Die verfeinerte Grausamkeit als Tugend
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Die verfeinerte Grausamkeit als Tugend. — Hier ist eine Moralität, die ganz auf dem Triebe nach Auszeichnung beruht, — denkt nicht zu gut von ihr! Was ist denn das eigentlich für ein Trieb und welches ist sein Hintergedanke? Man will machen, dass unser Anblick dem Anderen wehe tue und seinen Neid, das Gefühl der Ohnmacht und seines Herabsinkens wecke; man will ihm die Bitterkeit seines Fatums zu kosten geben, indem man auf seine Zunge einen Tropfen unseres Honigs träufelt und ihm scharf und schadenfroh bei dieser vermeintlichen Wohltat in’s Auge sieht. Dieser ist demütig geworden und vollkommen jetzt in seiner Demut, — suchet nach Denen, welchen er damit seit langer Zeit eine Tortur hat machen wollen! ihr werdet sie schon finden! Jener zeigt Erbarmen gegen die Tiere und wird deshalb bewundert, — aber es gibt gewisse Menschen, an welchen er eben damit seine Grausamkeit hat auslassen wollen. Dort steht ein großer Künstler: die vorempfundene Wollust am Neide bezwungener Nebenbuhler hat seine Kraft nicht schlafen lassen, bis dass er groß geworden ist, — wie viele bittere Augenblicke anderer Seelen hat er sich für das Großwerden zahlen lassen! Die Keuschheit der Nonne: mit welchen strafenden Augen sieht sie in das Gesicht anders lebender Frauen! wie viel Lust der Rache ist in diesen Augen! — Das Thema ist kurz, die Variationen darauf könnten zahllos sein, aber nicht leicht langweilig, — denn es ist immer noch eine gar zu paradoxe und fast wehetuende Neuigkeit, dass die Moralität der Auszeichnung im letzten Grunde die Lust an verfeinerter Grausamkeit ist. Im letzten Grunde — das soll hier heißen: jedesmal in der ersten Generation. Denn wenn die Gewohnheit irgend eines auszeichnenden Tuns sich vererbt, wird doch der Hintergedanke nicht mit vererbt (nur Gefühle, aber keine Gedanken erben sich fort): und vorausgesetzt, dass er nicht durch die Erziehung wieder dahintergeschoben wird, gibt es in der zweiten Generation schon keine Lust der Grausamkeit mehr dabei: sondern Lust allein an der Gewohnheit als solcher. Diese Lust aber ist die erste Stufe des „Guten“.