16. Die beiden Künste für die Schlechtigkeiten der Seele und die zwei Arten des Unverstandes
Fremder: Für den Leib gibt es doch dieser zwei Zustände wegen zwei gewisse Künste?
Theaitetos: Welche sind diese?
Fremder: [229a] Für die Häßlichkeit die Gymnastik, für die Krankheit die Heilkunst.
Theaitetos: Offenbar.
Fremder: So ist auch wohl für Üppigkeit, Ungerechtigkeit und Feigheit unter allen Künsten die angemessenste die bändigende Kunst der Rechtsverwaltung?
Theaitetos: Wahrscheinlich ist es, wenigstens menschlichem Urteil nach.
Fremder: Wie aber für den sämtlichen Unverstand: könnte man wohl eine andere richtiger nennen als die belehrende?
Theaitetos: Keine.
Fremder: [b] Wohlan denn! Erwäge, ob wir sagen sollen, dass es nur eine Art der Belehrung gebe oder mehrere und vornehmlich zwei wichtigste?
Theaitetos: Ich erwäge.
Fremder: Und ich denke, so werden wir es am schnellsten finden.
Theaitetos: Wie?
Fremder: Wenn wir den Unverstand betrachten, ob er selbst etwa einen Einschnitt in der Mitte hat. Denn wenn er zwiefach ist, wird offenbar die Belehrung auch zwei Teile haben müssen, für jede Art von jenem einen.
Theaitetos: Wie also? Zeigt sich dir etwa schon was wir jetzt suchen?
Fremder: [c] Ich glaube eine sehr große und bedeutende Art des Unverstandes abgesondert zu sehen, welche allen andern Teilen desselben das Gleichgewicht hält.
Theaitetos: Was für eine?
Fremder: Wenn man zu wissen glaubt, was man nicht weiß; woraus wohl alles, was unserer Seele mißlingt, allen entstehn mag.
Theaitetos: Richtig.
Fremder: Und diese Art des Unverstandes, denke ich, wird allein Torheit genannt.
Theaitetos: Freilich.
Fremder: Wie nun sollen wir den hiervon uns befreienden Teil der Belehrung benennen?
Theaitetos: [d] Ich denke wenigstens, o Fremdling, dass das übrige nur Lehren im Sinne der Handwerker ist, dieses aber, hier wenigstens unter uns, eigentlich Unterweisung (Bildung) genannt wird.
Fremder: Auch wohl bei allen Hellenen, o Theaitetos. Aber wir müssen noch nachsehen, ob nun schon alles unteilbar ist, oder ob es noch eine Einteilung gibt, welche genannt zu werden verdient.
Theaitetos: So laß uns denn zusehn!