3. Verhältnis der orientalischen Völker zur Philosophie.

 

Die Geschichte der Philosophie ist weder Religions - noch Sittengeschichte, die Philosophie selbst besteht weder in theologischer Spekulation noch in praktischer Sittenlehre. Von einer orientalischen »Philosophie« kann man unter solchen Voraussetzungen nur in bedingtem Sinne reden. Der Hauptgrund aber, weshalb wir mit fast sämtlichen Darstellungen der allgemeinen Geschichte der Philosophie von einem näheren Eingehen Abstand nehmen, ist der, dass sie zu dem gesamten europäischen Denken in zu entfernter Beziehung steht. Die einzige unter ihnen aber, die einen wirklich philosophischen Charakter trägt, die tiefsinnige Spekulation der Inder, ist viel zu umfangreich, um Nichtspezialisten eine auf selbständigem Quellenstudium beruhende Darstellung zu gestatten.

1. Die allerdings zum Teil spekulative Götterlehre der Ägypter kann unmöglich als Philosophie In unserem Sinne gelten, ebensowenig die religiösen Vorstellungen der alten Assyrer und Babylonier. Auch die von Zarathustra (Zoroaster) reformierte altpersische Religion enthält, außer ihrem allgemeinen dualistischen Prinzip eines Reiches des Lichts (des Guten) und der Finsternis (des Bösen), das uns bei den Manichäern (§ 52) wieder begegnen wird, keine Bestandteile philosophischer Art. Ebenso zeigt das Volk der Hebräer wenig philosophische Anlagen.

2. Die sogenannte chinesische Philosophie ist in ihrem Hauptvertreter Kung-tse d.h. Meister Kung (von den Jesuiten latinisiert in Konfuzius, um 500 v. Chr.) wesentlich praktische Sitten- und Staatslehre, die auf bemerkenswerter sittlicher Höhe steht (»Liebet euch untereinander«, »Vergeltet Gutes mit Gutem und Übles mit - Gerechtigkeit«, »Was du nicht willst, dass dir geschehe, das tue anderen nicht«), dagegen einer theoretischen Grundlage fast völlig entbehrt zu haben scheint. Nur einmal wird folgende Stufenleiter aufgestellt: Das Wissen vervollkommnen besteht darin, die Dinge zu untersuchen; ist das Wissen vollkommen, dann erst ist das Denken wahrhaftig; ist das Denken wahrhaftig, dann erst ist das Herz lauter, die Persönlichkeit ausgebildet, das Hauswesen geregelt, das Staatswesen geordnet. Die Kardinaltugenden sind: Menschlichkeit, Rechtlichkeit, Schicklichkeit, Weisheit und Treue, das Grundprinzip das der richtigen Mitte. Besonders stark betont wird das Gebot der Kindespflicht. Für metaphysische Fragen zeigt Kung kein Verständnis; Religion ist ihm gleichbedeutend mit den altüberlieferten Satzungen und Gebräuchen, wie er denn einmal offenherzig von sich selber bekennt: »Ich bin ein Überlieferer, kein Schöpfer.« In alledem ist er der Typus des Chinesen. Daher auch sein bis heute dauernder ungeheurer Einfluß; nicht weniger als 1500 Tempel sind ihm geweiht. (Weiteres s. bei von der Gabelentz, Confucius und seine Lehre, Leipzig 1888.) Die Lehre des »Meister Kung« wurde zwei Jahrhunderte später von Meng-tse (Mencius) weiter gebildet und philosophisch vertieft. Über ihn, dessen Sittensprüche einen adeln Sinn und aufmerksame Menschenbeobachtung verraten, vgl. die Monographie von F. Faber (Elberfeld 1877).

Eine weit tiefsinnigere Natur als Konfuzius war sein älterer Zeitgenosse Lao-tse, d. i. der Alte, der an den Anfang der Dinge einen namenlosen Urgrund (Tao) setzt, aus dem der Vater des Alls und aller Kräfte und Tugenden hervorgeht. Selbst unerforschlich, unkörperlich und Maß aller Maße, schreibt es, als die vernünftige Ordnung der Dinge, dem Handeln des Menschen den Weg vor. Zu ihm soll der Weise emporstreben, durch Loslösung von allem Sinnlichen und mystisches Sich-Insichselbst-Zurückziehen. (Vgl. Laotse, Vom Sinn des Lebens sowie Das wahre Buch vom quellenden Urgrund und Vom südlichen Blütenland in der Wilhelmschen Sammlung.)

Wohl hatte der hochsinnige Weise einzelne begeisterte Nachfolger und Fortbildner, indes scheint der weltfremde »Taoismus« im Volke doch nie tiefere Wurzeln geschlagen zu haben, im Gegensatz zu dem recht auf das praktische Wesen des Chinesen berechneten Konfuzianismus. Eine neue Blüte erlebte die chinesische Philosophie im 11. und 12. nachchristlichen Jahrhundert, indem Tschou-tse und Tschu-hi der Lehre des Konfuzius eine metaphysisch- naturphilosophische Grundlage zu geben suchten. Dieser Neukonfuzianismus besitzt noch heute in den höheren Kreisen Chinas das Übergewicht über den Taoismus und den im ersten nachchristlichen Jahrhundert aus Indien eingeführten Buddhismus und hat sich auch nach Japan verbreitet, wo er sowohl die alte, nationale Schinto-Religion als auch den seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. von China her eingedrungenen, aber altersschwach gewordenen Buddhismus zurückdrängte. Seitdem befindet sich die »Philosophie« der Chinesen anscheinend im Zustande dauernder Stagnation: anstatt neuen Schaffens Auswendiglernen der »klassischen« Schriften und zahllose Kommentare zu den letzteren.

 


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