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Anschauung

Anschauung (Intuition) oder Wahrnehmung bedeutet die unmittelbare Bewußtseinserfassung eines Gegebenen zunächst durch den Gesichtssinn, dann, allgemeiner, überhaupt durch die Sinne. Zum Zustandekommen einer Anschauung oder Wahrnehmung gehört 1. daß ein wirkliches Objekt vorhanden ist, 2. daß dieses einen Reiz auf unsere Sinnesorgane ausübt, 3. daß aus diesem Reiz eine Empfindung erwächst, 4. daß die Empfindung in bestimmter Form (Raum und Zeit) zum Bewußtsein kommt. Die Anschauung ist stets etwas Einzelnes, während Vorstellungen (s. d.) und Begriffe (s. d.), aus der Erneuerung und Verbindung früherer Anschauungen hervorgegangen, stets ein Allgemeines sind. Hierdurch bestimmt sich der Wert der Anschauung für die Erkenntnis. Anschauungen liefern uns den stofflichen Inhalt unseres Wissens, geordnet in den Formen des Raumes und der Zeit; aber zum Glied unserer Erkenntnis werden sie erst, indem aus ihnen allgemeine Vorstellungen und begriffliche Formen entwickelt werden. Das Wissen selbst besteht nicht aus Anschauungen oder Wahrnehmungen, sondern aus dem daraus gewonnenen Allgemeinen. Kant hat dies Verhältnis durch die zwei Sätze: „Gedanken ohne Inhalt sind leer“ und „Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ ausgedrückt (Kr. d. r. V. S. 51). Die äußere Anschauung umfaßt die objektiven Dinge (im Raume und in der Zeit), die innere die subjektiven Vorgänge (in der Zeit); jene fällt unter das Gesetz der Gleichzeitigkeit, diese unter das der Aufeinanderfolge. Kant (1724-1804) unterscheidet außerdem die Anschauung a priori und a posteriori oder die reine und die empirische. Jene bezieht sich auf die reinen Raum- und Zeitformen, wie sie uns in den mathematischen Größen vorliegen, diese auf die in Raum und Zeit wahrnehmbaren, durch Empfindung gegebenen Erfahrungsgegenstände. (Vgl. Raum und Zeit.) Die spekulativen Philosophen Fichte, Schelling und Hegel reden noch von einer intellektuellen Anschauung. Fichte (1762-1814) versteht darunter das unmittelbare produktive Bewußtsein des handelnden Ichs, Schelling (1775-1854) den unbedingten Erkenntnisakt, in welchem Subjektives und Objektives zusammenfällt, das Wissen vom Absoluten, Hegel (1770-1831) das durch notwendige Gedankenbewegung erreichbare logische Wissen. Schelling streift damit jenes unmittelbare Anschauen Gottes, von welchem die Mystiker reden. Neuere Denker, wie Herbart (1776-1841), Beneke (1798-1854), H. Lotze (1817 bis 1881) u. a. erkennen nur die empirische Anschauung als Grundlage und Ausgangspunkt aller Philosophie an. – Künstlerische Anschauung ist die Betrachtung eines Gegenstandes nach ästhetischen Gesetzen. Vgl. Wahrnehmung.