Ab esse ad posse valet, a posse ad esse non valet consequentia
Eine Binsenweisheit, die genau genommen nicht einmal wahr ist. Doch warum sollte man nicht auch einmal uralte Binsensätze genau nehmen.
Der Sinn ist: was existiert, muß auch möglich gewesen sein; was möglich ist, muß nicht immer zur Existenz gelangen. So gefaßt, ist der pedantische Satz eine Banalität, ja eine versteckte Tautologie, weil er nur die Menschenbegriffe Wirklichkeit und Möglichkeit umschreibt. So banal der Satz ist, ist er aber doch nur im Kreise des Physischen richtig, wenn man Mathematik mit zum Physischen rechnet. Nicht alle Permutationen und Kombinationen des Würfelspiels und der Mischung der Elemente werden durch Zufall wirklich, weil sie möglich sind. Wissenschaft und List der Menschen erfährt durch das Experiment, was in Wirklichkeit möglich ist. Schon da hört ein geschultes Ohr, daß Möglichkeit gar kein ontologischer Begriff ist, sondern nur ein logischer. Der Kreis des Möglichen ist größer als der Kreis des Wirklichen. Da das Mögliche aber Gradunterschiede hat, Grade der Wahrscheinlichkeit, die Wahrscheinlichkeit aber weder in der Logik, noch in der Ontologie steckt, sondern in der psychologischen Erwartung des Menschen, so ist der Wert des Satzes ab esse etc. auch im Physischen nicht erheblich. Ein Luftschiff war noch vor wenigen Jahren möglich, d. h. denkbar, aber bis zur Grenze der Unmöglichkeit unwahrscheinlich; jetzt ist es wirklich.
Der Grundfehler des Satzes ab esse usw. liegt in dem Worte consequentia. Es handelt sich gar nicht um einen logischen Schluß. Es gibt keine logische Brücke zwischen dem Sein oder der Wirklichkeit und der Psychologie der Erwartung oder der Wahrscheinlichkeit. Die Algebra der Logik, welche die Wahrscheinlichkeit mit in Betracht ziehen will, löst die alte Logik in Atome auf.
Und völlig unrichtig ist der Satz in seiner entscheidenden zweiten Hälfte, wenn man ihn auf menschliches Handeln anwenden will. Wahrhaftig, a posse ad esse geht der Weg. Ja, sogar die consequentia. Der Sportsmann, der Virtuose, der geniale Erfinder erreicht sogar Ziele, weil sie unmöglich scheinen. »Den lieb' ich, der Unmögliches begehrt.« Hat nun ein Genie die Möglichkeit eines neuen Weges durch ein unerhörtes Beispiel bewiesen, so findet er Nachahmer in der gewöhnlichen Umgebung. Die Besteigung des Montblanc wird alltäglich, weil sie möglich ist. Es hat sich als möglich erwiesen, daß ein Napoleone Buonaparte sich zum Kaiser machte; der kleine Louis Napoléon wird auch Kaiser. Für das menschliche Handeln ebnet das posse dem esse den Weg.