a. Die ursprünglich poetische Vorstellung


Die ursprüngliche Poesie des Vorstellens zerscheidet sich noch nicht in die Extreme des gewöhnlichen Bewußtseins, das einerseits alles in Form unmittelbarer und damit zufälliger Einzelheit vor sich bringt, ohne das innerlich Wesentliche daran und das Erscheinen desselben aufzufassen, andererseits das konkrete Dasein teils in seine Unterschiede zerlegt und in die Form abstrakter Allgemeinheit erhebt, teils zu verständigen Beziehungen und Synthesen dieser Abstrakta fortgeht; sondern poetisch ist die Vorstellung nur dadurch, daß sie diese Extreme noch in unzerschiedener Vermittlung hält und dadurch in der gediegenen Mitte zwischen der gewöhnlichen Anschauung und dem Denken stehenzubleiben vermag.

Im allgemeinen können wir das dichterische Vorstellen als bildlich bezeichnen, insofern es statt des abstrakten Wesens die konkrete Wirklichkeit desselben, statt der zufälligen Existenz eine solche Erscheinung vor Augen führt, in welcher wir unmittelbar durch das Äußere selbst und dessen Individualität ungetrennt davon das Substantielle erkennen und somit den Begriff der Sache wie deren Dasein als ein und dieselbe Totalität im Innern der Vorstellung vor uns haben. In dieser Rücksicht findet ein großer Unterschied zwischen dem statt, was uns die bildliche Vorstellung gibt und was uns sonst durch andere Ausdrucksweisen klar wird. Es geht damit ähnlich wie mit dem Lesen. Sehen wir die Buchstaben, welche Zeichen für Sprachlaute sind, so verstehen wir bei ihrer Betrachtung, ohne daß wir die Töne zu hören nötig hätten, sogleich das Gelesene; und nur ungeläufige Leser müssen sich erst die einzelnen Laute aussprechen, um die Wörter verstehen zu können. Was hier eine Ungeübtheit ist, wird aber in der Poesie das Schöne und Vortreffliche, indem sie sich nicht mit dem abstrakten Verstehen begnügt und die Gegenstände nur so in uns hervorruft, wie sie in Form des Denkens und der bildlosen Allgemeinheit überhaupt in unserem Gedächtnisse sind, sondern den Begriff in seinem Dasein, die Gattung in bestimmter Individualität an uns kommen läßt. Dem gewöhnlichen, verständigen Bewußtsein nach verstehe ich beim Hören und Lesen mit dem Wort unmittelbar die Bedeutung, ohne sie, d. h. ohne ihr Bild vor der Vorstellung zu haben. Sagen wir z. B. »die Sonne« oder »morgens«, so ist uns klar, was damit gemeint sei, die Frühe und die Sonne selbst aber wird uns nicht veranschaulicht. Wenn es dagegen im Dichter heißt: »Als nun die dämmernde Eos mit Rosenfingern emporstieg«, so ist hier zwar der Sache nach dasselbe ausgesprochen; der poetische Ausdruck gibt uns aber mehr, da er dem Verstehen auch noch eine Anschauung von dem verstandenen Objekte hinzufügt oder vielmehr das bloße abstrakte Verstehen entfernt und die reale Bestimmtheit an die Stelle setzt. Ebenso, wenn gesagt wird: »Alexander hat das persische Reich besiegt«, so ist dies allerdings dem Inhalte nach eine konkrete Vorstellung, die mannigfaltige Bestimmtheit derselben aber, als »Sieg« ausgedrückt, wird in eine einfache Abstraktion bildlos zusammengezogen, welche uns von der Erscheinung und Realität dessen, was Alexander Großes vollbracht hat, nichts vor die Anschauung führt. Und so geht es mit allem, was in der ähnlichen Weise ausgedrückt wird; wir verstehen es, doch es bleibt fahl, grau und nach selten des individuellen Daseins unbestimmt und abstrakt. Die poetische Vorstellung nimmt deshalb die Fülle der realen Erscheinung in sich hinein und weiß dieselbe mit dem Inneren und Wesentlichen der Sache unmittelbar zu einem ursprünglichen Ganzen in eins zu arbeiten.

Das nächste, was hieraus folgt, ist das Interesse der poetischen Vorstellung, beim Äußeren, insofern es die Sache in ihrer Wirklichkeit ausdrückt, zu verweilen, es für sich der Betrachtung wert zu achten und ein Gewicht darauf zu legen. Die Poesie ist deshalb überhaupt in ihrem Ausdrucke umschreibend: doch Umschreibung ist nicht das rechte Wort; denn wir sind, in Vergleich mit den abstrakten Bestimmungen, in welchen ein Inhalt sonst unserem Verstande geläufig ist, vieles als Umschreibung zu nehmen gewohnt, was der Dichter nicht so gemeint hat, so daß von dem prosaischen Standpunkte aus die poetische Vorstellung kann als ein Umweg und nutzloser Überfluß angesehen werden. Dem Dichter aber muß es darum zu tun sein, mit seinem Vorstellen sich bei der Ausbreitung des realen Erscheinens, in dessen Schilderung er sich ergeht, mit Vorliebe aufzuhalten. In diesem Sinne teilt z. B. Homer jedem Helden ein Epitheton zu und sagt: »der fußschnelle Achilles; die hellumschienten Achäer; der hei m umflatterte Hektor; Agamemnon, der Fürst der Völker« usf. Der Name bezeichnet zwar ein Individuum, bringt aber als bloßer Name noch gar keinen weiteren Inhalt vor die Vorstellung, so daß es noch weiterer Angaben zur bestimmten Veranschaulichung bedarf. Auch bei anderen Gegenständen, welche an und für sich schon der Anschauung angehören, wie Meer, Schiffe, Schwert usf., gibt ein ähnliches Epitheton, das irgendeine wesentliche Qualität des bestimmten Objekts auffaßt und darlegt, ein bestimmteres Bild und nötigt uns dadurch, die Sache in konkreter Erscheinung uns hinzustellen.

Von solcher eigentlichen Verbildlichung unterscheidet sich dann zweitens die uneigentliche, die schon eine weitere Differenz hervorbringt. Denn das eigentliche Bild stellt nur die Sache in der ihr zugehörigen Realität dar; der uneigentliche Ausdruck dagegen verweilt nicht unmittelbar bei dem Gegenstande selbst, sondern geht zur Schilderung eines anderen, zweiten über, durch welchen uns die Bedeutung des ersten klar und anschaulich werden soll. Metaphern, Bilder, Gleichnisse usf. gehören zu dieser Weise der poetischen Vorstellung. Hier wird dem Inhalte, um den es zu tun ist, noch eine davon verschiedene Hülle hinzugefügt, welche teils nur als Schmuck dient, teils auch zur näheren Erklärung nicht vollständig kann genutzt werden, da sie nur nach einer bestimmten Seite hin zu jenem ersten Inhalt gehört; wie Homer z. B. den Ajax, der nicht fliehen will, einem hartnäckigen Esel vergleicht. Besonders aber hat die orientalische Poesie diese Pracht und Fülle in Bildern und Vergleichungen, da ihr symbolischer Standpunkt einerseits ein Umhersuchen nach Verwandtem nötig macht und bei der Allgemeinheit der Bedeutungen eine große Breite konkreter ähnlicher Erscheinungen darbietet, andererseits bei der Erhabenheit des Anschauens darauf führt, die ganze bunte Mannigfaltigkeit des Glänzendsten und Herrlichsten zum Schmucke des Einen allein zu verwenden, der als das einzig zu Preisende für das Bewußtsein dasteht. Diese Gebilde der Vorstellung gelten dann zugleich nicht als etwas, von dem wir wissen, daß es nur ein subjektives Tun und Vergleichen und nichts für sich Reales und Vorhandenes sei; sondern die Umwandlung alles Daseins zum Dasein der von der Phantasie erfaßten und gestalteten Idee ist im Gegenteil so angesehen, daß sonst nichts anderes für sich vorhanden ist und ein Recht selbständiger Realität haben kann. Der Glaube an die Welt, wie wir sie mit prosaischem Auge verständig betrachten, wird zu einem Glauben an die Phantasie, für welche nur die Welt da ist, die sich das poetische Bewußtsein erschaffen hat. Umgekehrt ist es die romantische Phantasie, die sich gern metaphorisch ausdrückt, weil in ihr das Äußere für die in sich zurückgezogene Subjektivität nur als ein Beiwesen und nicht als die adäquate Wirklichkeit selber gilt. Dieses dadurch gleichsam uneigentliche Äußere nun mit tiefer Empfindung, mit partikulärer Fülle der Anschauung oder mit dem Humor der Kombination auszugestalten ist ein Trieb, welcher die romantische Poesie zu immer neuen Erfindungen befähigt und anreizt. Ihr ist es dann nicht darum zu tun, sich nur die Sache bestimmt und anschaulich vorzustellen; im Gegenteil, der metaphorische Gebrauch dieser weiter abliegenden Erscheinungen wird für sich selber Zweck; die Empfindung macht sich zum Mittelpunkte, beglänzt ihre reiche Umgebung, zieht sie an sich, verwendet sie geistreich und witzig zu ihrem Schmuck, belebt sie und genießt sich in diesem Herüber und Hinüber, diesem Einarbeiten und sich Ergehen ihrer in ihrem Darstellen.


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