Ein gut erhaltener Fünfziger
September 1913
(Gabor Steiner kontra Hermann Bahr.) Nach über einjähriger Dauer ist gestern nachmittag beim Zivillandesgerichte unter dem Vorsitz des Oberlandesgerichtsrates Kauer ein Prozeß zu Ende gegangen, den der seinerzeitige Direktor des Ronacher Gabor Steiner durch Dr. Heinrich M. gegen den Schriftsteller Hermann Bahr auf Rückzahlung eines Betrages von 7000 K erhoben hatte. Im Jahre 1909 hatte Direktor Gabor Steiner für das Ronachertheater bei Bahr eine Revue bestellt, die dieser auch fertigstellte. Die Revue, welche den Namen »Die Reise nach Eipeldau« trug, hatte zahlreiche politische Anspielungen enthalten.
Die Revue wurde von der Polizei verboten, und auch die Statthalterei bestätigte das Verbot, so daß die Aufführung unterblieb. Nun hatte Hermann Bahr bei Ablieferung des Szenariums sich einen Tantiemenvorschuß von 7000 K bedungen, der ihm bei Ablieferung des Buches auch bezahlt worden war. In der Klage wurde nun geltend gemacht, daß der Kläger einen Werkvertrag abgeschlossen habe, daß er jedoch das Werk nicht aufführen konnte, da es einen wesentlichen Mangel hatte, und daher der Kläger berechtigt sei, den auf die Tantiemen gegebenen Vorschuß zurück- zuverlangen. Dr. T. hatte für den Beklagten eingewendet, daß der Vorschuß von 7000 K eine Sicherstellung für die gelieferte Arbeit war, ohne die der Beklagte als erstklassiger Schriftsteller sich nicht zu einer Arbeit für das Varieté hergegeben hätte. Herr Bahr habe schon bei Abfassung der Revue, die einen politischen Charakter haben sollte, vorausgesehen, daß Zensur- schwierigkeiten entstehen könnten, und wäre es Sache des Direktors gewesen, durch eventuelle Abänderungen das Verbot der Aufführung hintanzuhalten. Der Senat zog zunächst Erkundigungen darüber ein, ob einzelne Szenen oder das Werk in seiner Gesamtheit verboten wurde. Inzwischen war der Krach in Venedig gekommen und Direktor Gabor Steiner, der in Konkurs gekommen war, nach Amerika geflüchtet ....
Im Zuge des Prozesses ließ nun das Gericht einen Sachverständigen- beweis über »Die Reise nach Eipeldau« und deren Eignung als Bühnenwerk zu. Als Sachverständige wurden Professor R.F. Arnold und Regierungsrat Dr. Glossy vernommen. Beide Sachverständige gaben bei der am 25. Juni durchgeführten Verhandlung zu, daß das Stück zur Aufführung geeignet sei, und bei einer solchen als Werk der Literatur in höherem Sinne wohl von keinem der beiden Teile gemeinten Revue der Text nur die Folie für die musikalischen, szenischen und schauspielerischen Zutaten darstelle. Während nun Prof. Arnold den Text mit Rücksicht auf die zu deutlichen politischen Anspielungen für langweilig und einen Theatererfolg für zweifelhaft erklärte, meinte Regierungsrat Glossy, daß gerade die politischen Anspielungen belebend gewirkt hätten und einen Erfolg selbst der routinierteste Theaterfachmann wohl nie voraussehen und auch hier nicht in Abrede stellen könne ....
Nach dem Gutachten erklärte der Senat die Verhandlung für geschlossen und behielt sich die Ausfertigung des Urteils im schriftlichen Wege vor, verfügte jedoch nach einigen Tagen die Wiedereröffnung der Verhandlung, um über den Inhalt der in Bayreuth getroffenen Ab- machungen die Parteien zu vernehmen. Bei der nunmehr durchgeführten Verhandlung gab Hermann Bahr als Partei an, Gabor Steiner sei eigens nach Bayreuth gekommen, um den Widerstand zu überwinden, den er in der Korrespondenz den Vorschlägen Steiners wegen einer Revue entgegengesetzt habe. Er habe, wie schon vorher schriftlich, auch bei der mündlichen Unterredung betont, unsere Polizei werde dieses aus Frankreich stammende, sich mit der Karikierung aktueller politischer Verhältnisse befassende Genre überhaupt nicht zulassen. Nur damit erkläre es sich auch, daß das Stück zur Gänze verboten worden sei. Denn das Stück enthalte auch Szenen, deren Streichung nicht anders zu verstehen sei. Er habe auch Steiner darauf aufmerksam gemacht, daß er eine Arbeit dieser Art niemals geleistet habe, insbesondere noch nie für Musik geschrieben habe, daß er das Varieté nicht besuche und nicht wisse, ob ihm das Genre gelingen werde. Steiner drang jedoch in ihn und erklärte, ihn für die Zeitversäumnis durch Zahlung eines Garantie- betrages vollauf zu entschädigen und jedes Risiko zu übernehmen. Das Interesse an der Erzielung einer Aufführung werde Bahr trotz des Vertrages darin finden, daß dann die Tantieme den Garantiebetrag sehr reichlich übersteigen wird.
Der Gerichtshof wies die Klage mit der Begründung ab, daß der Usus nach der Aussage des Sachverständigen Dr. Glossy zugunsten Bahrs spreche .... Überdies gebe Bahr die Verhandlungen mit Steiner so wieder, daß dieser ein Risiko sowohl des Gelingens als auch bezüglich der Zensurschwierigkeiten des bestellten Werkes ausdrücklich auf sich genommen habe. Übrigens mußte Steiner schon aus dem ihm in Bayreuth von Bahr vorgelesenen Szenarium, nach dessen Kenntnisnahme er die erste Hälfte des Garantiebetrages zahlte, den ganzen Inhalt des Stückes erkennen, und es drücke sich in dieser Zahlung eine Genehmigung aus, da das Stück mit dem Szenarium im Wesentlichen übereinstimme.
(Das Geld. Von Hermann Bahr.) Ich konnte schon als Kind Geld nicht leiden. Es gab damals noch die großen, schweren, dicken, abgegriffenen alten Vierkreuzerstücke, Batzen genannt, mir graute, sie zu berühren, weil sie so schmierig waren, mich ekelte, wie vor widerlichen schleimigen Tieren, Kröten oder Würmern, und ich rieb mir immer voll Angst und Haß die Finger von der Besudelung wieder rein. Man lachte mich aus und ich bemühte mich selbst gegen das Gefühl, ich sagte mir selber vor, daß es albern wäre; jetzt weiß ich erst, wie recht das Kind empfand.
Später dann, bei den ersten Blicken ins Leben der Menschen, erkannte ich gleich, daß Taten oder Werke, um des Geldes willen getan, nichtswürdig sind und daß sich entmenscht, wer etwas um des Geldes willen tut. Doch ließ ich mir damals und lange noch einreden, es müßten Taten oder Werke zu finden sein, die ich um ihretwillen oder um meinetwillen tun könnte und die mir aber dennoch, obwohl also nicht durch das Geld hervorgerufen, nebenbei Geld einbringen könnten. Es dauerte lange, bis auch dieser Selbstbetrug durchschaut war und ich sah, daß das Geld auch eine zurückwirkende Kraft hat: es spritzt sein Gift weit ins Vergangene zurück und auch reinen Herzens gewollte, um ihrer selbst willen vollbrachte Taten oder Werke werden entehrt, wenn sie, noch so spät, Geld berührt.
Dies macht unsere Zeit so grauenhaft: wer Brot backt, Recht spricht, Kranke heilt, der Krieger, der Künstler, der König, was immer einer auch ist und tut, keiner meint das, was er ist und tut, sondern er meint das Geld, das es ihm bringt; der Bäcker meint nicht das Brot, der Richter nicht das Recht, der Arzt nicht den Kranken, und nicht den Krieg und nicht die Kunst und nicht die Krone, es ist ihnen allen nicht um das zu tun, was sie tun, sondern alles, was sie tun, tun sie nur um des Geldes willen und was immer sie tun, sie meinen alle damit nur immer das Geld. Das Brot aber, das mit solchen nach Geld ungeduldigen Händen gebacken wird, spürt, daß es nicht zum Brot, sondern zum Geld gebacken wird, und so wird das Brot zu Gelde und schmeckt nach Gelde. Und unsere ganze Welt spürt, daß sie bloß zum Geld betrieben wird, und unsere ganze Welt schmeckt überall nach dem Gelde.
Der Bäcker ist wenigstens aufrichtig: er gesteht sich ein, daß er beim Backen nicht das Brot meint, sondern das Geld, daß Geld gebacken wird, nicht Brot. Schlimmer stehts mit dem Richter und mit dem Arzt: die geben nicht zu, daß auch sie nur das Geld meinen und daß das Recht und der Kranke nur Mittel zum Zwecke sind, zum Gelde .... Wenn sie Geld genug hätten, ohne erst Recht sprechen oder Kranke heilen zu müssen, wie viele würden dann auch nur noch einen Tag lang fortfahren, Recht zu sprechen und Kranke zu heilen? Aber auch diese, wenn sie gleich von sich sagen dürfen, daß sie nicht um des Geldes willen Recht sprechen und Kranke heilen, bewirken doch heute damit Geld, und wenn ihr Tun auch nicht auf Geld zielt, erzielt es doch Geld, ihr Tun geht nicht auf Geld aus, aber auch ihr Tun kommt aufs Geld hinaus; was einer auch beginnen und wie er sich dazu verhalten mag, es wird immer heute nichts als Geld gemacht, es kommt nichts zustande als Geld. Der reinlichste ist heute verhältnismäßig noch der Börsenmensch, der unmittelbar am Gelde selbst hantiert; er heuchelt wenigstens sich und den anderen nichts vor.
In meiner Jugend war’s mir unerträglich, bezahlt zu werden. Ich wünschte mir, so viel Geld zu haben, daß ich unentgeltlich arbeiten könnte .... Es ist das natürliche Gefühl des unverdorbenen Menschen, daß er nach seiner Kraft leisten, nach seinem Bedürfnis empfangen, aber nicht dafür, daß er leistet, empfangen, nicht um zu empfangen, leisten will. Der Gedanke, für eine Tat oder ein Werk entlohnt zu werden, verleidet ihm jede Tat und jedes Werk; der Gedanke, daß er damit bezahlt wird, verleidet ihm, was er empfängt .... Ich zöge vor, wir trieben es offen und der Reichskanzler müßte nach jedem diplomatischen Sieg, der Pfarrer gleich nach der Predigt, der Dichter, wie der Vor hang fällt, selber mit dem Klingelbeutel absammeln gehen, damit kein Zweifel bliebe, wofür heute gesiegt, gepredigt und gedichtet wird.
Jede Tat, jedes Werk, von wem immer und welcher Art immer, wird heute auf den Markt gebracht und endet mit Geld. Nichts bleibt davon als eine Ziffer. Und diese Ziffer bestimmt den Wert der Tat, des Werks, von wem immer und welcher Art immer ....
Was hilfts, wenn einer sich noch so reinen Willens gelobt, nichts um Geld zu tun? Was er tut, verwandelt sich ihm in der Hand doch immer wieder zu Geld und nichts als Geld bleibt schließlich davon zurück ....
.... Das Geld ist der Antichrist und so lange wir den Fluch des Geldes nicht zerreißen, können wir nicht zu Menschen werden und all unsere Sehnsucht bleibt Wahn. Dies hat mir mein Leben erbracht, anderen mag andere Wahrheit erwachsen, meine bleibt: Entscheide dich und wähle, Geld oder Gott!
Vgl.: Die Fackel, Nr. 381/382/383, XV. Jahr
Wien, 19. September 1913.