmittelbar die Gebärde anschließt, die ebensogut als das Sprechen eine Sprache des Inneren ist und eine künstlerische Behandlung verlangt. Schon der lyrischen Poesie liegt es nahe, die verschiedenen Empfindungen an unterschiedene Sänger zu verteilen und sich zu Szenen auseinanderzubreiten. Im Dramatischen nun geht die subjektive Empfindung zugleich zur Äußerung der Handlung heraus und macht deshalb die sinnliche Anschaubarkeit des Gebärdenspiels nötig, welches die Allgemeinheit des Wortes näher zur Persönlichkeit des Ausdrucks zusammenzieht und durch Stellung, Mienen, Gestikulation usf. bestimmter individualisiert und vervollständigt. Wird nun die Gebärde künstlerisch bis zu dem Grade des Ausdrucks weitergeführt, daß sie der Sprache entbehren kann, so entsteht die Pantomime, welche sodann die rhythmische Bewegung der Poesie zu einer rhythmischen und malerischen Bewegung der Glieder werden läßt und in dieser plastischen Musik der Körperstellung und Bewegung das ruhende kalte Skulpturwerk seelenvoll zum Tanze belebt, um in dieser Weise Musik und Plastik in sich zu vereinigen.
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*) In der 2. Auflage: »Logik«. Offensichtlich ein Druckfehler.
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