b. Die Harmonie
Die andere Seite nun, durch welche die abstrakte Grundlage des Taktes und Rhythmus erst ihre Erfüllung und dadurch die Möglichkeit erhält, zur eigentlich konkreten Musik zu werden, ist das Reich der Töne als Töne. Dies wesentlichere Gebiet der Musik befaßt die Gesetze der Harmonie. Hier tut sich ein neues Element hervor, indem ein Körper durch sein Schwingen nicht nur für die Kunst aus der Darstellbarkeit seiner räumlichen Form heraustritt und sich zur Ausbildung seiner gleichsam zeitlichen Gestalt herüberbewegt, sondern nun auch seiner besonderen physikalischen Beschaffenheit sowie seiner verschiedenen Länge und Kürze und Anzahl der Schwingungen nach, zu denen er es während einer bestimmten Zeit bringt, verschiedenartig ertönt und deshalb in dieser Rücksicht von der Kunst ergriffen und kunstgemäß gestaltet werden muß.
In Ansehung dieses zweiten Elements haben wir drei Hauptpunkte bestimmter herauszuheben.
Das erste nämlich, was sich unserer Betrachtung darbietet, ist der Unterschied der besonderen Instrumente, deren Erfindung und Zurichtung der Musik notwendig gewesen ist, um eine Totalität hervorzubringen, welche schon in betreff auf den sinnlichen Klang, unabhängig von aller Verschiedenheit in dem wechselseitigen Verhältnis der Höhe und Tiefe, einen Umkreis unterschiedener Töne ausmacht.
Zweitens jedoch ist das musikalische Tönen, abgesehen von der Verschiedenartigkeit der Instrumente und der menschlichen Stimme, in sich selbst eine gegliederte Totalität unterschiedener Töne, Tonreihen und Tonarten, die zunächst auf quantitativen Verhältnissen beruhen und in der Bestimmtheit dieser Verhältnisse die Töne sind, welche jedes Instrument und die menschliche Stimme ihrem spezifischen Klange nach in geringerer oder größerer Vollständigkeit hervorzurufen die Aufgabe erhält.
Drittens besteht die Musik weder in einzelnen Intervallen noch in bloßen abstrakten Reihen und auseinanderfallenden Tonarten, sondern ist ein konkretes Zusammenklingen, Entgegensetzen und Vermitteln von Tönen, welche dadurch eine Fortbewegung und einen Übergang ineinander nötig machen. Diese Zusammenstellung und Veränderung beruht nicht auf bloßer Zufälligkeit und Willkür, sondern ist bestimmten Gesetzen unterworfen, an denen alles wahrhaft Musikalische seine notwendige Grundlage hat.
Gehen wir nun aber zur bestimmteren Betrachtung dieser Gesichtspunkte über, so muß ich mich, wie ich schon früher anführte, hier besonders auf die allgemeinsten Bemerkungen einschränken.
a) Die Skulptur und Malerei finden mehr oder weniger ihr sinnliches Material, Holz, Stein, Metalle usf., Farben usw., vor oder haben dasselbe nur in geringerem Grade zu verarbeiten nötig, um es für den Kunstgebrauch geschickt werden zu lassen.
αα) Die Musik aber, welche sich überhaupt in einem erst durch die Kunst und für dieselbe gemachten Elemente bewegt, muß eine bedeutend schwierigere Vorbereitung durchgehen, ehe sie zur Hervorbringung der Töne gelangt. Außer der Mischung der Metalle zum Guß, dem Anreiben der Farben mit Pflanzensäften, Ölen und dergleichen mehr, der Mischung zu neuen Nuancen usf. bedürfen Skulptur und Malerei keiner reichhaltigeren Erfindungen. Die menschliche Stimme ausgenommen, welche unmittelbar die Natur gibt, muß sich die Musik hingegen ihre üblichen Mittel zum wirklichen Tönen erst durchgängig selber herbeischaffen, bevor sie überhaupt nur existieren kann.
ββ) Was nun diese Mittel als solche betrifft, so haben wir den Klang bereits oben in der Weise gefaßt, daß er ein Erzittern des räumlichen Bestehens sei, die erste innere Beseelung, welche sich gegen das bloße sinnliche Außereinander geltend macht und durch Negation der realen Räumlichkeit als ideelle Einheit aller physikalischen Eigenschaften der spezifischen Schwere, Art der Kohärenz eines Körpers heraustritt. Fragen wir weiter nach der qualitativen Beschaffenheit desjenigen Materials, das hier zum Klingen gebracht wird, so ist es sowohl seiner physikalischen Natur nach als auch in seiner künstlichen Konstruktion höchst mannigfaltig: bald eine geradlinige oder geschwungene Luftsäule, die durch einen festen Kanal von Holz oder Metall begrenzt wird, bald eine geradlinige gespannte Darm- oder Metallsaite, bald eine gespannte Fläche aus Pergament oder eine Glas- und Metallglocke. - Es lassen sich in dieser Rücksicht folgende Hauptunterschiede annehmen.
Erstens ist es die lineare Richtung, welche das Herrschende ausmacht und die recht eigentlich musikalisch brauchbaren Instrumente hervorbringt, sei es nun, daß eine kohäsionslosere Luftsäule, wie bei den Blasinstrumenten, das Hauptprinzip liefert oder eine materielle Säule, die straff gezogen werden, doch Elastizität genug behalten muß, um noch schwingen zu können, wie bei den Saiteninstrumenten.
Das zweite hingegen ist das Flächenhafte, das jedoch nur untergeordnete Instrumente gibt, wie die Pauke, Glocke, Harmonika. Denn es findet zwischen der sich vernehmenden Innerlichkeit und jenem linearen Tönen Sympathie statt, der zufolge die in sich einfache Subjektivität das klingende Erzittern der einfachen Länge anstatt breiter oder runder Flächen fordert. Das Innerliche nämlich ist als Subjekt dieser geistige Punkt, der im Tönen als seiner Entäußerung sich vernimmt. Das nächste Sichaufheben und Entäußern des Punktes aber ist nicht die Fläche, sondern die einfache lineare Richtung. In dieser Rücksicht sind breite oder runde Flächen dem Bedürfnis und der Kraft des Vernehmens nicht angemessen.
Bei der Pauke ist es das über einen Kessel gespannte Fell, welches, auf einem Punkte geschlagen, die ganze Fläche nur zu einem dumpfen Schall erzittern macht, der zwar zu stimmen, doch in sich selbst, wie das ganze Instrument, weder zur schärferen Bestimmtheit noch zu einer großen Vielseitigkeit zu bringen ist. Das Entgegengesetzte finden wir bei der Harmonika und deren angeriebenen Glasglöckchen. Hier ist es die konzentrierte, nicht hinausgehende Intensivität, die so angreifender Art ist, daß viele Menschen beim Anhören bald einen Nervenkopfschmerz empfinden. Dies Instrument hat sich außerdem trotz seiner spezifischen Wirksamkeit ein dauerndes Wohlgefallen nicht erwerben können und läßt sich auch mit anderen Instrumenten, insofern es sich ihnen zuwenig anfügt, schwer in Verbindung setzen. - Bei der Glocke findet derselbe Mangel an unterschiedenen Tönen und das ähnliche punktuelle Anschlagen wie bei der Pauke statt, doch ist die Glocke nicht so dumpf als diese, sondern tönt frei aus, obschon ihr dröhnendes Forthallen mehr nur gleichsam ein Nachklang des einen punktuellen Schlags ist.
Als das freiste und seinem Klang nach vollständigste Instrument können wir drittens die menschliche Stimme bezeichnen, welche in sich den Charakter der Blas- und Saiteninstrumente vereinigt, indem es hier teils eine Luftsäule ist, welche erzittert, teils auch durch die Muskeln das Prinzip einer straff gezogenen Saite hinzukommt. Wie wir schon bei der menschlichen Hautfarbe sahen, daß sie als ideelle Einheit die übrigen Farben enthalte und dadurch die in sich vollkommenste Farbe sei, so enthält auch die menschliche Stimme die ideelle Totalität des Klingens, das sich in den übrigen Instrumenten nur in seine besonderen Unterschiede auseinanderlegt. Dadurch ist sie das vollkommene Tönen und verschmelzt sich deshalb auch mit den sonstigen Instrumenten am gefügigsten und schönsten. Zugleich läßt die menschliche Stimme sich als das Tönen der Seele selbst vernehmen, als der Klang, den das Innere seiner Natur nach zum Ausdruck des Innern hat und diese Äußerung unmittelbar regiert. Bei den übrigen Instrumenten wird dagegen ein der Seele und ihrer Empfindung gleichgültiger und seiner Beschaffenheit nach fernabliegender Körper in Schwingung versetzt, im Gesang aber ist es ihr eigener Leib, aus welchem die Seele herausklingt. So entfaltet sich nun auch, wie das subjektive Gemüt und die Empfindung selbst, die menschliche Stimme zu einer großen Mannigfaltigkeit der Partikularität, die dann in betreff der allgemeineren Unterschiede nationale und sonstige Naturverhältnisse zur Grundlage hat. So sind z. B. die Italiener ein Volk des Gesanges, unter welchem die schönsten Stimmen am häufigsten vorkommen. Eine Hauptseite bei dieser Schönheit wird erstlich das Materielle des Klangs als Klangs, das reine Metall, das sich weder zur bloßen Schärfe und glasartigen Dünne zuspitzen noch dumpf oder hohl bleiben darf, zugleich aber, ohne zum Beben des Tons fortzugehen, in diesem sich gleichsam kompakt zusammenhaltenden Klang doch noch ein inneres Leben und Erzittern des Klingens bewahrt. Dabei muß denn vor allem die Stimme rein sein, d. h. neben dem in sich fertigen Ton muß sich kein anderweitiges Geräusch geltend machen.
γγ) Diese Totalität nun von Instrumenten kann die Musik entweder einzeln oder in vollem Zusammenstimmen gebrauchen. Besonders in dieser letzteren Beziehung hat sich die Kunst erst in neuerer Zeit ausgebildet. Die Schwierigkeit solcher kunstgemäßen Zusammenstellung ist groß, denn jedes Instrument hat seinen eigentümlichen Charakter, der sich nicht unmittelbar der Besonderheit eines anderen Instruments anfügt, so daß nun sowohl in Rücksicht auf das Zusammenklingen vieler Instrumente der verschiedenen Gattungen als auch für das wirksame Hervortreten irgendeiner besonderen Art, der Blas- oder Saiteninstrumente z. B., oder für das plötzliche Herausblitzen von Trompetenstößen und für die wechselnde Aufeinanderfolge der aus dem Gesamtchor hervorgehobenen Klänge große Kenntnis, Umsicht, Erfahrung und Erfindungsgabe nötig ist, damit in solchen Unterschieden, Veränderungen, Gegensätzen, Fortgängen und Vermittlungen auch ein innerer Sinn, eine Seele und Empfindung nicht zu vermissen sei. So ist mir z. B. in den Symphonien Mozarts, welcher auch in der Instrumentierung und deren sinnvoller, ebenso lebendiger als klarer Mannigfaltigkeit ein großer Meister war, der Wechsel der besonderen Instrumente oft wie ein dramatisches Konzertieren, wie eine Art von Dialog vorgekommen, in welchem teils der Charakter der einen Art von Instrumenten sich bis zu dem Punkte fortführt, wo der Charakter der anderen indiziert und vorbereitet ist, teils eins dem anderen eine Erwiderung gibt oder das hinzubringt, was gemäß auszusprechen dem Klange des Vorhergehenden nicht vergönnt ist, so daß hierdurch in der unmutigsten Weise ein Zwiegespräch des Klingens und Widerklingens, des Beginnens, Fortführens und Ergänzens entsteht.
β) Das zweite Element, dessen noch Erwähnung zu tun ist, betrifft nicht mehr die physikalische Qualität des Klangs, sondern die Bestimmtheit des Tones in sich selbst und die Relation zu anderen Tönen. Dies objektive Verhältnis, wodurch sich das Tönen erst zu einem Kreise ebensosehr in sich, als einzelner, fest bestimmter als auch in wesentlicher Beziehung aufeinander bleibender Töne ausbreitet, macht das eigentlich harmonische Element der Musik aus und beruht seiner zunächst selbst wieder physikalischen Seite nach auf quantitativen Unterschieden und Zahlenproportionen. Näher nun sind in Ansehung dieses harmonischen Systems auf der jetzigen Stufe folgende Punkte von Wichtigkeit:
Erstens die einzelnen Töne in ihrem bestimmten Maßverhältnis und in der Beziehung desselben auf andere Töne: die Lehre von den einzelnen Intervallen;
zweitens die zusammengestellte Reihe der Töne in ihrer einfachsten Aufeinanderfolge, in welcher ein Ton unmittelbar auf einen anderen hinweist: die Tonleiter;
drittens die Verschiedenheit dieser Tonleitern, welche, insofern jede von einem anderen Tone als ihrem Grundtone den Anfang nimmt, zu besonderen, von den übrigen unterschiedenen Tonarten sowie zur Totalität dieser Arten werden.
αα) Die einzelnen Töne erhalten nicht nur ihren Klang, sondern auch die näher abgeschlossene Bestimmtheit desselben durch einen schwingenden Körper. Um zu dieser Bestimmtheit gelangen zu können, muß nun die Art des Schwingens selbst nicht zufällig und willkürlich, sondern fest in sich bestimmt sein. Die Luftsäule nämlich oder gespannte Saite, Fläche usf., welche erklingt, hat eine Länge und Ausdehnung überhaupt; nimmt man nun z. B. eine Saite und befestigt sie auf zwei Punkten und bringt den dazwischenliegenden gespannten Teil in Schwingung, so ist das nächste, worauf es ankommt, die Dicke und Spannung. Ist diese in zwei Saiten ganz gleich, so handelt es sich, nach einer Beobachtung, welche Pythagoras zuerst machte, vornehmlich um die Länge, indem dieselben Saiten bei verschiedener Länge während der gleichen Zeitdauer eine verschiedene Anzahl von Schwingungen geben. Der Unterschied nun dieser Anzahl von einer anderen und das Verhältnis zu einer anderen Anzahl macht die Basis für den Unterschied und das Verhältnis der besonderen Töne in betreff auf ihre Höhe und Tiefe aus.
Hören wir nun aber dergleichen Töne, so ist die Empfindung dieses Vernehmens etwas von so trockenen Zahlenverhältnissen ganz Verschiedenes; wir brauchen von Zahlen und arithmetischen Proportionen nichts zu wissen, ja wenn wir auch die Saite schwingen sehen, so verschwindet doch teils dies Erzittern, ohne daß wir es in Zahlen festhalten können, teils bedürfen wir eines Hinblicks auf den klingenden Körper gar nicht, um den Eindruck seines Tönens zu erhalten. Der Zusammenhang des Tons mit diesen Zahlenverhältnissen kann deshalb zunächst nicht nur als unglaublich auffallen, sondern es kann sogar den Anschein gewinnen, als werde das Hören und innere Verstehen der Harmonien sogar durch die Zurückführung auf das bloß Quantitative herabgewürdigt. Dennoch ist und bleibt das numerische Verhältnis der Schwingungen in derselben Zeitdauer die Grundlage für die Bestimmtheit der Töne. Denn daß unsere Empfindung des Hörens in sich einfach ist, liefert keinen Grund zu einem triftigen Einwände. Auch das, was einen einfachen Eindruck gibt, kann an sich, seinem Begriff wie seiner Existenz nach, etwas in sich Mannigfaltiges und mit anderem in wesentlicher Beziehung Stehendes sein. Sehen wir z. B. Blau oder Gelb, Grün oder Rot in der spezifischen Reinheit dieser Farben, so haben sie gleichfalls den Anschein einer durchaus einfachen Bestimmtheit, wogegen sich Violett leicht als eine Mischung ergibt von Blau und Rot. Dessenungeachtet ist auch das reine Blau nichts Einfaches, sondern ein bestimmtes Verhältnis des Ineinander von Hell und Dunkel. Religiöse Empfindungen, das Gefühl des Rechtes in diesem oder jenem Falle erscheinen als ebenso einfach, und doch enthält alles Religiöse, jedes Rechtsverhältnis eine Mannigfaltigkeit von besonderen Bestimmungen, deren Einheit diese einfache Empfindung gibt. In der gleichen Weise nun beruht auch der Ton, wie sehr wir ihn als etwas in sich schlechthin Einfaches hören und empfinden, auf einer Mannigfaltigkeit, die, weil der Ton durch das Erzittern des Körpers entsteht und dadurch mit seinen Schwingungen in die Zeit fällt, aus der Bestimmtheit dieses zeitlichen Erzitterns, d. h. aus der bestimmten Anzahl von Schwingungen in einer bestimmten Zeit, herzuleiten ist. Für das Nähere solcher Herleitung will ich nur auf folgendes aufmerksam machen.
Die unmittelbar zusammenstimmenden Töne, bei deren Erklingen die Verschiedenheit nicht als Gegensatz vernehmbar wird, sind diejenigen, bei welchen das Zahlenverhältnis ihrer Schwingungen von einfachster Art bleibt, wogegen die nicht von Hause aus zusammenstimmenden verwickeitere Proportionen in sich haben. Von ersterer Art z. B. sind die Oktaven. Stimmt man nämlich eine Saite, deren bestimmte Schwingungen den Grundton geben, und teilt dieselbe, so macht diese zweite Hälfte in der gleichen Zeit, mit der ersten verglichen, noch einmal soviel Schwingungen. Ebenso gehen bei der Quinte drei Schwingungen auf zi/ve/des Grundtons; fünf auf wer des Grundtons bei der Terz. Anders dagegen verhält es sich mit der Sekunde und Septime, wo acht Schwingungen des Grundtons auf neun und auf fünfzehn fallen.