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Herder

118.

Herder. — Herder ist alles das nicht, was er von sich wähnen machte (und selber zu wähnen wünschte): kein großer Denker und Erfinder, kein neuer treibender Fruchtboden mit einer urwaldfrischen unausgenutzten Kraft. Aber er besaß im höchsten Masse den Sinn der Witterung, er sah und pflückte die Erstlinge der Jahreszeit früher als alle anderen, welche dann glauben konnten, er habe sie wachsen lassen: sein Geist war zwischen Hellem und Dunklem, Altem und Jungem und überall dort wie ein Jäger auf der Lauer, wo es Übergänge, Senkungen, Erschütterungen, die Anzeichen inneren Quellens und Werdens gab: die Unruhe des Frühlings trieb ihn umher, aber er selber war der Frühling nicht! — Das ahnte er wohl zuzeiten, und wollte es doch sich selber nicht glauben, er, der ehrgeizige Priester, der so gern der Geister-Papst seiner Zeit gewesen wäre! Dies ist sein Leiden: er scheint lange als Prätendent mehrerer Königtümer, ja eines Universalreiches gelebt zu haben und hatte seinen Anhang, welcher an ihn glaubte: der junge Goethe war unter ihm. Aber überall, wo zuletzt Kronen wirklich vergeben wurden, ging er leer aus: Kant, Goethe, sodann die wirklichen ersten deutschen Historiker und Philologen nahmen ihm weg, was er sich vorbehalten wähnte, — oft aber auch im stillsten und geheimsten nicht wähnte. Gerade wenn er an sich zweifelte, warf er sich gern die Würde und die Begeisterung um: dies waren bei ihm allzuoft Gewänder, die viel verbergen, ihn selber täuschen und trösten mussten. Er hatte wirklich Begeisterung und Feuer, aber sein Ehrgeiz war viel größer! Dieser blies ungeduldig in das Feuer, dass es flackerte, knisterte und rauchte — sein Stil flackert, knistert und raucht — aber er wünschte die große Flamme, und diese brach nie hervor! Er sass nicht an der Tafel der eigentlich Schaffenden: und sein Ehrgeiz ließ nicht zu, dass er sich bescheiden unter die eigentlich Genießenden setzte. So war er ein unruhiger Gast, der Vorkoster aller geistigen Gerichte, die sich die Deutschen in einem halben Jahrhundert aus allen Welt- und Zeitreichen zusammenholten. Nie wirklich satt und froh, war Herder überdies allzu häufig krank: da setzte sich bisweilen der Neid an sein Bett, auch die Heuchelei machte ihren Besuch. Etwas Wundes und Unfreies blieb an ihm haften: und mehr als irgend einem unserer sogenannten „Klassiker“ geht ihm die einfältige wackere Mannhaftigkeit ab.