Zum Hauptinhalt springen

Der Wanderer und sein Schatten


Der Schatten: Von allem, was du vorgebracht hast, hat mir nichts mehr gefallen als eine Verheißung: ihr wollt wieder gute Nachbarn der nächsten Dinge werden. Dies wird auch uns armen Schatten zugute kommen. Denn, gesteht es nur ein, ihr habt bisher uns allzugern verleumdet.

Der Wanderer: Verleumdet? Aber warum habt ihr euch nie verteidigt? Ihr hattet ja unsere Ohren in der Nähe.

Der Schatten: Es schien uns, als ob wir euch eben zu nahe wären, um von uns selber reden zu dürfen.

Der Wanderer: Delikat! Sehr delikat! Ach, ihr Schatten seid „bessere Menschen“ als wir, das merke ich.

Der Schatten: Und doch nanntet ihr uns „zudringlich“ — uns, die wir mindestens eines gut verstehen: zu schweigen und zu warten — kein Engländer versteht es besser. Es ist wahr, man findet uns sehr, sehr oft in dem Gefolge des Menschen, aber doch nicht in seiner Knechtschaft. Wenn der Mensch das Licht scheut, scheuen wir den Menschen: soweit geht doch unsere Freiheit.

Der Wanderer: Ach, das Licht scheut noch viel öfter den Menschen, und dann verlasst ihr ihn auch.

Der Schatten: Ich habe dich oft mit Schmerz verlassen: es ist mir, der ich wissbegierig bin, an dem Menschen vieles dunkel geblieben, weil ich nicht immer um ihn sein kann. Um den Preis der vollen Menschen-Erkenntnis möchte ich auch wohl dein Sklave sein.

Der Wanderer: Weisst du denn, weiß ich denn, ob du damit nicht unversehens aus dem Sklaven zum Herrn würdest? Oder zwar Sklave bliebest, aber als Verächter deines Herrn ein Leben der Erniedrigung, des Ekels führtest: Seien wir beide mit der Freiheit zufrieden, so wie sie dir geblieben ist — dir und mir! Denn der Anblick eines Unfreien würde mir meine größten Freuden vergällen; das Beste wäre mir zuwider, wenn es jemand mit mir teilen müsste, — ich will keine Sklaven um mich wissen. Deshalb mag ich auch den Hund nicht, den faulen, schweifwedelnden Schmarotzer, der erst als Knecht des Menschen „hündisch“ geworden ist und von dem sie gar noch zu rühmen pflegen, dass er dem Herrn treu sei und ihm folge wie sein —

Der Schatten: Wie sein Schatten, so sagen sie. Viel leicht folgte ich dir heute auch schon zu lange? Es war der längste Tag, aber wir sind an seinem Ende, habe eine kleine Weile noch Geduld! Der Rasen ist feucht, mich fröstelt.

Der Wanderer: Oh, ist es schon Zeit zu scheiden? Und ich musste dir zuletzt noch wehe tun; ich sah es, du wurdest dunkler dabei.

Der Schatten: Ich errötete, in der Farbe, in welcher ich es vermag. Mir fiel ein, dass ich dir oft zu Füßen gelegen habe wie ein Hund, und dass du dann —

Der Wanderer: Und könnte ich dir nicht in aller Geschwindigkeit noch Etwas zu Liebe tun? Hast du keinen Wunsch?

Der Schatten: Keinen, außer etwa den Wunsch, welchen der philosophische „Hund“ vor dem großen Alexander hatte: gehe mir ein wenig aus der Sonne, es wird mir zu kalt.

Der Wanderer: Was soll ich tun?

Der Schatten: Tritt unter diese Fichten und schaue dich nach den Bergen um; die Sonne sinkt.

Der Wanderer: — Wo bist du? Wo bist du?