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Gesamtindividuen

Dieser Widerspruch wird weniger erschrecken, wenn man sich an menschliche Einrichtungen erinnert, in denen, trotz der Vielheit der Individuen, ein ähnlicher Ichbegriff mit gemeinsamen Erinnerungen, gemeinsamen Willensäußerungen und gemeinsamen Vorstellungen entsteht. Solche Gesamtindividuen gibt es überall: Familien und Städte, Schulen und Universitäten; ein besonders lehrreiches Beispiel bieten einzelne Regimenter in unseren Heeren.

In einem solchen Regiment erneuern sich die Mannschaften fast ebenso wie die Blutkörperchen in einem einzelnen Menschenleibe. Das Regiment Deutschmeister in Wien oder die Gardekürassiere in Berlin sind so organisiert, daß nach einigen Jahren auch nicht ein einziger Mann mehr vom alten Bestände vorhanden ist. Trotzdem behält das Regiment (oft gegen den Einfluß von oben) in Vorstellungen und Handlungen einen bestimmten Charakter bei. Dieser individuelle Charakter wird sich durch lange Generationen von Mannschaften unverändert erhalten, genau wie ein menschliches Ich in Äußerungen der Tapferkeit und der Eitelkeit, der Körperhaltung und der Liebe, oft sogar der Sprechweise, welche das alles ja umfaßt. Dieses Ich des Regiments unterscheidet sich in keiner Weise von einem menschlichen Ich. Und es ist beinahe gar nicht bildlich gesprochen, wenn ich die Fahne so eines Regiments, die geheimnisvolle Fahne mit ihren Rissen und ihren Erinnerungszeichen, die Seele des Regiments nenne.

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