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XXVI. VORLESUNG

Die Libidotheorie und der Narzissmus

Meine Damen und Herren! Wir haben wiederholt und erst vor kurzem wieder mit der Sonderung der Ichtriebe und der Sexualtriebe zu tun gehabt. Zuerst hat uns die Verdrängung gezeigt, daß die beiden in Gegensatz zueinander treten können, daß dann die Sexualtriebe formell unterliegen und genötigt sind, sich auf regressiven Umwegen Befriedigung zu holen, wobei sie dann in ihrer Unbezwingbarkeit eine Entschädigung für ihre Niederlage finden. Sodann haben wir gelernt, daß die beiden von Anfang an ein verschiedenes Verhältnis zur Erzieherin Not haben, so daß sie nicht dieselbe Entwicklung durchmachen und nicht in die nämliche Beziehung zum Realitätsprinzip geraten. Endlich glauben wir zu erkennen, daß die Sexualtriebe durch weit engere Bande mit dem Affektzustand der Angst verknüpft sind als die Ichtriebe, ein Resultat, welches nur noch in einem wichtigen Punkte unvollständig erscheint. Wir wollen darum zu seiner Verstärkung noch die bemerkenswerte Tatsache heranziehen, daß die Unbefriedigung von Hunger und Durst, der zwei elementarsten Selbsterhaltungstriebe, niemals deren Umschlag in Angst zur Folge hat, während die Umsetzung von unbefriedigter Libido in Angst, wie wir gehört haben, zu den bestbekannten und am häufigsten beobachteten Phänomenen gehört.

An unserem guten Recht, Ich- und Sexualtriebe zu sondern, kann doch wohl nicht gerüttelt werden. Es ist ja mit der Existenz des Sexuallebens als einer besonderen Betätigung des Individuums gegeben. Es kann sich nur fragen, welche Bedeutung wir dieser Sonderung beilegen, für wie tief einschneidend wir sie halten wollen. Die Beantwortung dieser Frage wird sich aber nach dem Ergebnis der Feststellung richten, inwiefern sich die Sexualtriebe in ihren somatischen und seelischen Äußerungen anders verhalten als die anderen, die wir ihnen gegenüberstellen, und wie bedeutsam die Folgen sind, die sich aus diesen Differenzen ergeben. Eine übrigens nicht recht faßbare Wesensverschiedenheit der beiden Triebgruppen zu behaupten, dazu fehlt uns natürlich jedes Motiv. Beide treten uns nur als Benennungen für Energiequellen des Individuums entgegen, und die Diskussion, ob sie im Grunde eins oder wesensverschieden sind, und wenn eines, wann sie sich voneinander getrennt haben, kann nicht an den Begriffen geführt werden, sondern muß sich an die biologischen Tatsachen hinter ihnen halten. Darüber wissen wir vorläufig zu wenig, und wüßten wir selbst mehr, es käme für unsere analytische Aufgabe nicht in Betracht.

Wir profitieren offenbar auch sehr wenig, wenn wir nach dem Vorgang von Jung die uranfängliche Einheit aller Triebe betonen und die in allem sich äußernde Energie „Libido“ nennen. Da sich die Sexualfunktion durch keinerlei Kunststück aus dem Seelenleben eliminieren läßt, sehen wir uns dann genötigt, von sexueller und von asexueller Libido zu sprechen. Der Name Libido bleibt aber mit Recht für die Triebkräfte des Sexuallebens vorbehalten, wie wir es bisher geübt haben.

Ich meine also, die Frage, wie weit die unzweifelhaft berechtigte Sonderung von Sexual- und Selbsterhaltungstrieben fortzusetzen ist, hat für die Psychoanalyse nicht viel Belang; sie ist auch nicht kompetent dafür. Von Seiten der Biologie ergeben sich allerdings verschiedene Anhaltspunkte dafür, daß sie etwas Wichtiges bedeutet. Die Sexualität ist ja die einzige Funktion des lebenden Organismus, welche über das Individuum hinausgeht und seine Anknüpfung an die Gattung besorgt. Es ist unverkennbar, daß ihre Ausübung dem Einzelwesen nicht immer Nutzen bringt wie seine anderen Leistungen, sondern ihn um den Preis einer ungewöhnlich hohen Lust in Gefahren bringt, die sein Leben bedrohen und es oft genug verwirken. Es werden auch wahrscheinlich ganz besondere, von allen anderen abweichende Stoffwechselvorgänge erforderlich sein, um einen Anteil des individuellen Lebens als Disposition für die Nachkommenschaft zu erhalten. Und endlich ist das Einzelwesen, das sich selbst als Hauptsache und seine Sexualität als ein Mittel zu seiner Befriedigung wie andere betrachtet, in biologischer Anschauung nur eine Episode in einer Generationsreihe, ein kurzlebiges Anhängsel an ein mit virtueller Unsterblichkeit begabtes Keimplasma, gleichsam der zeitweilige Inhaber eines ihn überdauernden Fideikommisses.

Indes braucht es für die psychoanalytische Aufklärung der Neurosen nicht so weitreichender Gesichtspunkte. Mit Hilfe der gesonderten Verfolgung von Sexual- und Ichtrieben haben wir den Schlüssel zum Verständnis der Gruppe der Übertragungsneurosen gewonnen. Wir konnten sie auf die grundlegende Situation zurückführen, daß die Sexualtriebe in Zwist mit den Erhaltungstrieben geraten oder biologisch — wenn auch ungenauer ausgedrückt —, daß die eine Position des Ichs als selbständiges Einzelwesen mit der anderen als Glied einer Generationsreihe in Widerstreit tritt. Zu solcher Entzweiung kommt es vielleicht nur beim Menschen, und darum mag im ganzen und großen die Neurose sein Vorrecht vor den Tieren sein. Die überstarke Entwicklung seiner Libido und die vielleicht gerade dadurch ermöglichte Ausbildung eines reich gegliederten Seelenlebens scheinen die Bedingungen für die Entstehung eines solchen Konflikts geschaffen zu haben. Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß dies auch die Bedingungen der großen Fortschritte sind, die der Mensch über seine Gemeinschaft mit den Tieren hinaus gemacht hat, so daß seine Fähigkeit zur Neurose nur die Kehrseite seiner sonstigen Begabung wäre. Aber auch das sind nur Spekulationen, die uns von unserer nächsten Aufgabe ablenken.

Es war bisher die Voraussetzung unserer Arbeit, daß wir Ich- und Sexualtriebe nach ihren Äußerungen voneinander unterscheiden können. Bei Übertragungsneurosen gelang dies ohne Schwierigkeit. Wir nannten die Energiebesetzungen, die das Ich den Objekten seiner Sexualstrebungen zuwendet, „Libido“, alle anderen, die von den Selbsterhaltungstrieben ausgeschickt werden, „Interesse“ und konnten uns durch die Verfolgung der Libidobesetzungen, ihrer Umwandlungen und ihrer endlichen Schicksale eine erste Einsicht in das Getriebe der seelischen Kräfte verschaffen. Die Übertragungsneurosen boten uns hierfür den günstigsten Stoff. Das Ich aber, seine Zusammensetzung aus verschiedenen Organisationen, deren Aufbau und Funktionsweise, blieb uns verhüllt, und wir durften vermuten, daß erst die Analyse anderer neurotischer Störungen uns diese Einsicht bringen könnte.

Wir haben frühzeitig damit begonnen, die psychoanalytischen Anschauungen auf diese anderen Affektionen auszudehnen. Schon 1908 sprach K. Abraham nach einem Gedankenaustausch mit mir den Satz aus, es sei der Hauptcharakter der (zu den Psychosen gerechneten) Dementia praecox, daß ihr die Libidobesetzung der Objekte abgehe. („Die psychosexuellen Differenzen der Hysterie und der Dementia praecox.“) Dann erhob sich aber die Frage, was geschieht mit der von den Objekten abgewandten Libido der Dementen? Abraham zögerte nicht, die Antwort zu geben: sie wird auf das Ich zurückgewandt, und diese reflexive Rückwendung ist die Quelle des Größenwahns der Dementia praecox. Der Größenwahn ist durchaus der im Liebesleben bekannten Sexualüberschätzung des Objektes zu vergleichen. Wir haben so zum erstenmal einen Zug einer psychotischen Affektion durch die Beziehung auf das normale Liebesleben verstehen gelernt.

Ich sage es Ihnen gleich, diese ersten Auffassungen von Abraham haben sich in der Psychoanalyse erhalten und sind die Grundlage für unsere Stellungnahme zu den Psychosen geworden. Man machte sich also langsam mit der Vorstellung vertraut, daß die Libido, die wir an den Objekten haftend finden, die der Ausdruck eines Bestrebens ist, an diesen Objekten eine Befriedigung zu gewinnen, auch von diesen Objekten ablassen und an ihrer Statt das eigene Ich setzen kann, und man baute diese Vorstellung allmählich immer konsequenter aus. Den Namen für diese Unterbringung der Libido — Narzißmus — entlehnten wir einer von P. Näcke beschriebenen Perversion, bei welcher das erwachsene Individuum den eigenen Leib mit all den Zärtlichkeiten bedenkt, die man sonst für ein fremdes Sexualobjekt aufwendet.

Man sagt sich dann alsbald, wenn es eine solche Fixierung der Libido an den eigenen Leib und die eigene Person anstatt an ein Objekt gibt, so kann dies kein ausnahmsweises und kein geringfügiges Vorkommnis sein. Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß dieser Narzißmus der allgemeine und ursprüngliche Zustand ist, aus welchem sich erst später die Objektliebe herausbildete, ohne daß darum der Narzißmus zu verschwinden brauchte. Man mußte sich ja aus der Entwicklungsgeschichte der Objektlibido daran erinnern, daß viele Sexualtriebe sich anfänglich am eigenen Körper, wie wir sagen: autoerotisch befriedigen und daß diese Fähigkeit zum Autoerotismus das Zurückbleiben der Sexualität in der Erziehung zum Realitätsprinzip begründet. So war also der Autoerotismus die Sexualbetätigung des narzißtischen Stadiums der Libidounterbringung.

Um es kurz zu fassen, wir machten uns von dem Verhältnis der Ichlibido zur Objektlibido eine Vorstellung, die ich Ihnen durch ein Gleichnis aus der Zoologie veranschaulichen kann. Denken Sie an jene einfachsten Lebewesen, die aus einem wenig differenzierten Klümpchen protoplasmatischer Substanz bestehen. Sie strecken Fortsätze aus, Pseudopodien genannt, in welche sie ihre Leibessubstanz hinüberfließen lassen. Sie können diese Fortsätze aber auch wieder einziehen und sich zum Klumpen ballen. Das Ausstrecken der Fortsätze vergleichen wir nun der Aussendung von Libido auf die Objekte, während die Hauptmenge der Libido im Ich verbleiben kann, und wir nehmen an, daß unter normalen Verhältnissen Ichlibido ungehindert in Objektlibido umgesetzt und diese wieder ins Ich aufgenommen werden kann.

Mit Hilfe dieser Vorstellungen können wir nun eine ganze Anzahl von seelischen Zuständen erklären oder, bescheidener ausgedrückt, in der Sprache der Libidotheorie beschreiben, Zustände, die wir dem normalen Leben zurechnen müssen, wie das psychische Verhalten in der Verliebtheit, bei organischem Kranksein, im Schlaf. Wir haben für den Schlafzustand die Annahme gemacht, daß er auf Abwendung von der Außenwelt und Einstellung auf den Schlafwunsch beruhe. Was sich als nächtliche Seelentätigkeit im Traume äußerte, fanden wir im Dienste eines Schlafwunsches und überdies von durchaus egoistischen Motiven beherrscht. Wir führen jetzt im Sinne der Libidotheorie aus, daß der Schlaf ein Zustand ist, in welchem alle Objektbesetzungen, die libidinösen ebensowohl wie die egoistischen, aufgegeben und ins Ich zurückgezogen werden. Ob damit nicht ein neues Licht auf die Erholung durch den Schlaf und auf die Natur der Ermüdung überhaupt geworfen wird? Das Bild der seligen Isolierung im Intrauterinleben, welches uns der Schlafende allnächtlich wieder heraufbeschwört, wird so auch nach der psychischen Seite vervollständigt. Beim Schlafenden hat sich der Urzustand der Libidoverteilung wiederhergestellt, der volle Narzißmus, bei dem Libido und Ichinteresse noch vereint und ununterscheidbar in dem sich selbst genügenden Ich wohnen.

Hier ist Raum für zwei Bemerkungen. Erstens, wie unterscheiden sich Narzißmus und Egoismus begrifflich? Nun, ich meine, Narzißmus ist die libidinöse Ergänzung zum Egoismus. Wenn man von Egoismus spricht, hat man nur den Nutzen für das Individuum ins Auge gefaßt; sagt man Narzißmus, so zieht man auch seine libidinöse Befriedigung in Betracht. Als praktische Motive lassen sich die beiden ein ganzes Stück weit gesondert verfolgen. Man kann absolut egoistisch sein und doch starke libidinöse Objektbesetzungen unterhalten, insofern die libidinöse Befriedigung am Objekt zu den Bedürfnissen des Ichs gehört. Der Egoismus wird dann darauf achten, daß die Strebung nach dem Objekt dem Ich keinen Schaden bringe. Man kann egoistisch sein und dabei auch überstark narzißtisch, d. h. ein sehr geringes Objektbedürfnis haben und dies wiederum entweder in der direkten Sexualbefriedigung oder auch in jenen höheren, vom Sexualbedürfnis abgeleiteten Strebungen, die wir gelegentlich als „Liebe“ in einen Gegensatz zur „Sinnlichkeit“ zu bringen pflegen. Der Egoismus ist in all diesen Beziehungen das Selbstverständliche, Konstante, der Narzißmus das variable Element. Der Gegensatz von Egoismus, Altruismus, deckt sich begrifflich nicht mit libidinöser Objektbesetzung, er sondert sich von ihr durch den Wegfall der Strebungen nach sexueller Befriedigung. In der vollen Verliebtheit trifft aber der Altruismus mit der libidinösen Objektbesetzung zusammen. Das Sexualobjekt zieht in der Regel einen Anteil des Narzißmus des Ichs auf sich, was als die sogenannte „Sexualüberschätzung“ des Objektes bemerkbar wird. Kommt noch die altruistische Überleitung vom Egoismus auf das Sexualobjekt hinzu, so wird das Sexualobjekt übermächtig; es hat das Ich gleichsam aufgesogen.

Ich denke, Sie werden es als Erholung empfinden, wenn ich Ihnen nach der im Grunde trockenen Phantastik der Wissenschaft eine poetische Darstellung des ökonomischen Gegensatzes von Narzißmus und Verliebtheit vorlege. Ich entnehme sie dem „Westöstlichen Diwan“ Goethes:

Suleika

Volk und Knecht und Überwinder
Sie gestehn zu jeder Zeit:
Höchstes Glück der Erdenkinder
Sei nur die Persönlichkeit.

Jedes Leben sei zu führen,
Wenn man sich nicht selbst vermißt;
Alles könne man verlieren,
Wenn man bliebe, was man ist.

Hatem

Kann wohl sein! So wird gemeinet;
Doch ich bin auf andrer Spur:
Alles Erdenglück vereinet
Find’ ich in Suleika nur.

Wie sie sich an mich verschwendet,
Bin ich mir ein wertes Ich;
Hätte sie sich weggewendet,
Augenblicks verlör’ ich mich.

Nun mit Hatem wär’s zu Ende;
Doch schon hab’ ich umgelost:
Ich verkörpere mich behende
In den Holden, den sie kost.

Die zweite Bemerkung ist eine Ergänzung zur Traumtheorie. Wir können uns die Entstehung des Traumes nicht erklären, wenn wir nicht die Annahme einfügen, daß das verdrängte Unbewußte eine gewisse Unabhängigkeit vom Ich gewonnen hat, so daß es sich dem Schlafwunsch nicht fügt und seine Besetzungen behält, auch wenn alle vom Ich abhängigen Objektbesetzungen zugunsten des Schlafes eingezogen werden. Erst dann ist zu verstehen, daß dies Unbewußte sich die nächtliche Aufhebung oder Herabsetzung der Zensur zunutze machen kann und daß es sich der Tagesreste zu bemächtigen weiß, um mit ihrem Stoff einen verbotenen Traumwunsch zu bilden. Anderseits mögen schon die Tagesreste ein Stück ihrer Resistenz gegen die vom Schlafwunsch verfügte Libidoeinziehung einer bereits bestehenden Verbindung mit diesem verdrängten Unbewußten verdanken. Diesen dynamisch wichtigen Zug wollen wir also in unsere Auffassung von der Traumbildung nachträglich einfügen.

Organische Erkrankung, schmerzhafte Reizung, Entzündung von Organen schafft einen Zustand, der deutlich eine Ablösung der Libido von ihren Objekten zur Folge hat. Die eingezogene Libido findet sich im Ich wieder als verstärkte Besetzung des erkrankten Körperteiles. Ja man kann die Behauptung wagen, daß unter diesen Bedingungen die Abziehung der Libido von ihren Objekten auffälliger ist als die Abwendung des egoistischen Interesses von der Außenwelt. Von hier aus scheint sich ein Weg zum Verständnis der Hypochondrie zu eröffnen, bei welcher ein Organ in gleicher Weise das Ich beschäftigt, ohne für unsere Wahrnehmung krank zu sein.

Aber ich widerstehe der Versuchung, hier weiterzugehen oder andere Situationen zu erörtern, die uns durch die Annahme einer Wanderung der Objektlibido in das Ich verständlich oder darstellbar werden, weil es mich drängt, zwei Einwendungen zu begegnen, die, wie ich weiß, jetzt Ihr Gehör haben. Sie wollen mich erstens zur Rede stellen, warum ich beim Schlaf, in der Krankheit und in den ähnlichen Situationen durchaus Libido und Interesse, Sexualtriebe und Ichtriebe unterscheiden will, wo sich die Beobachtungen durchwegs mit der Annahme einer einzigen und einheitlichen Energie erledigen lassen, die, frei beweglich, bald das Objekt, bald das Ich besetzt, sowohl in den Dienst des einen wie des anderen Triebes tritt. Und zweitens, wie ich mich getrauen kann, die Ablösung der Libido vom Objekt als Quelle eines pathologischen Zustandes zu behandeln, wenn solche Umsetzung der Objektlibido in Ichlibido — oder allgemeiner in Ichenergie — zu den normalen und täglich, allnächtlich, wiederholten Vorgängen in der seelischen Dynamik gehört.

Darauf ist zu erwidern: Ihr erster Einwand klingt gut. Die Erörterung der Zustände des Schlafes, des Krankseins, der Verliebtheit hätte uns an sich wahrscheinlich niemals zur Unterscheidung einer Ichlibido von einer Objektlibido oder der Libido vom Interesse geführt. Aber Sie vernachlässigen dabei die Untersuchungen, von denen wir ausgegangen sind und in deren Licht wir jetzt die in Rede stehenden seelischen Situationen betrachten. Die Unterscheidung von Libido und Interesse, also von Sexual- und Selbsterhaltungstrieben, ist uns durch die Einsicht in den Konflikt aufgedrängt worden, aus welchem die Übertragungsneurosen hervorgehen. Wir können sie seitdem nicht wieder aufgeben. Die Annahme, daß sich Objektlibido in Ichlibido umsetzen kann, daß man also mit einer Ichlibido zu rechnen hat, ist uns als die einzige erschienen, welche das Rätsel der sogenannten narzißtischen Neurosen, z. B. der Dementia praecox, zu lösen vermag, von deren Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten im Vergleich mit Hysterie und Zwang Rechenschaft geben kann. Auf Krankheit, Schlaf und Verliebtheit wenden wir nun an, was wir anderwärts als unabweisbar bewährt gefunden haben. Wir dürfen mit solchen Anwendungen fortfahren und sehen, wie weit wir damit reichen. Die einzige Behauptung, die nicht direkter Niederschlag unserer analytischen Erfahrung ist, geht dahin, daß Libido Libido bleibt, ob sie nun auf Objekte oder auf das eigene Ich gewendet wird, und sich niemals in egoistisches Interesse umsetzt und ebenso das Umgekehrte. Diese Behauptung ist aber gleichwertig mit der bereits kritisch gewürdigten Sonderung von Sexual- und Ichtrieben, an der wir bis zum möglichen Scheitern aus heuristischen Motiven festhalten wollen.

Auch Ihre zweite Einwendung greift eine berechtigte Frage auf, aber sie zielt in falsche Richtung. Gewiß ist die Einziehung der Objektlibido ins Ich nicht direkt pathogen; wir sehen ja, daß sie jedesmal vor dem Schlafengehen vorgenommen wird, um mit dem Wachen wieder rückgängig zu werden. Das Protoplasmatierchen zieht seine Fortsätze ein, um sie beim nächsten Anlaß wieder auszuschicken. Aber etwas ganz anderes ist es, wenn ein bestimmter, sehr energischer Prozeß die Abziehung der Libido von den Objekten erzwingt. Die narzißtisch gewordene Libido kann dann den Rückweg zu den Objekten nicht finden, und diese Behinderung in der Beweglichkeit der Libido wird allerdings pathogen. Es scheint, daß die Anhäufung der narzißtischen Libido über ein gewisses Maß hinaus nicht vertragen wird. Wir können uns auch vorstellen, daß es eben darum zur Objektbesetzung gekommen ist, daß das Ich seine Libido ausschicken mußte, um nicht an ihrer Stauung zu erkranken. Wenn es in unserem Plane läge, uns mit der Dementia praecox eingehender zu beschäftigen, würde ich Ihnen zeigen, daß jener Prozeß, der die Libido von den Objekten ablöst und ihr den Rückweg zu ihnen absperrt, dem Verdrängungsprozeß nahesteht, als ein Seitenstück zu ihm aufzufassen ist. Vor allem aber würden Sie bekannten Boden unter Ihren Füßen spüren, indem Sie erfahren, daß die Bedingungen dieses Prozesses fast identisch sind — soviel wir bis jetzt erkennen — mit denen der Verdrängung. Der Konflikt scheint der nämliche zu sein und sich zwischen denselben Mächten abzuspielen. Wenn der Ausgang ein so anderer ist als z. B. bei der Hysterie, so kann der Grund davon nur in einer Verschiedenheit der Disposition liegen. Die Libidoentwicklung hat bei diesen Kranken ihre schwache Stelle an einer anderen Phase; die maßgebende Fixierung, welche, wie Sie sich erinnern, den Durchbruch zur Symptombildung gestattet, liegt anderswo, wahrscheinlich im Stadium des primitiven Narzißmus, zu welchem die Dementia praecox in ihrem Endausgang zurückkehrt. Es ist ganz bemerkenswert, daß wir für alle narzißtischen Neurosen Fixierungsstellen der Libido annehmen müssen, welche in weit frühere Phasen der Entwicklung zurückreichen als bei der Hysterie oder der Zwangsneurose. Sie haben aber gehört, daß die Begriffe, die wir im Studium der Übertragungsneurosen erworben haben, auch zur Orientierung in den praktisch so viel schwereren narzißtischen Neurosen ausreichen. Die Gemeinsamkeiten gehen sehr weit; es ist im Grunde dasselbe Erscheinungsgebiet. Sie können sich aber auch vorstellen, wie aussichtslos die Aufklärung dieser schon der Psychiatrie zufallenden Affektionen sich für den gestaltet, der nicht die analytische Kenntnis der Übertragungsneurosen für diese Aufgabe mitbringt.

Das Symptombild der Dementia praecox, das übrigens sehr wechselvoll ist, wird nicht ausschließlich durch die Symptome bestimmt, welche aus der Abdrängung der Libido von den Objekten und deren Anhäufung als narzißtische Libido im Ich hervorgehen. Einen breiten Raum nehmen vielmehr andere Phänomene ein, die sich auf das Bestreben der Libido zurückführen, wieder zu den Objekten zu gelangen, die also einem Restitutions- oder Heilungsversuch entsprechen. Diese Symptome sind sogar die auffälligeren, die lärmenden; sie zeigen eine unzweifelhafte Ähnlichkeit mit denen der Hysterie oder seltener der Zwangsneurose, sind aber doch in jedem Punkte anders. Es scheint, daß die Libido bei der Dementia praecox in ihrem Bemühen, wieder zu den Objekten, d. h. zu den Vorstellungen der Objekte zu kommen, wirklich etwas von ihnen erhascht, aber gleichsam nur ihre Schatten, ich meine, die ihnen zugehörigen Wortvorstellungen. Ich kann hier nicht mehr darüber sagen, aber ich meine, dies Benehmen der rückstrebenden Libido hat uns gestattet, eine Einsicht in das zu gewinnen, was wirklich den Unterschied zwischen einer bewußten und einer unbewußten Vorstellung ausmacht.

Ich habe Sie nun in das Gebiet geführt, auf welchem die nächsten Fortschritte der analytischen Arbeit zu erwarten sind. Seitdem wir uns getrauen, den Begriff der Ichlibido zu handhaben, sind uns die narzißtischen Neurosen zugänglich geworden; es hat sich die Aufgabe ergeben, eine dynamische Aufklärung dieser Affektionen zu gewinnen und gleichzeitig unsere Kenntnis des Seelenlebens durch das Verständnis des Ichs zu vervollständigen. Die Ichpsychologie, die wir anstreben, soll nicht auf die Daten unserer Selbstwahrnehmungen, sondern wie bei der Libido auf die Analyse der Störungen und Zerstörungen des Ichs begründet sein. Wahrscheinlich werden wir von unserer bisherigen Kenntnis der Libidoschicksale, die wir aus dem Studium der Übertragungsneurosen geschöpft haben, gering denken, wenn jene größere Arbeit geleistet ist. Aber dafür sind wir in ihr auch noch nicht weit gekommen. Die narzißtischen Neurosen sind für die Technik, welche uns bei den Übertragungsneurosen gedient hat, kaum angreifbar. Sie werden bald hören, warum. Es geht uns mit ihnen immer so, daß wir nach kurzem Vordringen vor eine Mauer zu stehen kommen, die uns Halt gebietet. Sie wissen, auch bei den Übertragungsneurosen sind wir auf solche Widerstandsschranken gestoßen, aber wir konnten sie Stück für Stück abtragen. Bei den narzißtischen Neurosen ist der Widerstand unüberwindbar; wir dürfen höchstens einen neugierigen Blick über die Höhe der Mauer werfen, um zu erspähen, was jenseits derselben vor sich geht. Unsere technischen Methoden müssen also durch andere ersetzt werden; wir wissen noch nicht, ob uns ein solcher Ersatz gelingen wird. Es fehlt uns allerdings auch bei diesen Kranken nicht an Material. Sie geben vielerlei Äußerungen von sich, wenn auch nicht als Antworten auf unsere Fragen, und wir sind vorläufig darauf angewiesen, diese Äußerungen mit Hilfe des Verständnisses, das wir an den Symptomen der Übertragungsneurosen gewonnen haben, zu deuten. Die Übereinstimmung ist groß genug, um uns einen Anfangsgewinn zuzusichern. Wie weit diese Technik reichen wird, bleibt dahingestellt.

Andere Schwierigkeiten kommen hinzu, um unseren Fortschritt aufzuhalten. Die narzißtischen Affektionen und die an sie anschließenden Psychosen können nur von Beobachtern enträtselt werden, die sich durch das analytische Studium der Übertragungsneurosen geschult haben. Aber unsere Psychiater studieren keine Psychoanalyse und wir Psychoanalytiker sehen zu wenig psychiatrische Fälle. Es muß erst ein Geschlecht von Psychiatern herangewachsen sein, welches durch die Schule der Psychoanalyse als vorbereitender Wissenschaft gegangen ist. Der Anfang dazu wird gegenwärtig in Amerika gemacht, wo sehr viele leitende Psychiater den Studenten die psychoanalytischen Lehren vortragen und wo Anstaltsbesitzer und Irrenhausdirektoren sich bemühen, ihre Kranken im Sinne dieser Lehren zu beobachten. Immerhin ist es auch uns hier einige Male geglückt, einen Blick über die narzißtische Mauer zu werfen, und ich will Ihnen im Folgenden einiges berichten, was wir erhascht zu haben glauben.

Die Krankheitsform der Paranoia, der chronischen systematischen Verrücktheit, nimmt in den Klassifikationsversuchen der heutigen Psychiatrie eine schwankende Stellung ein. An ihrer nahen Verwandtschaft mit der Dementia praecox ist indes kein Zweifel. Ich habe mir einmal den Vorschlag erlaubt, Paranoia und Dementia praecox unter der gemeinsamen Bezeichnung der Paraphrenie zusammenzufassen. Die Formen der Paranoia werden nach ihrem Inhalt als: Größenwahn, Verfolgungswahn, Liebeswahn (Erotomanie), Eifersuchtswahn usw. beschrieben. Erklärungsversuche werden wir von der Psychiatrie nicht erwarten. Als Beispiel eines solchen, allerdings ein veraltetes und nicht ganz vollwertiges Beispiel, erwähne ich Ihnen den Versuch, ein Symptom mittels einer intellektuellen Rationalisierung aus einem anderen abzuleiten: Der Kranke, der sich aus primärer Neigung verfolgt glaubt, soll aus dieser Verfolgung den Schluß ziehen, er müsse doch eine ganz besonders wichtige Persönlichkeit sein, und darum den Größenwahn entwickeln. Für unsere analytische Auffassung ist der Größenwahn die unmittelbare Folge der Ichvergrößerung durch die Einziehung der libidinösen Objektbesetzungen, ein sekundärer Narzißmus als Wiederkehr des ursprünglichen frühinfantilen. An den Fällen von Verfolgungswahn haben wir aber einiges beobachtet, was uns veranlaßte, eine gewisse Spur zu verfolgen. Es fiel uns zunächst auf, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle der Verfolger von demselben Geschlecht war wie der Verfolgte. Das war immer noch einer harmlosen Erklärung fähig, aber in einigen gut studierten Fällen zeigte es sich klar, daß die in normalen Zeiten am besten geliebte Person des gleichen Geschlechtes sich seit der Erkrankung zum Verfolger umgewandelt hatte. Eine weitere Entwicklung wird dadurch möglich, daß die geliebte Person nach bekannten Affinitäten durch eine andere ersetzt wird, z. B. der Vater durch den Lehrer, den Vorgesetzten. Wir zogen aus solchen, sich immer vermehrenden Erfahrungen den Schluß, daß die Paranoia persecutoria die Form ist, in der sich das Individuum gegen eine überstark gewordene homosexuelle Regung zur Wehre setzt. Die Verwandlung der Zärtlichkeit in Haß, die bekanntlich zur ernsthaften Lebensbedrohung für das geliebte und gehaßte Objekt werden kann, entspricht dann der Umsetzung libidinöser Regungen in Angst, die ein regelmäßiges Ergebnis des Verdrängungsvorganges ist. Hören Sie z. B. den wiederum letzten Fall meiner diesbezüglichen Beobachtungen. Ein junger Arzt mußte aus seinem Heimatsort verschickt werden, weil er den Sohn eines dortigen Universitätsprofessors, der bis dahin sein bester Freund gewesen war, am Leben bedroht hatte. Er schrieb diesem einstigen Freund wahrhaft teuflische Absichten und eine dämonische Macht zu. Er war schuld an allem Unglück, das in den letzten Jahren die Familie des Kranken getroffen hatte, an jedem familiären und sozialen Mißgeschick. Aber nicht genug damit, der böse Freund und sein Vater, der Professor, hatten auch den Krieg verursacht, die Russen ins Land gerufen. Er hatte sein Leben tausendmal verwirkt, und unser Kranker war überzeugt, daß mit dem Tode des Missetäters alles Unheil zu Ende gebracht wäre. Und doch war seine alte Zärtlichkeit für ihn noch so stark, daß sie seine Hand gelähmt hatte, als sich ihm einmal die Gelegenheit bot, den Feind aus nächster Nähe niederzuschießen. In den kurzen Besprechungen, die ich mit dem Kranken hatte, kam zum Vorschein, daß das freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden weit in die Gymnasialjahre zurückreichte. Wenigstens einmal hatte es die Grenzen der Freundschaft überschritten; ein nächtliches Beisammensein war ihnen der Anlaß zu vollem sexuellen Verkehr geworden. Unser Patient hatte nie die Gefühlsbeziehung zu den Frauen gewonnen, die seiner Altersphase und seiner einnehmenden Persönlichkeit entsprochen hätte. Er war einmal mit einem schönen und vornehmen Mädchen verlobt, aber dieses brach das Verlöbnis ab, weil es bei seinem Bräutigam keine Zärtlichkeit fand. Jahre später brach seine Krankheit gerade in dem Momente aus, als es ihm zum erstenmal geglückt war, ein Weib voll zu befriedigen. Als diese Frau ihn dankbar und hingebungsvoll umarmte, bekam er plötzlich einen rätselhaften Schmerz, der wie ein scharfer Schnitt um die Schädeldecke lief. Er deutete sich diese Sensation später, als ob an ihm der Schnitt ausgeführt wurde, mit dem man bei einer Sektion das Gehirn bloßlegt, und da sein Freund pathologischer Anatom geworden war, entdeckte er langsam, daß nur dieser ihm diese letzte Frau zur Versuchung geschickt haben könne. Von da an gingen ihm auch die Augen über die anderen Verfolgungen auf, deren Opfer er durch das Betreiben des einstigen Freundes werden sollte.

Wie ist es nun aber mit den Fällen, bei denen der Verfolger nicht desselben Geschlechtes ist wie der Verfolgte, deren Anschein also unserer Erklärung einer Abwehr homosexueller Libido widerspricht? Ich habe vor einiger Zeit Gelegenheit gehabt, einen solchen Fall zu untersuchen, und habe aus dem scheinbaren Widerspruch eine Bestätigung entnehmen können. Das junge Mädchen, welches sich von dem Manne verfolgt glaubte, dem sie zwei zärtliche Zusammenkünfte zugestanden, hatte in der Tat zuerst eine Wahnidee gegen eine Frau gerichtet, die man als Mutterersatz auffassen kann. Erst nach der zweiten Zusammenkunft machte sie den Fortschritt, dieselbe Wahnidee von der Frau abzulösen und auf den Mann zu übertragen. Die Bedingung des gleichen Geschlechtes für den Verfolger war also ursprünglich auch in diesem Falle eingehalten worden. In ihrer Klage vor dem Rechtsfreund und dem Arzt hatte die Patientin dieses Vorstadium ihres Wahnes nicht erwähnt und so den Anschein eines Widerspruches gegen unser Verständnis der Paranoia erweckt.

Die homosexuelle Objektwahl liegt dem Narzißmus ursprünglich näher als die heterosexuelle. Wenn es dann gilt, eine unerwünscht starke homosexuelle Regung abzuweisen, so ist der Rückweg zum Narzißmus besonders erleichtert. Ich habe bisher sehr wenig Gelegenheit gehabt, Ihnen von den Grundlagen des Liebeslebens, soweit wir sie erkannt haben, zu sprechen, kann es auch jetzt nicht nachholen. Ich will nur so viel herausheben, daß die Objektwahl, der Fortschritt in der Libidoentwicklung, der nach dem narzißtischen Stadium gemacht wird, nach zwei verschiedenen Typen erfolgen kann. Entweder nach dem narzißtischen Typus, indem an die Stelle des eigenen Ichs ein ihm möglichst ähnliches tritt, oder nach dem Anlehnungstypus, indem die Personen, die durch Befriedigung der anderen Lebensbedürfnisse wertvoll geworden sind, auch von der Libido zu Objekten gewählt werden. Eine starke Libidofixierung an den narzißtischen Typus der Objektwahl rechnen wir auch in die Disposition zur manifesten Homosexualität ein.

Sie erinnern sich, daß ich Ihnen in der ersten Zusammenkunft dieses Semesters von einem Fall von Eifersuchtswahn bei einer Frau erzählt habe. Nun da wir so nahe dem Ende sind, möchten Sie gewiß gerne hören, wie wir psychoanalytisch eine Wahnidee erklären. Aber ich habe Ihnen dazu weniger zu sagen, als Sie erwarten. Die Unangreifbarkeit der Wahnidee durch logische Argumente und reale Erfahrungen erklärt sich ebenso wie die eines Zwanges durch die Beziehung zum Unbewußten, welches durch die Wahnidee oder Zwangsidee repräsentiert und niedergehalten wird. Der Unterschied zwischen beiden ist in der verschiedenen Topik und Dynamik der beiden Affektionen begründet.

Wie bei der Paranoia, so haben wir auch bei der Melancholie, von der übrigens sehr verschiedene klinische Formen beschrieben werden, eine Stelle gefunden, an welcher ein Einblick in die innere Struktur der Affektion möglich wird. Wir haben erkannt, daß die Selbstvorwürfe, mit denen sich diese Melancholiker in der erbarmungslosesten Weise quälen, eigentlich einer anderen Person gelten, dem Sexualobjekt, welches sie verloren haben oder das ihnen durch seine Schuld entwertet worden ist. Daraus konnten wir schließen, der Melancholiker habe zwar seine Libido von dem Objekt zurückgezogen, aber durch einen Vorgang, den man „narzißtische Identifizierung“ heißen muß, sei das Objekt im Ich selbst errichtet, gleichsam auf das Ich projiziert worden. Ich kann Ihnen hier nur eine bildliche Schilderung, nicht eine topisch-dynamisch geordnete Beschreibung geben. Nun wird das eigene Ich wie das aufgegebene Objekt behandelt und erleidet alle die Aggressionen und Äußerungen der Rachsucht, die dem Objekt zugedacht waren. Auch die Selbstmordneigung der Melancholiker wird durch die Erwägung begreiflicher, daß die Erbitterung des Kranken mit demselben Schlage das eigene Ich wie das geliebtgehaßte Objekt trifft. Bei der Melancholie wie bei anderen narzißtischen Affektionen kommt in sehr ausgeprägter Weise ein Zug des Gefühlslebens zum Vorschein, den wir seit Bleuler als Ambivalenz zu bezeichnen gewohnt sind. Wir meinen damit die Richtung entgegengesetzter, zärtlicher und feindseliger, Gefühle gegen dieselbe Person. Ich bin im Verlaufe dieser Besprechungen leider nicht in die Lage gekommen, Ihnen mehr von der Gefühlsambivalenz zu erzählen.

Außer der narzißtischen Identifizierung gibt es eine hysterische, die uns seit sehr viel längerer Zeit bekannt ist. Ich wollte, es wäre schon möglich, Ihnen die Verschiedenheiten der beiden durch einige klargestellte Bestimmungen zu erläutern. Von den periodischen und zyklischen Formen der Melancholie kann ich Ihnen etwas mitteilen, was Sie gewiß gerne hören werden. Es ist nämlich unter günstigen Umständen möglich — ich habe die Erfahrung zweimal gemacht —, durch analytische Behandlung in den freien Zwischenzeiten der Wiederkehr des Zustandes in der gleichen oder entgegengesetzten Stimmungslage vorzubeugen. Man erfährt dabei, daß es sich auch bei der Melancholie und Manie um eine besondere Art der Erledigung eines Konfliktes handelt, dessen Voraussetzungen durchaus mit denen der anderen Neurosen übereinstimmen. Sie können sich denken, wieviel es auf diesem Gebiete noch für die Psychoanalyse zu erfahren gibt.

Ich sagte Ihnen auch, daß wir durch die Analyse der narzißtischen Affektionen eine Kenntnis von der Zusammensetzung unseres Ichs und seinem Aufbau aus Instanzen zu gewinnen hoffen. An einer Stelle haben wir den Anfang dazu gemacht. Aus der Analyse des Beobachtungswahnes haben wir den Schluß gezogen, daß es im Ich wirklich eine Instanz gibt, die unausgesetzt beobachtet, kritisiert und vergleicht und sich solcherart dem anderen Anteil des Ichs entgegenstellt. Wir meinen also, daß der Kranke uns eine noch nicht genug gewürdigte Wahrheit verrät, wenn er sich beklagt, daß jeder seiner Schritte ausgespäht und beobachtet, jeder seiner Gedanken gemeldet und kritisiert wird. Er irrt nur darin, daß er diese unbequeme Macht als etwas ihm Fremdes nach außen verlegt. Er verspürt das Walten einer Instanz in seinem Ich, welche sein aktuelles Ich und jede seiner Betätigungen an einem Ideal-Ich mißt, das er sich im Laufe seiner Entwicklung geschaffen hat. Wir meinen auch, diese Schöpfung geschah in der Absicht, jene Selbstzufriedenheit wiederherzustellen, die mit dem primären infantilen Narzißmus verbunden war, die aber seither so viel Störungen und Kränkungen erfahren hat. Die selbstbeobachtende Instanz kennen wir als den Ichzensor, das Gewissen; sie ist dieselbe, die nächtlicherweile die Traumzensur ausübt, von der die Verdrängungen gegen unzulässige Wunschregungen ausgehen. Wenn sie beim Beobachtungswahn zerfällt, so deckt sie uns dabei ihre Herkunft auf aus den Einflüssen von Eltern, Erziehern und sozialer Umgebung, aus der Identifizierung mit einzelnen dieser vorbildlichen Personen.

Dies wären einige der Ergebnisse, welche uns die Anwendung der Psychoanalyse auf die narzißtischen Affektionen bisher geliefert hat. Es sind gewiß noch zu wenige, und sie entbehren oft noch jener Schärfe, die erst durch sichere Vertrautheit auf einem neuen Gebiete erreicht werden kann. Wir verdanken sie alle der Ausnützung des Begriffes der Ichlibido oder narzißtischen Libido, mit dessen Hilfe wir die Auffassungen, die sich bei den Übertragungsneurosen bewährt haben, auf die narzißtischen Neurosen erstrecken. Nun werden Sie aber die Frage stellen: ist es möglich, daß es uns gelingt, alle Störungen der narzißtischen Affektionen und der Psychosen der Libidotheorie unterzuordnen, daß wir überall den libidinösen Faktor des Seelenlebens als den an der Erkrankung schuldigen erkennen und niemals eine Abänderung in der Funktion der Selbsterhaltungstriebe verantwortlich zu machen brauchen? Nun, meine Damen und Herren, diese Entscheidung scheint mir nicht dringlich und vor allem nicht spruchreif zu sein. Wir können sie ruhig dem Fortschritt der wissenschaftlichen Arbeit überlassen. Ich würde mich nicht verwundern, wenn sich das Vermögen der pathogenen Wirkung wirklich als ein Vorrecht der libidinösen Triebe herausstellte, so daß die Libidotheorie auf der ganzen Linie von den einfachsten Aktualneurosen bis zur schwersten psychotischen Entfremdung des Individuums ihren Triumph feiern könnte. Kennen wir es doch als charakteristischen Zug der Libido, daß sie der Unterordnung unter die Realität der Welt, die Ananke, widerstrebt. Aber ich halte es für überaus wahrscheinlich, daß die Ichtriebe durch die pathogenen Anregungen der Libido sekundär mitgerissen und zur Funktionsstörung genötigt werden. Und ich kann kein Scheitern unserer Forschungsrichtung darin erblicken, wenn uns die Erkenntnis bevorsteht, daß bei den schweren Psychosen die Ichtriebe selbst in primärer Weise irregeführt werden; die Zukunft wird es, Sie wenigstens, lehren.

Lassen Sie mich aber noch für einen Moment zur Angst zurückkehren, um eine letzte Dunkelheit, die wir dort gelassen haben, zu erleuchten. Wir sagten, es stimme uns nicht zu der sonst so gut erkannten Beziehung zwischen Angst und Libido, daß die Realangst angesichts einer Gefahr die Äußerung der Selbsterhaltungstriebe sein sollte, was sich aber doch kaum bestreiten läßt. Wie wäre es aber, wenn der Angstaffekt nicht von den egoistischen Ichtrieben, sondern von der Ichlibido bestritten würde? Der Angstzustand ist doch auf alle Fälle unzweckmäßig, und seine Unzweckmäßigkeit wird offenkundig, wenn er einen höheren Grad erreicht. Er stört dann die Aktion, sei es der Flucht oder der Abwehr, die allein zweckmäßig ist und der Selbsterhaltung dient. Wenn wir also den affektiven Anteil der Realangst der Ichlibido, die Aktion dabei dem Icherhaltungstrieb zuschreiben, haben wir jede theoretische Schwierigkeit beseitigt. Sie werden übrigens doch nicht im Ernst glauben, daß man sich flüchtet, weil man Angst verspürt? Nein, man verspürt die Angst und man ergreift die Flucht aus dem gemeinsamen Motiv, das durch die Wahrnehmung der Gefahr geweckt wird. Menschen, die große Lebensgefahren bestanden haben, erzählen, sie haben sich gar nicht geängstigt, bloß gehandelt, z. B. das Gewehr auf das Raubtier angelegt, und das war gewiß das Zweckmäßigste.