Zum Hauptinhalt springen

Die Leidenschaft im Mittelalter

222.

Die Leidenschaft im Mittelalter. — Das Mittelalter ist die Zeit der größten Leidenschaften. Weder das Altertum noch unsere Zeit hat diese Ausweitung der Seele: ihre Räumlichkeit war nie größer, und nie ist mit längeren Maßstäben gemessen worden. Die physische Urwald-Leiblichkeit von Barbarenvölkern und die überseelenhaften, überwachen, allzuglänzenden Augen von christlichen Mysterien-Jüngern, das Kindlichste, Jüngste und ebenso das Überreifste, Altersmüdeste, die Roheit des Raubtiers und die Verzärtelung und Ausspitzung des spätantiken Geistes — alles dies kam damals an Einer Person nicht selten zusammen: da musste, wenn einer in Leidenschaft geriet, die Stromschnelle des Gemütes gewaltiger, der Strudel verwirrter, der Sturz tiefer sein als je. — Wir neueren Menschen dürfen mit der Einbusse zufrieden sein, welche hier gemacht worden ist.