XXVII. VORLESUNG
Die Übertragung
Meine Damen und Herren! Da wir uns jetzt dem Abschluß unserer Besprechungen nähern, wird eine bestimmte Erwartung bei Ihnen rege werden, die Sie nicht irreführen soll. Sie denken es sich wohl, daß ich Sie nicht durch Dick und Dünn des psychoanalytischen Stoffes geführt habe, um Sie am Ende zu entlassen, ohne Ihnen ein Wort von der Therapie zu sagen, auf welcher doch die Möglichkeit beruht, überhaupt Psychoanalyse zu treiben. Ich kann Ihnen dieses Thema auch unmöglich vorenthalten, denn dabei sollen Sie aus der Beobachtung eine neue Tatsache kennenlernen, ohne welche das Verständnis der von uns untersuchten Erkrankungen in fühlbarster Weise unvollständig bliebe.
Ich weiß, Sie erwarten keine Anleitung in der Technik, wie man die Analyse zu therapeutischen Zwecken ausüben soll. Sie wollen nur im allgemeinsten wissen, auf welchem Wege die psychoanalytische Therapie wirkt und was sie ungefähr leistet. Und das zu erfahren, haben Sie ein unbestreitbares Recht. Ich will es Ihnen aber nicht mitteilen, sondern bestehe darauf, daß Sie es selbst erraten.
Denken Sie nach! Sie haben alles Wesentliche von den Bedingungen der Erkrankung sowie alle die Faktoren, die bei der erkrankten Person zur Geltung kommen, kennengelernt. Wo bleibt da ein Raum für eine therapeutische Einwirkung? Da ist zunächst die hereditäre Disposition; — wir kommen nicht oft auf sie zu sprechen, weil sie von anderer Seite energisch betont wird und wir nichts Neues zu ihr zu sagen haben. Aber glauben Sie nicht, daß wir sie unterschätzen; gerade als Therapeuten bekommen wir ihre Macht deutlich genug zu spüren. Jedenfalls können wir nichts an ihr ändern; sie bleibt auch für uns etwas Gegebenes, was unserer Bemühung Schranken setzt. Dann der Einfluß der frühen Kindererlebnisse, den wir in der Analyse voranzustellen gewohnt sind; sie gehören der Vergangenheit an, wir können sie nicht ungeschehen machen. Dann all das, was wir als die „reale Versagung“ zusammengefaßt haben, als das Unglück des Lebens, aus dem die Entbehrung an Liebe hervorgeht, die Armut, der Familienzwist, das Ungeschick in der Ehewahl, die Ungunst der sozialen Verhältnisse und die Strenge der sittlichen Anforderungen, unter deren Druck eine Person steht. Da wären freilich Handhaben genug für eine sehr wirksame Therapie, aber es müßte eine Therapie sein, wie sie nach der Wiener Volkssage Kaiser Josef geübt hat, das wohltätige Eingreifen eines Mächtigen, vor dessen Willen Menschen sich beugen und Schwierigkeiten verschwinden. Aber wer sind wir, daß wir solches Wohltun als Mittel in unsere Therapie aufnehmen könnten? Selbst arm und gesellschaftlich ohnmächtig, genötigt von unserer ärztlichen Tätigkeit unseren Unterhalt zu bestreiten, sind wir nicht einmal in der Lage, unsere Bemühung auch dem Mittellosen zuzuwenden, wie es doch andere Ärzte bei anderen Behandlungsmethoden können. Unsere Therapie ist dafür zu zeitraubend und zu langwierig. Aber vielleicht klammern Sie sich an eines der angeführten Momente und glauben dort den Angriffspunkt für unsere Beeinflussung gefunden zu haben. Wenn die sittliche Beschränkung, die von der Gesellschaft gefordert wird, ihren Anteil an der dem Kranken auferlegten Entbehrung hat, so kann ihm ja die Behandlung den Mut oder direkt die Anweisung geben, sich über diese Schranken hinauszusetzen, sich Befriedigung und Genesung zu holen unter Verzicht auf die Erfüllung eines von der Gesellschaft hochgehaltenen, doch so oft nicht eingehaltenen Ideals. Man wird also dadurch gesund, daß man sich sexuell „auslebt“. Allerdings fällt dabei auf die analytische Behandlung der Schatten, daß sie nicht der allgemeinen Sittlichkeit dient. Was sie dem Einzelnen zuwendet, hat sie der Allgemeinheit entzogen.
Aber, meine Damen und Herren, wer hat Sie denn so falsch berichtet? Es ist nicht die Rede davon, daß der Rat, sich sexuell auszuleben, in der analytischen Therapie eine Rolle spielen könnte. Schon darum nicht, weil wir selbst verkündet haben, bei den Kranken bestehe ein hartnäckiger Konflikt zwischen der libidinösen Regung und der Sexualverdrängung, zwischen der sinnlichen und der asketischen Richtung. Dieser Konflikt wird dadurch nicht aufgehoben, daß man einer dieser Richtungen zum Sieg über die gegnerische verhilft. Wir sehen es ja, daß beim Nervösen die Askese die Oberhand behalten hat. Die Folge davon ist gerade, daß sich die unterdrückte Sexualstrebung in Symptomen Luft schafft. Wenn wir jetzt im Gegenteil der Sinnlichkeit den Sieg verschaffen würden, so müßte sich die beiseite geschobene Sexualverdrängung durch Symptome ersetzen. Keine der beiden Entscheidungen kann den inneren Konflikt beenden, jedesmal bliebe ein Anteil unbefriedigt. Es gibt nur wenige Fälle, in denen der Konflikt so labil ist, daß ein Moment wie die Parteinahme des Arztes den Ausschlag geben kann, und diese Fälle bedürfen eigentlich keiner analytischen Behandlung. Personen, bei welchen dem Arzt ein solcher Einfluß zufallen kann, hätten denselben Weg auch ohne den Arzt gefunden. Sie wissen doch, wenn ein abstinenter junger Mann sich zum illegitimen Sexualverkehr entschließt oder eine unbefriedigte Frau bei einem anderen Manne Entschädigung sucht, so haben sie in der Regel nicht auf die Erlaubnis eines Arztes oder gar des Analytikers gewartet.
Man übersieht an dieser Sachlage gewöhnlich den einen wesentlichen Punkt, daß der pathogene Konflikt der Neurotiker nicht mit einem normalen Kampf seelischer Regungen, die auf demselben psychologischen Boden stehen, zu verwechseln ist. Es ist ein Widerstreit zwischen Mächten, von denen die eine es zur Stufe des Vorbewußten und Bewußten gebracht hat, die andere auf der Stufe des Unbewußten zurückgehalten worden ist. Darum kann der Konflikt zu keinem Austrag gebracht werden; die Streitenden kommen so wenig zueinander wie in dem bekannten Beispiel der Eisbär und der Walfisch. Eine wirkliche Entscheidung kann erst fallen, wenn sich die beiden auf demselben Boden treffen. Ich denke, dies zu ermöglichen, ist die einzige Aufgabe der Therapie.
Und überdies kann ich Ihnen versichern, daß Sie falsch berichtet sind, wenn Sie annehmen, Rat und Leitung in den Angelegenheiten des Lebens sei ein integrierendes Stück der analytischen Beeinflussung. Im Gegenteil, wir lehnen eine solche Mentorrolle nach Möglichkeit ab, wollen nichts lieber erreichen, als daß der Kranke selbständig seine Entscheidungen treffe. In dieser Absicht fordern wir auch, daß er alle lebenswichtigen Entschlüsse über Berufswahl, wirtschaftliche Unternehmungen, Eheschließung oder Trennung über die Dauer der Behandlung zurückstelle und erst nach Beendigung derselben zur Ausführung bringe. Gestehen Sie nur, das ist alles anders, als Sie es sich vorgestellt haben. Nur bei gewissen sehr jugendlichen oder ganz hilf- und haltlosen Personen können wir die gewollte Beschränkung nicht durchsetzen. Bei ihnen müssen wir die Leistung des Arztes mit der des Erziehers kombinieren; wir sind uns dann unserer Verantwortung wohl bewußt und benehmen uns mit der notwendigen Vorsicht.
Aus dem Eifer, mit dem ich mich gegen den Vorwurf verteidige, daß der Nervöse in der analytischen Kur zum Sichausleben angeleitet wird, dürfen Sie aber nicht den Schluß ziehen, daß wir zu Gunsten der gesellschaftlichen Sittsamkeit auf ihn wirken. Das liegt uns zum mindesten ebenso ferne. Wir sind zwar keine Reformer, sondern bloß Beobachter, aber wir können nicht umhin, mit kritischen Augen zu beobachten, und haben es unmöglich gefunden, für die konventionelle Sexualmoral Partei zu nehmen, die Art, wie die Gesellschaft die Probleme des Sexuallebens praktisch zu ordnen versucht, hoch einzuschätzen. Wir können es der Gesellschaft glatt vorrechnen, daß das, was sie ihre Sittlichkeit heißt, mehr Opfer kostet, als es wert ist, und daß ihr Verfahren weder auf Wahrhaftigkeit beruht noch von Klugheit zeugt. Wir ersparen es unseren Patienten nicht, diese Kritik mitanzuhören, wir gewöhnen sie an vorurteilsfreie Erwägung der sexuellen Angelegenheiten wie aller anderen, und wenn sie, nach Vollendung ihrer Kur selbständig geworden, sich aus eigenem Ermessen zu irgendeiner mittleren Position zwischen dem vollen Ausleben und der unbedingten Askese entschließen, fühlen wir unser Gewissen durch keinen dieser Ausgänge belastet. Wir sagen uns, wer die Erziehung zur Wahrheit gegen sich selbst mit Erfolg durchgemacht hat, der ist gegen die Gefahr der Unsittlichkeit dauernd geschützt, mag sein Maßstab der Sittlichkeit auch von dem in der Gesellschaft gebräuchlichen irgendwie abweichen. Übrigens, hüten wir uns davor, die Bedeutung der Abstinenzfrage für die Beeinflussung der Neurosen zu überschätzen. Nur in einer Minderzahl kann der pathogenen Situation der Versagung mit darauffolgender Libidostauung durch die Art von Sexualverkehr ein Ende gemacht werden, die mit geringer Mühe zu erreichen ist.
Durch die Gestattung des sexuellen Auslebens können Sie also die therapeutische Wirkung der Psychoanalyse nicht erklären. Sehen Sie sich nach anderem um. Ich denke, während ich diese Ihre Mutmaßung abwies, hat eine Bemerkung von mir Sie auf die richtige Spur geführt. Es muß wohl die Ersetzung des Unbewußten durch Bewußtes, die Übersetzung des Unbewußten in Bewußtes sein, wodurch wir nützen. Richtig, das ist es auch. Indem wir das Unbewußte zum Bewußten fortsetzen, heben wir die Verdrängungen auf, beseitigen wir die Bedingungen für die Symptombildung, verwandeln wir den pathogenen Konflikt in einen normalen, der irgendwie eine Entscheidung finden muß. Nichts anderes als diese eine psychische Veränderung rufen wir beim Kranken hervor: so weit diese reicht, so weit trägt unsere Hilfeleistung. Wo keine Verdrängung oder ein ihr analoger psychischer Vorgang rückgängig zu machen ist, da hat auch unsere Therapie nichts zu suchen.
Wir können das Ziel unserer Bemühung in verschiedenen Formeln ausdrücken: Bewußtmachen des Unbewußten, Aufhebung der Verdrängungen, Ausfüllung der amnestischen Lücken, das kommt alles auf das gleiche hinaus. Aber vielleicht werden Sie von diesem Bekenntnis unbefriedigt sein. Sie haben sich unter dem Gesundwerden eines Nervösen etwas anderes vorgestellt, daß er ein anderer Mensch werde, nachdem er sich der mühseligen Arbeit einer Psychoanalyse unterzogen hat, und dann soll das ganze Ergebnis sein, daß er etwas weniger Unbewußtes und etwas mehr Bewußtes in sich hat als vorher. Nun, Sie unterschätzen wahrscheinlich die Bedeutung einer solchen inneren Veränderung. Der geheilte Nervöse ist wirklich ein anderer Mensch geworden, im Grunde ist er aber natürlich derselbe geblieben, d. h. er ist so geworden, wie er bestenfalls unter den günstigsten Bedingungen hätte werden können. Aber das ist sehr viel. Wenn Sie dann hören, was man alles tun muß und welcher Anstrengung es bedarf, um jene anscheinend geringfügige Veränderung in seinem Seelenleben durchzusetzen, wird Ihnen die Bedeutung eines solchen Unterschiedes im psychischen Niveau wohl glaubhaft erscheinen.
Ich schweife für einen Augenblick ab, um zu fragen, ob Sie wissen, was man eine kausale Therapie nennt? So heißt man nämlich ein Verfahren, welches nicht die Krankheitserscheinungen zum Angriffspunkt nimmt, sondern sich die Beseitigung der Krankheitsursachen vorsetzt. Ist nun unsere psychoanalytische eine kausale Therapie oder nicht? Die Antwort ist nicht einfach, gibt aber vielleicht Gelegenheit, uns von dem Unwert einer solchen Fragestellung zu überzeugen. Insoferne die analytische Therapie sich nicht die Beseitigung der Symptome zur nächsten Aufgabe setzt, benimmt sie sich wie eine kausale. In anderer Hinsicht können Sie sagen, sie sei es nicht. Wir haben nämlich die Kausalverkettung längst über die Verdrängungen hinaus verfolgt bis zu den Triebanlagen, deren relativen Intensitäten in der Konstitution und den Abweichungen ihres Entwicklungsganges. Nehmen Sie nun an, es wäre uns etwa auf chemischem Wege möglich, in dies Getriebe einzugreifen, die Quantität der jeweils vorhandenen Libido zu erhöhen oder herabzusetzen oder den einen Trieb auf Kosten eines anderen zu verstärken, so wäre dies eine im eigentlichen Sinne kausale Therapie, für welche unsere Analyse die unentbehrliche Vorarbeit der Rekognoszierung geleistet hätte. Von solcher Beeinflussung der Libidovorgänge ist derzeit, wie Sie wissen, keine Rede; mit unserer psychischen Therapie greifen wir an einer anderen Stelle des Zusammenhanges an, nicht gerade an den uns ersichtlichen Wurzeln der Phänomene, aber doch weit genug weg von den Symptomen, an einer Stelle, die uns durch sehr merkwürdige Verhältnisse zugänglich geworden ist.
Was müssen wir also tun, um das Unbewußte bei unserem Patienten durch Bewußtes zu ersetzen? Wir haben einmal gemeint, das ginge ganz einfach, wir brauchten nur dies Unbewußte zu erraten und es ihm vorzusagen. Aber wir wissen schon, das war ein kurzsichtiger Irrtum. Unser Wissen um das Unbewußte ist nicht gleichwertig mit seinem Wissen; wenn wir ihm unser Wissen mitteilen, so hat er es nicht an Stelle seines Unbewußten, sondern neben demselben, und es ist sehr wenig geändert. Wir müssen uns vielmehr dieses Unbewußte topisch vorstellen, müssen es in seiner Erinnerung dort aufsuchen, wo es durch eine Verdrängung zustande gekommen ist. Diese Verdrängung ist zu beseitigen, dann kann sich der Ersatz des Unbewußten durch Bewußtes glatt vollziehen. Wie hebt man nun eine solche Verdrängung auf? Unsere Aufgabe tritt hier in eine zweite Phase. Zuerst das Aufsuchen der Verdrängung, dann die Beseitigung des Widerstandes, welcher diese Verdrängung aufrechthält.
Wie schafft man den Widerstand weg? In der nämlichen Weise: indem man ihn errät und dem Patienten vorhält. Der Widerstand stammt ja auch aus einer Verdrängung, aus der nämlichen, die wir zu lösen suchen, oder aus einer früher vorgefallenen. Er wird ja von der Gegenbesetzung hergestellt, die sich zur Verdrängung der anstößigen Regung erhob. Wir tun also jetzt dasselbe, was wir schon anfangs tun wollten, deuten, erraten und es mitteilen; aber wir tun es jetzt an der richtigen Stelle. Die Gegenbesetzung oder der Widerstand gehört nicht dem Unbewußten, sondern dem Ich an, welches unser Mitarbeiter ist, und dies, selbst wenn sie nicht bewußt sein sollte. Wir wissen, es handelt sich hier um den Doppelsinn des Wortes „unbewußt“, einerseits als Phänomen, anderseits als System. Das scheint sehr schwierig und dunkel; aber nicht wahr, es ist doch nur Wiederholung? Wir sind längst darauf vorbereitet. — Wir erwarten, daß dieser Widerstand aufgegeben, die Gegenbesetzung eingezogen werden wird, wenn wir dem Ich die Erkenntnis desselben durch unsere Deutung ermöglicht haben. Mit welchen Triebkräften arbeiten wir denn in einem solchen Falle? Erstens mit dem Streben des Patienten gesund zu werden, das ihn bewogen hat, sich in die gemeinschaftliche Arbeit mit uns zu fügen, und zweitens mit der Hilfe seiner Intelligenz, welche wir durch unsere Deutung unterstützen. Es ist kein Zweifel, daß die Intelligenz des Kranken es leichter hat, den Widerstand zu erkennen und die dem Verdrängten entsprechende Übersetzung zu finden, wenn wir ihr die dazu passenden Erwartungsvorstellungen gegeben haben. Wenn ich Ihnen sage: schauen Sie auf den Himmel, da ist ein Luftballon zu sehen, so werden Sie ihn auch viel leichter finden, als wenn ich Sie bloß auffordere hinaufzuschauen, ob Sie irgend etwas entdecken. Auch der Student, der die ersten Male ins Mikroskop guckt, wird vom Lehrer unterrichtet, was er sehen soll, sonst sieht er es überhaupt nicht, obwohl es da und sichtbar ist.
Und nun die Tatsache. Bei einer ganzen Anzahl von Formen nervöser Erkrankung, bei den Hysterien, Angstzuständen, Zwangsneurosen trifft unsere Voraussetzung zu. Durch solches Aufsuchen der Verdrängung, Aufdecken der Widerstände, Andeuten des Verdrängten gelingt es wirklich, die Aufgabe zu lösen, also die Widerstände zu überwinden, die Verdrängung aufzuheben und das Unbewußte in Bewußtes zu verwandeln. Dabei gewinnen wir den klarsten Eindruck davon, wie sich um die Überwindung eines jeden Widerstandes ein heftiger Kampf in der Seele des Patienten abspielt, ein normaler Seelenkampf auf gleichem psychologischen Boden zwischen den Motiven, welche die Gegenbesetzung aufrechthalten wollen, und denen, die bereit sind, sie aufzugeben. Die ersteren sind die alten Motive, die seinerzeit die Verdrängung durchgesetzt haben; unter den letzteren befinden sich die neu hinzugekommenen, die hoffentlich den Konflikt in unserem Sinne entscheiden werden. Es ist uns gelungen, den alten Verdrängungskonflikt wieder aufzufrischen, den damals erledigten Prozeß zur Revision zu bringen. Als neues Material bringen wir erstens hinzu die Mahnung, daß die frühere Entscheidung zur Krankheit geführt hat, und das Versprechen, daß eine andere den Weg zur Genesung bahnen wird, zweitens die großartige Veränderung aller Verhältnisse seit dem Zeitpunkt jener ersten Abweisung. Damals war das Ich schwächlich, infantil, und hatte vielleicht Grund, die Libidoforderung als Gefahr zu ächten. Heute ist es erstarkt und erfahren und hat überdies in dem Arzt einen Helfer zur Seite. So dürfen wir erwarten, den aufgefrischten Konflikt zu einem besseren Ausgang als dem in Verdrängung zu leiten, und wie gesagt, bei den Hysterien, Angst- und Zwangsneurosen gibt der Erfolg uns prinzipiell recht.
Nun gibt es aber andere Krankheitsformen, bei denen trotz der Gleichheit der Verhältnisse unser therapeutisches Vorgehen niemals Erfolg bringt. Es hat sich auch bei ihnen um einen ursprünglichen Konflikt zwischen dem Ich und der Libido gehandelt, der zur Verdrängung geführt hat — mag diese auch topisch anders zu charakterisieren sein —, es ist auch hier möglich, die Stellen aufzuspüren, an denen im Leben des Kranken die Verdrängungen vorgefallen sind, wir wenden das nämliche Verfahren an, sind zu denselben Versprechungen bereit, leisten dieselbe Hilfe durch Mitteilung von Erwartungsvorstellungen, und wiederum läuft die Zeitdifferenz zwischen der Gegenwart und jenen Verdrängungen zu Gunsten eines anderen Ausganges des Konflikts. Und doch gelingt es uns nicht, einen Widerstand aufzuheben oder eine Verdrängung zu beseitigen. Diese Patienten, Paranoiker, Melancholiker, mit Dementia praecox Behaftete, bleiben im ganzen ungerührt und gegen die psychoanalytische Therapie gefeit. Woher kann das kommen? Nicht von dem Mangel an Intelligenz; ein gewisses Maß von intellektueller Leistungsfähigkeit wird bei unseren Patienten natürlich erforderlich sein, aber daran fehlt es z. B. den so scharfsinnig kombinierenden Paranoikern sicherlich nicht. Auch von den anderen Triebkräften können wir keine vermissen. Die Melancholiker z. B. haben das Bewußtsein, krank zu sein und darum so schwer zu leiden, das den Paranoikern abgeht, in sehr hohem Maße, aber sie sind darum nicht zugänglicher. Wir stehen hier vor einer Tatsache, die wir nicht verstehen und die uns darum auch zweifeln heißt, ob wir den möglichen Erfolg bei den anderen Neurosen wirklich in all seinen Bedingungen verstanden haben.
Bleiben wir bei der Beschäftigung mit unseren Hysterikern und Zwangsneurotikern, so tritt uns alsbald eine zweite Tatsache entgegen, auf die wir in keiner Weise vorbereitet waren. Nach einer Weile müssen wir nämlich bemerken, daß diese Kranken sich gegen uns in ganz besonderer Art benehmen. Wir glaubten ja, uns von allen bei der Kur in Betracht kommenden Triebkräften Rechenschaft gegeben zu haben, die Situation zwischen uns und dem Patienten voll rationalisiert zu haben, so daß sie sich übersehen läßt wie ein Rechenexempel, und dann scheint sich doch etwas einzuschleichen, was in dieser Rechnung nicht in Anschlag gebracht worden ist. Dieses unerwartete Neue ist selbst vielgestaltig, ich werde zunächst die häufigere und leichter verständliche seiner Erscheinungsformen beschreiben.
Wir bemerken also, daß der Patient, der nichts anderes suchen soll als einen Ausweg aus seinen Leidenskonflikten, ein besonderes Interesse für die Person des Arztes entwickelt. Alles, was mit dieser Person zusammenhängt, scheint ihm bedeutungsvoller zu sein als seine eigenen Angelegenheiten und ihn von seinem Kranksein abzulenken. Der Verkehr mit ihm gestaltet sich demnach für eine Weile sehr angenehm; er ist besonders verbindlich, sucht sich, wo er kann, dankbar zu erweisen, zeigt Feinheiten und Vorzüge seines Wesens, die wir vielleicht nicht bei ihm gesucht hätten. Der Arzt faßt dann auch eine günstige Meinung vom Patienten und preist den Zufall, der ihm gestattet hat, gerade einer besonders wertvollen Persönlichkeit Hilfe zu leisten. Hat der Arzt Gelegenheit, mit Angehörigen des Patienten zu sprechen, so hört er mit Vergnügen, daß dies Gefallen gegenseitig ist. Der Patient wird zu Hause nicht müde, den Arzt zu loben, immer neue Vorzüge an ihm zu rühmen. „Er schwärmt für Sie, er vertraut Ihnen blind; alles, was Sie sagen, ist für ihn wie eine Offenbarung“, erzählen die Angehörigen. Hie und da sieht einer aus diesem Chorus schärfer und äußert: Es wird schon langweilig, wie er von nichts anderem spricht als von Ihnen und immer nur Sie im Munde führt.
Wir wollen hoffen, daß der Arzt bescheiden genug ist, diese Schätzung seiner Persönlichkeit durch den Patienten auf die Hoffnungen zurückzuführen, die er ihm machen kann, und auf die Erweiterung seines intellektuellen Horizonts durch die überraschenden und befreienden Eröffnungen, die die Kur mit sich bringt. Die Analyse macht unter diesen Bedingungen auch prächtige Fortschritte, der Patient versteht, was man ihm andeutet, vertieft sich in die Aufgaben, die ihm von der Kur gestellt werden, das Material von Erinnerungen und Einfällen strömt ihm reichlich zu, er überrascht den Arzt durch die Sicherheit und Triftigkeit seiner Deutungen, und dieser kann nur mit Genugtuung feststellen, wie bereitwillig ein Kranker alle die psychologischen Neuheiten aufnimmt, die bei den Gesunden in der Welt draußen den erbittertsten Widerspruch zu erregen pflegen. Dem guten Einvernehmen während der analytischen Arbeit entspricht auch eine objektive, von allen Seiten anerkannte Besserung des Krankheitszustandes.
So schönes Wetter kann es aber nicht immer geben. Eines Tages trübt es sich. Es stellen sich Schwierigkeiten in der Behandlung ein; der Patient behauptet, es falle ihm nichts mehr ein. Man hat den deutlichsten Eindruck, daß sein Interesse nicht mehr bei der Arbeit ist und daß er sich leichten Sinnes über die ihm gegebene Vorschrift hinaussetzt, alles zu sagen, was ihm durch den Sinn fährt, und keiner kritischen Abhaltung dagegen nachzugeben. Er benimmt sich wie außerhalb der Kur, so als ob er jenen Vertrag mit dem Arzt nicht abgeschlossen hätte; er ist offenbar von etwas eingenommen, was er aber für sich behalten will. Das ist eine für die Behandlung gefährliche Situation. Man steht unverkennbar vor einem gewaltigen Widerstand. Aber was ist da vorgefallen?
Wenn man imstande ist, die Situation wieder zu klären, so erkennt man als die Ursache der Störung, daß der Patient intensive zärtliche Gefühle auf den Arzt übertragen hat, zu denen ihn weder das Benehmen des Arztes noch die in der Kur entstandene Beziehung berechtigt. In welcher Form sich diese Zärtlichkeit äußert und welche Ziele sie anstrebt, das hängt natürlich von den persönlichen Verhältnissen der beiden Beteiligten ab. Handelt es sich um ein junges Mädchen und einen jüngeren Mann, so werden wir den Eindruck einer normalen Verliebtheit bekommen, werden es begreiflich finden, daß sich ein Mädchen in einen Mann verliebt, mit dem es viel allein sein und Intimes besprechen kann, der ihm in der vorteilhaften Position des überlegenen Helfers entgegentritt, und werden darüber wahrscheinlich übersehen, daß bei dem neurotischen Mädchen eher eine Störung der Liebesfähigkeit zu erwarten wäre. Je weiter sich dann die persönlichen Verhältnisse von Arzt und Patient von diesem angenommenen Fall entfernen, desto mehr wird es uns befremden, wenn wir trotzdem immer wieder dieselbe Gefühlsbeziehung hergestellt finden. Es mag noch angehen, wenn die junge, in der Ehe unglückliche Frau von einer ernsten Leidenschaft für ihren selbst noch freien Arzt erfaßt scheint, wenn sie bereit ist, die Scheidung ihrer Ehe anzustreben, um ihm anzugehören, oder im Falle sozialer Hemmnisse selbst kein Bedenken äußert, ein heimliches Liebesverhältnis mit ihm einzugehen. Dergleichen kommt ja auch sonst außerhalb der Psychoanalyse vor. Man hört nun aber unter diesen Umständen mit Erstaunen Äußerungen von Seiten der Frauen und Mädchen, welche eine ganz bestimmte Stellungnahme zum therapeutischen Problem bekunden: sie hätten immer gewußt, daß sie nur durch die Liebe gesund werden können, und von Beginn der Behandlung an erwartet, daß ihnen durch diesen Verkehr endlich geschenkt werde, was ihnen das Leben bisher vorenthalten. Nur dieser Hoffnung wegen hätten sie sich so viel Mühe in der Kur gegeben und alle Schwierigkeiten der Mitteilung überwunden. Wir werden für uns hinzusetzen: und alles, was sonst zu glauben schwerfällt, so leicht verstanden. Aber ein solches Geständnis überrascht uns; es wirft unsere Berechnungen über den Haufen. Könnte es sein, daß wir den wichtigsten Posten aus unserem Ansatz weggelassen haben?
Und wirklich, je weiter wir in der Erfahrung kommen, desto weniger können wir dieser für unsere Wissenschaftlichkeit beschämenden Korrektur widerstreben. Die ersten Male konnte man etwa glauben, die analytische Kur sei auf eine Störung durch ein zufälliges, d. h. nicht in ihrer Absicht liegendes und von ihr nicht hervorgerufenes Ereignis gestoßen. Aber wenn sich eine solche zärtliche Bindung des Patienten an den Arzt regelmäßig bei jedem neuen Falle wiederholt, wenn sie unter den ungünstigsten Bedingungen, bei geradezu grotesken Mißverhältnissen immer wieder zum Vorschein kommt, auch bei der gealterten Frau, auch gegen den graubärtigen Mann, auch dort, wo nach unserem Urteil keinerlei Verlockungen bestehen, dann müssen wir doch die Idee eines störenden Zufalles aufgeben und erkennen, daß es sich um ein Phänomen handelt, welches mit dem Wesen des Krankseins selbst im Innersten zusammenhängt.
Die neue Tatsache, welche wir also widerstrebend anerkennen, heißen wir die Übertragung. Wir meinen eine Übertragung von Gefühlen auf die Person des Arztes, weil wir nicht glauben, daß die Situation der Kur eine Entstehung solcher Gefühle rechtfertigen könne. Vielmehr vermuten wir, daß die ganze Gefühlsbereitschaft anderswoher stammt, in der Kranken vorbereitet war und bei der Gelegenheit der analytischen Behandlung auf die Person des Arztes übertragen wird. Die Übertragung kann als stürmische Liebesforderung auftreten oder in gemäßigteren Formen; an Stelle des Wunsches, Geliebte zu sein, kann zwischen dem jungen Mädchen und dem alten Mann der Wunsch auftauchen, als bevorzugte Tochter angenommen zu werden, das libidinöse Streben kann sich zum Vorschlag einer unzertrennlichen, aber ideal unsinnlichen Freundschaft mildern. Manche Frauen verstehen es, die Übertragung zu sublimieren und an ihr zu modeln, bis sie eine Art von Existenzfähigkeit gewinnt; andere müssen sie in ihrer rohen, ursprünglichen, zumeist unmöglichen Gestalt äußern. Aber es ist im Grunde immer das gleiche und läßt die Herkunft aus derselben Quelle nie verkennen.
Ehe wir uns fragen, wo wir die neue Tatsache der Übertragung unterbringen wollen, wollen wir ihre Beschreibung vervollständigen. Wie ist es denn bei männlichen Patienten? Da dürfte man doch hoffen, der lästigen Einmengung der Geschlechtsverschiedenheit und Geschlechtsanziehung zu entgehen. Nun, nicht viel anders als bei weiblichen, muß die Antwort lauten. Dieselbe Bindung an den Arzt, dieselbe Überschätzung seiner Eigenschaften, das nämliche Aufgehen in dessen Interessen, die gleiche Eifersucht gegen alle, die ihm im Leben nahestehen. Die sublimierten Formen der Übertragung sind zwischen Mann und Mann in dem Maße häufiger und die direkte Sexualforderung seltener, in welchem die manifeste Homosexualität gegen die anderen Verwendungen dieser Triebkomponente zurücktritt. Bei seinen männlichen Patienten beobachtet der Arzt auch häufiger als bei Frauen eine Erscheinungsform der Übertragung, welche auf den ersten Blick allem bisher Beschriebenen zu widersprechen scheint, die feindselige oder negative Übertragung.
Machen wir uns zunächst klar, daß die Übertragung sich vom Anfang der Behandlung an beim Patienten ergibt und eine Weile die stärkste Triebfeder der Arbeit darstellt. Man verspürt nichts von ihr und braucht sich auch nicht um sie zu bekümmern, solange sie zu Gunsten der gemeinsam betriebenen Analyse wirkt. Wandelt sie sich dann zum Widerstand, so muß man ihr Aufmerksamkeit zuwenden und erkennt, daß sie unter zwei verschiedenen und entgegengesetzten Bedingungen ihr Verhältnis zur Kur geändert hat, erstens wenn sie als zärtliche Neigung so stark geworden ist, so deutlich die Zeichen ihrer Herkunft aus dem Sexualbedürfnis verraten hat, daß sie ein inneres Widerstreben gegen sich wachrufen muß, und zweitens, wenn sie aus feindseligen anstatt aus zärtlichen Regungen besteht. Die feindseligen Gefühle kommen in der Regel später als die zärtlichen und hinter ihnen zum Vorschein; in ihrem gleichzeitigen Bestand ergeben sie eine gute Spiegelung der Gefühlsambivalenz, welche in den meisten unserer intimen Beziehungen zu anderen Menschen herrscht. Die feindlichen Gefühle bedeuten ebenso eine Gefühlsbindung wie die zärtlichen, ebenso wie der Trotz dieselbe Abhängigkeit bedeutet wie der Gehorsam, wenn auch mit entgegengesetztem Vorzeichen. Daß die feindlichen Gefühle gegen den Arzt den Namen einer „Übertragung“ verdienen, kann uns nicht zweifelhaft sein, denn zu ihrer Entstehung gibt die Situation der Kur gewiß keinen zureichenden Anlaß; die notwendige Auffassung der negativen Übertragung versichert uns so, daß wir in der Beurteilung der positiven oder zärtlichen nicht irregegangen sind.
Woher die Übertragung stammt, welche Schwierigkeiten sie uns bereitet, wie wir sie überwinden und welchen Nutzen wir schließlich aus ihr ziehen, das ist ausführlich in einer technischen Unterweisung zur Analyse zu behandeln und soll heute von mir nur gestreift werden. Es ist ausgeschlossen, daß wir den aus der Übertragung folgenden Forderungen des Patienten nachgeben, es wäre widersinnig, sie unfreundlich oder gar entrüstet abzuweisen; wir überwinden die Übertragung, indem wir dem Kranken nachweisen, daß seine Gefühle nicht aus der gegenwärtigen Situation stammen und nicht der Person des Arztes gelten, sondern daß sie wiederholen, was bei ihm bereits früher einmal vorgefallen ist. Auf solche Weise nötigen wir ihn, seine Wiederholung in Erinnerung zu verwandeln. Dann wird die Übertragung, die, ob zärtlich oder feindselig, in jedem Falle die stärkste Bedrohung der Kur zu bedeuten schien, zum besten Werkzeug derselben, mit dessen Hilfe sich die verschlossensten Fächer des Seelenlebens eröffnen lassen. Ich möchte Ihnen aber einige Worte sagen, um Sie von dem Befremden über das Auftreten dieses unerwarteten Phänomens zu befreien. Wir wollen doch nicht vergessen, daß die Krankheit des Patienten, den wir zur Analyse übernehmen, nichts Abgeschlossenes, Erstarrtes ist, sondern weiterwächst und ihre Entwicklung fortsetzt wie ein lebendes Wesen. Der Beginn der Behandlung macht dieser Entwicklung kein Ende, aber wenn die Kur sich erst des Kranken bemächtigt hat, dann ergibt es sich, daß die gesamte Neuproduktion der Krankheit sich auf eine einzige Stelle wirft, nämlich auf das Verhältnis zum Arzt. Die Übertragung wird so der Cambiumschicht zwischen Holz und Rinde eines Baumes vergleichbar, von welcher Gewebsneubildung und Dickenwachstum des Stammes ausgehen. Hat sich die Übertragung erst zu dieser Bedeutung aufgeschwungen, so tritt die Arbeit an den Erinnerungen des Kranken weit zurück. Es ist dann nicht unrichtig zu sagen, daß man es nicht mehr mit der früheren Krankheit des Patienten zu tun hat, sondern mit einer neugeschaffenen und umgeschaffenen Neurose, welche die erstere ersetzt. Diese Neuauflage der alten Affektion hat man von Anfang an verfolgt, man hat sie entstehen und wachsen gesehen und findet sich in ihr besonders gut zurecht, weil man selbst als Objekt in ihrem Mittelpunkt steht. Alle Symptome des Kranken haben ihre ursprüngliche Bedeutung aufgegeben und sich auf einen neuen Sinn eingerichtet, der in einer Beziehung zur Übertragung besteht. Oder es sind nur solche Symptome bestehen geblieben, denen eine solche Umarbeitung gelingen konnte. Die Bewältigung dieser neuen künstlichen Neurose fällt aber zusammen mit der Erledigung der in die Kur mitgebrachten Krankheit, mit der Lösung unserer therapeutischen Aufgabe. Der Mensch, der im Verhältnis zum Arzt normal und frei von der Wirkung verdrängter Triebregungen geworden ist, bleibt auch so in seinem Eigenleben, wenn der Arzt sich wieder ausgeschaltet hat.
Diese außerordentliche, für die Kur geradezu zentrale Bedeutung hat die Übertragung bei den Hysterien, Angsthysterien und Zwangsneurosen, die darum mit Recht als „Übertragungsneurosen“ zusammengefaßt werden. Wer sich aus der analytischen Arbeit den vollen Eindruck von der Tatsache der Übertragung geholt hat, der kann nicht mehr bezweifeln, von welcher Art die unterdrückten Regungen sind, die sich in den Symptomen dieser Neurosen Ausdruck verschaffen, und verlangt nach keinem kräftigeren Beweis für deren libidinöse Natur. Wir dürfen sagen, unsere Überzeugung von der Bedeutung der Symptome als libidinöse Ersatzbefriedigungen ist erst durch die Einreihung der Übertragung endgültig gefestigt worden.
Nun haben wir allen Grund, unsere frühere dynamische Auffassung des Heilungsvorganges zu verbessern und sie mit der neuen Einsicht in Einklang zu bringen. Wenn der Kranke den Normalkonflikt mit den Widerständen durchzukämpfen hat, die wir ihm in der Analyse aufgedeckt haben, so bedarf er eines mächtigen Antriebes, der die Entscheidung in dem von uns gewünschten, zur Genesung führenden Sinne beeinflußt. Sonst könnte es geschehen, daß er sich für die Wiederholung des früheren Ausganges entscheidet und das ins Bewußtsein Gehobene wieder in die Verdrängung gleiten läßt. Den Ausschlag in diesem Kampfe gibt dann nicht seine intellektuelle Einsicht — die ist weder stark noch frei genug für solche Leistung —, sondern einzig sein Verhältnis zum Arzt. Soweit seine Übertragung von positivem Vorzeichen ist, bekleidet sie den Arzt mit Autorität, setzt sie sich in Glauben an seine Mitteilungen und Auffassungen um. Ohne solche Übertragung, oder wenn sie negativ ist, würde er den Arzt und dessen Argumente nicht einmal zu Gehör kommen lassen. Der Glaube wiederholt dabei seine eigene Entstehungsgeschichte; er ist ein Abkömmling der Liebe und hat zuerst der Argumente nicht bedurft. Erst später hat er ihnen so viel eingeräumt, daß er sie in prüfende Betrachtung zieht, wenn sie von einer ihm lieben Person vorgebracht werden. Argumente ohne solche Stütze haben nicht gegolten, gelten bei den meisten Menschen niemals im Leben etwas. Der Mensch ist also im allgemeinen auch von der intellektuellen Seite her nur insoweit zugänglich, als er der libidinösen Objektbesetzung fähig ist, und wir haben guten Grund, in dem Ausmaß seines Narzißmus eine Schranke für seine Beeinflußbarkeit auch für die beste analytische Technik zu erkennen und zu fürchten.
Die Fähigkeit, libidinöse Objektbesetzungen auch auf Personen zu richten, muß ja allen normalen Menschen zugesprochen werden. Die Übertragungsneigung der genannten Neurotiker ist nur eine außerordentliche Steigerung dieser allgemeinen Eigenschaft. Nun wäre es doch sehr sonderbar, wenn ein menschlicher Charakterzug von solcher Verbreitung und Bedeutung nie bemerkt und nie verwertet worden wäre. Das ist auch wirklich geschehen. Bernheim hat die Lehre von den hypnotischen Erscheinungen mit unbeirrtem Scharfblick auf den Satz begründet, daß alle Menschen irgendwie suggerierbar, „suggestibel“ sind. Seine Suggestibilität ist nichts anderes als die Neigung zur Übertragung, etwas zu enge gefaßt, so daß die negative Übertragung keinen Raum darin fand. Aber Bernheim konnte nie sagen, was die Suggestion eigentlich ist und wie sie zustande kommt. Sie war für ihn eine Grundtatsache, für deren Herkunft er keinen Nachweis geben konnte. Er hat die Abhängigkeit der „suggestibilité“ von der Sexualität, von der Betätigung der Libido nicht erkannt. Und wir müssen gewahr werden, daß wir in unserer Technik die Hypnose nur aufgegeben haben, um die Suggestion in der Gestalt der Übertragung wiederzuentdecken.
Jetzt halte ich aber ein und lasse Ihnen das Wort. Ich merke, eine Einwendung schwillt bei Ihnen so mächtig an, daß sie Ihnen die Fähigkeit rauben würde zuzuhören, würde man sie nicht zu Worte kommen lassen: „Also Sie haben endlich zugestanden, daß Sie mit der Hilfskraft der Suggestion arbeiten wie die Hypnotiker. Das haben wir uns ja schon lange gedacht. Aber dann, wozu der Umweg über die Erinnerungen der Vergangenheit, die Aufdeckung des Unbewußten, die Deutung und Rückübersetzung der Entstellungen, der ungeheure Aufwand an Mühe, Zeit und Geld, wenn das einzig Wirksame doch nur die Suggestion ist? Warum suggerieren Sie nicht direkt gegen die Symptome, wie es die anderen tun, die ehrlichen Hypnotiseure? Und ferner, wenn Sie sich entschuldigen wollen, auf dem Umweg, den Sie gehen, haben Sie zahlreiche bedeutsame psychologische Funde gemacht, die sich bei der direkten Suggestion verbergen: wer steht denn jetzt für die Sicherheit dieser Funde ein? Sind die nicht auch ein Ergebnis der Suggestion, der unbeabsichtigten nämlich; können Sie denn nicht dem Kranken auch auf diesem Gebiete aufdrängen, was Sie wollen und was Ihnen richtig scheint?“
Was Sie mir da einwerfen, ist ungemein interessant und muß beantwortet werden. Aber heute kann ich's nicht mehr, es fehlt uns die Zeit. Auf nächstes Mal also. Sie werden sehen, ich stehe Ihnen Rede. Für heute muß ich noch das Begonnene zu Ende bringen. Ich habe versprochen, Ihnen mit Hilfe der Tatsache der Übertragung verständlich zu machen, warum unsere therapeutische Bemühung bei den narzißtischen Neurosen keinen Erfolg hat.
Ich kann es mit wenigen Worten tun, und Sie werden sehen, wie einfach sich das Rätsel löst und wie gut alles zusammenstimmt. Die Beobachtung läßt erkennen, daß die an narzißtischen Neurosen Erkrankten keine Übertragungsfähigkeit haben oder nur ungenügende Reste davon. Sie lehnen den Arzt ab, nicht in Feindseligkeit, sondern in Gleichgültigkeit. Darum sind sie auch nicht durch ihn zu beeinflussen; was er sagt, läßt sie kalt, macht ihnen keinen Eindruck, darum kann sich der Heilungsmechanismus, den wir bei den anderen durchsetzen, die Erneuerung des pathogenen Konfliktes und die Überwindung des Verdrängungswiderstandes bei ihnen nicht herstellen. Sie bleiben, wie sie sind. Sie haben häufig bereits Herstellungsversuche auf eigene Faust unternommen, die zu pathologischen Ergebnissen geführt haben; wir können nichts daran ändern.
Auf Grund unserer klinischen Eindrücke von diesen Kranken hatten wir behauptet, bei ihnen müsse die Objektbesetzung aufgegeben und die Objektlibido in Ichlibido umgesetzt worden sein. Durch diesen Charakter hatten wir sie von der ersten Gruppe von Neurotikern (Hysterie, Angst- und Zwangsneurose) geschieden. Ihr Verhalten beim therapeutischen Versuch bestätigt nun diese Vermutung. Sie zeigen keine Übertragung und darum sind sie auch für unsere Bemühung unzugänglich, durch uns nicht heilbar.