b. Der Reim
Man kann äußerlich das Bedürfnis einer neuen Behandlung der Sprache nach ihrer sinnlichen Seite aus dem Verderben erklären wollen, in welches die alten Sprachen durch die fremden Völker gerieten; dieser Fortgang aber liegt in der Natur der Sache selbst. Das nächste, was die Poesie an ihrer Außenseite dem Inneren gemäß macht, ist die von der Bedeutung der Silben unabhängige Länge und Kürze, für deren Zusammenstellungen, Einschnitte usf. die Kunst sich Gesetze ausbildet, welche zwar im allgemeinen mit dem jedesmal darzustellenden Charakter des Inhalts zusammenstimmen sollen, im besonderen und einzelnen jedoch weder die Längen und Kürzen noch die Akzentuierung allein von dem geistigen Sinn bestimmen und diese Seite demselben abstrakt unterwerfen lassen. Je innerlicher aber und geistiger die Vorstellung wird, um desto mehr zieht sie sich aus dieser Naturseite, welche sie nun nicht mehr in plastischer Weise idealisieren kann, heraus und konzentriert sich so sehr in sich, daß sie das gleichsam Körperliche der Sprache teils überhaupt abstreift, teils an dem Übrigbleibenden nur das heraushebt, worein sich die geistige Bedeutung zu ihrer Mitteilung hineinlegt, während sie das übrige als unbedeutend beiherspielen läßt. Wie nun aber die romantische Kunst, welche in Rücksicht auf die ganze Art ihres Auffassens und Darstellens einen ähnlichen Übergang in die in sich konzentrierte Sammlung des Geistigen macht, für dies Subjektive im Klang das entsprechendste Material aufsucht, so vertieft sich nun auch die romantische Poesie, da sie überhaupt verstärkter den Seelenton der Empfindung anschlägt, in das Spielen mit den für sich verselbständigten Lauten und Klängen der Buchstaben, Silben und Wörter und geht zu diesem Sichselbstgefallen in ihren Tönungen fort, die sie teils mit der Innigkeit, teils mit dem architektonisch verständigen Scharfsinn der Musik zu sondern, aufeinander zu beziehen und ineinander zu verschlingen lernt. Nach dieser Seite hin hat sich der Reim nicht zufällig nur in der romantischen Poesie ausgebildet, sondern ist ihr notwendig gewesen. Das Bedürfnis der Seele, sich selbst zu vernehmen, hebt sich voller heraus und befriedigt sich in dem Gleichklingen des Reims, das gegen die fest geregelte Zeitmessung gleichgültig macht und nur darauf hinarbeitet, uns durch Wiederkehr der ähnlichen Klänge zu uns selbst zurückzuführen. Die Versifikation wird dadurch dem Musikalischen als solchem, d. h. dem Tönen des Inneren, nähergebracht und von dem gleichsam Stoffartigen der Sprache, jenem natürlichen Maße nämlich der Längen und Kürzen, befreit.
In Ansehung der bestimmteren Punkte, welche für diesen Kreis von Wichtigkeit sind, will ich nur über folgendes kurz einige allgemeine Bemerkungen hinzufügen: erstens über den Ursprung des Reims; zweitens über die näheren Unterschiede dieses Gebiets von der rhythmischen Versifikation; drittens über die Arten, zu welchen dasselbe sich auseinandergelegt hat.
α) Wir sahen bereits, daß der Reim zur Form der romantischen Dichtkunst gehöre, die solch ein stärkeres Prononcieren des für sich gestalteten Klingens fordert, insofern hier die innere Subjektivität im Materiellen des Tons sich selber vernehmen will. Wo sich dies ihr Bedürfnis hervortut, findet sie daher teils von Hause aus eine Sprache vor, wie ich sie oben in Rücksicht auf die Notwendigkeit des Reims angedeutet habe, teils gebraucht sie die alte vorhandene Sprache, die lateinische z. B., welche anderer Konstitution ist und eine rhythmische Versifikation verlangt, dennoch in dem Charakter des neuen Prinzips oder bildet dieselbe insoweit zu einer neuen Sprache um, daß sich das Rhythmische daraus verliert und der Reim nun, wie es z. B. im Italienischen und Französischen der Fall ist, die Hauptsache ausmachen kann.
αα) In dieser Rücksicht finden wir den Reim durch das Christentum schon sehr früh mit Gewalt in die lateinische Versifikation hineingelegt, obgleich dieselbe auf anderen Prinzipien beruhte. Diese Prinzipien jedoch sind ihr selbst schon mehr aus dem Griechischen angebildet worden, und statt sich als ursprünglich aus ihr hervorgegangen zu zeigen, erweisen sie im Gegenteil in der Art der Modifizierung, die sie erleiden, eine dem romantischen Charakter sich annähernde Tendenz. Die römische Versifikation nämlich fand einerseits in der frühesten Zeit ihre Grundlage nicht in der natürlichen Länge und Kürze, sondern maß den Wert der Silben nach dem Akzent, so daß erst durch die genauere Kenntnis und Nachbildung der griechischen Poesie das prosodische Prinzip derselben aufgenommen und befolgt wurde; andererseits verhärteten die Römer die bewegliche, heitere Sinnlichkeit der griechischen Metra, besonders durch die festeren Einschnitte der Zäsur sowohl im Hexameter als auch im Versmaß der alkäischen und sapphischen Strophe usf., zu einer schärfer prononcierten Struktur und strengeren Regelmäßigkeit. Außerdem kommen selbst in den Blütetagen der römischen Literatur bei den gebildetesten Dichtern schon Reime genug vor. So heißt es z. B. bei Horaz in seiner Ars poetica, Vers 99 und 100:
Non satis est, pulchra esse poemata: dulcia sunto,
Et quocunque volent, animum auditoris agunto.*)
Ist dies auch von selten des Dichters ganz absichtslos geschehen, so kann man es doch als einen seltsamen Zufall betrachten, daß gerade an dieser Stelle, in welcher Horaz »dulcia poemata« fordert, der Reim sich eingefunden hat. Bei Ovid ferner sind ähnliche Reime noch weniger vermieden. Wenn dies nun auch, wie gesagt, zufällig ist, so scheinen doch dem gebildeten römischen Ohr Reime nicht unangenehm gewesen zu sein, so daß sie sich, obschon vereinzelt und ausnahmsweise, einschleichen durften. Doch fehlt diesem Spiele mit Klängen die tiefere Bedeutsamkeit des romantischen Reimes, welcher nicht den Klang als solchen, sondern das Innerliche, die Bedeutung, in demselben hervorhebt. Eben dies bildet den charakteristischen Unterschied des schon sehr alten indischen Reimes von dem modernen.
Nach dem Eindringen der barbarischen Völkerstämme ging dann in betreff auf die alten Sprachen mit dem Verderben der Akzentuation und dem Emporkommen des subjektiven Moments der Empfindung durch das Christentum das frühere rhythmische System der Versifikation in das des Reimes über. So richtet sich in dem Hymnus des heiligen Ambrosius die Prosodie schon ganz nach dem Akzent der Aussprache und läßt den Reim hervorbrechen; das erste Werk des heiligen Augusti-nus gegen die Donatisten ist gleichfalls ein gereimter Gesang, und auch die sogenannten Leoninischen Verse müssen als ausdrücklich gereimte Hexameter und Pentameter von jenen vorhin erwähnten einzelnen Reimen sehr wohl unterschieden werden. Diese und ähnliche Erscheinungen zeigen das Hervortreten des Reims aus dem rhythmischen System selber.
ββ) Nun hat man zwar andererseits den Ursprung des neuen Prinzips für die Versifikation bei den Arabern gesucht; doch fällt die Ausbildung ihrer großen Dichter teils später als das Vorkommen des Reims im christlichen Abendlande, während der Kreis der vormohammedanischen Kunst mit dem Okzident sich nicht einwirkend berührt, teils liegt auch in der arabischen Poesie schon von Hause aus ein Anklang an das romantische Prinzip, in welchem die Ritter des Abendlandes zur Zeit der Kreuzzüge die gleiche Stimmung bald genug herausfanden, so daß bei der äußerlich unabhängigen Verwandtschaft des geistigen Bodens, aus welchem die Poesie im mohammedanischen Orient wie im christlichen Okzident emporgeht, sich auch ein unabhängiges erstes Hervortreten einer neuen Art der Versifikation vorstellen läßt.
γγ) Ein drittes Element, in dem wiederum ohne Einfluß weder der alten Sprachen noch des Arabischen das Entstehen des Reims und dessen, was diesem Gebiete sich anschließt, kann aufgefunden werden, sind die germanischen Sprachen, wie wir sie in ihrer frühesten Ausbildung bei den Skandinaviern finden. Hiervon geben z. B. die Lieder der alten Edda ein Beispiel, welche, wenn auch später erst gesammelt und zusammengestellt, doch einen frühen Ursprung nicht verleugnen. Hier ist es zwar, wie wir noch sehen werden, nicht der eigentliche Reimklang, der sich in seiner Vollständigkeit ausgebildet hat, aber doch ein wesentliches Herausheben von einzelnen Sprachlauten und eine gesetzliche Regelmäßigkeit in der bestimmten Wiederholung derselben.
β) Wichtiger nun zweitens als der Ursprung ist der charakteristische Unterschied des neuen Systems von dem alten. Den Hauptpunkt, auf den es hier ankommt, habe ich bereits oben berührt, und es bleibt nur noch übrig, ihn näher auszuführen.
Die rhythmische Versifikation hat ihre schönste und reichhaltigste Entwicklungsstufe in der griechischen Poesie erreicht, aus der wir uns daher die vornehmlichsten Kennzeichen dieses ganzen Feldes abstrahieren können. Es sind kurz folgende.
Erstens macht sie sich nicht den Klang als solchen der Buchstaben, Silben oder Wörter zu ihrem Material, sondern den Silbenklang in seiner Zeitdauer, so daß sich also die Aufmerksamkeit weder auf einzelne Silben oder Buchstaben noch auf die bloß qualitative Ähnlichkeit oder Gleichheit ihres Klingens ausschließlich hinrichten soll. Im Gegenteil bleibt das Klingen noch in ungetrennter Einheit mit dem festen Zeitmaß seiner bestimmten Dauer, und in der Fortbewegung beider hat das Ohr dem Wert jeder einzelnen Silbe wie dem Gesetz in dem rhythmischen Dahinschreiten aller gleichmäßig nachzugehen. Zweitens beruht das Maß der Länge und Kürze sowie der rhythmischen Hebung und Senkung und mannigfachen Belebung durch schärfere Einschnitte und Haltepunkte auf dem Naturelement der Sprache, ohne sich von derjenigen Betonung leiten zu lassen, durch welche der geistige Wortsinn einer Silbe oder einem Worte erst seinen Nachdruck gibt. Die Versifikation erweist sich in ihrem Zusammenstellen der Füße, ihrem Versakzent, ihren Zäsuren usf. in dieser Rücksicht ebenso unabhängig als die Sprache selbst, welche auch außerhalb der Poesie schon die Akzentuierung gleichfalls aus den natürlichen Längen und Kürzen und deren Aufeinanderfolge und nicht aus der Bedeutsamkeit der Stammsilbe hernimmt. Dadurch nun stehen drittens das belebende Herausheben bestimmter Silben auf der einen Seite der Versakzent und Rhythmus, auf der anderen die sonstige Akzentuierung da, welche sich beide zu doppelter Mannigfaltigkeit des Ganzen ohne wechselseitige Störung oder Unterdrückung durcheinanderschlingen und in der gleichen Weise nun auch der poetischen Vorstellung das Recht gönnen, den Wörtern, welche ihr der geistigen Bedeutung nach von höherer Wichtigkeit als andere sind, durch die Art der Wortstellung und Bewegung den gebührenden Nachdruck nicht zu entziehen.
αα) Das nächste nun, was die gereimte Versifikation in diesem System ändert, ist das unangefochtene Gelten der natürlichen Quantität. Soll deshalb überhaupt noch ein Zeitmaß übrigbleiben, so muß sich dasselbe den Grund für das quantitative Verweilen oder Forteilen, den es nicht mehr in der natürlichen Länge oder Kürze finden will, in einem anderen Gebiete aufsuchen. Dies Gebiet aber, wie wir sahen, kann nur das geistige Element, der Sinn der Silben und Wörter sein. Die Bedeutsamkeit ist es, welche als letzte Instanz das quantitative Silbenmaß, wenn es überhaupt noch als wesentlich erachtet wird, bestimmt und somit das Kriterium aus dem äußeren Dasein und dessen natürlicher Beschaffenheit ins Innerliche herüberspielt.
ββ) Hiermit verbindet sich nun aber eine weitere Folge, die als noch wichtiger heraustritt. Denn wie ich schon oben andeutete, verzehrt diese Sammlung des Nachdrucks auf die bedeutsame Stammsilbe jene unabhängige Ausbreitung zu mannigfaltigen Flexionsformen, welche das rhythmische System, da es weder das Maß der Länge und Kürze noch den hervorhebenden Akzent aus der geistigen Bedeutung hernimmt, gegen den Stamm zurückzusetzen noch nicht genötigt wird. Fällt nun aber solche Entfaltung und deren naturgemäßes Einordnen in Versfüße nach fester Quantität der Silben fort, so geht hiermit auch notwendig das ganze System verloren, das auf dem Zeitmaß und dessen Regel beruht. Von dieser Art z. B. sind die französischen und italienischen Verse, denen das Metrum und der Rhythmus im Sinne der Alten gänzlich fehlt, so daß es nur noch auf eine bestimmte Anzahl von Silben ankommt.
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*) »Es genügt nicht, daß Dichtungen schön sind: süß sollen sie sein und den Geist des Hörers entführen, wohin sie wollen.«