Erstes Kapitel:
Die Malerei


Der gemäßeste Gegenstand der Skulptur ist das ruhige substantielle Versenktsein des Charakters in sich, dessen geistige Individualität ganz in das leibliche Dasein zu vollständiger Durchdringung herausgeht und das sinnliche Material, das diese Verkörperung des Geistes darstellt, nur nach selten der Gestalt als solcher dem Geiste adäquat macht. Der Punkt der inneren Subjektivität, die Lebendigkeit des Gemüts, die Seele der eigensten Empfindung hat die blicklose Gestalt weder zur Konzentration des Inneren zusammengefaßt, noch zur geistigen Bewegung, zur Unterscheidung vom Äußeren und zur inneren Unterscheidung auseinandergetrieben. Dies ist der Grund, weshalb uns die Skulpturwerke der Alten zum Teil kaltlassen. Wir verweilen nicht lange dabei, oder unser Verweilen wird zu einem mehr gelehrten Studium der feinen Unterschiede der Gestalt und ihrer einzelnen Formen. Man kann es den Menschen nicht übelnehmen, wenn sie für die hohen Skulpturwerke nicht das hohe Interesse zeigen, das dieselben verdienen. Denn wir müssen es erst lernen, sie zu schätzen; sogleich werden wir entweder nicht angezogen, oder der allgemeine Charakter des Ganzen ergibt sich bald, und für das Nähere müssen wir uns dann erst nach dem umsehen, was ein weiteres Interesse gibt. Ein Genuß aber, der erst aus Studium, Nachdenken, gelehrter Kenntnis und vielfachem Beobachten hervorgehen kann, ist nicht der unmittelbare Zweck der Kunst. Und was selbst bei einem auf diesen Umwegen erworbenen Genuß immer noch in den alten Skulpturwerken unbefriedigt bleibt, ist die Forderung, daß ein Charakter sich entwickle, zur Tätigkeit und Handlung nach außen, zur Besonderung und Vertiefung des Inneren übergehe. Einheimischer wird uns deshalb sogleich bei der Malerei. In ihr nämlich bricht sich das Prinzip der endlichen und in sich unendlichen Subjektivität, das Prinzip unseres eigenen Daseins und Lebens, zum erstenmal Bahn, und wir sehen in ihren Gebilden das, was in uns selber wirkt und tätig ist.

Der Gott der Skulptur bleibt der Anschauung als bloßes Objekt gegenüber, in der Malerei dagegen erscheint das Göttliche an sich selber als geistiges lebendiges Subjekt, das in die Gemeinde herübertritt und jedem Einzelnen die Möglichkeit gibt, sich mit ihm in geistige Gemeinschaft und Vermittlung zu setzen. Das Substantielle ist dadurch nicht wie in der Skulptur ein in sich beharrendes, erstarrtes Individuum, sondern in die Gemeinde selbst herübergetragen und besondert.

Dasselbe Prinzip unterscheidet nun auch ebensosehr das Subjekt von seiner eigenen Leiblichkeit und äußeren Umgebung überhaupt, als es auch das Innere mit derselben in Vermittlung bringt. In den Kreis dieser subjektiven Besonderung - als Verselbständigung des Menschen gegen Gott, Natur, innere und äußere Existenz anderer Individuen sowie umgekehrt als innigste Beziehung und festes Verhältnis Gottes zur Gemeinde und des partikularen Menschen zu Gott, Naturumgebung und den unendlich vielfachen Bedürfnissen, Zwecken, Leidenschaften, Handlungen und Tätigkeiten des menschlichen Daseins - fällt die ganze Bewegung und Lebendigkeit, welche die Skulptur sowohl ihrem Inhalt als auch ihren Ausdrucksmitteln nach vermissen läßt, und führt eine unermeßliche Fülle des Stoffs und breite Mannigfaltigkeit der Darstellungsweise, die bisher gefehlt hatte, neu in die Kunst herein. So ist das Prinzip der Subjektivität auf der einen Seite der Grund der Besonderung, auf der anderen aber ebenso das Vermittelnde und Zusammenfassende, so daß die Malerei nun auch das in ein und demselben Kunstwerke vereinigt, was bis jetzt zweien verschiedenen Künsten zufiel: die äußere Umgebung, welche die Architektur künstlerisch behandelte, und die an sich selbst geistige Gestalt, die von der Skulptur erarbeitet wurde. Die Malerei stellt ihre Figuren in eine von ihr selbst in dem gleichen Sinn erfundene äußere Natur oder architektonische Umgebung hinein und weiß dies Äußerliche durch Gemüt und Seele der Auffassung ebensosehr zu einer zugleich subjektiven Abspiegelung zu machen, als sie es mit dem Geist der sich darin bewegenden Gestalten in Verhältnis und Einklang zu setzen versteht.

Dies wäre das Prinzip für das Neue, was die Malerei zu der bisherigen Darstellungsweise der Kunst herzubringt.

Fragen wir jetzt nach dem Gange, den wir uns für die bestimmtere Betrachtung vorzuschreiben haben, so will ich hier folgende Einteilung feststellen:

Erstens müssen wir uns wiederum nach dem allgemeinen Charakter umsehen, den die Malerei ihrem Begriff nach in Rücksicht auf ihren spezifischen Inhalt sowie in betreff auf das mit diesem Gehalt zusammenstimmende Material und die dadurch bedingte künstlerische Behandlung anzunehmen hat.

Zweitens sind sodann die besonderen Bestimmungen zu entwickeln, welche in dem Prinzip des Inhalts und der Darstellung liegen und den entsprechenden Gegenstand der Malerei sowie die Auffassungsweisen, Komposition und das malerische Kolorit fester begrenzen.

Drittens vereinzelt sich durch solche Besonderungen die Malerei zu verschiedenen Schulen, welche, wie in den übrigen Künsten, so auch hier ihre historischen Entwicklungsstufen haben.



Inhalt:


1. Allgemeiner Charakter der Malerei
2. Besondere Bestimmtheit der Malerei
3. Historische Entwicklung der Malerei


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Seite zuletzt aktualisiert: 28.10.2006 
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