Wenn wir Toten erwachen
Oktober 1912
Es gibt im weiten Umkreis menschlicher Niedrigkeit keine so niedrige wie die Beschimpfung, die jüngst einem Lebenden durch einen Toten widerfuhr. Mir durch Herrn Maximilian Harden. Wie kam dieser Tote, der verpflichtet wäre zu schweigen oder über mich nil nisi bene zu sprechen, zur Gelegenheit? Indem ein anderer gestorben war. Nun hatte er einen Bundesgenossen der Wehrlosigkeit und konnte endlich aus der Reserve, die ich ihm auferlegt hatte, heraustreten und sich in Wien vernehmlich machen. Alfred von Berger war gestorben und Herr Harden benützte die Gelegenheit, der Witwe etwas mitzuteilen, was die Wiener Blätter eine Trauerkundgebung nannten:
Der sorglichste Freund ist von Ihnen gegangen, ein Mann, dessen ganzes Wesen von edler Menschlichkeit und tiefem Kunstempfinden durchtränkt war. Nicht viele mag es geben, die ihn so kannten, wie ich, die ihm in so ernsten seelischen Schwierigkeiten bis ins Innerste sahen, immer nobel, immer der Mann von natürlichem eingeborenen Ehrgefühl, und leidlos konnte er die armen Schacher verachten, die sich erdreisteten, seinen Charakter mit gemeiner Verdächtigung zu bespritzen. Sie, verehrte Frau Baronin, haben ihm Glück gegeben, Sie waren das sonnige Zentrum seines Erlebens, dafür müssen wir, die Alfred Berger kannten und deshalb liebten, Ihnen dankbar bleiben. Und das Bewußtsein dessen, was sie ihm waren, ist vielleicht einst auch Ihnen etwas wie Trost.
Das aber war ein schlechter Trost. Das war umso weniger zartfühlend, als ja Herr Maximilian Harden, der mir fälschlich auch die Schuld an dem Tode des Freiherrn von Berger gibt, tatsächlich durch mich umgekommen ist und im Hause des Gehenkten dieser nicht vom Strick sprechen soll. Ich bin nicht schuld an dem Tode Bergers. Ich hatte für die Talentfülle seiner weiten, aber untiefen Persönlichkeit mehr Anerkennung übrig als für ein Untalent, das mit seines Wesens Nichts in eine Pseudonyme Sprache flüchtet und sich nicht schämt, auf Stelzen zu einem Begräbnis zu gehen und die Witwe Bergers das sonnige Zentrum seines Erlebens zu nennen. Ich schätze einen, der immer gewandt zu sprechen wußte, noch immer höher als einen, der diese Anlage dem vertrackten Ehrgeiz opfert, ein fremdsprachiger deutscher Schriftsteller zu sein. Ich habe nicht gewußt, daß Alfred von Berger krank war, als ich ihn wirken sah und dies Wirken für gefährlich hielt; und die Krankheit, die nicht schuld war am Werk, hätte an dem Urteil nichts ändern können. Umso weniger ist das Urteil schuld an der Krankheit und die Behauptung häßlicher, als der Tatbestand, den sie erlügt. Wer aber außer Herrn Harden könnte auch nur zu entscheiden wagen, daß es schon, sagen wir: die durch das Leiden der Physis geschwächte Wollenskraft war, die den Baron Berger in ein Bündnis mit dem schlechtesten Schriftsteller Deutschlands trieb? Herr Harden mußte es wissen. Ich, nie informiert, konnte, was von schlechter Gesundheit kam, schlechter Politik zuschreiben. War Alfred von Berger damals schon krank, so hätte Herr Harden die Ausnützung seines Schwächezustands, nicht ich dessen Verkennung zu bereuen. Ist er, der sein Geschäft stets von der Schwäche des andern, des Partners wie des Gegners, betreiben ließ, einer Reue nicht fähig, so mußte eine letzte Besinnung des Geschmacks ihn von jener Kondolenz zurückhalten. Denn abgesehen vom Sprachlichen: was könnte dem Andenken eines Toten weniger förderlich sein, als daß eben jener die Ehrenrettung besorgt, der ihn kompromittiert hat? Herr Harden hätte, um Berger die letzte Ehre zu erweisen, sich in denkbar weitester Entfernung vom Begräbnis halten müssen. Mit den Toten gebe er es endlich auf, von Bismarck bis Berger wolle er nichts mehr erleben und nichts mehr profitieren, und er reize die Lebendigen nicht! Ich bin imstande, die Grabesruhe, die ich ihm gegönnt habe, zu stören und pietätlos zu werden. Noch ein Wort, und ich schreib’ ihm einen Angriff gegen mich in seiner Sprache, daß es ihm diese verschlägt! Er kennt sich ja aus, er hat ja selbst oft gegen Tote sich schlecht benommen, er hat alte Leute — wie sage ich nur gleich — in den Siechstuhl gebettet: er erfreche sich jetzt nicht auch noch, die Toten schützen zu wollen. Dazu ist er nicht berufen. Vor einem Sarg anzuklagen, ziemt nur dem Mut. Der fehlt Herrn Harden, seit er Majestätsbeleidigungen gegen die Sprache begeht. Vor einem Sarge anzuklagen ziemt nur der Überzeugung. Die einzige, die Herr Harden vielleicht hat, ist die, daß sie ihm fehlt. Er weiß es hoffentlich: wie er alles weiß, was er nicht hat. Nur wer sie hat und schon ausgesprochen hat, darf an einem Totenbett sie wiederholen. Es ist eine pathetische Angelegenheit, und der ehrliche Mann darf der Pflicht, »auszusprechen was ist« — wenn er den Tonfall dieser Pflicht nicht dem Lassalle abgeluchst hat — sogar Takt und Geschmack opfern und, indem er mit der Kondolenz die Anklage verbindet, eine Witwe an den erinnern, der den Gatten gekränkt hat. Herr Maximilian Harden ist kein Pathetiker, sondern im Gegenteil: ein Politiker. Herr Harden empfindet nicht Schmerz, sondern im Gegenteil: Rache. Aber eine Rache, die auszuführen er so schwach ist, daß er den Schmerz der andern zu Hilfe rufen muß. Herr Harden kondoliert nicht, sondern im Gegenteil: er freut sich. Denn er hat eine Gelegenheit gefunden, zu zeigen, daß er nicht tot ist, sondern im Gegenteil: gemein. Eine Mezzie. So was kommt nicht wieder. Alle Tage stirbt nicht einer, den ich auch angegriffen habe und zwar wegen desselben Harden. Der Leidtragende ist also nicht tot. Denn die Toten benehmen sich nicht schlecht. Aber die Schlechten, die um ihre Reputation gebracht wurden, lauern auf die Chance, einem Gegner, dem sie mit den ehrenhaften Mitteln des Geistes nicht gewachsen wären und mangels solcher es gar nicht erst probieren wollen, zu beweisen, daß sie noch schäbiger sind, als er behauptet hat. Dabei fallen sie immer wieder in die Grube, in der sie nicht liegen bleiben wollten, und jeder Hieb, zu dem sie ausholen, ist Selbstverstümmelung. So herzlos, so seinen Leichnam schändend, ist manch einer mit sich verfahren, der sich dazu hinreißen ließ, mir zu antworten. Er konnte nur dartun, daß er doch besser als ich imstande war, ihn unmöglich zu machen. Der Schwächling, den man angreift, reduziert sich im Nu auf ein so niedriges Niveau, daß der Angreifer einsehen muß, er habe sich nicht am, sondern im Objekt vergriffen. Ich bereue den Angriff; denn ich muß den Gegner bedauern. Ich habe keinen. Er ist nicht da. Er wird ohne mein Hinzutun schon dadurch geschwächt, daß er sich wehrt. Er erledigt, was ich versäumt habe, und geht aus Selbsterhaltungstrieb zugrunde. Denn es ist der Drang jener, die keine Persönlichkeit haben, sie zu behaupten und so das Gegenteil zu beweisen. Habe ich gesagt, daß es ungeistige Leute seien, so beginnen sie zu schreien; habe ich gesagt, daß sie unwahrhaftig seien, so beginnen sie zu lügen. Wären sie von allem Anfang so deutlich gewesen, ich hätte sie nie enthüllt! Es sind die geborenen Selbstmörder, denen man getrost alles Weitere überlassen kann. Sie leisten Gefolgschaft ihrem Herrscher: dem Feind, und machen Harakiri nach sich selbst. Sie berufen sich schuftiger Weise auf Personen, die mich leiblich überfallen haben. Aber die Täter waren nur volltrunken, die Zuschauer sind von Sinnen. Oder sie sagen, ich handle so, weil ich von ihnen etwas haben wollte. Sie bringen mir die Scham bei, Leute, die solcher Motivierung eines geistigen Entsetzens fähig sind, polemisch angerührt zu haben. Man möchte glauben, sie lieferten durch ihre Antwort meinem Angriff erst das Material. Nein, sie entziehen es ihm; denn wenn ich geahnt hätte, daß sie so dreckig sind, hätte ich mich vielleicht satirisch, gewiß nie polemisch ihnen genähert. Polemik setzt das Format des schlechten Objekts voraus, sie enthüllt das Mißverhältnis zwischen Geltung und Unbedeutung. Aber wenn sie sich schon vor der Polemik so gezeigt hätten wie nachher, so hätte es nie ein Mißverhältnis gegeben und nie eine Geltung. Lehm wird Brei, und selbst jene, die noch nach meinem Angriff glaubten, es sei Odem da, ziehen sich enttäuscht zurück. Herr Maximilian Harden hat heute in Deutschland niemand mehr zu enttäuschen. Er hat eigentlich überhaupt nie jemand enttäuscht außer mir. Wie es kam, daß ich in jungen Jahren nicht kritisch diesem aus einem kleinen Intellekt und einem großen Zettelkasten gespeisten Feind des Geistes gegenüberstand, das hat nichts mit dem Problem der Faszination des Jungen durch den Mann, der Empfänglichkeit durch die Kraft zu schaffen. Es ist der umgekehrte Fall. Ich war älter und stärker als Herr Harden; ich war nur nicht imstande, es zu wissen. Ich war nicht von einer Gebärde benommen: wie es Weiberart ist, deren Anziehung und Enttäuschung ich immer wieder als Objekt erlebe. Nein, ich habe meinen Inhalt einer fremden Gebärde geliehen: wie es Männerart ist. Es hat Phantasie dazu gehört, den schlechtesten Schriftsteller Deutschlands zu verkennen. Phantasielos sind die, die meine Konsequenz in diesem Punkte vermissen. Und es ist grotesk, sich heute noch gegen einen Vergleich, an dem nur die ledernste Kunstfremdheit festhalten kann, und gegen einen Vorwurf, der die Verleumdung eines alten »Idols« behauptet, wehren zu müssen. Aber auch jene suchen vergebens nach einer Erklärung, die den Unterschied einräumen: die auch meine dürftigsten Anfänge im Wert über eine Reife stellen, welche mir selbst scheinbar imponiert hat, und die einsehen, daß etwas Organisches eingetreten sein müsse, wenn wirklich Faust den Wagner einmal bewundert hat. Die Erklärung ist nur dort schwer, wo selbst das Verständnis für geistige Dinge den Zusammenhang dieser mit den erotischen Dingen verkennt oder leugnet, und wo das Verständnis für erotische Dinge höchstens die Auffassung sexueller Dinge einschließt. Es gehört Mut dazu, vor einer infamen Zeit von solchen Dingen zu sprechen und sich dem ödesten Mißverständnis, zu dem allein sie fähig und bereit ist, auszusetzen. Aber ich würde lieber dieses ertragen, als die Kompromittierung im geistigen Punkt und als den schnöden Zwang, meine Leistung, die — darin bin ich informiert — im letzten Buchstaben des kleinsten Drucks das Lebenswerk des Herrn Harden auslöscht, auf einen Mißgriff meines Urteils fixiert zu sehen. Ich schlage diesen Mißgriff nicht zur Literatur, sondern zu den Erlebnissen. Denn ich würde alles lieber tun, als mich von dem Fehler freisprechen: dem Weib in allen Formen, wenn es nur zierliche Formen sind, den Vortritt zu lassen. Herr Harden ist, so sehr die Ambition der Bildung und die usurpierte Rüstung der Sprache diesem Eindruck widerstreiten, noch heute anmutig. Ich könnte noch heute an dem operettenhaft frisierten Kopf, wenn Schminke die Krähenfüße einer traurigen publizistischen Tätigkeit verdeckt, Züge wahrnehmen, die sich einem mir willkommenen Frauentypus einverleiben ließen. Aber ich könnte daraus keine Sympathie mehr für ein frauenzimmerhaftes Wesen ableiten, das sich längst in seiner ganzen ungeistigen Häßlichkeit offenbart hat. Meine Toleranz reicht übers Klimakterium, doch Journalisten im gefährlichen Alter interessieren mich nicht. Die sexuelle Scheelsucht und Hintertreppenroutine einer langjährigen Kammerzofe, die viel gesehen und wenig erlebt hat, haben sich inzwischen zu einem so deutlich trüben Charakterbild verdichtet, daß ich solche Eigenschaften zumal dann nicht unbeachtet lassen kann, wenn die Kammerzofe eigentlich ein Kammerdiener ist und dieser eine Wochenschrift herausgibt. Anderseits ist wieder eine Soubrette, die nie der Tragöde war, für den man sie hielt, da sie’s noch immer glaubt, eine komische Alte. Noch heute aber hat sie etwas Prickelndes. Ich wollte, der Kopf des Herrn Harden säße nicht auf der Schulter eines Publizisten, der die deutsche Politik aus dem Alkoven des sexuellen Wissens in das Labyrinth des sprachlichen Unvermögens hetzt. Ich wollte, Herr Harden wäre nicht der schlechteste Schriftsteller Deutschlands, aber immer der niedliche Agitator, der sich soeben wieder anschickt, die Herzen der Wiener zu überreden, und der, wenn er will, imstande ist, zu sprechen, wie einem mittelmäßigen Franzosen der achtziger Jahre, der auch eine Französin sein kann, der Schnabel gewachsen war. Noch zaudert er, die »Rotunde«, von der er sprechen will, Rotunde zu nennen: »so heißt ja wohl das Haus, in dem Reinhardt das ›Mirakel‹ aufführt«, schreibt er an einen Wiener Freund. Gewiß heißt es so, für »Rundgebäude« hätte man in Wien kein Gemüt, rotonda wäre auch nicht das richtige, Rotonde hielte man für einen Druckfehler, und so entschließt er sich, rotunde (vgl. Heyses Fremdwörterbuch = rundweg, ohne Umschweife) Rotunde zu schreiben. Es zu sagen, wird ihm leichter fallen. Wenn er üben steht, geht’s wie geschmiert; nicht wie geschrieben. Ich wollte, er stünde immer oben und säße nie am Schreibtisch. Stehend spielt er nur die Komödie der Gesinnung, sitzend auch die Komödie des Stils. Da ist er nicht zu halten und wird mit zunehmendem Alter verspielter. Er spielt Versteck mit sich, spielt auf alles an, was es gibt, und gefällt sich in jener »Mumme«, die er noch über die Maske anlegt. Schöne Maske, ich kenne dich nicht mehr. Denn nun wirkt auch jede feminine Regung, die man der Natur des Plauderers gern zugute hält, viel ordinärer, als sie im Grunde ist. Er nimmt, was immer er für lose Scherze mit den Worten treibt, die Positur des Mannes an, der es gewagt hat, und da wird man auf jede Gemeinheit aufmerksam. Wer übersähe denn, daß hinter dem nom de guerre eines Harden zwar ein Hütten steckt, doch hinter diesem die Dame, die die schmutzige Wäsche bei Eulenburgs übernommen hat? Dieser eigentliche Harden aber hat halb gewagt und frisch gewonnen. Man weiß nicht immer, was er weiß, aber ihm rentiert sichs. Man liest, was er gelesen, und hört, was er gehört hat; und kann ihm dennoch nicht folgen. Mit den zwei Seelen in seiner Brust würde man sich zur Not auskennen; aber da sie wie Moritz und Rina sprechen, ist’s fatal. Selbst wenn er auf die ernsten seelischen Schwierigkeiten anspielt, bei denen er dem verstorbenen Alfred von Berger bis ins Innerste sehen konnte, kommt man leicht in Gefahr, nicht zu merken, daß er nur die Moltke-Affäre meint. Man müßte ihm sonst bedeuten, daß dem Andenken des Toten durch die Erinnerung an seine damalige Intervention, zwischen dem Handwerk des Herrn Harden und den Interessen eines befreundeten Ehrenmannes, kein Dienst erwiesen wird. Denn Alfred von Berger hat nicht nur die Gelegenheit vorübergehen lassen, einem Spekulanten, der den Namen des Grafen Moltke mit gemeiner Verdächtigung bespritzte, den Verkehr zu kündigen, sondern er hat im Gegenteil ein Feuilleton über ihn geschrieben. Alfred von Berger kann besser geehrt werden, als dadurch, daß ihn Herr Harden noch jetzt in eine politische Freundschaft verwickelt, deren Aufrichtigkeit auf Seite Bergers hoffentlich hinter den Andeutungen des Herrn Harden zurückbleibt, und es wäre gewiß pietätvoller, an die ersten erfolgreichen Hamburger Jahre des Baron Berger zu erinnern, als an dessen Regietätigkeit im Eulenburg-Prozeß. Auch wäre es würdiger, nicht gerade jene Verdienste eines Toten zu berufen, von denen man einen Vorteil gehabt hat, und nicht den Lebenden zu schmähen, dem man nie beweisen könnte, daß er um eines Vorteils willen sie bestritten hat. Herrn Harden ist es aber nicht um eine Ehrung des toten Freiherrn von Berger zu tun, sondern darum, den Vorteil, den ihm die Verbindung gebracht hat, durch den Tod nicht zu verlieren, vielmehr zu befestigen. Dieser Vorteil besteht nun auch darin, endlich aus der ihm von mir auferlegten Reserve herauszutreten und einen tiefgefühlten Schmähbrief an die Witwe Bergers schreiben zu können. So sind die Frauenzimmer. Dieser Herr Harden winkt gegen mich die Autorität des Todes herbei. Doch der Tod, in dessen Schutz zu flüchten die ultima ratio der geborenen Selbstmörder ist, wird eine so schmähliche Bundesgenossenschaft ablehnen. Der Tod hat noch Geheimnisse vor Herrn Harden. Der Tod ist ferner schlicht und nicht manieriert. Der Tod deutet nicht an und umschreibt nicht. Spricht aus, was nicht ist, und spricht doch die Wahrheit. Wagt alles, und sagt mit einer Silbe, was er zu sagen hat. Hätte Herr Harden sich je ins Leben gewagt, um zu sagen, daß ich ein Wicht sei, man könnte es ihm zur Ehre anrechnen, daß seine Wut nicht Halt macht vor irgendeinem Tode. Man könnte noch glauben, er beklage Bergers Tod. So aber beklagt er sich beim Tod, er läuft zu einem Begräbnis davon, wie ein geprügelter Junge, und sagts dem großen Bruder. Unter dem Vorwand, zu kondolieren, belästigt er die Witwe mit seinem Leid. Und rechnet dabei auf das Mitgefühl der Angehörigen der Presse. Mit einigem Erfolg. Sie druckt die Trauerkundgebung; und nur, weil sie mich doch für toter halten muß als Berger und Harden, druckt sie den Satz, auf den es dem Kondolenten ankommt, nicht gesperrt. Vielleicht auch denkt sie, daß die Verdeutlichung die Absicht gefährden und selbst bei den mitfühlenden Lesern die Spekulation auf die Bereitschaft allerpopulärster Gefühle vereiteln könnte. Aber ach, auch so spüren sie, wer der selige Harden ist. Der schlechteste Schriftsteller Deutschlands und ein vorsichtiger Nachbar, der mit der Auferstehung wartet, bis ein anderer gestorben ist.
Vgl.: Die Fackel, Nr. 360/361/362, XIV. Jahr
Wien, 7. November 1912.