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Äther

Ein leer gewordenes hübsches Gefäß aus der Griechenzeit, in welches Chemie und Physik neuerdings neuen Inhalt zu gießen wetteifern. Die Bezeichnung Äther für Alkoholderivate stammt aus einer Zeit, da die Chemie ihre neue Universalsprache noch nicht ausgebildet hatte; wohl um der Flüchtigkeit des Stoffes willen wurde das Bild gewählt, und ist nach den in der Chemiesprache geltenden Gesetzen zu Ester weiter gebildet worden. Nicht viel älter ist die gleiche Bezeichnung Äther für den Träger der Licht-, Wärme- und Elektrizitätserscheinungen. Hier lag doch etwas wie eine Entwicklung des griechischen Wortes α ἰϑηρ vor. Dies α ἰϑηρ bezeichnete (außer einer unkontrollierbaren, blutschänderischen Figur aus der niedern Mythologie, dem Sohne und dem Bruder des Erebos und der Nacht, einem Enkel des Chaos) etwa die obere strahlende Luftschicht, im Gegensatze zu α ἠρ, der Atmosphäre; wohl auch poetisch den Himmelsglanz. Da war es kein großer Schritt, den ungeheuern Weltraum mit Äther zu füllen, als man um der Wellentheorie des Lichtes willen einen Wellenträger im Weltenraum brauchte. Und als jüngst die Lichtwellen mit den elektrischen und magnetischen Wellen gleich gefunden wurden, wurde dieser Äther zum Träger aller dieser Erscheinungen und der Wärme dazu. Er trat allein an Stelle der alten Fluiden oder Imponderabilien. Das war, wie jede Zusammenfassung verschiedener Hypothesen auf eine, ein Fortschritt in der Physik.

Nur sollte die Physik als die Lehre von dem Stofflichen, eine Antwort haben auf die Frage: was ist der Äther? Ist er ein Stoff oder nicht? Der starke Newton konnte noch mit dem Stolze des überlegenen Nichtwissens sagen: iste aether quid sit non definio. Heute weiß man vom Äther so viel zu erzählen, daß man einer Definition kaum mehr ausweichen darf. Man beschreibt alle andern Stoffe als undurchdringlich, der Äther ist durchdringlich. Der Äther ist ferner unwägbar, kann also schon darum nicht in der Reihe der Elemente aufgeführt werden. Weiter soll der Äther absolut unbeweglich sein, während die starren Körper mehr und mehr als Tanzfiguren ihrer Moleküle und Atome vorgestellt werden; wobei dann der Äther wieder fast gleichbedeutend wird mit dem unkörperlichen Raume, in welchem die Körper oder Raumnetze sich befinden. So wird ein und derselbe Äther zu der unendlichen Brücke zwischen den Weltkörpern und zugleich zum Kitt oder Mörtel zwischen den unendlich nahen Molekülen der Körper. Zu den neuen Hilfshypothesen gehört es außerdem, daß dieser gefällige Äther inkompressibel, ohne Reibung, aber rotationell elastisch sei. Am Ende sind nicht die Körper, aber auch nicht ihre Atome warm, hell, elektrisch, magnetisch; der Äther ist das alles. Man hätte sagen können: wie nicht die Muskeln weh tun, sondern die an ihnen befestigten Nerven. Was ist nun dieser Äther? Ist er ein Stoff, so muß die gesamte Elementarphysik umlernen, so darf die Physik des Äthers von der übrigen Physik nicht mehr getrennt werden. Ist der Äther aber kein Stoff, dann wirkt es nur verwirrend, daß man ihm einen substantivischen Namen gegeben hat, daß man von ihm als einem Träger adjektivischer und verbaler Erscheinungen spricht.

Ostwald, der Erneuerer der Naturphilosophie, der energetischen, hat denn auch die Ätherhypothese aus dem Tempel hinausgewiesen. »Alle Versuche, die Eigenschaften des Äthers nach Analogie der bekannten Eigenschaften der Materie gesetzmäßig zu formulieren, haben zu unlösbaren Widersprüchen geführt. So schleppt sich die Annahme von der Existenz des Äthers durch die Wissenschaft, nicht weil sie eine befriedigende Darstellung der Tatsachen gewährt, sondern vielmehr, weil man nichts Besseres an ihre Stelle zu setzen versucht oder weiß« (Vorl. über Naturphilosophie² S. 151); »in der Tat handelt es sich hierbei nur um einen Rückstand der Scholastik« (S. 239). Ostwald will eine trägerlose Energie (?) an Stelle der Ätherhypothese setzen. Haeckel, das enfant terrible und oft leider der lustige Rat des materialistischen Monismus, spricht dagegen den Ätheratomen sogar Empfindung zu; als ob es schon ausgemacht wäre, daß Äther existiert und daß er aus Atomen besteht und daß Atome etwas wie Empfindung haben können.

Es wäre noch lustiger, wenn der Äther wissenschaftlich wieder in seinen alten Stand eingesetzt würde, sein Atomgewicht gemessen, und er dann, wie einst bei Aristoteles, wieder zum πεμπτον στοιχειον, zur quinta essentia würde. Nur die Zählung wäre anders. Die Quintessenz der Physik ist er ja doch geworden, ohne daß man erfahren hätte, ob oder was er sei.