Außen und Innen
Hat man eingesehen, daß alle physischen Vorgänge im Gehirn noch unbekannte Bewegungen sind, und daß eine unbekannte Bewegung unaufhörlich in unserem sogenannten Bewußtsein herrscht, so haben wir gar keinen Anlaß, vor dem Gedanken zurückzuschrecken, daß irgend eine ebenso unbekannte Bewegung den Übergang vom Physischen zum Psychischen vermittelt, daß z. B. die schwingende Bewegung eines Glockenmantels in immer neue Bewegungen übergebt, bis diese Bewegungen für uns zu der Erscheinung eines bestimmten Tones werden. Unsere Sprache ist, wie gesagt, nur für Wahrnehmung der Außenwelt eingerichtet; darum drängt unsere Weltauffassung durch die Sprache immer dazu, materialistisch zu werden, darum sind wir z. B. geneigt, "Bewegung" zu nennen, was allen Vorgängen vom Schwingen der Glocke bis zur Tonempfindung gemeinsam ist. Wir möchten dafür gern Veränderung sagen, aber dieser Begriff ist ebenso hohl und leer wie der Begriff Parallelismus. Stünden wir nicht unter dem Banne der Sprache, wäre unser Denken nicht von der Sprache abhängig, wäre — was dasselbe sagen will — unser Denken nicht von dem Denken, unsere Sprache nicht von der Sprache abhängig, so müßten wir einsehen, daß schon im Schwingen der Glocke ein "Parallelismus" von außen und innen da sein muß, daß auch schon den Schwingungsbewegungen der Glocke, die doch nur für unsere Sinne da sind, irgend ein innerer Vorgang entsprechen muß, der für die Glocke, oder vielmehr für ihre elementaren Teilchen da ist. Denn "Glocke" ist das Ding nur für uns. Vielleicht ist für die elementaren Teilchen der Metallmasse das, was für uns Schwingungsbewegung ist, bereits schon wie eine Art Innenleben. Dann hätten wir schon am Anfang der Kausalreihe gewissermaßen zwischen Seele und Leib zu unterscheiden, und der Begriff Parallelismus hätte einen ganz anderen Inhalt. Nur daß es mir unmöglich ist, diesen Inhalt mit den Mitteln einer Sprache anzugeben, die auf der einen Seite der Ereignisse allein lebt, und von der anderen Seite der Ereignisse nichts weiß.
Wenn ich mit dem Zirkel und mit dem Bleistift eine Kreislinie ziehe, so ist es für die praktischen Zwecke gleichgültig, ob ich den Kreis an der Innenseite oder an der Außenseite der dünnen Bleistiftlinie annehme; die beiden Kreise kann man aber auch, wie eben erst gesagt, parallel nennen. Und doch ist der Anblick ein entgegengesetzter, wenn wir uns den Beobachter in die Ebene des Kreises hineindenken, und zwar das eine Mal nach innen, das andere Mal nach außen. Für den erzeugenden Zirkel ist die Linie konkav, für die unendlich große Außenwelt des Kreises ist die Linie konvex. Wenn Kochsalz kristallisiert, so bildet es von innen heraus einen Würfel. Für die mathematische Berechnung ist es gleichgültig, ob man die Form von innen heraus nach der Salzmasse bestimmt oder von außen nach dem Raum, welchen die Salzmasse in der unendlichen Welt für sich beansprucht. Die Grenzflächen sind sogar noch unendlich feiner als selbst die haarfeine Bleistiftlinie des Kreises, sie sind buchstäblich identisch, aber auch da würde der Betrachter innerhalb des Würfels die Form ganz anders sehen, als der Betrachter von außen es tut. Dieses Außen und dieses Innen könnte man wieder parallel nennen. Aber die materialistische Sprache ist immer außen, niemals innen und kann darum den Parallelismus gar nicht beschreiben, für den sie ein Wort hat. An der Außenecke des Würfels stoßen wir uns, in die Innenecke können wir eigentlich, so oder so, ob sie gefüllt oder hohl (real oder abstrakt) ist, gar nicht hinein. Wir sagen uns trotzdem, daß die beiden Ecken parallel sind. Aber die Sprache oder das Denken kennt immer nur das Konvexbild der Welt und wird das Konkavbild der Welt niemals begreifen.