Ankündigung der Zeitschrift: Angelus Novus
Die Zeitschrift, deren Plan hiermit vorliegt, hofft, indem sie Rechenschaft von ihrer Form sucht, Vertrauen zu ihrem Inhalt mitzuteilen. Diese Form entspringt der Besinnung auf das Wesen einer Zeitschrift und mag ein Programm nicht sowohl entbehrlich machen, denn als Anreiz trügerischer Produktivität vermeiden. Nur für zielbewußtes Wirken Einzelner oder Verbundener gelten Programme; eine Zeitschrift, welche als Lebensäußerung einer bestimmten Geistesart immer sehr viel unberechenbarer und unbewußter, aber auch sehr viel zukunftsvoller und entfaltungsreicher ist als jede Willensäußerung, verstünde, in welchen Sätzen immer sich erkennend, schlecht sich selbst. Soweit also Besinnung von ihr gefordert werden kann - und sie kann es im rechten Sinne unbegrenzt - hat sie sich weniger auf ihre Gedanken und Gesinnungen als auf ihre Grundlagen und Gesetze zu beziehen; wie ja auch vom Menschen keineswegs das Bewußtsein seiner innersten Tendenzen, wohl aber das seiner Bestimmung ständig erwartet werden darf.
Die wahre Bestimmung einer Zeitschrift ist, den Geist ihrer Epoche zu bekunden. Dessen Aktualität gilt ihr mehr als selber seine Einheit oder Klarheit und damit wäre sie - gleich der Zeitung - zur Wesenlosigkeit verurteilt, wenn nicht in ihr ein Leben sich gestaltete, mächtig genug, auch das Fragwürdige, weil es von ihr bejaht wird, noch zu retten. In der Tat: eine Zeitschrift, deren Aktualität ohne historischen Anspruch ist, besteht zu Unrecht. Daß es diesen mit so unvergleichlichem Nachdruck. erheben durfte, macht die Vorbildlichkeit des romantischen »Athenäums«. Und zugleich wäre dieses - wenn es not täte - ein Beispiel, wie für die wahre Aktualität der Maßstab ganz und gar nicht beim Publikum ruht. Jede Zeitschrift hätte wie diese, unerbittlich im Denken, unbeirrbar im Sagen und unter gänzlicher Nichtachtung des Publikums, wenn es sein muß, sich an dasjenige zu halten, was als wahrhaft Aktuelles Literarische und ästhetische Essays unter der unfruchtbaren Oberfläche jenes Neuen oder Neuesten sich gestaltet, dessen Ausbeutung sie den Zeitungen überlassen soll.
Auch blieb für jede Zeitschrift, die sich so versteht, die Kritik der Hüter der Schwelle. Hatte sie aber in ihrer Frühzeit es mit banaler Niedertracht allein zu tun, so sieht sie nun, da unter den Produkten nicht mehr das Rückständige und Fade, unter den Produzierenden nicht mehr Stümperei und Einfalt das Feld behaupten, überall die talentvolle Fälschung sich gegenüber. Da zudem seit fast hundert Jahren jedes ungewaschene Feuilleton für Kritik sich in Deutschland ausgeben darf, so ist, dem kritischen Wort seine Gewalt zurückzugewinnen, doppelt geboten. Diktum und Verdikt sind zu erneuern. Nur der Terror wird jener Nachäffung großen malerischen Schaffens Herr werden, die den literarischen Expressionismus ausmacht. Ist in solcher annihilierender Kritik die Darstellung großer Zusammenhänge geboten, - denn wie wollte sie anders zu Rande kommen? - so ist es Sache der positiven Kritik mehr als bisher, mehr auch als es den Romantikern gelang, die Beschränkung auf das einzelne Kunstwerk zu üben. Denn die große Kritik hat nicht, wie man wohl meint, durch geschichtliche Darstellung zu unterrichten oder durch Vergleiche zu bilden, sondern durch Versenkung zu erkennen. Sie hat von der Wahrheit der Werke jene Rechenschaft zu geben, welche die Kunst nicht weniger fordert als die Philosophie. Mit der Bedeutung solcher Kritik verträgt es sich nicht, am Ende des Heftes einige Spalten, wie für ein pflichtmäßig zu füllendes Schema, ihr vorzubehalten. Die Zeitschrift wird keinen »kritischen Teil« haben und durch keinerlei typographische Behelfe ihren kritischen Beiträgen das Kainszeichen aufdrücken.
Gerade weil sie ebensosehr der Dichtung wie der Philosophie und Kritik sich zu widmen gedenkt, darf die letzte von dem nichts verschweigen, was ihr über die erste zu sagen obliegt. Täuscht nicht alles, so hat eine gefährliche, in jedem Sinne entscheidende Zeit für die deutsche Dichtung seit der Jahrhundertwende begonnen. Das Huttensche Wort vom Zeitalter und von der Lust, es zu leben, dessen Ton obligat schien in den Programmen von Zeitschriften, will sich ebenso wenig von der Dichtkunst wie von andern Dingen des heutigen Deutschland aussprechen lassen. Seitdem Georges Wirken in seiner letzten Bereicherung deutschen Sprachgutes historisch zu werden beginnt, sdleint ein neuer Thesaurus deutscher Dichtersprache das Erstlingswerk jedes jüngern Autors zu bilden. Und so wenig von einer Schule erwartet werden darf, deren nachhaltigste Wirkung bald darin gesehen werden wird, aufdringlich eines großen Meisters Grenzen dargetan zu haben, so wenig läßt die offenkundige Mechanik allerneuester Produktion Zutrauen zu der Sprache ihrer Dichter fassen. Entschiedener als zur Zeit Klopstocks - von dem manche Gedichte lauten, als seien es die heute gesuchten - restloser als seit Jahrhunderten fällt die Krisis der deutschen Dichtung zusammen mit der Entscheidung über die deutsche Sprache selbst, in deren Erwägung weder Kenntnis, Bildung noch Geschmack bestimmen, ja deren Ergründung in gewissem Sinn möglich erst nach gewagtem Spruch wird. Ist demnach die Grenze erreicht, über die hinaus eine vorläufige Rechenschaft hierin sich nicht erstrecken kann, so erübrigt die Feststellung, daß alles, was die Zeitschrift an poetischer und prosaischer Dichtung bringen wird, des Gesagten eingedenk erscheint und daß insbesondere schon die Dichtungen des ersten Heftes als Entscheidungen im gedachten Sinne verstanden sein wollen. Neben diesen werden später solche anderer Autoren sich finden, welche ihren Platz im Schatten, ja im Schutz der ersten suchend, frei jedoch von der schemenhaften Gewaltsamkeit unserer gefeierten Hymniker, ein Feuer, das sie selbst nicht entfacht haben, zu hüten suchen.
Von neuem ruft die Lage des deutschen Schrifttums eine Form hervor, welche seit jeher heilsam seine großen Krisen begleitete: die übersetzung. Freilich wollen die übersetzungen der Zeitschrift nicht sowohl als Vermittlung von Vorbildern verstanden werden, wie dies früher Brauch war, denn als unersetzlicher und strenger Schulgang werdender Sprache selbst. Wo nämlich dieser noch der eigene Inhalt nimt gegenwärtig ist, an dem sie sich aufbaut, bietet der ihrer würdige verwandte anderer zugleich mit der Aufgabe sich dar, um seinetwillen abgestorbenes Sprachgut aufzugeben und das frische zu entfalten. Diesen formalen Wert der wahren übersetzung deutlimer zu mamen, wird jeder Arbeit, welme nam solcher Erwägung zuvörderst beurteilt sein will, das Original zur Seite gestellt werden. Im übrigen wird auch hiervon das erste Heft ausführlicher Rechenschaft geben.
Die sachliche Universalität, welche im Plan dieser Zeitschrift liegt, wird sie nicht mit einer stofflichen verwechseln. Und da sie einerseits sich gegenwärtig hält, daß die philosophische Behandlung jedem wissenschaftlichen oder praktischen Gegenstand, einem mathematischen Gedankengang so gut wie einem politischen, universale Bedeutung verleiht, wird sie anderseits nicht vergessen, daß auch ihre nächsten literarischen oder philosophischen Gegenstände nur um eben dieser Behandlungsweise und unter deren Bedingung ihr willkommen sind. Diese philosophische Universalität ist die Form, in deren Auslegung am genauesten die Zeitschrift Sinn für wahre Aktualität wird erweisen können. Ihr muß die universale Geltung geistiger Lebensäußerungen an die Frage gebunden sein, ob sie auf einen Ort in werdenden religiösen Ordnungen Anspruch zu erheben vermögen. Nicht als ob solche Ordnungen absehbar wären. Wohl aber ist absehbar, daß nicht ohne sie zum Vorschein kommen wird, was in diesen Tagen als den ersten eines Zeitalters nach Leben ringt. Eben darum aber scheint es an der Zeit, weniger denen ein Ohr zu leihen, die das arcanum selbst gefunden zu haben meinen, als denen, welche am sachlichsten, am ungerührtesten und unaufdringlichsten Drangsal und Not aussprechen und sei's auch nur, weil eine Zeitschrift nicht für die Größten der Ort ist. Weniger noch darf sie für die Kleinsten es sein, vorbehalten also denjenigen, die nicht allein in ihrem Suchen der Seele, sondern zugleich in ihrem Denken den Dingen es abmerken, daß sie nur im Bekenntnis sich erneuern werden. Dieses aber soll nicht erschlichen werden: spiritualistischem Okkultismus, politischem Obskurantismus, katholischem Expressionismus wird man nur als Gegenstand schonungsloser Kritik in diesen Blättern begegnen. Wenn sie demnach auf die bequeme Dunkelheit der Esoterik verzichten, dürfen sie darum doch nicht größere Anmut und Zugänglichkeit für ihre Darlegungen versprechen. Diese werden vielmehr nur um soviel härter und nüchterner sich geben müssen. Goldene Früchte in silbernen Schalen wird man nicht erwarten. Statt dessen wird Rationalität bis ans Ende erstrebt werden und weil gerade von der Religion hier nur freie Geister handeln sollen, darf in diesem Sinne aus dem Umkreis ihrer Sprache, ja des Abendlandes hinaus die Zeitschrift auf die übrigen Religionen sich richten. Grundsätzlich hält sie allein für die Dichtungen sich an die deutsche Rede gebunden.
Selbstverständlich verbürgt nichts den vollen Ausdruck der erstrebten Universalität. Denn wie die äußere Form der Zeitschrift jede unmittelbare Manifestation bildender Kunst von ihr ausschließt, ebenso - und weniger offensichtlich - hält sie ihrem Wesen nach Abstand vom Wissenschaftlichen, weil in dessen Erscheinungen weit mehr als in der Kunst und Philosophie Aktuelles und Wesentliches fast immer auseinander zu fallen scheinen. Damit bildet die Wissenschaft in der Reihe der Gegenstände einer Zeitschrift den übergang zu denen des praktischen Lebens, in welchen nur der seltensten philosophischen Konzentration das wahrhaft Aktuelle hinter seinem Anschein sich zeigt.
Wenig wollen doch diese Einschränkungen gegenüber der einen unvermeidlichen besagen, die beim Herausgeber liegt. Darüber seien noch einige Worte erlaubt, die es auszusprechen haben, inwiefern dieser sich der Schranken seines Blickfelds bewußt ist und zu ihnen bekennt. Er erhebt in der Tat nicht den Anspruch, von hoher Warte aus den geistigen Horizont seiner Tage zu beherrschen. Und wenn er im Bilde fortfahren darf, so wird er das eines Mannes vorziehen, der des Abends nach getaner Arbeit und ehe er an sein Werk geht des Morgens, vor die Schwelle tretend, den gewohnten Horizont mit den Augen eher um faßt als absucht, um, was in dieser Landschaft Neues ihn begrüßte, festzuhalten. Als seine eigene Arbeit sieht der Herausgeber die philosophische an und jenes Gleichnis sucht es auszusprechen, daß nichts schlechthin Fremdes in den folgenden Blättern als unmaßgebliche Anregung dem Leser begegnen soll, daß dem, was in ihnen sich findet, in irgendeinem Sinne der Herausgeber sich verwandt fühlen wird. Noch nachdrücklicher aber sei es jenem Bilde entnommen, daß Art und Grad dieser Verwandtschaft zu ermessen nicht beim Publikum liegt und daß nichts in deren Gefühl ist, was die Mitarbeiter jenseits ihres eigenen willens und Bewußtseins einander verbinden könnte. Denn wie von dieser Zeitschrift jedwede Buhlerei um die Gunst des Publikums fernbleiben soll, so die ebenso unaufrichtige der Mit-Literarische und ästhetische Essays arbeiter um die gegenseitige Verständigung, Begünstigung, Gemeinschaft Nichts scheint dem Herausgeber wichtiger zu sein, als daß hierin, in der Abwesenheit jeden Scheins, die Zeitschrift ausspricht was ist, nämlich daß der reinste Wille, das geduldigste Bestreben unter den so Gesinnten keine Einheit, geschweige denn Gemeinschaft zu stiften vermögen, daß also die Zeitschrift in der wechselseitigen Fremdheit ihrer Beiträge es bekunde, wie unaussprechlich in diesen Tagen jede Gemeinsamkeit - auf welche denn ihr Ort zuletzt doch deute - und wie sehr auf Probe diese Verbindung gestellt bleibt, deren Ausweis am Ende beim Herausgeber liegt.
Hiermit ist das Ephemere dieser Zeitschrift berührt, das sie sich von Beginn an bewußt hält. Denn es ist der gerechte Preis, den ihr Werben um die wahre Aktualität so fordert. Werden doch sogar nach einer talmudischen Legende die Engel - neue jeden Augenblick in unzähligen Scharen - geschaffen, um, nachdem sie vor Gott ihren Hymnus gesungen, aufzuhören und in Nichts zu vergehen. Daß der Zeitschrift solche Aktualität zufalle, die allein wahr ist, möge ihr Name bedeuten.