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11) Scheintod durch heftige Gemütsbewegungen, Affekte und Leidenschaften

11) Scheintod durch heftige Gemütsbewegungen, Affekte und Leidenschaften. Unter Gemütsruhe verstehen wir ein mit Bewusstsein verbundenes Gefühl des Gleichgewichts aller Empfindungen, die sich auf das Gemüt beziehen. Ihr ist entgegengesetzt die Gemütsbewegung, welche in der Aufhebung dieses Gleichgewichts durch Reizungen des Gemüts besteht, wobei eine oder mehrere Empfindungen dergestalt stärker angeregt werden, dass sie im Gefühl, im Bewusstsein und in den Bestrebungen des Willens die Herrschaft über die anderen gewinnen und deren Einfluss auf die freie Selbstbestimmung vermindern oder unterbrechen. Die Gemütsbewegung ist sehr verschiedener Grade fähig; daher unterscheiden wir, was ihre höhern Grade anlangt, Gemütserschütterung und Leidenschaft. Erstere ist eine heftige Gemütsbewegung, die, unter übrigens gleichen Umständen, auf eine dazu gegebene bestimmte Veranlassung, in jedem Menschen, dessen Gemütsverfassung natürlich beschaffen ist, zu entstehen pflegt; Leidenschaft ist eine Gemütsbewegung, die schon eine vermehrte Empfänglichkeit gegen gewisse Reizungen, sie sei nun Folge einer krankhaften Anlage, oder durch Gewohnheit und moralische Vernachlässigung entstanden, voraussetzt. — Die Einteilung der Gemütsbewegungen in erregende (exzitierende) und niederschlagende (deprimierende) bezieht sich nur auf die Wirkungen derselben, nicht auf ihre verschiedenen Arten. So wirken der Zorn, die Freude, der Ärger etc. bei verschiedenen Menschen verschieden; der eine wird durch Ärger leichenblass, der andere blutrot im Gesicht etc. Doch wirken sie alle sehr aufs Nervensystem, und können daher, besonders wenn sie plötzlich mit Heftigkeit einwirken und der Mensch nicht darauf vorbereitet ist, tiefe Ohnmachten, Scheintod und wirklichen Tod herbeiführen.

Behandlung. War die Wirkung der Leidenschaft exzitierend aufs Nervensystem, was z. B. bei unerwarteter Freude öfters der Fall ist, so wende man früh Reizmittel an: spirituöse Waschwasser, frische Luft, Reiben der Haut etc.; oft ist aber das Gesicht dunkelrot und ein apoplektischer Zustand da; dann muss erst zur Ader gelassen werden. Wirkte die Leidenschaft deprimierend, z. B. Furcht, Schrecken etc., dann die Behandlung, wie bei Verblutung.

Vorbauungsmittel. Will man, dass die Affekte und Leidenschaften auf unser Gemüt nicht nachteilig wirken sollen, so bestrebe man sich schon früh in der Jugend, sie beherrschen zu lernen; man studiere die Geschichte der Menschheit älterer und neuerer Zeit, man beobachte und urteile über das Wirken und Treiben der jetzigen Generationen, man lerne daraus die Notwendigkeit des Ungemachs und der Widerwärtigkeiten, die uns treffen können, einsehen; man denke sich in müßigen Stunden die tausendfältigen Arten von Ungemach und Leiden, die mannigfaltigen Gefahren und Unglücksfälle, deren auch wir vielleicht unterworfen sein können; man stelle sich in die Lage, als träfen sie uns wirklich, und denke über die besten Mittel zur Verhütung oder Abwendung derselben nach; dann wirken die durch sie gemachten Gemütsbewegungen auf uns weit schwächer und weniger nachteilig. Auch ist das Studium der Seele hierbei sehr viel wert; denn kennen wir die Art und Weise, wie Alles in unserem Innern vorgeht, so sind wir statt dessen, dass Andere sich bei Freude und Leid übermäßig freuen oder härmen, nur Beobachter unserer eigenen Natur und studieren so praktisch die Seelenlehre (vgl. Hausmittel S. 259 ff.) —