Ähnlichkeit
Der alte griechische Satz, der in seiner lateinischen Übersetzung Similia similibus cognoscuntur (Ähnliches wird durch Ähnliches erkannt) unzähligemal wiederholt worden ist, ist in seiner ursprünglichen Bedeutung (der Stofigleichheit von Seele und Außenwelt) für unsere Psychologie sinnlos geworden. Vielleicht ziehen wir aus seiner knappen Form Nutzen, wenn wir die Meinung der neueren Erkenntnistheorie etwa so ausdrücken: Ähnlichkeit empfinden nennen wir erkennen, wobei der Skeptiker noch hinzufügen wird: Ähnlichkeit empfinden nennen wir irrtümlich erkennen. Denn all unser vermeintliches Erkennen ist vergleichendes Klassifizieren, wie wir ja sogar die einfachsten Empfindungsdaten unserer Zufallssinne als Klassifikationen kennen gelernt haben. Da wir nun alle menschliche Tätigkeit, also auch das vergleichende Klassifizieren des Gedächtnisses (der Sprache), auf irgend ein Lustgefühl oder ein Interesse zurückzuführen suchen, so ist es nett, daß uns auch da eine ebenso alte Redensart zu Hilfe kommt. Similis simili gaudet, das Ähnliche freut sich des Ähnlichen. Fassen wir den Gedanken streng in der Anwendung auf das Denken, so müssen wir beachten, daß die Freude ähnlicher Tiere oder Menschen, z. B. in der Geschlechtsvermischung, gegenseitig sein kann, daß aber in der Aufeinanderfolge von Sinneseindrücken immer nur der folgende etwas wie ein Lustgefühl in Bezug auf den vorangehenden hervorrufen kann. Im Wiedererkennen ist ein Gefühlston des Interesses. Wir begreifen danach, daß der Organismus, von der Amöbe bis zum Menschen, ein Interesse daran hat, Ereignisse jeder Art, die komplizierten Gesichtszüge eines Freundes so gut wie die regelmäßigen Stöße von Wärmeschwingungen vergleichend zu klassifizieren, zu benennen, und so zu dem zu gelangen, was wir Welterkenntnis nennen, was aber immer nur Empfindung von Ähnlichkeiten ist.
Seltsam ist es dabei, daß das deutsche Wort "ähnlich" neueren Ursprungs ist. Vielleicht ist es (was ich nicht nachweisen kann) eine Übersetzung von similis, das von semel herstammt, "einlich". (Das französische ressembler, ressemblant, geht auf similare oder simulare = ähnlich machen zurück; eine Anknüpfung des deutschen Wortes ist aber weder an die lateinische noch an die italienische Form belegt.) Vielleicht ist es aber doch, wie einmal vermutet worden ist, ein verdorbenes "analogon", volksetymologisch mit Ahn in Zusammenhang gebracht, wo denn freilich in dem Worte "ähnlich" schon der Grund aller Ähnlichkeit mit hineingeheimnist wäre. Die Bedeutungsgeschichte des Wortes wird noch schwieriger, wenn man erwägt, daß similis einst durch "gleich" übersetzt wurde, daß im Althochdeutschen "gelîh" für "ähnlich" überwiegt und mundartlich wohl ein "einlich" (siebenb. inesch) für gleich noch heute vorkommt. Etymologisch ist "gleich " = einen ähnlichen Körper, eine ähnliche Gestalt habend (ge — Leiche). Ich versage es mir, näher auf eine andere Analogie, Ähnlichkeit, Gleichheit einzugehen. Das berühmte indische Maya findet sich nämlich, soweit meine Kenntnisse eine solche kleine Entdeckung zulassen, häufig (wie ich schon vorher einmal kurz angedeutet habe) als Endsilbe, genau wie like (Gestalt) als — lich, (vijnanamaya Atman = erkenntnisartiges, wissentliches Selbst; manomaya Brahman = etwa gemütliches Wissen). Es ist also Maya, was Ähnlichkeit vorgaukelt. Ich bin unsicher, weil der Gedanke fast zu geistreich ist.
Die Ähnlichkeit dürfte noch einmal die wichtigste Rolle in der Psychologie spielen. Vielleicht hat man die Ähnlichkeit bisher instinktiv darum vernachlässigt, weil man sonst zu früh hätte einsehen müssen, wie tief unser logisches oder sprachliches Wissen unter unseren wissenschaftlichen Ansprüchen stehe, wie weit entfernt unsere Begriffsbildung von mathematischer Genauigkeit sei; denn unsere Sprachbegriffe beruhen auf Ähnlichkeit, die mathematischen Formeln auf Gleichheit.