Zum Hauptinhalt springen

Assoziationspsychologie

Assoziationspsychologie ist eine Richtung der neueren Philosophie, die besonders in England entstanden ist, auf Hartley (1704-1757) und Hume (1711-1776) basiert und Männer wie James Mill (1775-1836), Stuart Mill (1806-1873), Herbert Spencer (1820-1904), Alexander Bain (1818-1903) und George Lewes (geb. 1867) zu ihren Vertretern gehabt und auch in Frankreich und Deutschland namhafte Anhänger gefunden hat. Die Schule der Assoziationspsychologen schließt die Metaphysik von der Psychologie aus und hält sich an das Studium der Erscheinungen des Seelenlebens. Sie bearbeitet dieselben beobachtend, experimentierend und vergleichend und beschränkt sich nicht auf das Leben des Erwachsenen oder des Menschen, sondern zieht jede menschliche Altersstufe und auch die niederen Organismen in die Untersuchung hinein. Es scheidet sie keine feste Grundlinie von der Physiologie. Sie findet in dem Bewußtsein eine ununterbrochene Reihe von Sinneswahrnehmungen, Vorstellungen, Willensregungen, Empfindungen etc. Die Grundlage alles Seelenlebens sind verschiedene und ähnliche Wahrnehmungen des muskularen, organischen, Geschmacks-, Geruchs-, Tast-, Gehörs- und Gesichtssinnes. Das Grundgesetz aller Seelenphänomene ist aber das Assoziationsgesetz, das in der Psychologie etwa dieselbe Bedeutung hat wie in der Physik das Attraktionsgesetz. Durch Assoziation verbinden sich entweder gleichartige Seelenvorgänge, z. B. sinnliche Wahrnehmung mit sinnlicher Wahrnehmung, Vorstellung mit Vorstellung, oder ungleichartige, z. B. Wahrnehmung und Willensregung, Empfindung mit Vorstellung etc. Die Assoziation erfolgt 1. zwischen dem Ähnlichen, 2. zwischen dem, was sich (zeitlich und räumlich) berührt. Durch Assoziation entstehen 1. die Aufeinanderfolge, 2. die Gleichzeitigkeit. Die Aufeinanderfolge ist das ganze Leben des Bewußtseins. Die Gleichzeitigkeit erwächst aus ihr da, wo die Reihenfolge der Glieder umkehrbar ist. Die Kausalität ist nichts weiter als die konstante und gleichförmige Aufeinanderfolge. Das, was unveränderlich vorausgeht, heißt Ursache, was unveränderlich folgt, Wirkung. Die Gesamtheit aller Beziehungen der Aufeinanderfolge ist die Zeit, die Gesamtheit aller Beziehungen der Gleichzeitigkeit ist der Raum. Ihre Unendlichkeit ist nur der subjektive Zwang, über jede gegebene Grenze hinausgehn zu können. – Die Assoziationspsychologie, deren stärkere Seite bisher die Bearbeitung der Erkenntnis, deren schwächere Seite die Bearbeitung des Willens und Gefühlslebens gewesen ist, läuft auf einen erkenntnistheoretischen Standpunkt hinaus, der als physiologisch umgestalteter Kantianismus bezeichnet werden kann. Sie sieht in der Seele weder ein leeres Blatt, wie die Sensualisten es sehen, noch folgt sie den Rationalisten in der Lehre von den angeborenen Ideen und Fertigkeiten, noch sucht sie mit Kant auf dem Wege der Abstraktion ein Apriori zu finden; aber sie schreibt der Seele eine Spontaneität zu, deren Einzelheiten zum Teil durch Vererbung entstanden sind. Die Assoziationspsychologie ist ein großer Fortschritt der Psychologie bezüglich der Methode gewesen, aber sie ist überholt durch Berichtigung ihres Grundbegriffes, durch Gründung der Psychologie auf Physiologie durch Anwendung der Psychophysik und durch Ausbildung des Apperzeptionsbegriffs, und sie hat die Schwäche aller positivistischen Richtungen in der Philosophie. Sie verkennt, daß in den metaphysischen Untersuchungen doch erst der Abschluß aller philosophischen Probleme zu suchen ist. Ein gut über die Assoziationspsychologie orientierendes Buch ist das von Th. Ribot, La psychologie anglaise contemporaine. Paris 1875. Vgl. Herbert Spencer, Principles of Psychology 1855. 5. Aufl. 1890.