3. Die Versifikation


Die dritte Seite endlich der poetischen Ausdrucksweise wird dadurch notwendig, daß sich die dichterische Vorstellung nicht nur in Worte kleidet, sondern zum wirklichen Sprechen fortgeht und damit auch in das sinnliche Element des Klingens der Sprachlaute und Wörter herübertritt. Dies führt uns zu dem Gebiete der Versifikation. Versifizierte Prosa gibt zwar noch keine Poesie, sondern nur Verse, wie der bloß poetische Ausdruck bei sonstiger prosaischer Behandlung nur eine poetische Prosa zuwege bringt; dennoch aber ist Metrum oder Reim als der erste und einzige sinnliche Duft für die Dichtung schlechthin erforderlich, ja notwendiger selbst als eine bilderreiche sogenannte schöne Diktion.

Die kunstvolle Ausbildung dieses sinnlichen Elementes kündigt uns nämlich sogleich, wie es auch die Poesie verlangt, ein anderes Bereich, einen anderen Boden an, den wir erst betreten können, wenn wir die praktische und theoretische Prosa des gemeinen Lebens und Bewußtseins verlassen haben, und nötigt den Dichter, sich außerhalb der Schranken des gewöhnlichen Sprechens zu bewegen und seine Expositionen nur den Gesetzen und Forderungen der Kunst gemäß zu bilden.

Nur eine ganz oberflächliche Theorie hat deshalb die Versifikation aus dem Grunde, daß sie gegen die Natürlichkeit verstoße, verbannen wollen. Lessing zwar, in seiner Opposition gegen das falsche Pathos des französischen Alexandriners, versuchte vornehmlich in die Tragödie die prosaische Redeweise als die passendere einzuführen, und Schiller und Goethe sind ihm in ihren ersten tumultuarischen Werken im Naturdrang eines mehr stoffartigen Dichtens in diesem Prinzipe gefolgt. Lessing selber aber hat sich in seinem Nathan endlich doch dem Jambus wieder zugewendet, Schiller verließ ebenso schon mit dem Don Carlos den bisher betretenen Weg, und auch Goethe genügte die frühere prosaische Behandlung seiner Iphigenie und des Tasso so wenig, daß er sie im Lande der Kunst selbst, sowohl dem Ausdruck als der prosodischen Seite nach, durchweg zu jener reineren Form umschmolz, durch welche diese Werke immer von neuem zur Bewunderung hinreißen.

Allerdings scheint die Künstlichkeit des Versmaßes oder der Reimverschlingungen ein hartes Band der inneren Vorstellungen mit dem Elemente des Sinnlichen zu sein, härter als in der Malerei die Farben. Denn die Außendinge und die menschliche Gestalt sind ihrer Natur nach gefärbt und das Farblose eine erzwungene Abstraktion; die Vorstellung dagegen hat mit den Sprachlauten, die zu bloß willkürlichen Zeichen der Mitteilung gebraucht werden, nur einen sehr weitabliegenden oder gar keinen inneren Zusammenhang, so daß die hartnäckigen Forderungen der prosodischen Gesetze leicht als eine Fessel der Phantasie erscheinen können, durch welche es dem Dichter nicht mehr möglich wird, seine Vorstellungen ganz so mitzuteilen, wie sie ihm innerlich vorschweben. Übt deshalb auch das rhythmische Hinströmen und der melodische Klang des Reims einen unbestreitbaren Zauber aus, so würde es doch zuviel verlangt sein, um dieses sinnlichen Reizes willen oft die besten poetischen Empfindungen und Vorstellungen aufgeopfert zu finden. Doch auch dieser Einwand hält nicht Stich. Einerseits nämlich erweist es sich schon als unwahr, daß die Versifikation nur ein Hemmnis für den freien Erguß sei. Das echte Kunsttalent bewegt sich überhaupt in seinem sinnlichen Material wie in seinem eigentlichsten heimischen Elemente, das ihn, statt hinderlich und drückend zu sein, im Gegenteil hebt und trägt. So sehen wir in der Tat auch alle großen Poeten in dem selbsterschaffenen Zeitmaß, Rhythmus und Reim frei und selbstgewiß einherschreiten, und nur bei Übersetzungen wird das Befolgen der gleichen Metra, Assonanzen usf. häufig ein Zwang und eine künstliche Quälerei. In der freien Poesie aber gibt außerdem die Nötigung, den Ausdruck der Vorstellungen herüber- und hinüberzuwenden, zusammenzuziehen, auszubreiten, dem Dichter ebensosehr neue Gedanken, Einfalle und Erfindungen, welche ihm ohne solch einen Anstoß nicht gekommen wären. Doch auch abgesehen von diesem relativen Vorteil, gehört nun einmal das sinnliche Dasein, in der Poesie das Klingen der Worte, von Hause aus zur Kunst und darf nicht so formlos und unbestimmt bleiben, wie es in der unmittelbaren Zufälligkeit des Sprechens vorhanden ist, sondern muß lebendig gebildet erscheinen und, wenn es auch in der Poesie als äußerliches Mittel bloß mitklingt, doch als Zweck für sie behandelt und dadurch eine in sich harmonisch begrenzte Gestalt werden. Diese Aufmerksamkeit, die dem Sinnlichen geschenkt wird, fügt, wie in aller Kunst, zum Ernste des Inhalts noch eine andere Seite hinzu, durch welche dieser Ernst zugleich auch entfernt, der Dichter und Hörer davon befreit und eben damit in eine Sphäre hinübergehoben wird, welche in erheiternder Anmut darübersteht. In der Malerei und Skulptur nun ist dem Künstler für die Zeichnung und Färbung der menschlichen Glieder, der Felsen, Bäume, Wolken, Blumen die Form als sinnliche und räumliche Begrenzung gegeben; und auch in der Architektur schreiben die Bedürfnisse und Zwecke, für welche gebaut wird, Mauern, Wände, Dächer usf., eine mehr oder weniger bestimmte Norm vor. Ähnliche feste Bestimmungen hat die Musik in den an und für sich notwendigen Grundgesetzen der Harmonie. In der Dichtkunst aber ist das sinnliche Klingen der Wörter in ihrer Zusammenstellung zunächst ungebunden, und der Dichter erhält die Aufgabe, sich diese Regellosigkeit zu einer sinnlichen Umgrenzung zu ordnen und sich damit gleichsam eine Art von festerem Kontur und klingendem Rahmen für seine Konzeptionen und deren Struktur und sinnliche Schönheit hinzuzeichnen.

Wie nun in der musikalischen Deklamation der Rhythmus und die Melodie den Charakter des Inhalts in sich aufnehmen und demselben angemessen sein müssen, so ist auch die Versifikation eine Musik, welche, obgleich in entfernter Weise, doch schon jene dunkle, aber zugleich bestimmte Richtung des Ganges und Charakters der Vorstellungen in sich widertönen läßt. Nach dieser Seite hin muß das Versmaß den allgemeinen Ton und geistigen Hauch eines ganzen Gedichtes angeben; und es ist nicht gleichgültig, ob z. B. Jamben, Trochäen, Stanzen, alkäische oder andere Strophen zur äußeren Form genommen werden.

Was die nähere Einteilung betrifft, so sind es vornehmlich zwei Systeme, deren Unterschied voneinander wir zu beleuchten haben.

Das erste ist die rhythmische Versifikation, welche auf der bestimmten Länge und Kürze der Wortsilben sowie auf deren mannigfach figurierter Zusammenstellung und zeitlichen Fortbewegungen beruht.

Die zweite Seite dagegen macht das Herausheben des Klangs als solchen aus, sowohl in Rücksicht auf einzelne Buchstaben, Konsonanten oder Vokale, als auch in Ansehung ganzer Silben und Wörter, deren Figuration teils nach dem Gesetze gleichmäßiger Wiederholung des gleichen oder ähnlichen Klanges, teils nach der Regel symmetrischer Abwechslung geordnet wird. Hierher gehören die Alliteration, die Assonanz und der Reim.

Beide Systeme stehen in enger Verbindung mit der Prosodie der Sprache, sei es nun, daß dieselbe mehr in der natürlichen Länge und Kürze der Silben von Hause aus ihren Grund finde oder auf dem Verstandesakzent, den die Bedeutsamkeit der Silben hervorbringt, beruhe.

Drittens endlich lassen sich der rhythmische Fortgang und das für sich gestaltete Klingen auch verbinden; indem jedoch das konzentriert herausgehobene Tonecho des Reims stark ins Ohr fällt und sich dadurch überwiegend über das bloß zeitliche Moment der Dauer und Fortbewegung geltend macht, so muß in solcher Verknüpfung die rhythmische Seite zurücktreten und die Aufmerksamkeit für sich weniger beschäftigen.



Inhalt:


a. Die rhythmische Versifikation
b. Der Reim
c. Vereinigung von rhythmischer Versifikation und Reim


 © textlog.de 2004 • 19.12.2024 02:25:37 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2004 
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