a. Der romantische Inhalt

 

Ich habe schon früher daran erinnert, daß die Alten vortreffliche Maler gehabt haben, zugleich aber bemerkt, daß der Beruf der Malerei erst durch die Anschauungsweise und Art der Empfindung zu erfüllen sei, welche sich in der romantischen Kunstform tätig erweist. Dem scheint nun aber, von selten des Inhalts her betrachtet, der Umstand zu widersprechen, daß gerade auf dem Höhepunkte der christlichen Malerei, zur Zeit Raffaels, Correggios, Rubens' usf., mythologische Gegenstände teils für sich, teils zur Ausschmückung und Allegorisierung von großen Taten, Triumphen, Heiraten der Fürsten usf. sind benutzt und dargestellt worden. Ähnliches ist auch in neuester Zeit vielfach wieder zur Sprache gekommen. So hat Goethe z. B. die Beschreibungen des Philostrat von Polygnots Gemälden wieder aufgenommen und diese Sujets sehr schön mit poetischer Auffassung für den Maler aufgefrischt und erneuert. Ist nun aber mit solchen Vorschlägen die Forderung verbunden, die Gegenstände der griechischen Mythologie und Sagengeschichte oder auch Szenen aus der römischen Welt, zu denen die Franzosen in einer gewissen Epoche ihrer Malerei große Vorliebe gezeigt haben, im spezifischen Sinne und Geist der Alten selbst aufzufassen und darzustellen, so ist hiergegen sogleich im allgemeinen einzuwenden, daß sich dies Vergangene nicht ins Leben zurückrufen lasse und das Spezifische der Antike dem Prinzip der Malerei nicht vollkommen gemäß sei. Der Maler muß deshalb aus diesen Stoffen etwas ganz anderes machen, einen ganz anderen Geist, eine andere Empfindungs- und Veranschaulichungsweise, als bei den Alten selber darin lag, hineinlegen, um solchen Inhalt mit den eigentlichen Aufgaben und Zwecken der Malerei in Einklang zu bringen. So ist denn auch der Kreis antiker Stoffe und Situationen im ganzen nicht derjenige, welchen die Malerei in konsequenter Entwicklung ausgebildet hat, sondern er ist im Gegenteil als ein zugleich heterogenes Element, das wesentlich erst muß umgearbeitet werden, verlassen worden. Denn wie ich schon mehrfach andeutete, hat die Malerei vornehmlich das zu ergreifen, dessen Darstellung sie vornehmlich der Skulptur, Musik und Poesie gegenüber vermittels der äußerlichen Gestalt gewähren kann. Es ist dies die Konzentration des Geistes in sich, welche der Skulptur auszudrücken versagt bleibt, während die Musik wiederum nicht zum Äußerlichen der Erscheinung des Inneren herübertreten und die Poesie selbst nur eine unvollkommene Anschauung des Leiblichen geben kann. Die Malerei dagegen ist beide Seiten noch zu verknüpfen imstande, sie vermag im Äußerlichen selbst die volle Innigkeit auszudrücken und hat sich deshalb auch die empfindungsreiche Tiefe der Seele und ebenso die tief eingeprägte Besonderheit des Charakters und Charakteristischen zum wesentlichen Inhalt zu nehmen; die Innigkeit des Gefühls überhaupt und die Innigkeit im Besonderen, für deren Ausdruck bestimmte Begebenheiten, Verhältnisse, Situationen nicht bloß als Explikation des individuellen Charakters erscheinen müssen, sondern die spezifische Besonderheit sich als in die Seele und Physiognomie selbst tief eingeschnitten, eingewurzelt und als von der äußeren Gestalt ganz aufgenommen zu zeigen hat.

Zum Ausdruck der Innigkeit überhaupt nun aber ist nicht die ursprünglich ideale Selbständigkeit und Großartigkeit des Klassischen erforderlich, in welcher die Individualität in dem unmittelbaren Einklang mit dem Substantiellen der geistigen Wesenheit und dem Sinnlichen der körperlichen Erscheinung bleibt; ebensowenig genügt der Darstellung des Gemüts die natürliche Heiterkeit, die griechische Froheit des Genusses und selige Versenktheit, sondern zur wahren Tiefe und Innigkeit des Geistes gehört, daß die Seele ihre Gefühle, Kräfte, ihr ganzes inneres Leben durchgearbeitet, daß sie vieles überwunden, Schmerzen gelitten, Seelenangst und Seelenleiden ausgestanden, doch in dieser Trennung sich erhalten habe und aus ihr in sich zurückgekehrt sei. Die Alten stellen uns in dem Mythos vom Herkules zwar auch einen Heros hin, der nach vielen Mühseligkeiten unter die Götter versetzt wird und dort einer seligen Ruhe genießt; aber die Arbeit, die Herkules vollbringt, ist nur eine äußere Arbeit, die Seligkeit, die ihm als Lohn zugeteilt wird, nur ein stilles Ausruhen, und die alte Prophezeiung, daß Zeus' Reich durch ihn zu Ende gebracht werden solle, hat er, der höchste griechische Held, nicht wahr gemacht, sondern das Ende der Regierung jener selbständigen Götter fängt erst da an, wo der Mensch statt äußerlicher Drachen und Lernäischer Schlangen die Drachen und Schlangen der eigenen Brust, die innere Härtigkeit und Sprödigkeit der Subjektivität überwindet. Nur hierdurch wird die natürliche Heiterkeit zu jener höheren Heiterkeit des Geistes, welche den Durchgang durch das negative Moment der Entzweiung vollendet und sich durch diese Arbeit die unendliche Befriedigung errungen hat. Die Empfindung der Heiterkeit und des Glücks muß verklärt und zur Seligkeit geläutert sein. Denn Glück und Glückseligkeit enthalten noch ein zufälliges natürliches Zusammenstimmen des Subjekts mit äußeren Zuständen; in der Seligkeit aber ist das Glück, das sich noch auf die unmittelbare Existenz bezieht, fortgelassen und das Ganze in die Innerlichkeit des Geistes verlegt. Seligkeit ist eine Befriedigung, die erworben und so allein berechtigt ist; eine Heiterkeit des Sieges, das Gefühl der Seele, welche das Sinnliche und Endliche in sich ausgetilgt und damit die Sorge abgeworfen hat, die immer auf der Lauer steht; selig ist die Seele, die zwar in Kampf und Qual eingegangen ist, doch über ihr Leiden triumphiert.

α) Fragen wir jetzt nach dem, was in diesem Inhalt das eigentlich Ideale sein kann, so ist es die Versöhnung des subjektiven Gemütes mit Gott, der in seiner menschlichen Erscheinung selbst diesen Weg der Schmerzen durchgemacht hat. Die substantielle Innigkeit ist nur die der Religion, der Frieden des Subjekts, das sich empfindet, doch nur wahrhaft befriedigt ist, insofern es sich in sich gesammelt, sein irdisches Herz gebrochen, sich über die bloße Natürlichkeit und Endlichkeit des Daseins erhoben und in dieser Erhebung sich die allgemeine Innigkeit, die Innigkeit und Einigkeit in und mit Gott erworben hat. Die Seele will sich, aber sie will sich in einem Anderen, als sie selbst in ihrer Partikularität ist, sie gibt sich deshalb auf gegen Gott, um in ihm sich selber zu finden und zu genießen. Dies ist der Charakter der Liebe, die Innigkeit in ihrer Wahrheit, die begierdelose, religiöse Liebe, welche dem Geiste Versöhnung, Frieden und Seligkeit gibt. Sie ist nicht der Genuß und die Freude wirklicher, lebendiger Liebe, sondern leidenschaftslos, ja ohne Neigung, nur ein Neigen der Seele; eine Liebe, in der nach der natürlichen Seite ein Tod, ein Abgestorbensein ist, so daß das wirkliche Verhältnis als irdische Verbindung und Beziehung von Menschen zu Menschen als ein vergängliches vorschwebt, das so, wie es existiert, wesentlich nicht seine Vollkommenheit hat, sondern den Mangel der Zeitlichkeit und Endlichkeit in sich trägt und damit eine Erhebung in ein Jenseits herbeiführt, die zugleich ein sehnsuchtsloses, begierdeloses Bewußtsein und Genießen der Liebe bleibt.

Dieser Zug macht das seelenvolle, innere, höhere Ideale aus, das jetzt an die Stelle der stillen Größe und Selbständigkeit der Antike tritt. Den Göttern des klassischen Ideals fehlt es zwar gleichfalls nicht an einem Zug von Trauer, an dem schicksalsvollen Negativen, welches das Scheinen der kalten Notwendigkeit an diesen heiteren Gestalten ist, die jedoch, in selbständiger Göttlichkeit und Freiheit, ihrer einfachen Größe und Macht gewiß bleiben. Solch eine Freiheit aber ist nicht die Freiheit der Liebe, die seelenvoller und inniger ist, da sie in einem Verhalten von Seele zu Seele, von Geist zu Geist liegt. Diese Innigkeit entzündet den in dem Gemüt gegenwärtigen Strahl der Seligkeit, einer Liebe, die im Leiden und höchsten Verlust sich nicht etwa nur getröstet oder gleichgültig fühlt, sondern je tiefer sie leidet, desto tiefer auch darin das Gefühl und die Gewißheit der Liebe findet und im Schmerze zeigt, an sich und in sich überwunden zu haben. In den Idealen der Alten dagegen sehen wir, unabhängig von jenem angedeuteten Zuge einer stillen Trauer, wohl nur den Ausdruck des Schmerzes edler Naturen, wie z. B. in der Niobe und dem Laokoon; sie vergehen nicht in Klage und Verzweiflung, sondern bewähren sich groß und hochherzig darin, aber dieses Bewahren ihrer selbst bleibt leer, das Leiden, der Schmerz ist gleichsam das Letzte, und an die Stelle der Aussöhnung und Befriedigung muß eine kalte Resignation treten, in welcher das Individuum, ohne in sich zusammenzubrechen, das aufgibt, woran es festgehalten hatte. Nicht das Niedrige ist zerdrückt, keine Wut, keine Verachtung oder Verdrießlichkeit gibt sich kund, aber die Hoheit der Individualität ist doch nur ein starres Beisichsein, ein erfüllungsloses Ertragen des Schicksals, in welchem der Adel und Schmerz der Seele nicht als ausgeglichen erscheinen. Den Ausdruck der Seligkeit und Freiheit hat erst die romantische religiöse Liebe.

Diese Einigkeit und Befriedigung nun ist ihrer Natur nach geistig konkret, denn sie ist die Empfindung des Geistes, der sich in einem Anderen eins mit sich selber weiß. Dadurch sind hier, wenn der dargestellte Inhalt vollständig sein soll, zwei Seiten gefordert, insofern zur Liebe die Verdoppelung geistiger Persönlichkeit notwendig ist; sie beruht auf zwei selbständigen Personen, welche dennoch das Gefühl ihrer Einheit haben. Mit dieser Einheit jedoch ist immer zugleich das Moment des Negativen verbunden. Die Liebe nämlich gehört der Subjektivität an, das Subjekt aber ist dieses für sich bestehende Herz, das, um zu lieben, von sich selbst ablassen, sich aufgeben, den spröden Punkt seiner Eigentümlichkeit opfern muß. Dies Opfer macht das Rührende in der Liebe aus, die nur in der Hingebung lebt und empfindet. Wenn deshalb der Mensch dennoch in dem Hingeben sein Selbst zurückerhält und in dem Aufheben seines Fürsichseins gerade zum affirmativen Fürsichsein gelangt, so bleibt bei dem Gefühl dieser Einigkeit und ihres höchsten Glücks doch das Negative, die Rührung übrig, nicht sowohl als Empfindung des Opfers als vielmehr der unverdienten Seligkeit, sich dessenungeachtet selbständig und mit sich in Einheit zu fühlen. Die Rührung ist das Gefühl des dialektischen Widerspruchs, die Persönlichkeit aufgegeben zu haben und doch selbständig zu sein, ein Widerspruch, der in der Liebe vorhanden und in ihr ewig gelöst ist.

Was nun die Seite der besonderen menschlichen Subjektivität in dieser Innigkeit anbetrifft, so hebt die eine beseligende, den Himmel in ihr genießende Liebe über das Zeitliche und die besondere Individualität des Charakters hinaus, der etwas Gleichgültiges wird. Schon die Götterideale der Skulptur gehen, wie bemerkt worden, ineinander über; indem sie aber dem Inhalt und dem Kreise der ersten, unmittelbaren Individualität nicht entnommen sind, so bleibt diese Individualität dennoch die wesentliche Form der Darstellung. In jenem reinen Strahle der Seligkeit dagegen ist die Besonderheit aufgehoben; vor Gott sind alle Menschen gleich, oder vielmehr die Frömmigkeit macht sie wirklich gleich, so daß es nur die angegebene Konzentration der Liebe ist, auf deren Ausdruck es ankommt und welche ebenso des Glücks oder dieses und jenes einzelnen Gegenstandes nicht bedarf. Freilich braucht auch die religiöse Liebe zu ihrer Existenz bestimmte Individuen, die auch außer dieser Empfindung einen anderweitigen Kreis ihres Daseins haben; da jedoch die seelenvolle Innigkeit hier den eigentlich idealen Inhalt abgibt, so findet dieselbe nicht in der besonderen Verschiedenheit des Charakters und seines Talentes, seiner Verhältnisse und Schicksale ihre Äußerung und Wirklichkeit, sondern ist vielmehr darüber erhoben. Wenn man daher in unserer Zeit die Rücksicht auf den Unterschied der Subjektivität des Charakters zur Hauptsache in der Erziehung und in dem, was der Mensch an sich selbst zu fordern hat, machen hört, woraus der Grundsatz folgt, daß jeder anders behandelt werden und sich selbst anders behandeln müsse, so steht diese Sinnesweise ganz im Gegensatz gegen die religiöse Liebe, in welcher dergleichen Verschiedenheiten zurücktreten. Umgekehrt aber erhält die individuelle Charakteristik, gerade weil sie das Unwesentliche ist, das sich mit dem geistigen Himmelreich der Liebe nicht absolut verschmelzt, hier eine größere Bestimmtheit, indem dieselbe, dem Prinzipe der romantischen Kunstform gemäß, frei wird und sich um so charakteristischer ausprägt, als sie die klassische Schönheit, das Durchdrungensein der unmittelbaren Lebendigkeit und endlichen Besonderheit von dem geistigen religiösen Gehalte nicht zu ihrem höchsten Gesetze hat. Dessenunerachtet aber kann und soll dies Charakteristische nicht jene Innigkeit der Liebe trüben, die nun ihrerseits gleichfalls an das Charakteristische als solches nicht gebunden, sondern frei geworden ist und für sich das wahrhaft selbständige geistige Ideale ausmacht.

Den idealen Mittelpunkt nun und Hauptinhalt des religiösen Gebietes bildet, wie schon bei Betrachtung der romantischen Kunstform auseinandergesetzt ist, die in sich versöhnte, befriedigte Liebe, deren Gegenstand in der Malerei, da dieselbe auch den geistigsten Gehalt in Form menschlicher, leiblicher Wirklichkeit darzustellen hat, kein bloßes geistiges Jenseits bleiben, sondern wirklich und gegenwärtig sein muß. Hiernach können wir die Heilige Familie und vornehmlich die Liebe der Madonna zum Kinde als den schlechthin gemäßen idealen Inhalt dieses Kreises bezeichnen. Diesseits und jenseits dieses Mittelpunktes aber breitet sich noch ein weiter, wenn auch in einer oder anderer Rücksicht weniger in sich selbst für die Malerei vollkommener Stoff aus. Die Gliederung dieses gesamten Inhalts können wir folgendermaßen feststellen.

 


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