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Uhrengleichnis

Die Sprache, wohlgemerkt, weil sie immer materialistisch ist, weil sie die Elemente ihrer Weltanschauung von den Zufallssinnen erhält. Richteten wir dagegen unsere Aufmerksamkeit auf die andere Überzeugung, daß unsere Welt in unserem Bewußtsein erst durch die Zufallssinne entsteht, daß unsere Welt unsere Vorstellung ist, so müßten wir sagen: wir kennen nur das Konkavkild der Welt und werden das Konvexbild niemals begreifen. Wir müßten für die äußere und für die innere Welterkenntnis zwei verschiedene Sprachen haben. Wir besitzen aber nur eine einzige arme Sprache und quälen uns umsonst, an ihren Krücken den Abgrund zwischen Physiologie und Psychologie zu überspringen. Nur Metaphern bietet uns die Sprache, nur Bilder, und eines dieser Bilder ist das wissenschaftliche Modewort: Parallelismus zwischen Seele und Leib. Ein hübscheres wenn auch nicht besseres Bild lag seit Jahrhunderten in dem bekannten Uhrengleichnisse vor.

Die Philosophen, welche etwas von der Natur zu lernen suchten und dabei dennoch die christlichen Vorstellungen des scholastischen Mittelalters retten wollten, also die kontinentalen Philosophen von Descartes bis Leibniz, haben das Verhältnis von Leib und Seele mehrfach durch das Bild zweier Uhren begreiflich zu machen gesucht, die gleichen Gang zeigen. Die Ausführung dieses Bildes durch Leibniz ist berühmt geworden. Er weist auf drei Möglichkeiten hin, die den gleichen Gang verursachen können. Erstens können beide Uhren durch Schwingungen, die sie einer gemeinsamen Befestigung mitteilen, einander so beeinflussen, daß ihr Gang derselbe werde. Zweitens könne stets die eine Uhr gestellt werden, um sie in gleichem Gange mit der anderen zu erhalten. Drittens könne von vornherein der Künstler so geschickt gewesen sein, daß er beide Uhren, obschon ganz unabhängig voneinander, gleichgehend gemacht habe. Leibniz meint nun, die erste Art des Zusammenhanges sei zwischen Leib und Seele unmöglich. Das unaufhörliche Stellen der einen Uhr, was in der Geschichte der Philosophie zwischen Descartes und Leibniz als Okkasionalismus auftritt, sei Gottes unwürdig; und wirklich erscheint uns kaum eine andere Weltanschauung so kindlich (märchenhaft im guten wie im bösen Sinne) wie die eines allmächtigen Gottes, dessen Allmacht sich unaufhörlich mit den albernsten Kleinigkeiten abgeben muß, weil sie nicht einmal eine gut gehende Maschine zu ersinnen im stände war. Es bleibt also nach der Meinung Leibnizens nur die dritte Möglichkeit übrig; und das sei seine Lehre von der prästabilierten Harmonie. Voltaire hat diese Scholastik schon parodiert, da er (Micromegas, 7. Kapitel) einen Leibnizianer auf die Frage nach dem Wesen der Seele antworten läßt: "C'est une aiguille qui montre les heures pendant que mon corps carillonne; ou bien, si vous voulez, c'est eile qui carillonne, pendant que mon corps montre l'heure." (Daß Voltaire im Pangloss seines "Candide" wieder nur den Optimisten Leibniz persifliert habe, ist bekannt genug. Der Name "Pangloss" geht wohl auf Leibnizens Vielsprachigkeit und spielt daneben offenbar auf die Pasilingua, die Universalsprache des Deutschen, an.) Auch Lichtenberg hat seinen Witz an Leibniz geübt. "Eine kleine mit unbeschreiblicher Kunst gearbeitete Maschine, das concubinium (soll wohl heißen connubium oder commercium) animae et corporis zu erklären. Die Walze, welche alles in Bewegung setzt, hat drei verschiedene Stellungen für die drei bekannten Systeme; eine für den physischen Einfluß, eine für die gelegentlichen Ursachen und eine für die vorherbestimmte Harmonie." AVas Leibniz noch für unmöglich hielt, daß nämlich das ganze Uhrengleichnis unsinnig ist, daß nämlich Leib und Seele gar nicht auseinander gehen können, weil sie gar nicht zwei verschiedene Uhren sind, das hat Fechner zuerst ausgesprochen, und das liegt meines Erachtens der jetzt herrschenden Lehre von einem Parallelismus zwischen Seele und Leib zu Grunde. Als erster Versuch, den groben Materialismus einer hundertjährigen Forscherarbeit zu verleugnen, über ihn hinauszukommen, mit den Mitteln einer Sprache, die nie über ihn hinauskommen kann. Fechner selbst faßte die Frage tiefer, leider auch mystischer. Die englischen Verfechter eines Parallelismus dürften aber die Sache ungefähr so auffassen, daß sie die Seele mit dem Zifferblatte vergleichen, den Leib mit dem Uhrwerk, was dann zwar so etwas wie ein Gleichnis, aber doch ein Gleichnis von der schlechten Art bietet, weil es die Frage weder erklärt, noch auch nur anschaulicher macht. Es ist mit dem Uhrengleichnis aber auch wirklich gar nichts anzufangen. Wir dürfen nicht einmal Zifferblatt und Uhrwerk einander gegenüberstellen, denn das Zifferblatt mit dem Zeiger ist nur eine bequemere, übersichtlichere Darstellung des Uhrenganges; jeder Mathematiker könnte, falls ihm alle Daten gegeben wären, ohne Zifferblatt und Zeiger aus dem Stande der Kader die Zeit bestimmen. Die Uhr ist Leib mitsamt ihrem Zifferblatt und ihrem Zeiger; erst unser Zeitablesen ist ein psychischer Vorgang.

Im Altertum soll es lebendige Uhren gegeben haben, zeitmessende Sklaven, welche in jedem Augenblicke im stände waren, dem Könige die Tageszeit anzugeben. Soweit diese Sklaven Uhren waren, waren sie gar nicht Körper und nur Seele, wenn sie etwa, mit besonders feiner Zeitempfindung begabt, aus dem Gedächtnisse die Stunde abmessen konnten, so wie unsere Klavierspieler die Dauer des Minutenwalzers ziemlich genau einhalten können. Zählten aber jene lebendigen Uhren die Stunde etwa nach der Zahl ihrer regelmäßigen Pulsschläge oder ihrer Atemzüge, so kann man allerdings das Atmen oder die Blutzirkulation als das relativ Körperliche auffassen und ihre Aufmerksamkeit allein als das Seelische.

Immer hängt es von der Richtung unserer Aufmerksamkeit ab, also schließlich von unserem Interesse oder der unbewußten Absicht unseres Denkens, ob wir uns auf der konkaven oder auf der konvexen Seite der Welt glauben. Das wahre Verhältnis zwischen Seele und Leib werden wir niemals erkennen, aber nur darum nicht, weil wir uns mit unserem Denken oder mit unserer Sprache niemals auf beide Seiten zugleich stellen können. Wer die Frage nach dem Verhältnisse zwischen Seele und Leib so aufwirft wie andere Wissensfragen, der verkennt das Wesen der möglichen Erkenntnis. Die Vorgänge, welche wir bald physiologisch, bald psychologisch betrachten, sind von diesen beiden Standpunkten aus unvergleichlich, weil sie in der sprachlosen Naturwirklichkeit identisch, weil sie in der Menschensprache disparat sind. So ist hier der groteske Fall aufgewiesen, daß unsere wissenschaftliche Sprache eine Identität (weil sie nicht anders kann) eine Dualität nennt, und daß sie ihre beiden Seiten, ihre beiden Veduten "parallel" nennt, weil sie "disparat" sind. Wir werden darüber niemals etwas wissen, aber nur darum nicht, weil das Wissen sprachlich ist und sprachlich disparate Begriffe nicht zu einem Urteile verbinden kann. So aufgehellt scheint uns Du Bois-Reymonds feierliches "Ignorabimus" in vielen humoristischen Lichtern zu spielen. Bevor wir aber jenes Wort Du Bois-Reymonds sprachkritisch untersuchen, also ganz gründlich, wollen wir noch einmal auch den Begriff Parallelismus ganz allgemein sprachkritisch betrachten.

Da sind denn zwei Punkte festzuhalten: 1. Fast alle unsere namhaften Philosophen, Physiologen und Psychologen bekennen sich zur Fahne des Parallelismus. Zum Worte. Ich wähle absichtlich solche Ausdrücke, weil die Weltanschauung dieser Bekenner übrigens nicht die gleiche ist. Nach der logisch vortrefflichen Zusammenstellung von L. Busse ("Geist und Körper, Seele und Leib") gibt es da nach verschiedenen Einteilungsgründen einen metaphysischen, einen universellen, einen dualistischen, einen realistisch-monistischen (Spinoza), einen idealistisch-monistischen (Fechner) Parallelismus; 2. alle diese Bekenner leugnen prinzipiell die Möglichkeit einer psychophysischen Wechselwirkung, während diese Wechselwirkung auch ihnen — beim Niederschreiben ihrer Gedanken z. B. und beim Anhören der Gegengründe — gemeinste, täglichste, unwiderlegbare Erfahrung ist. Diese Lächerlichkeit allein müßte den Parallelismus, der jetzt die herrschende Lehre ist, endlich töten. Für unsere Psychologen von Fach, für Wundt und Ziehen, besonders aber für Münsterberg, dem nur der sprachkritische Gedanke fehlt, ist der Parallelismus längst ein vorläufiger Sammelname, eine Arbeitshypothese, eine bewußte Fiktion; hinter dieser Wand wird oft genug das alte Geschäft des Materialismus betrieben. Will denn niemand von diesen Herren einsehen, daß der Parallelismus, wenn er mehr wäre als ein neues Schlagwort, gar nicht gestatten würde, für die beiden parallelen Kausalreihen eine gemeinsame Sprache zu bilden? Das hat Kant bereits gesehen, da er (Kritik der reinen Vernunft, I. Auflage, 384 [in die Änderungen der II. Auflage wird viel zu viel System hineingetragen]) sagt: "Ich behaupte nun, daß alle Schwierigkeiten, die man bei diesen Fragen vorzufinden glaubt, und mit denen als dogmatischen Einwürfen man sich das Ansehen einer tieferen Einsicht in die Natur der Dinge, als der gemeine Verstand wohl haben kann, zu geben sucht, auf einem bloßen Blendwerke beruhen, nach welchem man das. was bloß in Gedanken existiert, hypostasiert." Ich hoffe, nach zehn Jahren wird der jetzt herrschende Parallelismus so verrufen sein, daß seine heutigen jüngeren Bekenner bei Nennung des Wortes Parallelismus jedesmal erröten und so psychische Wirkungen auf den Körper zugeben werden.

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