Zufallssinne
Wir sehen uns also wieder einem Falle gegenüber, wo die Sprache der Psychologie uns verhindert, auch nur zum Anfang einer Psychologie der Sprache zu kommen, wo die Sprache der Psychologie aus dem circulus vitiosus nicht hinausgelangen kann, weil sie tautologisch ist. So subjektiv ist unser Weltbild, daß auch der Einteilungsgrund in die Begriffe "subjektiv" und "objektiv" selbst wieder subjektiv ist. Das Weltbild, das unser Denken oder unsere Sprache auf den Mitteilungen unserer Sinne aufbaut, hat nur insofern eine objektive Gültigkeit, als die Mitteilungen dieser Sinne irgendwie der Wirklichkeit ähnlich sind. Nun haben wir erfahren, daß unsere Sinne Zufallssinne sind, uns — von irgend einem uranfänglichen Interesse gelenkt — bestimmte Ausschnitte der Weltvibrationen ordnen, klassifizieren, benennen, psychologisch bearbeiten gelehrt haben. Die Zufallssinne, welche durch Erblichkeit bei allen Menschen gleich oder ähnlich sind und sich mit gleichen oder ähnlichen Vibrationen beschäftigen. So könnte man die sinnliche Unterlage unseres Weltbildes ganz grob materialistisch auffassen, jede Mystik und jede Skepsis weit von sich weisen, und eine Erkenntnis der Welt von einer zukünftigen Steigerung und Vermehrung unserer Sinne erwarten. Unser Weltbild wäre aber auch in seiner Unvollständigkeit objektiv, relativ objektiv, wohlgemerkt.
Denn die Zufallssinne bieten ja doch nur das Rohmaterial unseres Weltbildes. Selbst wenn wir davon absehen, daß die einfachste Wahrnehmung eines Tons, einer Farbe nicht zu stände kommen kann ohne Mitarbeit des Gedächtnisses, so ist jedenfalls unmittelbar hinter dem Siebe unserer Sinne das Gedächtnis an der Arbeit, alle Sinneswahrnehmungen aufzuspeichern, zu ordnen, zu benennen und bei jedem Akte des Denkens oder des Sprechens aus dem Speicher zu wählen, was es mag. Dieses Gedächtnis nun aber ist individuell. Was nicht individuell ist, gehört gar nicht zur Psychologie, gehört besten Falls als Artgedächtnis zu den Bedingungen der Psychologie. Wir kommen also abermals zu der Unterscheidung: Wir nennen die Leistungen des Artgedächtnisses objektiv, wir nennen alle Leistungen des individuellen Gedächtnisses subjektiv.
Die Subjektivität unserer Welterkenntnis beschränkt sich also nicht auf Empfindungen, Gefühle u. s. w., die Subjektivität gehört zum Wesen unseres Denkens oder unserer Sprache.