3. Die Entwicklungsgeschichte der epischen Poesie
Blicken wir auf die Art und Weise zurück, in welcher wir die übrigen Künste betrachtet haben, so faßten wir die verschiedenen Stufen des bauenden Kunstgeistes von Hause aus in ihrer historischen Entwicklung der symbolischen, klassischen und romantischen Architektur auf. Für die Skulptur dagegen stellten wir die mit dem Begriff dieser klassischen Kunst schlechthin zusammenfallende griechische Skulptur als den eigentlichen Mittelpunkt hin, aus welchem wir die besonderen Bestimmungen entwickelten, so daß wir der spezielleren historischen Betrachtung nur eine geringe Ausdehnung zu geben nötig hatten. Der ähnliche Fall trat in Ansehung ihres romantischen Kunstcharakters für die Malerei ein, welche sich jedoch dem Begriffe ihres Inhaltes und dessen Darstellungsform nach zu einer gleichmäßig wichtigen Entwicklung unterschiedener Völker und Schulen auseinanderbreitet, so daß hier reichhaltigere historische Bemerkungen notwendig wurden. Dieselbe Forderung hätte sich dann auch bei der Musik geltend machen lassen; da mir jedoch für die Geschichte dieser Kunst ebensosehr brauchbare fremde Vorarbeiten als eine genauere eigene Bekanntschaft abgingen, so blieb mir nichts übrig, als einzelne historische Andeutungen gelegentlich einzuschalten. Was nun unseren jetzigen Gegenstand, die epische Poesie, betrifft, so geht es damit ungefähr wie mit der Skulptur. Die Darstellungsweise dieser Kunst verzweigt sich zwar zu allerlei Arten und Nebenarten und dehnt sich über viele Zeiten und Völker aus; in ihrer vollständigen Gestalt jedoch haben wir sie als das eigentliche Epos kennenlernen und die kunstgemäßeste Wirklichkeit dieser Gattung bei den Griechen gefunden. Denn das Epos hat überhaupt mit der Plastik der Skulptur und deren Objektivität, im Sinne sowohl des substantiellen Gehalts als auch der Darstellung in Form realer Erscheinung, die meiste innere Verwandtschaft, so daß wir es nicht als zufällig ansehen dürfen, daß auch die epische Poesie wie die Skulptur bei den Griechen gerade in dieser ursprünglichen, nicht übertroffenen Vollendung hervorgetreten ist. Diesseits und jenseits nun aber dieses Kulminationspunktes liegen noch Entwicklungsstufen, welche nicht etwa untergeordneter und geringer Art, sondern für das Epos notwendig sind, da der Kreis der Poesie alle Nationen in sich einschließt und das Epos gerade den substantiellen Kern des Volksgehaltes zur Anschauung bringt, so daß hier die weltgeschichtliche Entwicklung von größerer Wichtigkeit wird als in der Skulptur.
Wir können deshalb für die Gesamtheit der epischen Dichtkunst und näher der Epopöe wesentlich die drei Hauptstufen unterscheiden, welche überhaupt den Entwicklungsgang der Kunst ausmachen: erstens nämlich das orientalische Epos, das den symbolischen Typus zu seinem Mittelpunkte hat; zweitens das klassische Epos der Griechen und dessen Nachbildung bei den Römern; drittens endlich die reichhaltige und vielseitige Entfaltung der epischromantischen Poesie innerhalb der christlichen Völker, welche zunächst jedoch in ihrem germanischen Heidentum auftreten, während von der anderen Seite her, außerhalb der eigentlich mittelalterlichen Rittergedichte, das Altertum wieder in einem anderen Kreise teils als allgemeines Bildungsmittel zur Reinigung des Geschmacks und der Darstellung, teils direkter als Vorbild benutzt wird, bis sich zuletzt der Roman an die Stelle des eigentlichen Epos setzt.
Gehen wir nun zur Erwähnung der einzelnen epischen Kunstwerke über, so kann ich jedoch hier nur das Wichtigste herausheben und überhaupt dieser ganzen Betrachtung nur den Raum und den Wert eines flüchtig skizzierenden Überblicks geben wollen.
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