Einleitung

1. Philosophie. Ihr Name und Begriff.


Was Philosophie ist, kann man nur durch eigenes Philosophieren und im Laufe desselben lernen. Wir vermeiden es daher absichtlich, uns gleich zu Anfang dieser Philosophiegeschichte in tiefergehende Auseinandersetzungen über Begriff und Wesen der Philosophie ein zulassen, sondern beschränken uns darauf, eine gedrängte Skizze ihrer Namensgeschichte zu geben, um daran einige Bemerkungen über unsere eigene Auffassung zu schließen.

Der Ausdruck philosophein wird zuerst von Herodot (I, 30) gebraucht, und zwar in seinem ursprünglichen Wortsinne der Liebe zur Weisheit, des Bildungsstrebens; ähnlich in der Grabrede des Perikles (Thukyd. II, 40). Neben dieser allgemeineren erhält das Wort seine engere Bedeutung als Fachausdruck für die Wissenschaft »vom Seienden« erst bei Plato und Aristoteles.1 Es bezeichnet bei diesen Klassikern der antiken Philosophie fast genau das, was wir heute unter »Wissenschaft« verstehen, und wird deshalb auch in der Mehrzahl (philosophiai) gebraucht. Aristoteles insbesondere unterscheidet bestimmter seine »erste« Philosophie, welche die ersten Gründe und Prinzipien alles Seienden erforscht, von den übrigen Philosophien oder Wissenschaftszweigen, desgleichen von den vorhergegangenen Denkrichtungen, die ebenfalls philosophiai heißen. Entsprechend der weiteren Entwicklung der Philosophie selbst, fällt dann ihr Begriff bei den nacharistotelischen Schulen der Stoiker und Epikureer wesentlich mit dem Streben nach vernunftgemäßer Glückseligkeit zusammen: die »Weisheitsliebe« wird zur Lebenskunst, während die Einzelwissenschaften, allmählich erstarkt, unter besonderen Namen sich von der gemeinsamen Stammmutter loszulösen beginnen. In ihrer letzten Periode endlich tritt, die antike Philosophie in enge Verbindung mit der religiösen Spekulation.

Die Begriffsbestimmungen des späteren Altertums erleiden zwar im christlichen Mittelalter keine wesentliche Veränderung, aber die Philosophie ist zur dienenden Magd der Theologie geworden, deren von vornherein feststehende Dogmen sie mit den Mitteln der menschlichen Vernunft rechtfertigen, begründen, im besten Falle weiter ausgestalten soll. Mit dem Wiedererwachen der Wissenschaften im Zeitalter der Renaissance wirft die Philosophie das kirchliche Joch ab, betrachtet als ihre einzige Quelle das »natürliche Licht« der Vernunft und wird wieder zu dem, was sie im klassischen Altertum gewesen war: einer auf vernunftmäßiger Begründung ruhenden Welterkenntnis und Lebensanschauung. Im Gegensatz zum kirchlichen Dogma wird sie so zur »Weltweisheit«, wie man im 18. Jahrhundert zu sagen pflegte, Ihr Wissenschaftscharakter tritt natürlich bei den verschiedenen Systemen in verschieden starkem Grade hervor, am entschiedensten bei Kant.

Wie aus der vorangegangenen Skizze klar geworden sein wird, ist »Philosophie« schon im Altertum in einem engeren und in einem weiteren Sinne - Kant würde sagen: nach ihrem Schulbegriff und nach ihrem Weltbegriff2) - gebraucht worden. Dem schließt auch die folgende Begriffsbestimmung sich an. Philosophie im engeren Sinne, genauer Philosophie als Wissenschaft, sucht die Vereinheitlichung der Erkenntnis, welche die Einzelwissenschaften auf ihren Teilgebieten erstreben, auf dem Gesamtgebiet menschlichen Erkennens überhaupt zu erreichen, indem sie dessen Grundsätze und Grundbegriffe festzustellen und in systematischen Zusammenhang miteinander zu bringen sucht. Am kürzesten könnte man deshalb Philosophie in diesem Sinne vielleicht als Prinzipienlehre der Wissenschaften bezeichnen. Alle Wissenschaften haben das Bestreben, ihre letzten Grundlagen philosophisch nachzuweisen. Wir unterscheiden heute nicht mehr bloß die älteren philosophischen Lehrfächer der Logik (Erkenntnistheorie), Psychologie, Ethik und Ästhetik, sondern reden auch von einer Rechts-, Geschichts-, Natur-, Sprach-, Religions-, Sozialphilosophie, ja sogar von einer Philosophie der Mathematik und der Technik.

 Neben dieser Philosophie im engeren, erkenntniskritischen Sinne, welche die Einzelwissenschaften oder Kulturgüter (wie Moral, Religion, Kunst, soziales Leben) zum Gegenstande ihres erkenntniskritischen Verfahrens macht, steht nun aber noch die Philosophie »nach ihrem Weltbegriffe«, die auf Grund der gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnis ein geschlossenes Weltbild zu entwerfen sucht, sonach mit dem Anspruch einer Weltanschauung auftritt. Sie unterscheidet sich von der den gleichen Anspruch erhebenden künstlerischen oder religiösen Weltanschauung durch ihre Gebundenheit an das Vernunftmäßige Denken. In diesem allgemeineren Sinne, den eine Geschichte der Philosophie nicht übersehen darf, weil das philosophische Denken tatsächlich in zahlreichen Fällen diesen Weg eingeschlagen hat, würde Philosophie etwa gleichzusetzen sein mit: vernunftgemäßer Weltbetrachtung.


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