Wer ist der Mörder?
Mai 1913
(›Zeit im Bild‹.) In der heute erscheinenden Nummer 14 der Wochenschrift ›Zeit im Bild‹ beginnt der Roman »Das Glück der Edith Hilge« von Otto Soyka. Wohl selten ist eine Erzählung mit größerer Spannung erwartet worden; denn dieser Roman gibt seinen Lesern ein Rätsel auf, dessen Lösung ein Vermögen bringen kann. Wir rekapitulieren: Der Roman gibt die Schilderung einer Mordtat, der Mörder wird aber vom Verfasser nicht genannt. Der Schuldige bleibt unerkannt. Verschiedene Personen geraten in den Verdacht, den Mord begangen zu haben. Die Leser sollen nach den im Roman gegebenen Indizien selbst entscheiden und den Nachweis erbringen, wer als der wirkliche Mörder anzusehen ist. Der Leser muß aber sein Urteil auch begründen, indem er auseinandersetzt, auf welche Verdachtsgründe sein Urteil gestützt ist. Dafür sind Preise im Gesamtbetrage von 100.000 Mark ausgesetzt. Die beste Lösung allein bringt 50.000 Mk. ein, die zweite 20.000 Mk., die dritte 10.000 Mk., die vierte 5000 Mk., bis herab zu 10 Trostpreisen von je 1000 Mark. Es läßt sich leicht denken, daß dieser Roman förmlich »zerrissen« wird; jeder wird in dieser mysteriösen Geschichte mit seinem Scharfsinn spüren wollen, die Juristen zumal und auch die freiwilligen »Kriminalstudenten«. Aber der Roman gibt durchaus kein juristisches Rätsel auf, und wer psychologisch begabt ist und ein gefälliges Darstellungstalent hat, der kann sich den Preis verdienen. Preise, wohlgemerkt, die das Vielfache unserer größten literarischen Preise (des Schiller-Preises, des Raimund-Preises u.a.) betragen! Es winkt ein Häusel im Grünen, eine große Reise ist nah, schöne weite Welten tun sich auf! Jeder wird sich so, nach seinen Wünschen, in einen wunderbaren Traum einwiegen. Aber du, armes, geplagtes Preisgericht! Berge von Büchern und Briefen erwarten dich. Bis Ende Juli läuft der Roman, im Januar wird die Entscheidung fallen. Nun heißt es: die Sinne schärfen. Mit dem Zeigefinger am Mund Schweigen gebietend, steht (auf dem Titelbild) eine schwarze Frau vor dem roten Vorhang, der die Leiche deckt. Wer hat die Tat begangen? Das ist jetzt die Frage ....
Der Autor dieser Dichtung ist, wie ich gern glaube, mit jenem jungen Schriftsteller, dessen Name durch einige Beiträge in der Fackel bekannt wurde, weder identisch noch verwandt. Der Herausgeber der Fackel, die schon einige Talente an den Journalismus abgeliefert hat, würde, so bereitwillig er organische Irrtümer als Folge eines glücklichen Mangels an psychologischer Fähigkeit einbekennt, immerhin freudig berührt sein, wenn hier die Verwahrung von einer der beteiligten Seiten unterstützt und die belletristische Züchtung deutscher Polizeihunde in keinen Zusammenhang mit seinem Vorleben gebracht würde. So spannend die Tätigkeit eines Romanautors immer sein muß — das Problem: Wer ist das? auszugenießen ist ein Vergnügen, das wir der Schriftstellerei nicht verdanken wollen. Wenn ein Soyka-Preis schon das Vielfache eines Raimund-Preises beträgt, so muß das geistige Verdienst, mit ehrlichen Maßen gemessen, immerhin zu einem Teilchen beteiligt sein. Denn wir wollen nicht, daß Dichternamen in die Reklame einer illustrierten G.m.b.H. eingespannt werden, zumal nicht die der Raimund und Schiller, wenngleich deren Einkünfte kaum einen Trostpreis übersteigen mochten und auch nicht annähernd an das beglaubigte Bankdepot heranreichten, das jetzt einem Roman Leser wirbt und mit dem heute papierene Verdachtsgründe belohnt werden, während ehedem dem Manne, der den großen Räuber lebendig lieferte, höchstens mit tausend Louisdors geholfen werden konnte. Ein so diskreter Zug es auch sein mag, daß der Verfasser den Namen des Mörders nicht nennt, wir möchten doch um den größten Preis der Welt nicht mit einer Literatur verbunden sein, die man erst so recht genießt, wenn ein Häusel im Grünen winkt.
In einem Blatt nun, welches der geistigen Entwicklung das Ziel gesteckt hat, den Mörder zu finden, in Text und Bild vorgeführt zu werden, ist eine besondere Ehre. Ich bin abgehärtet und an die schmierigsten Zumutungen deutscher Zeitschriften gewöhnt, aber ich glaube, das Bewußtsein, der ehrliche Finder des Mörders zu sein, ja den preisgekrönten Mord selber begangen zu haben, könnte nicht ärger drücken als das Gefühl, in ›Zeit im Bild‹ unter die »berühmten oder interessanten Zeitgenossen« aufgenommen zu sein. Sie hat mich, sagt die Redaktion, wie jeden solchen, »der in die Reichweite ihrer künstlerischen Arbeit gerät«, abkonterfeien lassen. Dagegen ist nichts zu machen, und es sollte wohl Riechweite heißen. Der Herr Blix, den der Simplicissimus abwechselnd das Andenken an Wilke veröden und den lebenden Gulbransson verdünnen läßt, will gesehen haben, wie ich bei der Münchner Vorlesung mit beiden Händen redete, was mir doch schwerlich je gelingen könnte, da ich immer mindestens eine brauche, um das Buch zu halten, von dem ich abhängig bin, selbst wenn ich es auswendig weiß. Die Eigenart des Herrn Blix, in der Mitte jedes Gesichtes eine Gurke und am Rand einen Henkel zu sehen, scheint sich auch nicht mit meinen Geburtsfehlern zu decken.
Da ich aber auch keinen Zwicker trage und kein Kandelaber neben mir stand, so vermute ich, daß der Meister mich überhaupt nicht gesehen, sondern auf Grund falscher Informationen und Gerüchte oder vermöge einer Personenverwechslung porträtiert hat. Meine Eitelkeit, die sich nicht auf meinen Leib bezieht, würde sich gern in einer Mißgeburt erkennen, wenn sie in ihr den Geist des Zeichners erkennte, und ich bin stolz auf das Zeugnis eines Kokoschka, weil die Wahrheit des entstellenden Genies über der Anatomie steht und weil vor der Kunst die Wirklichkeit nur eine optische Täuschung ist. Gegen die Mittelmäßigkeit, die nicht trifft, und vor der Mittelmäßigkeit, die es anschaut, müßte das Recht am eigenen Körper statuiert werden, mindestens aber gelte die Befugnis, eine Illustration, die nicht übertreibt, sondern erfindet und nichts weiter bedeutet als die Verbreitung einer falschen Nachricht über meine Ohren, durch die photographische Entgegnung des Sachverhalts zu berichtigen.
Warum soll die zeichnerische Reportage das Recht auf die Lüge voraus haben? Eine kleine Nase darf zum Knopf, eine große zum Rüssel werden: das wird dem Handwerk zugestanden. Aber wenn der Meister unter den Rüssel den Namen dessen setzt, der die kleinere Nase hat, so läuft er Gefahr, ein Lügner genannt zu werden. Warum soll der Schutz, der gegen die verbale Fälschung aufgerichtet ist, der eindringlicheren Methode gegenüber versagen? Ich für meine Nase habe schon keine Lust, das Recht des Karikaturisten an allem, was in Erscheinung tritt, auf die Talentlosigkeit auszudehnen, umsoweniger auf die Verlogenheit, und ich sperre in meiner Instanz jeden, der mir eine zu lange Nase dreht, in die Lücke des Gesetzes, das die Beleidigung straft und die Belästigung frei gibt.
Was ist aber das Übel, manche Lüge ungestraft zu sehen, neben der Gefahr, daß jede Meinung erlaubt ist? Was ist die Wehrlosigkeit vor der zeichnerischen Unbegabung neben der Vogelfreiheit vor dem Text des Analphabeten? Daß die Meinungsfreiheit eine Errungenschaft des Liberalismus ist, sollte nie vergessen lassen, daß sie auch der Rotz der Kultur ist. Ich bin gegen Rotz empfindlich. Wenn’s auf mich ankommt, ist es mir hundertmal angenehmer, daß die ersten Schriftsteller Deutschlands, die mir in München mit ziemlicher Ausdauer zugehört haben, nie einen Ton über mich verlautbaren werden, als daß ein Dummkopf sich an mir vergreife. Ich finde es ja ganz in Ordnung, daß in der Stadt, in der ich verlegt bin, keine Buchhandlung meine Bücher ausstellt, aber es ist mir — die Rotzbuben mögen meine Empfindlichkeit entschuldigen — recht peinlich, daß in der Stadt, deren Revuen mich ehedem um Beiträge und um Hilfe gegen Herrn Harden angefleht haben, sich kein Finger rührt, um einen anonymen Schmierer zurechtzuweisen, der mir eine innere Verwandtschaft mit Herrn Harden nachsagt. Die Totschweigerei der Wiener Presse ist von allem was sie tut das reinste. Das Verhalten der deutschen Literatur deckt sich mit ihres Wesens Schmutz. Es ist einfach ein Plan der Verheimlichung, der mit der Sicherheit arbeitet, daß die lokalen Anlässe mein Werk den entfernten Lesern unwegsam machen, und — wohl wissend, daß sein Wert in der Entrückung vom Stoff liege — davon für die deutsche Aktualität abschöpft. So ist es möglich, daß einem Publikum, welches kaum meinen Namen erfährt, von einem Literatentum, das meine Arbeit kennt, Leistungen vorgesetzt werden, die vom unterrichteten Leser sogleich als miserable Kopie erkannt werden müßten. So ist es möglich, daß jene publizistische Form in Schwang gekommen ist, die, ohne inneren Auftrag geübt, wohl den gröbsten Unfug bedeutet, dessen die Überschreitung der Bürgersitte fähig ist: die polemische Glosse. Der schlechte Lyriker ist ein Dilettant, der schlechte Satiriker auch noch ein Lump. Der schlechte Lyriker kann nie so zur Last werden, wie der schlechte Satiriker, dessen Überhandnehmen durch das gemeinste Bedürfnis und den gemeinsten Betrieb garantiert ist. Hätte der satirische Pöbel, der jetzt allerorten emporwächst, auch nur einen Funken Ehrgefühls, er hätte für meine Unterdrückung gesorgt, ohne sie zu seiner Ausbreitung zu benützen. Ärger, als wenn die Zimmermaler einem Rembrandt den Markt versperrten, hat dieser Fluch die Anschauung verdorben, so daß das Original sich nicht mehr hinaustraut, weil es zur Verachtung zurechtkommen könnte, der die Kopisten glücklich entgangen sind. Unmöglich wäre es auch, durch die Mauer literarischer Schäbigkeit, die das deutsche Geistesleben umfriedet, zu jenen vorzudringen, die Dank wüßten, und das Erstaunen einzelner, die dort die Fackel kennen lernen und so lange geglaubt hatten, sie sei ein Frankfurter Skandalblatt: das Entsetzen dieser Einzelnen, weil ein Ring von kritischer Tücke und verlegerischer Gleichgültigkeit ihnen so viele Jahre die Bekanntschaft mit einem, der in deutscher Sprache schreibt, verwehrt hat, dieses jetzt öfter hörbare »Wie kommt das? Warum haben wir davon nichts gewußt?« klagt jene am schwersten an, die mich mit einem Schein von Anhängerschaft zu umgeben wußten, um sich die Tat zu ersparen. Sie wird von mir nicht mehr begehrt. Aber daß zu hunderttausend deutschen Lesern, die ein illustriertes Blatt kaufen, weil dort Preise auf den Kopf eines Mörders ausgesetzt sind, die Meinung eines bösartigen Reporters dringt, das ist noch zu erreichen, und wird von jenen gebilligt, deren Verehrerbriefe meinen Kasten sprengen und die längst das Schweigen über mich als der Tapferkeit besseres Teil erkannt haben. Dort wo der Mörder nicht genannt wird und der Plauderer das Pseudonym »Bold« führt, können sie jetzt das abschließende Urteil über mich erfahren:
.... ihn unterscheidet von Kerr außerdem, zu seinem Vorteil, sein überaus reiner gepflegter Stil, und dasselbe gilt von seinem Deutsch im Gegensatz zu dem Deutsch, das Harden in den letzten Jahren schreibt. Aber wenn man Kraus rühmen will, wird man sonst auch nichts weiter sagen können, als dies: er schreibt ein gutes, klares flüssiges Deutsch. Das ist ungeheuer viel, wird man sagen. Aber gewiß! Nur, nicht wahr, man hätte Lust, in diesem guten Deutsch einmal etwas gesagt zu hören; einen eigenen Gedanken, der aber, weil er ein eigener Gedanke ist, ein eigenes Gewand hat, eine von ihm selbst, wenn nicht entdeckte, so doch unmittelbar gesehene Tatsache, die eben auch durch die ganz eigenartige sprachliche Wiedergabe etwas von der neu entdeckten Seite oder Beziehung sehen ließe .... Haben Kerr und Harden uns etwas verwöhnt, so ist es das Pech von Karl Kraus, daß gerade auch durch diesen Gegensatz sein gutes Deutsch, wenn wir es erst ein paarmal gelesen haben, uns leer vorkommt. Das ist auch die Ursache, weshalb Kraus tatsächlich selbst in dem nächsten Umkreis seiner Heimatstadt so gut wie keine Wirksamkeit entfaltet hat. Da er nun immerhin sah, daß ein großes Maß an Wirksamkeit eines der Kriterien echter Journalistik ist, da er anderweitig sah, daß sie ihm fehlt, wurde er Feind der Journalistik. So fand er die einzige pikante Wendung seiner Schriftstellerlaufbahn: er bekämpft außer Harden und der Wiener Neuen Freien Presse auch Heinrich Heine als den Begründer des impressionistischen Stils in der Tagesschriftstellerei. Gegenüber all den andern glaubte er nun, im Ewigkeitsstil zu schreiben, weil er die Wirksamkeit für den Tag durch sein gutes Deutsch nicht erlangen konnte. Aber man ist noch kein Philosoph, wenn man nur in Allgemeinheiten spricht und denkt, Gedanken anderer in ein hübsches plattes Deutsch, in sogenannte Aphorismenart so übersetzt, daß alle Ecken und Kanten der ursprünglichen Gedanken abgeschliffen scheinen, um, im Gegensatz zur Wirksamkeit, für die Ewigkeit zu sein; es kann auch die Wirksamkeit sein für die Minute oder Viertelstunde, während deren man in Kraus’ Zeitschrift oder in den Bänden seiner noch immer nicht abgeschlossenen Werke blättert.
Nun ja, man wird schon sehen, wohin die Preßfreiheit führt. Die Enkel erst werden diese fortschrittliche Einrichtung preisen, die es ermöglicht hat, Meinungen, bei deren Geruch ein Hund die Wut bekäme, unmittelbar und ohne die Gefahr der Auspeitschung in hunderttausend Gehirne überzuleiten. Gibt es eine bessere Zeugenschaft gegen diese Zeit als ihre Verteidiger? Als daß die Gegner, die sie mir stellt, solches Kaliber haben? Der Wunsch, mich anzugreifen, bringt einen mittelwüchsigen Schwachsinn so von Kräften, daß er sich im Objekt vergreift und mich mit einem andern verwechselt. Von mir müßte doch von rechtswegen gesagt werden, daß ich ein unklares, schwerflüssiges Deutsch schreibe, daß ich eigene, aber platte Gedanken durch künstliche Ansetzung von Ecken und Kanten in sogenannter Aphorismenart produziere. Denn im letzten Grunde soll, namentlich für den intelligenten Trottel, der draufkommt, jeder Gedanke eine Banalität sein, und Stil ist hinterdrein nur eine Umschreibung. Was ist das für ein Stil, wenn der Mann mit den fünf Sinnen erst nach fünffacher Lektüre sagen kann, er sei auch der Ansicht? Dieser Zustand müßte als ungesund verworfen werden, und das ist der Punkt, aus dem ich dem Verstand widerstehe. Aber finde sich einer im Gehirn der Subjekte zurecht, die den Drang oder die Aufgabe haben, mich anzugreifen, und da sie es mit Überzeugung nicht können, eben einen ganz andern angreifen, was ja dem Leser schließlich egal ist. Sie bedienen sich aus dem ungeheuren Vorrat des Hasses, den meine bloße Existenz durch die bloße Unfähigkeit, Verbindungen einzugehen, gesammelt hat. Naturgemäß kann er nur von einer Gegnerschaft der Masse ausgeschöpft werden, weil ein ebenbürtiges Pathos in dem luftleeren Leben nicht wachsen könnte, um es zu verteidigen. Blind wie die Masse muß der Haß sein, der sich nie auf vorhandene Eigenschaften bezieht, sondern sie nur herbeiwünscht und, um sie zu treffen, erfindet. So ist es möglich, daß er in Bild und Schrift Behauptungen aufstellt, gegen die kein Widerspruch nötig wäre, wenn das Objekt nicht zufällig meinen Namen hätte. Oft müssen sie nicht erst weit suchen gehen, um die zum Angriff passende Häßlichkeit zu finden: sie geben dem Popanz ihre eigenen Züge, was ihnen, da sie die meinen mir abgenommen haben, wie ein gerechter Ausgleich erscheint, und indem sie sich in mir angreifen, zugleich wie die Sühne, die der Wahn ihrer Haßliebe verlangt. Und nun denke man: diese Zeit hat Maschinen, um ihre Unregelmäßigkeit auszuleben. In allen Vorzeiten wurde durch das Gerücht mehr Wahrheit in Umlauf gesetzt als heute durch die Presse. Und es ist modernster Unsinn der Entwicklungspolitik, daß sie die Kunst gegen die harmonische Rückständigkeit schützen will, anstatt gegen die Zweideutigkeit. Jeden Augenblick wird für einen modernen Künstler, den ein Philister abstrus gefunden hat, die Enquetetrommel gerührt. Als ob es das Unglück der Kunst wäre, daß sie vom Hausverstand geflohen wird: er erkennt den Sachverhalt und beweist seinen Respekt, indem er sich an die Stirne greift. Nichts frommt dem Geist besser als der Widerstand, der die Gefahr spürt. Wenn mir nichts weiter geschähe, als daß die journalistisch geschulte Leserschaft mich als unverständlich, unverdaulich und widerwärtig ablehnt, ich ließe mir’s gut gehen. Ich würde keine Zeile an die Klage wenden, daß mir solche Reaktion nicht paßt. Ich würde mich nicht dem Vorwurf der Kleinlichkeit aussetzen und dem Anschein, daß ich es nur pro domo auf die freie Meinungsäußerung abgesehen habe. Wenn die Kunstpolitiker, anstatt Zukunftswerte zu effektuieren, ihnen die Auswirkung sichern wollten, hätten sie nicht auf Anerkennung, sondern auf Respekt zu dringen und dort einzugreifen, wo sich der Hausverstand behaglich niederläßt, wo er sein Unverständnis mit der Frechheit verkleidet: er verstehe es und verdaue es und die Fackel sei auch dort, wo sie nicht zufällig von einem Trottel spricht, in einem klaren flüssigen Deutsch geschrieben. Sie müßten mich gegen das höchste Kompliment schützen, das eine Menschensorte zu vergeben hat, deren Beruf es ist, Tatsachen schmackhaft zu machen. Gegen die bewußte Fälschung, die darauf abzielt, einem in Deutschland verbreiteten Gerücht, die Fackel sei Literatur, durch die Beruhigung zu begegnen, sie sei als Reiselektüre zu wenig spannend. Auf einen Tadler kommen dort draußen zehn Verteidiger. Gegen die Gebärde, mit der das Zeitungsgeschäft sich seines Todfeindes entledigt, indem es ihn nicht amüsant genug findet, kann es keinen Protest geben. Denn was da die Feder führt, ist vereint in der Brüderschaft des Hasses. Jeder spürt, daß den andern nicht Kritik, sondern Notwehr leitet. Sie müßten aufhören, zu sein, wenn sie zugeben könnten, daß ein Leben, wie es hinter der Fackel lebt, von ihnen nicht verstanden werden darf. Wenn sie mich angreifen, so gilt es ihnen. Denn je mehr sie mich angreifen, desto schwächer werden sie, und nur die Schwäche, die noch zunehmen kann, erhält sie. Es ist jene verzweifelte Spielart, die ich so oft erlebt habe: einer ruft ein unartikuliertes Schimpfwort und stellt bloß dadurch, daß er auf mich zeigt, die Verbindung mit mir her, die von ihm doch wollüstig ersehnte Verbindung. Leute, die auf jüngere Leute als Männer wirken, haben so sich mir im Haß mühelos ergeben. Sie wiederholen unaufhörlich dieselben Schimpfwörter, an deren kritischen Ernst sie natürlich selbst zuallerletzt glaubten, wenn für einen Augenblick die verhängnisvolle Schwäche der Besinnung wiche, deren sie ehedem in der Stellung zu mir fähig waren. Der Grund des Ausbruches ist nie, daß sie von mir nichts halten, sondern immer, daß ich von ihnen nichts halte. Ist es denkbar, daß solche Naturen noch eine Gefolgschaft haben, die verehrend zwischen mir und ihnen schwebt? Es ist das Einverständnis jener verräterischen Nullität, die auf den Sack schlägt und sich selber meint. So habe ich es allzeit erfahren, am häufigsten in Berlin, wo die irdischen Reste eines teuren Verblichenen sich noch manchmal gegen mich zu erheben versuchen und wo ich gelegentlich eine Leichenschändung vornehmen könnte, wie sie neopathetische Hinterbliebene noch nicht erlebt haben.
Denn ich brenne vor Verlangen, den Reizen, die der Tag mir bietet, zu entfliehen und einmal dem geistigen Deutschland in den Rachen zu schauen. Die vielen Sekten, die der Mangel an Religion verbindet, ob sie nun ihr Nichts in die Politik oder in die Psychologie retten, ob sie nachdenkliche oder tänzerische Gewohnheiten haben, ob sie Glossen abschreiben oder Gedichte, auf meinem Papier zu versammeln. Ihnen zu sagen, daß wir uns nur hier treffen und berühren. In der Fülle der Gesichte nur die eine Hohnfalte nachzuweisen, die wie ein breiter Strich durch Gottes Rechnung allem Wachstum abwehrt. Jene, die Mut haben, weil sie keine Ehrfurcht haben, das Gruseln zu lehren! Der Tölpel hat recht, es war ein Entschluß, ich bin nur aus Unfähigkeit, für die Zeit zu wirken, ihr Feind geworden, und darum, weil ich nicht als ein Verliebter könnt’ kürzen diese fein beredten Tage, war ich gewillt ein Bösewicht zu werden, und feind den eitlen Freuden dieser Tage. Ich nun, in dieser schlaffen Friedenszeit, weiß keine Lust, die Zeit mir zu vertreiben, als meinen Schatten in der Sonne spähn und meine eigne Mißgestalt erörtern. Nun möchte ich, entstellt von einem Zeichner, so um dies schöne Ebenmaß verkürzt, daß Hunde bellen, hink’ ich wo vorbei — auch noch alle diese Hunde auf einen Platz treiben und in einer einzigen Schlinge erfassen. Überhaupt der Zeit ins Bild schlagen. Hierauf mich dem Preisgericht stellen: Man suche nicht länger — der Mörder bin ich!
Vgl.: Die Fackel, Nr. 374/375, XV. Jahr
Wien, 8. Mai 1913.