c. Die künstlerische Konzeption, Komposition und Charakterisierung
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Wir haben bis jetzt in betreff auf die besonderen Gesichtspunkte, welche in der Malerei geltend zu machen sind, erstens vom Inhalt, zweitens von dem sinnlichen Material gesprochen, dem dieser Inhalt eingebildet werden kann. Drittens bleibt uns zum Schluß nur noch übrig, die Art und Weise festzustellen, in welcher der Künstler seinen Inhalt, diesem bestimmten sinnlichen Elemente gemäß, malerisch zu konzipieren und auszuführen hat. Den breiten Stoff, der sich auch hier wieder unserer Betrachtung darbietet, können wir folgendermaßen gliedern.
Erstens sind es die allgemeineren Unterschiede der Konzeptionsweise, die wir sondern und in ihrer Fortbewegung zu immer reicherer Lebendigkeit begleiten müssen.
Zweitens haben wir uns mit den bestimmteren Seiten zu beschäftigen, welche innerhalb dieser Arten der Auffassung näher die eigentlich malerische Komposition, die künstlerischen Motive der ergriffenen Situation und der Gruppierung angehen.
Drittens wollen wir einen Blick auf die Art der Charakterisierung werfen, welche aus der Verschiedenheit sowohl der Gegenstände als auch der Konzeption hervorgeht.
α) Was nun erstens die allgemeinsten Weisen der malerischen Auffassung betrifft, so finden dieselben teils in dem Inhalt selbst, der zur Darstellung gebracht werden soll, teils in dem Entfaltungsgange der Kunst ihren Ursprung, welche nicht gleich von Hause aus den ganzen Reichtum, der in einem Gegenstande liegt, herausarbeitet, sondern erst nach mannigfaltigen Stufen und Übergängen zur vollen Lebendigkeit hingelangt.
αα) Der erste Standpunkt, den die Malerei in dieser Beziehung einnehmen kann, zeigt noch ihre Herkunft von der Skulptur und Architektur, indem sie sich in dem allgemeinen Charakter ihrer ganzen Konzeptionsweise noch diesen Künsten anschließt. Dies wird am meisten der Fall sein können, wenn sich der Künstler auf einzelne Figuren beschränkt, welche er nicht in der lebendigen Bestimmtheit einer in sich mannigfaltigen Situation, sondern in dem einfachen, selbständigen Beruhen auf sich hinstellt. Aus den verschiedenen Kreisen des Inhalts, den ich als für die Malerei gemäß bezeichnet habe, sind hierfür besonders religiöse Gegenstände, Christus, einzelne Apostel und Heilige passend. Denn dergleichen Figuren müssen fähig sein, für sich selbst in ihrer Vereinzelung Bedeutung genug zu haben, eine Totalität zu sein und einen substantiellen Gegenstand der Verehrung und Liebe für das Bewußtsein auszumachen. In dieser Art finden wir vornehmlich in der älteren Kunst Christus oder Heilige isoliert ohne bestimmtere Situation und Naturumgebung dargestellt. Tritt eine Umgebung hinzu, so besteht sie hauptsächlich in architektonischen Verzierungen, besonders gotischen, wie dies z. B. bei älteren Niederländern und Oberdeutschen häufig vorkommt. In dieser Bezüglichkeit auf die Architektur, zwischen deren Pfeiler und Bogen oft auch mehrere solche Figuren, der zwölf Apostel z. B., nebeneinandergestellt werden, geht die Malerei noch nicht zu der Lebendigkeit der späteren Kunst fort, und auch die Gestalten selbst bewahren noch teils den mehr starren, statuarischen Charakter der Skulptur, teils bleiben sie überhaupt in einem statuarischen Typus stehen, wie ihn die byzantinische Malerei z. B. an sich trägt. Für solche einzelne Figuren ohne alle Umgebung oder bei bloß architektonischer Einschließung ist dann auch eine strengere Einfachheit der Farbe und grellere Entschiedenheit derselben passend. Die ältesten Maler haben statt einer reichen Naturumgebung deshalb den einfarbigen Goldgrund beibehalten, dem nun die Farben der Gewänder face machen und ihn gleichsam parieren müssen und daher entschiedener, greller sind, als wir sie in den Zeiten der schönsten Ausbildung der Malerei finden, wie denn überhaupt die Barbaren ohnehin an einfachen lebhaften Farben, Rot, Blau usf., ihr Gefallen haben.
Zu dieser ersten Art der Auffassung gehören nun größtenteils auch die wundertätigen Bilder. Als zu etwas Stupendem hat der Mensch zu ihnen nur ein stupides Verhältnis, das die Seite der Kunst gleichgültig läßt, so daß sie dem Bewußtsein nicht durch menschliche Verlebendigung und Schönheit freundlich nähergebracht werden und die am meisten religiös verehrten, künstlerisch betrachtet, gerade die aller-schlechtesten sind.
Wenn nun aber dergleichen vereinzelte Figuren nicht als eine für sich fertige Totalität um ihrer ganzen Persönlichkeit willen einen Gegenstand der Verehrung oder des Interesses abgeben können, so hat eine solche noch im Prinzip der skulpturartigen Auffassung ausgeführte Darstellung keinen Sinn. So sind Porträts z. B. für die Bekannten der Person und ihrer ganzen Individualität wegen interessant; sind aber die Personen vergessen oder unbekannt, so frischt sich durch ihre Darstellung in einer Aktion oder Situation, die einen bestimmten Charakter zeigt, eine ganz andere Teilnahme an, als die ist, die wir für solche ganz einfache Konzeptionsweise gewinnen können. Große Porträts, wenn sie durch alle Mittel der Kunst in voller Lebendigkeit vor uns dastehen, haben an dieser Fülle des Daseins selbst schon dies Hervortreten, Hinausschreiten aus ihrem Rahmen. Bei van Dyckschen Porträts z. B. hat mir der Rahmen, besonders wenn die Stellung der Figur nicht ganz en face, sondern etwas herumgewendet ist, ausgesehen wie die Tür der Welt, in welche der Mensch da hereintritt. Sind deshalb Individuen nicht, wie Heilige, Engel usf., schon etwas in sich selbst Vollendetes und Fertiges und können sie nur durch die Bestimmtheit einer Situation, durch einen einzelnen Zustand, eine besondere Handlung interessant werden, so ist es unangemessen, sie als selbständige Gestalten darzustellen. So waren z. B. die letzte Arbeit Kügelgens in Dresden vier Köpfe, Bruststücke: Christus, Johannes der Täufer, Johannes der Evangelist und der verlorene Sohn. Was Christus und Johannes den Evangelisten anbetrifft, so fand ich, als ich sie sah, die Auffassung ganz zweckmäßig. Aber der Täufer und vollends der verlorene Sohn haben gar nicht diese Selbständigkeit für mich, daß ich sie in dieser Weise als Bruststücke sehen mochte. Hier ist im Gegenteil notwendig, diese Figuren in Tätigkeit und Handlung zu setzen oder wenigstens in Situationen zu bringen, durch welche sie in lebendigem Zusammenhange mit ihrer äußeren Umgebung die charakteristische Individualität eines in sich abgeschlossenen Ganzen erlangen könnten. Der Kügelgensche Kopf des verlorenen Sohnes drückt zwar sehr schön den Schmerz, die tiefe Reue und Zerknirschung aus, aber daß dies gerade die Reue des verlorenen Sohnes sein solle, ist nur durch eine ganz kleine Herde Schweine im Hintergrunde angedeutet. Statt dieser symbolischen Hinweisung sollten wir ihn mitten unter der Herde sehen oder in einer anderen Szene seines Lebens. Denn der verlorene Sohn hat keine weitere vollständige allgemeine Persönlichkeit und existiert für uns, soll er nicht zu einer bloßen Allegorie werden, nur in der bekannten Reihe von Situationen, in welchen ihn die Erzählung schildert. Wie er das väterliche Haus verläßt, oder in seinem Elend, seiner Reue, seiner Rückkehr müßte er uns in konkreter Wirklichkeit vorgeführt werden. So aber sind jene Schweine im Hintergrunde nicht viel besser als ein Zettel mit dem aufgeschriebenen Namen.
ββ) Überhaupt kann die Malerei, da sie die volle Besonderheit der subjektiven Innigkeit zu ihrem Inhalt zu nehmen hat, weniger noch als die Skulptur bei dem situationslosen Beruhen in sich und der bloß substantiellen Auffassung eines Charakters stehenbleiben, sondern muß diese Selbständigkeit aufgeben und ihren Inhalt in bestimmter Situation, Mannigfaltigkeit, Unterschiedenheit der Charaktere und Gestalten in bezug aufeinander und auf ihre äußere Umgebung darzustellen bemüht sein. Dies Ablassen von den bloß traditionellen statuarischen Typen, von der architektonischen Aufstellung und Umschließung der Figuren und der skulpturartigen Konzeptionsweise, diese Befreiung von dem Ruhenden, Untätigen, dies Suchen eines lebendigen menschlichen Ausdrucks, einer charakteristischen Individualität, dies Hineinsetzen jedes Inhalts in die subjektive Besonderheit und deren bunte Äußerlichkeit macht den Fortschritt der Malerei aus, durch welchen sie erst den ihr eigentümlichen Standpunkt erlangt. Mehr als den übrigen bildenden Künsten ist es daher der Malerei nicht nur gestattet, sondern es muß sogar von ihr gefordert werden, zu einer dramatischen Lebendigkeit fortzugehen, so daß die Gruppierung ihrer Figuren die Tätigkeit in einer bestimmten Situation anzeigt.
γγ) Mit diesem Hineinführen in die vollendete Lebendigkeit des Daseins und dramatische Bewegung der Zustände und Charaktere verbindet sich drittens dann die immer vermehrte Wichtigkeit, welche bei der Konzeption und Ausführung auf die Individualität und das volle Leben der Farbenerscheinung aller Gegenstände gelegt wird, insofern in der Malerei die letzte Spitze der Lebendigkeit nur durch Farbe ausdrückbar ist. Doch kann sich diese Magie des Scheins endlich auch so überwiegend geltend machen, daß darüber der Inhalt der Darstellung gleichgültig wird und die Malerei dadurch in dem bloßen Duft und Zauber ihrer Farbtöne und der Entgegensetzung und ineinanderscheinenden und -spielenden Harmonie sich ganz ebenso zur Musik herüberzuwenden anfängt, als die Skulptur in der weiteren Ausbildung des Reliefs sich der Malerei zu nähern beginnt.
β) Das nächste nun, wozu wir jetzt überzugehen haben, betrifft die besonderen Bestimmungen, denen die malerische Kompositionsweise, als Darstellung einer bestimmten Situation und deren näherer Motive durch Zusammenstellung und Gruppierung verschiedener Gestalten oder Naturgegenstände zu einem in sich abgeschlossenen Ganzen, in ihren Hervorbringungen folgen muß.
αα) Das Haupterfordernis, das wir an die Spitze stellen können, ist die glückliche Auswahl einer für die Malerei passenden Situation.
Hier besonders hat die Erfindungskraft des Malers ihr unermeßliches Feld: von der einfachsten Situation eines unbedeutenden Gegenstandes an, eines Blumenstraußes oder eines Weinglases mit Tellern, Brot, einzelnen Früchten umher, bis hin zu den reichhaltigen Kompositionen von großen öffentlichen Begebenheiten, Haupt- und Staatsaktionen, Krönungsfesten, Schlachten und dem Jüngsten Gericht, wo Gottvater, Christus, die Apostel, die himmlischen Heerscharen und die ganze Menschheit, Himmel, Erde und Hölle zusammentreten.
Was das Nähere angeht, so ist in dieser Beziehung das eigentlich Malerische einerseits von dem Skulpturartigen, andererseits von dem Poetischen, wie es nur der Dichtkunst vollkommen auszudrücken möglich ist, bestimmter abzuscheiden.
Die wesentliche Verschiedenheit einer malerischen von einer skulpturmäßigen Situation liegt, wie wir bereits oben gesehen haben, darin, daß die Skulptur hauptsächlich das selbständig in sich Beruhende, Konfliktlose in harmlosen Zuständen, an denen die Bestimmtheit nicht das Durchgreifende ausmacht, darzustellen berufen ist und erst im Relief vornehmlich zur Gruppierung, epischen Ausbreitung von Gestalten, zur Darstellung von bewegteren Handlungen, denen eine Kollision zugrunde liegt, fortzuschreiten anfängt, die Malerei dagegen bei ihrer eigentlichen Aufgabe erst dann anfängt, wenn sie aus der beziehungslosen Selbständigkeit ihrer Figuren und dem Mangel an Bestimmtheit der Situation herausgeht, um in die lebendige Bewegung menschlicher Zustände, Leidenschaften, Konflikte, Handlungen in stetem Verhältnis zu der äußeren Umgebung eintreten und selbst bei Auffassung der landschaftlichen Natur dieselbe Bestimmtheit einer besonderen Situation und deren lebendigster Individualität festhalten zu können. Wir stellten deshalb gleich anfangs schon für die Malerei die Forderung auf, daß sie die Darstellung der Charaktere, der Seele, des Inneren nicht so zu liefern habe, wie sich diese innere Welt unmittelbar in ihrer äußeren Gestalt zu erkennen gibt, sondern durch Handlungen das, was sie ist, entwickelt und äußert.
Der letztere Punkt hauptsächlich ist es, welcher die Malerei in einen näheren Bezug zur Poesie bringt. Beide Künste in diesem Verhältnisse haben teils einen Vorzug, teils einen Nachteil. Die Malerei kann die Entwicklung einer Situation, Begebenheit, Handlung nicht, wie die Poesie oder Musik, in einer Sukzession von Veränderungen geben, sondern nur einen Moment ergreifen wollen. Hieraus folgt die ganz einfache Reflexion, daß durch diesen einen Moment das Ganze der Situation oder Handlung, die Blüte derselben, dargestellt und deshalb der Augenblick aufgesucht werden muß, in welchem das Vorhergehende und Nachfolgende in einen Punkt zusammengedrängt ist. Bei einer Schlacht z. B. würde dies der Moment des Sieges sein: das Gefecht ist noch sichtbar, zugleich aber die Entscheidung bereits gewiß. Der Maler kann daher einen Rest des Vergangenen, das sich in seinem Abziehen und Verschwinden noch in der Gegenwart geltend macht, aufnehmen und zugleich das Künftige, das als unmittelbare Folge aus einer bestimmten Situation hervorgehen muß, andeuten. Ins Nähere jedoch kann ich mich hier nicht einlassen.
Bei diesem Nachteil gegen den Dichter hat nun aber der Maler den Vorteil voraus, daß er die bestimmte Szene, indem er sie sinnlich vor die Anschauung im Scheine ihrer wirklichen Realität bringt, in der vollkommensten Einzelheit ausmalen kann. »Ut pictura poesis erit«, ist zwar ein beliebter Spruch, der besonders in der Theorie vielfach urgiert und von der beschreibenden Dichtkunst in ihren Schilderungen der Jahresund Tageszeiten, Blumen, Landschaften präzis genommen und in Anwendung gebracht worden ist. Die Beschreibung aber solcher Gegenstände und Situationen in Worten ist einerseits sehr trocken und tädiös und kann dennoch, wenn sie aufs einzelne eingehen will, niemals fertig werden; andererseits bleibt sie verwirrt, weil sie das als ein Nacheinander der Vorstellung geben muß, was in der Malerei auf einmal vor der Anschauung steht, so daß wir das Vorhergehende immer vergessen und aus der Vorstellung heraushaben, während es doch wesentlich mit dem anderen, was folgt, in Zusammenhang sein soll, da es im Raum zusammengehört und nur in dieser Verknüpfung und diesem Zugleich einen Wert hat. In diesen gleichzeitigen Einzelheiten dagegen kann gerade der Maler das ersetzen, was ihm in Ansehung der fortlaufenden Sukzession vom Vergangenen und Nachfolgenden abgeht. Doch steht die Malerei wieder in einer anderen Beziehung gegen die Poesie und Musik zurück, in betreff des Lyrischen nämlich. Die Dichtkunst kann Empfindungen und Vorstellungen nicht nur als Empfindungen und Vorstellungen überhaupt, sondern auch als Wechsel, Fortgang, Steigerung derselben entwickeln. Mehr noch in Rücksicht auf die konzentrierte Innerlichkeit ist dies in der Musik der Fall, die es sich mit der Bewegung der Seele in sich zu tun macht. Die Malerei nun aber hat hierfür nichts als den Ausdruck des Gesichts und der Stellung und verkennt, wenn sie sich auf das eigentlich Lyrische ausschließlich einläßt, ihre Mittel. Denn wie sehr sie auch die innere Leidenschaft und Empfindung in Mienenspiel und Bewegungen des Körpers ausdrückt, so muß doch dieser Ausdruck nicht unmittelbar die Empfindung als solche betreffen, sondern die Empfindung in einer bestimmten Äußerung, Begebenheit, Handlung. Daß sie im Äußerlichen darstellt, hat deshalb nicht den abstrakten Sinn, durch Physiognomie und Gestalt das Innere anschaubar zu machen; sondern die Äußerlichkeit, in deren Form sie das Innere ausspricht, ist eben die individuelle Situation einer Handlung, die Leidenschaft in bestimmter Tat, durch welche die Empfindung erst ihre Explikation und Erkennbarkeit erhält. Wenn man daher das Poetische der Malerei darein setzt, daß sie die innere Empfindung unmittelbar ohne näheres Motiv und Handlung in Gesichtszügen und Stellung ausdrücken solle, so heißt dies nur die Malerei in eine Abstraktion zurückweisen, der sie sich gerade zu entwinden hat, und von ihr verlangen, sich der Eigentümlichkeit der Poesie zu bemächtigen, wodurch sie, wenn sie den Versuch wagt, nur in Trockenheit oder Fadheit gerät.
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