II. Die lyrische Poesie
Die poetische Phantasie als dichterische Tätigkeit stellt uns nicht wie die Plastik die Sache selbst in ihrer, wenn auch durch die Kunst hervorgebrachten, äußeren Realität vor Augen, sondern gibt nur eine innerliche Anschauung und Empfindung derselben. Schon nach selten dieser allgemeinen Produktionsweise ist es die Subjektivität des geistigen Schaffens und Bildens, welche sich selbst in der veranschaulichendsten Darstellung den bildenden Künsten gegenüber als das hervorstechende Element erweist. Wenn nun die epische Poesie ihren Gegenstand entweder in seiner substantiellen Allgemeinheit oder in skulpturmäßiger und malerischer Art als lebendige Erscheinung an unser anschauendes Vorstellen bringt, so verschwindet, auf der Höhe dieser Kunst wenigstens, das vorstellende und empfindende Subjekt in seiner dichtenden Tätigkeit gegen die Objektivität dessen, was es aus sich heraussetzt. Dieser Entäußerung seiner kann sich jenes Element der Subjektivität vollständig nur dadurch entheben, daß es nun einerseits die gesamte Welt der Gegenstände und Verhältnisse in sich hineinnimmt und vom Innern des einzelnen Bewußtseins durchdringen läßt, andererseits das in sich konzentrierte Gemüt aufschließt, Ohr und Auge öffnet, die bloße dumpfe Empfindung zur Anschauung und Vorstellung erhebt und diesem erfüllten Innern, um sich als Innerlichkeit auszudrücken, Worte und Sprache leiht. Je mehr nun diese Weise der Mitteilung aus der Sachlichkeit der epischen Kunst ausgeschlossen bleibt, um desto mehr, und gerade dieses Ausschließens wegen, hat sich die subjektive Form der Poesie unabhängig vom Epos in einem eigenen Kreise für sich auszugestalten. Aus der Objektivität des Gegenstandes steigt der Geist in sich selber nieder, schaut in das eigene Bewußtsein und gibt dem Bedürfnisse Befriedigung, statt der äußeren Realität der Sache die Gegenwart und Wirklichkeit derselben im subjektiven Gemüt, in der Erfahrung des Herzens und Reflexion der Vorstellung und damit den Gehalt und die Tätigkeit des innerlichen Lebens selber darstellig zu machen. Indem nun aber dies Aussprechen, um nicht der zufällige Ausdruck des Subjektes als solchen seinem unmittelbaren Empfinden und Vorstellen nach zu bleiben, zur Sprache des poetischen Inneren wird, so müssen die Anschauungen und Empfindungen, wie sehr sie auch dem Dichter als einzelnem Individuum eigentümlich angehören und er sie als die seinigen schildert, dennoch eine allgemeine Gültigkeit enthalten, d. h. sie müssen in sich selbst wahrhafte Empfindungen und Betrachtungen sein, für welche die Poesie nun auch den gemäßen Ausdruck lebendig erfindet und trifft. Wenn daher sonst schon Schmerz und Lust, in Worte gefaßt, beschrieben, ausgesprochen, das Herz erleichtern können, so vermag zwar der poetische Erguß den gleichen Dienst zu leisten, doch er beschränkt sich nicht auf den Gebrauch dieses Hausmittels; ja, er hat im Gegenteil einen höheren Beruf: die Aufgabe nämlich, den Geist nicht von der Empfindung, sondern in derselben zu befreien. Das blinde Walten der Leidenschaft liegt in der bewußtseinslosen dumpfen Einheit derselben mit dem ganzen Gemüt, das nicht aus sich heraus zur Vorstellung und zum Aussprechen seiner gelangen kann. Die Poesie erlöst nun das Herz zwar von dieser Befangenheit, insofern sie dasselbe sich gegenständlich werden läßt, aber sie bleibt nicht bei dem bloßen Hinauswerfen des Inhalts aus seiner unmittelbaren Einigung mit dem Subjekte stehen, sondern macht daraus ein von jeder Zufälligkeit der Stimmungen gereinigtes Objekt, in welchem das befreite Innere zugleich in befriedigtem Selbstbewußtsein frei zu sich zurückkehrt und bei sich selber ist. Umgekehrt jedoch darf dies erste Objektivieren nicht so weit fortschreiten, daß es die Subjektivität des Gemüts und der Leidenschaft als in praktischer Tätigkeit und Handlung, d. h. in der Rückkehr des Subjekts zu sich in seiner wirklichen Tat darstellt. Denn die nächste Realität des Inneren ist noch die Innerlichkeit selber, so daß jenes Herausgehen aus sich nur den Sinn der Befreiung von der unmittelbaren, ebenso stummen als vorstellungslosen Konzentration des Herzens hat, das sich zum Aussprechen seiner selber aufschließt und deshalb das vorher nur Empfundene in Form selbstbewußter Anschauungen und Vorstellungen faßt und äußert. - Hiermit ist im wesentlichen die Sphäre und Aufgabe der lyrischen Poesie in ihrem Unterschiede von der epischen und dramatischen festgestellt.
Was nun, um sogleich an die nähere Betrachtung heranzutreten, die Einteilung dieses neuen Gebiets betrifft, so können wir hier demselben Gange folgen, den ich für die epische Dichtkunst vorgezeichnet hatte.
Erstens also fragt es sich nach dem allgemeinen Charakter der Lyrik. Zweitens müssen wir uns nach den besonderen Bestimmungen umsehen, welche in Rücksicht auf den lyrischen Dichter, das lyrische Kunstwerk und die Arten desselben in Betracht zu ziehen sind, und drittens mit einigen Bemerkungen über die historische Entwicklung dieser Gattung der Poesie schließen.
Im ganzen jedoch will ich mich hier aus einem doppelten Grunde kurz fassen: einerseits, weil wir uns noch für die Erörterung des dramatischen Feldes den nötigen Raum aufzubewahren haben, andererseits, weil ich mich ganz auf die allgemeinen Gesichtspunkte beschränken muß, indem das Detail mehr als beim Epos in die Partikularität und deren unberechenbare Mannigfaltigkeit hineinspielt und in größerer Ausdehnung und Vollständigkeit vornehmlich nur auf historischem Wege könnte abgehandelt werden, was hier nicht unseres Amtes ist.