c. Prinzip für die künstlerische Behandlung


Drittens haben wir, nach dieser allgemeinen Betrachtung des Inhalts und des sinnlichen Materials der Malerei, kurz noch das allgemeine Prinzip für die künstlerische Behandlungsart anzugeben.

Die Malerei läßt mehr als Skulptur und Baukunst die zwei Extreme zu, daß auf der einen Seite die Tiefe des Gegenstandes, der religiöse und sittliche Ernst der Auffassung und Darstellung der idealen Schönheit der Formen, und auf der anderen Seite, bei für sich genommen unbedeutenden Gegenständen, die Partikularität des Wirklichen und die subjektive Kunst des Machens zur Hauptsache wird. Wir können deshalb auch oft genug zwei Extreme des Urteils hören; bald den Ausruf: welch herrlicher Gegenstand, welche tiefe, hinreißende, bewunderungswürdige Konzeption, welche Großheit des Ausdrucks, welche Kühnheit der Zeichnung; bald wieder den entgegengesetzten: wie herrlich, wie unvergleichlich gemalt. Dies Auseinandertreten liegt im Begriff der Malerei selbst, ja man kann wohl sagen, daß beide Seiten in gleichmäßiger Ausbildung nicht zu vereinigen sind, sondern daß jede für sich selbständig werden muß. Denn die Malerei hat sowohl die Gestalt als solche, die Formen der Raumbegrenzung, als auch die Farbe zu ihrem Darstellungsmittel und steht durch diesen ihren Charakter zwischen dem Idealen, Plastischen, und dem Extreme der unmittelbaren Besonderheit des Wirklichen, wodurch auch zwei Arten der Malerei zum Vorschein kommen: die eine, die idealische, deren Wesen die Allgemeinheit ist, die andere, welche das Einzelne in seiner engeren Partikularität darstellt.

α) In dieser Rücksicht hat die Malerei erstens, wie die Skulptur, das Substantielle, die Gegenstände des religiösen Glaubens, die großen Begebenheiten der Geschichte, die hervorragendsten Individuen aufzunehmen, obschon sie dies Substantielle in Form innerer Subjektivität zur Anschauung bringt. Hier ist die Großartigkeit, der Ernst der dargestellten Handlung, die Tiefe des darin ausgedrückten Gemüts das, worauf es ankommt, so daß die Ausbildung und Anwendung all der reichen Kunstmittel, deren die Malerei fähig ist, und der Geschicklichkeit, welche der vollkommen virtuose Gebrauch dieser Mittel erfordert, hier noch ihr vollständiges Recht nicht erhalten kann. Es ist die Macht des darzustellenden Gehalts und die Versenkung in das Wesentliche und Substantielle desselben, welche jene überwiegende Fertigkeit in der Kunst des Malens als das noch Unwesentlichere zurückdrängen. So sind z. B. die Raffaelischen Kartons von unschätzbarem Wert und zeigen die ganze Vortrefflichkeit der Konzeption, obschon Raffael selbst bei ausgeführten Gemälden - welche Meisterschaft er auch in Zeichnung, Reinheit idealer und dennoch durchweg lebendiger individueller Gestalten, Komposition und Kolorit erreicht haben mag - gewiß im Kolorit, im Landschaftlichen usf. von den holländischen Meistern übertroffen wird. Mehr noch ist dies bei früheren italienischen Heroen der Kunst der Fall, gegen welche schon Raffael ebensosehr in Tiefe, Macht, und Innigkeit des Ausdrucks zurücksteht, als er sie in Kunst des Malens, in Schönheit lebendiger Gruppierung, in Zeichnung usf. überflügelt hat.

β) Umgekehrt aber darf, wie wir sahen, die Malerei nicht bei dieser Vertiefung in das Gehaltvolle der Subjektivität und deren Unendlichkeit stehenbleiben, sondern sie hat die Besonderheit, das, was sonst nur das Beiwesen, die Umgebung und den Hintergrund gleichsam ausmacht, selbständig zu entlassen und frei zu machen. In diesem Fortgange nun vom tiefsten Ernste zur Äußerlichkeit des Partikularen muß sie bis zum Extrem der Erscheinung selbst als solcher, d. h. bis dahin durchdringen, wo aller Inhalt gleichgültig und das künstlerische Scheinenmachen das Hauptinteresse wird. Mit höchster Kunst sehen wir die flüchtigsten Scheine des Himmels, der Tageszeit, der Waldbeleuchtung, die Scheine und Widerscheine der Wolken, Wellen, Seen, Ströme, das Schimmern und Blinken des Weins im Glase, den Glanz des Auges, das Momentane des Blicks, Lächelns usf. fixieren. Die Malerei schreitet hier vom Idealischen zur lebendigen Wirklichkeit fort, deren Effekt der Erscheinung sie besonders durch Genauigkeit und Ausführung jeder einzelnsten Partie erreicht. Doch ist dies keine bloße Emsigkeit der Ausarbeitung, sondern ein geistreicher Fleiß, der jede Besonderheit für sich vollendet und doch das Ganze in Zusammenhang und Fluß erhält und hierzu der größten Kunst bedarf. Hier scheint nun die dadurch erreichte Lebendigkeit im Scheinenmachen des Wirklichen eine höhere Bestimmung als das Ideal zu werden, und bei keiner Kunst wird deshalb mehr über Ideal und Natur gestritten, wie ich schon früher bei anderer Gelegenheit weitläufiger besprochen habe. Man könnte allerdings die Anwendung aller Kunstmittel bei einem so geringfügigen Stoff als eine Verschwendung tadeln; die Malerei jedoch darf sich dieses Stoffs nicht entschlagen, der wieder seinerseits und allein dazu geeignet ist, mit solcher Kunst behandelt zu werden und diese unendliche Subtilität und Delikatesse des Scheinens zu gewähren.

γ) Bei diesem allgemeineren Gegensatze nun aber bleibt die künstlerische Behandlung nicht stehen, sondern geht, da die Malerei überhaupt auf dem Prinzip der Subjektivität und Besonderheit beruht, zu einer näheren Partikularisation und Vereinzelung fort. Die Baukunst und Skulptur zeigt zwar auch nationale Unterschiede, und besonders in der Skulptur läßt sich bereits eine nähere Individualität von Schulen und einzelnen Meistern erkennen; in der Malerei aber dehnt sich diese Verschiedenheit und Subjektivität der Darstellungsweise ganz ebenso ins Weite und Unberechenbare aus, als die Gegenstände, welche sie ergreifen darf, nicht im voraus können begrenzt werden. Hier vornehmlich macht sich der partikulare Geist der Völker, Provinzen Epochen und Individuen geltend und betrifft nicht nur die Wahl der Gegenstände und den Geist der Konzeption, sondern auch die Art der Zeichnung, Gruppierung, des Kolorits, der Pinselführung, Behandlung bestimmter Farben usf. bis auf subjektive Manieren und Angewöhnungen herunter.

Weil die Malerei sich im Inneren und Besonderen so unbeschränkt zu ergehen die Bestimmung hat, so ist nun allerdings ebenso des Allgemeinen wenig, was sich bestimmt von ihr sagen läßt, als es des Bestimmten wenig gibt, das im allgemeinen von ihr könnte angeführt werden. Dennoch dürfen wir uns nicht mit dem begnügen, was ich bisher von dem Prinzip des Inhalts, des Materials und der künstlerischen Behandlung erläutert habe, sondern müssen, wenn wir auch das Empirische in seiner weitschichtigen Mannigfaltigkeit beiseite stellen, noch einige besondere Seiten, die sich als durchgreifend erweisen, einer näheren Betrachtung unterwerfen.


 © textlog.de 2004 • 19.12.2024 02:10:23 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright