Das Vorurteil vom „reinen Geiste“
39.
Das Vorurteil vom „reinen Geiste“. — Überall, wo die Lehre von der reinen Geistigkeit geherrscht hat, hat sie mit ihren Ausschweifungen die Nervenkraft zerstört: sie lehrte den Körper geringschätzen, vernachlässigen oder quälen, und um aller seiner Triebe willen den Menschen selber quälen und geringschätzen; sie gab verdüsterte, gespannte, gedrückte Seelen, — welche noch überdies glaubten, die Ursache ihres Elend-Gefühls zu kennen und sie vielleicht heben zu können! „Im Körper muss sie liegen! er blüht immer noch zu sehr!“ — so schlossen sie, während tatsächlich derselbe gegen seine fortwährende Verhöhnung durch seine Schmerzen Einsprache über Einsprache erhob. Eine allgemeine, chronisch gewordene Übernervosität war endlich das Loos jener tugendhaften Reingeistigen: die Lust lernten sie nur noch in der Form der Ekstase und anderer Vorläufer des Wahnsinns kennen — und ihr System kam auf seine Spitze, als es die Ekstase als das hohe Ziel des Lebens und als den verurteilenden Maßstab für alles Irdische nahm.