Abteilung II.
Über den Ursprung der Vorstellungen.
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Es gibt indes eine dem entgegenstehende Erscheinung, welche die Möglichkeit beweisen könnte, dass Vorstellungen auch unabhängig von den ihnen entsprechenden Eindrücken entstehen können. Man wird sofort zugeben, dass die verschiedenen Vorstellungen der Farben, welche durch das Auge eintreten, oder die der Töne, welche das Ohr zuführt, von einander wirklich unterschieden und zu gleicher Zeit einander ähnlich sind. Ist dies von verschiedenen Farben richtig, so muss es auch von verschiedenen Schattierungen derselben Farbe gelten. Jede Schattierung erzeugt eine bestimmte Vorstellung, welche von den übrigen unabhängig ist. Wollte man dies leugnen, so könnte man durch eine allmähliche Abstufung, die Schattierung, einer Farbe unmerklich in die ihr geradezu entgegengesetzte umwandeln. Will man keinen Unterschied für die Mittelfarben anerkennen, so muss man dasselbe auch für die Extreme gelten lassen, wenn man sich nicht widersprechen soll. Man nehme nun einen Menschen, der dreißig Jahre lang sein Gesicht gehabt und mit allen Arten von Farben bekannt geworden ist, eine einzige Schattierung z.B. von Blau ausgenommen, welche er zufällig niemals gesehen hat. Wenn man diesem nun alle Schattierungen dieser Farbe, mit Ausnahme dieser einen, vorlegt, die allmählich von der dunkelsten zur hellsten ansteigen, so wird er offenbar eine Lücke bei dieser fehlenden Schattierung bemerken, und er wird empfinden, dass hier die nächsten Farben mehr von einander abstehen, als sonst wo. Ich frage nun, ob es ihm möglich sein wird, aus seiner Einbildungskraft diese fehlende zu ergänzen und sich die Vorstellung von dieser besonderen Schattierung zu bilden, obgleich seine Sinne sie ihm niemals zugeführt haben? Ich glaube, nur Wenige werden sagen, dass er es nicht könne.
Dies kann als ein Beweis gelten, dass die bloßen Vorstellungen nicht immer und überall von ihren entsprechenden Empfindungen sich ableiten. Indes ist dieser Fall so vereinzelt, dass er kaum Beachtung verdient, und ich brauche seinetwegen den allgemeinen Grundsatz nicht zu ändern.
Hier ist also ein Satz, der nicht allein in sich einfach und verständlich ist, sondern der auch, bei richtiger Anwendung, jede Streitfrage verständlich macht und all jenes Kauderwelsch beseitigt, welches seit lange die metaphysischen Untersuchungen beherrscht und widerwärtig gemacht hat. Alle Vorstellungen, insbesondere die begrifflichen, sind von Natur matt und dunkel; die Seele hat nur einen schwachen Halt für sie; sie werden leicht mit anderen, verwandten Vorstellungen verwechselt; hat man oft ein Wort gebraucht, ohne einen bestimmten Sinn damit zu verbinden, so bildet man sich zuletzt ein, dass eine bestimmte Vorstellung daran geknüpft sei. Umgekehrt sind alle Eindrücke, d.h. alle Empfindungen, sowohl äußere wie innere, stark und lebhaft; ihre Unterschiede treten bestimmter hervor, und man kann bei ihnen nicht leicht irren oder sie verwechseln. Hat man daher Verdacht, dass ein philosophischer Ausdruck ohne einen bestimmten Sinn oder Begriff gebraucht werde (was nur zu häufig geschieht), so möge man nur fragen: Von welchem Eindruck ist diese angebliche Vorstellung abgeleitet? Kann ein solcher nicht nachgewiesen werden, so wird dies den Verdacht bestätigen. Indem ich die Vorstellungen hiermit in ein so deutliches Licht gestellt habe, ist damit hoffentlich aller Streit beseitigt, welcher sich über ihre Natur und Wirklichkeit erheben könnte.A1
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A1 Wahrscheinlich haben auch Alle, welche die angeborenen Ideen leugnen, damit nur gemeint, dass die Begriffe bloß Abbilder unserer Eindrücke seien. Indes sind die dabei gebrauchten Worte weder vorsichtig gewählt, noch so genau bestimmt, dass die Lehre nicht missverstanden werden könnte. Denn was versteht man unter: angeboren? Ist es so viel als natürlich, so sind alle Vorstellungen und Begriffe der Seele angeboren oder natürlich, mag man dies letztere Wort als Gegensatz von ungewöhnlich oder von künstlich oder von wunderbar nehmen. Versteht man unter »angeboren« das mit der Geburt Vorhandene, so wird der Streit leichtsinnig, und es verlohnt sich dann nicht der Mühe, zu untersuchen, in welchem Zeitpunkte das Denken beginne, ob vor, mit oder nach der Geburt.
Auch scheint das Wort Idee von Locke und Andern meist in einem schwankenden Sinne gebraucht zu sein; sie bezeichnen damit sowohl die Wahrnehmungen, die Empfindungen und Gefühl, wie die Gedanken. Dann möchte ich wohl wissen, was man sich unter der Behauptung denkt, dass die Selbstliebe, die Rache für Beleidigungen oder die Geschlechtsliebe nicht angeboren sei? Nimmt man die Worte Eindrücke und Vorstellungen (oder Idee) in dem oben entwickelten Sinne, und versteht man unter angeboren das Ursprüngliche und von keinem vorgehenden Eindruck Abgenommene, dann kann man sagen, dass alle unsere Eindrücke angeboren und alle unsere Vorstellungen nicht angeboren sind.
Offen gestanden, scheint mir Locke bei dieser Frage durch die Schulgelehrten irregeführt zu sein, welche zweideutige Worte benutzen und so ihre Streitigkeiten zu einer langweiligen Länge ausdehnen, ohne den Streitpunkt zu berühren. Eine ähnliche Zweideutigkeit und Wortklauberei zieht sich durch die Erörterungen dieses Philosophen nicht bloß bei diesem, sondern auch bei vielen anderen Punkten.
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