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Erhaltung der Energie

Was nämlich in der Außenwelt die Bewegung ist, die man Schallwellen und Lichtwellen nennt, das breitet sich nach Naturgesetzen kugelförmig im Räume aus; und wenn der Begriff der Schwelle nicht auch in der physikalischen Welt seine Bedeutung hätte, so würde das Zwitschern der Meise und der Lichtschein des Glühwurms bis zum Sirius fort und weiter wirken. Nun trifft ein Bruchteil der kugelförmig ausgebreiteten Wellenschwingungen das menschliche Ohr, das menschliche Auge. Beim Stoßen auf jeden anderen Körper würde die Wellenenergie als Echo oder als Reflex oder als Wärme irgendwie erhalten bleiben. Beim Stoßen auf das Ohr, auf das Auge veranlaßt das Gefüge dieser Organe eine Verwandlung in chemische oder sonstige Molekularbewegungen der äußeren Nervenenden. Diese Verwandlungen setzen sich dann bis nach den inneren Nervenenden in der Großhirnrinde fort. Zuletzt gibt es einen Punkt, wo wir die letzte Metamorphose, die Molekularbewegung in den Ganglien, nur noch theoretisch vermuten, die erzeugte Schall- oder Lichtempfindung dagegen als die gewisseste Tatsache unseres Erlebens kennen. Allerdings gibt es da immer den Moment, in welchem wir nichts mehr wahrnehmen und den Sprung von der physischen zur psychischen Terminologie machen müssen. Zweierlei aber lehrt uns dennoch die Beobachtung dieses Weges: erstens, daß wir den Begriff der Verwandlung von Energie, der uns doch bei der Umformung der Lichtwellon in den Chemismus der Retina nicht stört, auch auf die letzte Urnformung anwenden dürfen; wenn dieser Vorstellung von offenen und verkappten Materialisten immer entgegengehalten wird, die physische Kausalreihe sei in sich geschlossen, biete einer psychischen Ursache keinen Platz und keine Rechnungsgröße, so habe ich darauf zu erwidern: Psychische Ursachen sind alltäglichste Tatsachen, und weil sie dem Energiegesetz zu widersprechen scheinen, so muß man die Definition des Energiegesetzes verbessern. Zweitens: daß auf dem letzten Punkte, wo wir von der einen Seite physische Molekularbewegung vermuten, von der anderen Seite psychische Empfindung wissen, weit besser von Identität als von Parallelismus die Rede ist. Es ist sehr geistreich, an diesem Punkte die Seele wirksam sein zu lassen, wenn auch nur wie eine Billardbande, die die Richtung des Balls und je nach seiner Bewegungsrichtung auch seine Kraft verändert; doch selbst in diesem Scherze noch tritt die Seele als Substanz auf, und wir weisen es ab, ein Rätsel durch ein Gespenst zu lösen. Ein Rätsel ist auch die Umwandlung der Energie in Wärme. Ein Rätsel ist auch das Wachstum des Organismus aus dem Samen, genau so wie das Entstehen des Geistigen aus dem Lebendigen. Ob es jemals möglich sein wird, etwas wie eine Äquivalenz zwischen Empfindungen und Molekularbewegungen nachzuweisen, das ist eine andere Frage. Was aber geht es die Natur an, daß unsere Rechenkunst für quantitativen Ausdruck von Qualitäten nicht zureicht? Sind die Physiker ganz sicher, daß die Grade ihrer ziffermäßigen Wärmeskala den zu Grunde liegenden Bewegungsgrößen immer entsprechen? Und kostete es nicht unendliche Arbeit, die Elektrizitätsgrade quantitativ messen zu lernen? Was man so messen nennt. Haben wir denn für die Wirkungen von Nahrungs- und Genußmitteln, oder gar von Giften wirklich richtige Messungen? Es ist mit dem Gesetze der Energieerhaltung wie mit anderen Axiomen: seitdem es begriffen worden ist, ist es uns selbstverständlich geworden. Es ist uns nur eine inhaltsreichere Umschreibung des uralten Satzes: causa aequat effectum. Und die scharfsinnigen Disputationen darüber, ob das Energieprinzip nur in einem geschlossenen, von außen nicht beeinflußten Systeme Geltung habe oder darüber hinaus, können nur für einen außerweltlichen Geist Interesse haben, dessen Bekanntschaft uns fehlt. Uns ist unsere Welt einstweilen ein solches geschlossenes System. In dieser Welt sehen wir etwas Unbekanntes von der einen Seite physisch, von der anderen Seite psychisch. Das zweiseitige Verhältnis des Menschen zu diesem Unbekannten einen Parallelismus zu nennen, wäre ein sinnloses Bild. Nicht einmal den armseligen Namen Monismus möchte ich der vorausgesetzten Identität geben, wenn dieses Schlagwort sich auch auf die Ausgangsgedanken Spinozas beruft. Ehrlichkeit ist besser als Autoritätsglaube. Derselbe Spinoza, der die psychophysische Kausalität leugnete (nec corpus mentem ad cogitandum, nec mens corpus ad motum, neque ad quietem, nec ad aliquid aliud determinare potest) und etwas wie einen maschinenmäßigen Parallelismus lehrte (ordo et connexio idearum idem est ac ordo et connexio rerum) hat doch wieder den Panpsychismus Fechners, der doch etwas ganz anderes ist als der Parallelismus im Menschengehirn, vorausgenommen mit den Worten: omnia, quamvis diversis gradibus, animata sunt. Wagen wir's, ehrlich zu sein: Von der äußeren Welt glauben wir mancherlei zu wissen; von unserer inneren Welt glauben wir mancherlei zu wissen; von der Abhängigkeit beider (die doch offenbar besteht) wissen wir nichts und glauben nicht einmal etwas zu wissen; nicht einmal sagen können wir etwas darüber. Das Wort versagt. Und ich will's nur gestehen: speist man die Kinder mit Märchen ab, so ist mir das einfältige Märchen vom Okkasionalismus (ich möchte sein Herrgott nicht sein) immer noch lieber als das allegorische Märchen von der prästabilierten Harmonie oder als die tantenhafte Parabel vom Parallelismus.