Zweites Kapitel.
Über das persönliche Recht
(formaliter und ohne Beschränkung)
Der Grundsatz aller Rechtsbeurteilung ist der: Jeder beschränke seine Freiheit durch den Begriff der Freiheit des Andern, so dass auch der Andre als überhaupt frei, dabei bestehen könne. Der Begriff der Freiheit schlechtweg, formaliter und ohne Beschränkung gibt den Begriff des Urrechts, d.i. desjenigen Rechts, das jeder Person als einer solchen absolut zukommen soll.
Dieser Begriff ist, der Qualität nach, ein Begriff von dem Vermögen: absolut erste Ursache zu sein: der Quantität nach hat das darunter Begriffene gar keine Grenzen, sondern ist seiner Natur nach unendlich, weil die Rede nur überhaupt davon ist, dass die Person frei sein solle, nicht aber, inwieweit sie frei sein solle. Die Quantität widerstreitet diesem Begriffe, so wie er hier als ein bloß formaler aufgestellt ist. Der Relation nach ist von der Freiheit der Person nur insofern die Rede, inwiefern nach dem Rechtsgesetze der Umfang der freien Handlungen Andrer dadurch beschränkt werden soll, weil diese die geforderte formale Freiheit unmöglich machen könnten, und hierdurch wird die Quantität der Untersuchung bestimmt.
Es ist nur von einer Kausalität in der Sinnenwelt die Rede, als in welcher allein die Freiheit durch die Freiheit eingeschränkt werden kann. Endlich der Modalität nach hat dieser Begriff apodiktische Gültigkeit: jede Person soll schlechthin frei sein.
Das Urrecht ist daher das absolute Recht der Person, in der Sinnenwelt nur Ursache zu sein, schlechthin nicht bewirktes; erstes, Prinzip; und niemals zweites, Folge.
In dem Begriffe einer Wirkung und zwar einer absoluten Wirkung liegt Folgendes: 1) dass die Qualität und Quantität des Thuns durch die Ursache selbst vollkommen bestimmt sei; 2) dass aus dem Gesetztsein des Zweckbegriffs die Qualität und Quantität des Leidens im Objekte der Wirkung unmittelbar folge, so dass man von jedem auf jedes andre übergehen, durch Eines unmittelbar das andre bestimmen könne; notwendig beide kenne, sobald man Eins kennt.
Was das Erste betrifft, dass die Person der absolute und letzte Grund des Begriffs ihrer Wirksamkeit, d.i. ihres Zweckbegriffs sei: der Wille der Person tritt auf das Gebiet der Sinnenwelt lediglich, inwiefern er in der Bestimmung des Leibes ausgedrückt ist. Auf diesem Gebiete ist daher der Leib eines freien Wesens anzusehen als selbst der letzte Grund seiner Bestimmung, und das freie Wesen als Erscheinung ist identisch mit seinem Leibe; er erscheint zugleich als Zweckbegriff und als Werkzeug. (Mit der Freiheit des Leibes geht überhaupt die Freiheit an).
Daraus folgt:
1) Der Leib als Person betrachtet, muss absolute und letzte Ursache seiner Bestimmung zur Wirksamkeit sein; er darf nie als bloßes Werkzeug betrachtet werden. Es muss überhaupt gar nicht unmittelbar, gewaltsam auf ihn gewirkt werden; (sein Leib darf nicht angegriffen werden).
2) Aus seiner Bewegung muss die dadurch mögliche Wirkung in der Sinnenwelt unfehlbar erfolgen; nicht eben die dabei gedachte, und beabsichtigte; denn wenn Jemand die Natur der Dinge nicht wohl gekannt, seine tätige Kraft gegen ihr Vermögen der Trägheit nicht richtig berechnet hat; so ist die Schuld sein eigen, und er hat Keinen außer sich anzuklagen; aber die Sinnenwelt muss nur nicht durch eine fremde, außer ihr liegende freie Kraft seiner Einwirkung zuwider bestimmt werden; seiner Wirksamkeit darf nicht unmittelbar entgegengewirkt werden.
3) Ein Zweckbegriff aber setzt Erkenntnis des Objektes des Wirkens; und zwar ist eine bestimmte Erkenntnis des Objektes Bedingung des bestimmten Zweckbegriffes: es wird gerechnet auf dieses stehende, bleibende Sein, welches geführt werden soll durch Wirksamkeit zu dem beabsichtigten Ziele. Diese sich zu erwerben, ist seine Sache; wenn aber die erworbene geändert wird, die er also seinem Zwecke unterworfen hat; so wird seine Freiheit gestört.
Ich sage: die er seinem Zwecke unterworfen hat, und so als bleibend denkt, es sei nun durch ihn besonders modifiziert oder nicht. Das nicht Modifizierte wird, wenn es nur durch das Vernunftwesen gedacht, und mit seiner Welt zusammengereiht wird, grade dadurch, dass es nicht modifiziert worden ist, ein Modifiziertes. Die Person hat es zufolge ihres Zweckbegriffs von dem Ganzen, zu welchem dieses bestimmte Ding passen soll, nicht modifiziert, weil es nur in seiner natürlichen Gestalt dazu passt, und würde es modifiziert haben, wenn es dazu nicht gepasst hätte. Seine Enthaltung von einer gewissen Tätigkeit war daher selbst ein Zweckmäßiges, mithin eine Modifikation, wenngleich nicht dieses bestimmten Dinges, doch des Ganzen, zu welchem es passen sollte.
Nun kann die Natur sich selbst nicht verändern, und aller scheinbare Wandel in ihr geschieht nach unabänderlichen Gesetzen. Wird also nach ihnen Etwas in der auf unsre Zwecke bezogenen Welt verändert, so ist das unsre eigne Schuld; denn entweder hätten wir auf die Fortdauer desselben nicht rechnen sollen, wenn uns diese Gesetze zu übermächtig sind, oder wir hätten ihrer Wirkung durch Kunst zuvorkommen sollen. Nur andre freie Wesen können eine unvorherzusehende und nicht zu verhindernde Veränderung in unsrer Welt, d.i. in dem Systeme desjenigen, was wir erkannt und auf unsre Zwecke bezogen haben, hervorbringen; dann aber würde unsre freie Wirksamkeit gestört. Die Person hat das Recht, zu fordern, dass in dem ganzen Bezirk der ihr bekannten Welt Alles bleibe, wie sie dasselbe erkannt hat. Also: der mir bekannte und meinen Zwecken, sei es auch nur im Gedanken, unterworfene Teil der Sinnenwelt ist ursprünglich und ohne Beschränkung durch den Vertrag mein Eigentum. Was ich meinem Zwecke unterworfen habe, kann ohne Beschränkung meiner Freiheit kein Andrer modifizieren; es ist also mein Recht, dass meiner Wirksamkeit nicht mittelbar (durch Änderung der mir möglichen Objekte derselben) entgegen gewirkt werde.
4) Die Person will, dass ihre Tätigkeit in der Sinnenwelt Ursache werde, heißt: sie will, dass eine ihrem Zweckbegriffe der Tätigkeit entsprechende Wahrnehmung gegeben werde, und zwar in einem zukünftigen, dem Momente ihres Willens überhaupt folgenden Momente. Also in jedem Zweckbegriffe wird eine Zukunft umfasst.
Jeder Gebrauch der Freiheit schließt darum notwendig das Wollen einer Zukunft in sich. Der Erfolg des Freiheitsgebrauches ist ein Recht, und ist Jedem durch sein Recht gesichert, heißt: seine beabsichtigte Zukunft, d.i. seine Selbsterhaltung ist Jedem gesichert, und gehört zu seinem persönlichen Rechte. Der Erfolg seiner Zukunft ist ein allgemeiner. Seine Wirksamkeit enthält in sich seine Zukunft. Ich lasse ihm die erstere, heißt, ich lasse ihm die zweite. Man sichert sich dadurch der Zukunft.
Man könnte denken, durch Unverletzlichkeit und Unantastbarkeit des Leibes sei diese gesichert. Ja, gegen unmittelbare Gewalttätigkeit, aber nicht gegen mittelbare des Eigentumsvertrages. Um diese Folgerung ist es uns zu tun, da kommen wir auf den oben berührten Punkt.
5) Alles jetzt Deduzierte zusammengefasst, fordert die Person durch ihr Urrecht eine fortdauernde Wechselwirkung zwischen ihrem Leibe und der Sinnenwelt, bestimmt und bestimmbar, lediglich durch ihren frei entworfenen Begriff derselben. Dies ist erschöpfend für den Begriff der absoluten Kausalität in der Sinnenwelt, oder des persönlichen Rechts. Es ist also ein absolutes und geschlossenes Ganze, jede teilweise Verletzung desselben betrifft das Ganze. Wollte man also eine Einteilung in diesem Begriffe, so könnte es keine andre sein als die, die im Begriffe der Kausalität selber liegt. Es läge sonach im Urrechte:
1) Das Recht auf die absolute Unantastbarkeit des Leibes (d.i., dass auf ihn unmittelbar gar nicht eingewirkt würde).
2) Das Recht auf die Fortdauer unsres freien Einflusses auf die gesamte Sinnenwelt.
Ein besonderes Recht der Selbsterhaltung gibt es nicht; denn dass der Gebrauch des Körpers, als eines Werkzeuges, oder der Sachen, als Mittel in einem gewissen Falle, unmittelbar die Sicherung der Fortdauer unsres Leibes, als eines solchen, zum Zwecke habe, ist zufällig. Auch wenn wir einen geringern Zweck hätten, dürfte man unsre Freiheit nicht stören; denn man darf sie überhaupt nicht stören. Aber dass unser gesamtes Urrecht nicht bloß für den gegenwärtigen Augenblick gelte, sondern dass es so weit in die Zukunft hinausgehe, als wir dieselbe nur umfassen können mit unsrem Geiste, und in unsren Planen; dass daher in ihm das Recht, unsre gesamten Rechte für alle Zukunft zu sichern, unmittelbar liege, ist nicht aus der Acht zu lassen.